Illegale Politiker-Immunität
oder
Die Gewissensverkrüppelung deutscher Staatsanwälte und Richter
(...) Zur Aufklärung der politischen Skandale der Bundesrepublik hat die bundesdeutsche Justiz bisher wenig beigetragen. Im Gegenteil: Nur zu oft haben Staatsanwälte und Richter ihren Part in der Nachhut gespielt und es dubiosen Machtzirkeln erleichtert, sich demokratischer Kontrolle und strafrechtlicher Verantwortung zu entziehen. Es ist, als hätten die bundesdeutschen Politiker auf dem Weg zur Macht im Drachenblut gebadet ‑ sie waren und sind juristisch kaum verwundbar. Welcher der großen politischen Skandale der Bundesrepublik ist strafrechtlich aufgearbeitet worden? Die Instrumente des Strafrechts kratzten, wenn überhaupt, nur an der Oberfläche.
Ein kursorischer Streifzug:
Bei der sogenannten Spiegel-Affäre im Jahr 1962 versuchte der damalige
Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit fadenscheinigen
Vorwürfen, aber auf rücksichtslose Weise auszuschalten ‑ ein gefährlicher
Anschlag auf die Rechtsstaatlichkeit im Bereich der inneren Sicherheit. Die
Justiz mochte diesen Anschlag nicht ahnden, sie mochte ihn nicht einmal nach
den Regeln der juristischen Kunst ausleuchten. Strauß habe, so hieß es statt
dessen, die Tatbestände der Amtsanmaßung und Freiheitsberaubung (er hatte
Verhaftungen veranlaßt) zwar objektiv, nicht aber subjektiv verwirklicht. Ins
Deutsche übersetzt: Er hat es zwar getan, aber es war ihm nicht nachzuweisen,
daß er es böse gemeint hat.
Solche Aussagen gehören zum
Standardrepertoire bei Verfahren gegen regierende Politiker. Und wenn sich die
böse Absicht des Politikers ausnahmsweise wegen Offenkundigkeit partout nicht
leugnen läßt, dann, ja dann muß es so sein, daß der Politiker just zum
fraglichen Zeitpunkt, auch infolge der außergewöhnlichen Belastungen, die sein
Beruf so mit sich bringt, an einem vorübergehenden Zustand der Verwirrung litt
und also schuldunfähig war. Zu studieren ist dieses justizielle Reaktionsmuster
in den Jahren 1959 ff. im bayerischen Spielbankenprozeß am Exempel des
Falscheides von Dr. Friedrich Zimmermann ‑ vormaliger CSU‑Generalsekretär
und nachmaliger Bundesinnenminister: Der Mann trug aus diesem Strafprozeß nur
eins davon: einen Spitznamen. Seitdem nannte man ihn »Old Schwurhand«.
Politiker tragen, so lernen wir daraus, wenn sie nur politisch handeln, den
Strafbarkeits‑Ausschlußgrund stets mit sich herum. Politisches Handeln
entzieht sich der Strafbarkeit: Der Satz steht zwar nicht in der
Strafprozeßordnung, gehört aber offenbar zu den ungeschriebenen Essentiala.
Ein Sprung aus den sechziger
in die siebziger Jahre: 1978 sprengte der niedersächsische Geheimdienst nach
Absprache mit dem Ministerpräsidenten ein Loch in die Mauer des Gefängnisses
von Celle und schob die fingierte Straftat anderen in die Schuhe ‑ um
sich beim Wähler als effektiver Terroristenverfolger in ein gutes Licht zu
rücken. Zum Opfer wurden Unschuldige, aber auch die Polizei, die an die
angebliche terroristische Aktion glaubte; zum Narren gehalten wurde das niedersächsische
Parlament, dem Lügenmärchen aufgetischt worden sind. Keiner der Akteure, Planer
und mitwissenden Profiteure, in deren Händen Täterschaft, Tatherrschaft und
Tatvorteil lagen, wurde je ernsthaft für das Celler Loch und seine Folgen zur
Rechenschaft gezogen ...
