Gestapo-Methoden (2)
Im Morgengrauen des 6.
November 1981 drangen rund 100 Polizeibeamte in Uniform und Zivil ohne
richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl in die Wohnungen von 19 Mitgliedern der
Deutschen Kommunistischen Partei Schleswig‑Holsteins ein. Sie brachen,
ohne Verantwortliche der DKP zu verständigen, das Bezirksbüro in der Hamburger
Chaussee auf und durchsuchten es eineinhalb Stunden lang. Aufgebrochen wurde
auch die Wohnungstür des DKP‑Bezirksvorsitzenden Ewald Stiefvater in
Wedel.
Der leitende Oberstaatsanwalt
beim Landgericht Kiel, von Raab‑Straube, hatte in Fernschreiben an die
Bezirks-Polizeidienststellen die Haussuchung angeordnet, weil "Gefahr im
Verzuge" sei. Es bestehe die Gefahr, daß eine Broschüre mit dem Titel
verbreitet werde "Verteidigt die demokratischen Rechte gegen ihre
Demontage ‑ wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz". Zwei
Mitarbeiter des Verfassungsschutzamtes fühlten sich mit Namen und Adresse enttarnt.
Sie hatten gegen die DKP eine Einstweilige Verfügung beantragt, weil sie auf
dem Recht am eigenen Bild nach Kunsturhebergesetz bestanden. Das war der
formale Vorwand für eine Aktion, die in Umfang und Form eine rigorose
Strafexpedition des schleswig‑holsteinischen CDU‑Innenministers Dr.
Barschel gegen die Deutsche Kommunistische Partei vermuten läßt.
In der beschlagnahmten DKP‑Dokumentation
waren die illegalen Praktiken des Verfassungschutzamtes in Schleswig‑Holstein
enthüllt und an Beispielen sichtbar gemacht worden. Zugleich war darin die
braun eingefärbte Gesinnung des verantwortlichen Innenministers beleuchtet
worden, der die enge Verbundenheit mit der NS-Vergangenheit u.a. dadurch
bezeugte, daß er an der Beisetzung des Hitler‑Nachfolgers Dönitz in
Gemeinschaft mit alten und neuen Nazis teilnahm und am Grab des früheren NS‑Landrats
Wandschneider ehrende Worte sprach, eines Mannes, der sogar für den Tod eines
polnischen Bürgers persönliche Verantwortung trug.
Empört über das rigorose
Vorgehen der Polizei äußerten sich in persönlichen Gesprächen, in
Telefongesprächen, in Briefen und Telegrammen viele Menschen unterschiedlichen
weltanschaulichen Standpunktes. Antifaschisten waren besonders entsetzt
darüber, daß zu den Betroffenen dieser Aktion auch Widerstandskämpfer gegen das
Hitler‑Regime wie der Lübecker Hein Meyn und Paul Evert aus Neumünster gehörten.
Beide hatten in der NS‑Zeit
viele Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbringen müssen. Hein
Meyn allein elfeinhalb Jahre.
In einer Pressekonferenz in
Kiel charakterisierte Ewald Stiefvater, Bezirksvorsitzender der DKP, die
Polizeiaktion mit folgenden Worten:
"Der massive
Polizeieinsatz macht deutlich, daß es hier um mehr geht. Wir haben es hier mit
einem eklatanten Bruch der Verfassung zu tun. Er ist im Zusammenhang zu sehen
mit der Verschärfung der innenpolitischen Situation in der Bundesrepublik, mit
dem Urteil gegen den Postbeamten Hans Peter, mit den Verhaftungen von
jugendlichen Demonstranten in Nürnberg, mit dem massiven Polizeieinsatz in
Frankfurt gegen Menschen, die nichts anderes getan haben, als ihre
demokratischen Rechte wahrzunehmen. Hier an zufälliges Zusammentreffen zu
glauben, hieße, die Augen vor der politischen Wirklichkeit zu verschließen.
Diese Aktion richtet sich im
Kern gegen die DKP und alle friedliebenden und demokratischen Kräfte, die sich
entschlossen gegen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen
sowie gegen den