Vor dem Celler Loch stehend,
kann man nicht nur an falsche Verdächtigungen, Freiheitsberaubung etc. denken ‑
der Fall ist auch geeignet, darüber nachzudenken, wo eigentlich die noch
straflose falsche Wahlpropaganda endet und wo die strafbare vorsätzliche
»Wählertäuschung« beginnt, die nach Paragraph 108a des Strafgesetzbuches
immerhin mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft wird. Und wer schon
bei diesen Überlegungen ist, der mag auch darüber sinnieren, warum die
irreführende Werbung um den Konsumenten von Waren verboten, die unlautere
Werbung um den Wähler von Parteien aber erlaubt ist: Das Gesetz gegen den
unlauteren Wettbewerb sorgt sich sehr wohl um den einigermaßen fairen
Wettbewerb in der Marktwirtschaft; um den einigermaßen fairen Wettbewerb in der
Politik kümmert sich niemand. Verbraucherverbände haben durchaus juristische
Mittel, um den Wirtschaftsunternehmen auf die Eisen zu steigen. Wählerverbände,
Bürgerinitiativen also, verfügen über vergleichbare Instrumente gegen politische
Parteien nicht. Auch deshalb konnte zum Beispiel ein Jahrzehnt lang, Wahlkampf
für Wahlkampf, den Bürgern in den Kopf gehämmert werden, 95 Prozent aller
Asylbewerber seien Asylschwindler ‑ ungeachtet der Anerkennungszahlen bei
Gericht, ungeachtet der dreißig bis vierzig Prozent von Bewerbern, die ein
kleines Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten haben, ungeachtet
der Bleiberechte und der Abschiebungshindernisse nach dem Ausländerrecht.
Ein Sprung in die achtziger
Jahre: Welche strafrechtlichen Konsequenzen sind eigentlich aus der Affäre
Barschel gezogen worden? Es gab ein Strafverfahren gegen den Journalisten, der
ins Genfer Hotelzimmer eingedrungen war, in dem der tote Ministerpräsident in
der Badewanne lag; wegen Hausfriedensbruch wurde der Journalist bestraft. Und
was ist mit denen passiert, die im schleswig‑holsteinischen Gemeinwesen,
im Haus der Verfassung, gehaust haben, die das Gift des Denunziantentums und
der Spitzelei in ihm verspritzt haben? Der christdemokratische Ministerpräsident
Uwe Barschel, der den Oppositionsführer Björn Engholm mit dem Verdacht hatte
infizieren wollen, er sei aidskrank, um ihn persönlich und politisch zu
ruinieren, er hat sich allem Anschein nach selbst gerichtet. Und all die
anderen Mitglieder der Barschel‑Bande, ihre Sympathisanten,
Helfershelfer, Mitwisser, die ganze Komparserie eines Schmutzwahlkampfes
ohnegleichen ‑ wer hat über sie gerichtet? Niemand hat es getan. Der
Justizapparat disqualifizierte sich »als Herrschaftsinstrument einer Partei« ‑
so beschrieb Volker Skierka, der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung,
einseitige Ermittlungen der Staatsanwaltschaft »von Barschel weg und in
Richtung eines Komplotts der SPD gegen die CDU hin«. Alle, die von den
schweinischen Machenschaften etwas merkten oder hätten merken müssen, sahen
nichts, hörten nichts, sagten nichts. Noch einmal dazu der SZ‑Korrespondent:
»Unrechtsbewußtsein und Zivilcourage waren die am stärksten verkümmerten
Charaktereigenschaften in der politischen Führungsklasse von Schleswig‑Holstein
und der ihr anvertrauten Administration. Hätte man nämlich seine Aufgaben als
Staatsdiener und nicht als Parteidiener verstanden, hätte eigentlich irgendwann
einmal jemand zum Telefonhörer greifen und nachfragen müssen, ob in Barschels
Umgebung jemand sitzt, der übergeschnappt ist.« Die sogenannte
Schubladenaffäre, die im Jahre 1993 publik wurde ‑ ein Vertrauter
Engholms hätte einem Barschel‑Mitarbeiter Geld für seine Enthüllungen
gegeben ‑, nimmt den Taten der Barschel‑Bande nichts von ihrer
Perfidie.
Quelle: "Deutschland leicht entflammbar" von Heribert Prantl,
München / Wien 1994, S. 237 - 240
Anmerkung: Bravo! Heribert Prantl. Das wollten wir schon immer sagen,
konnten es nur nicht so gediegen formulieren. Allerdings hätten wir es
gewünscht, daß die erwähnten "dubiosen Machtzirkel" etwas näher
durchleuchtet worden wären, denn wo sonst soll man das Übel an der Wurzel
packen. Geht es nur um die Granden der CDU (in NRW: der SPD), um Freimaurer,
Rotarier, Lions, Kiwanis-Brüder, Alte Herren der studentischen Korporationen
oder spielen auch schon mafiose Gruppierungen der Organisierten Kriminalität
eine Rolle?
Und nicht vergessen, der Freispruch von Esser, Ackermann & Konsorten
durch das Landgericht Düsseldorf kotzt uns genauso an, wie die illegale Politiker-Immunität.
Vielleicht hat sich der Generalbundesanwalt ja auch nur deshalb so brillant in
das Revisionsverfahren eingeklinkt, weil es die Schröder-Regierung es von ihm
"erbeten" hat.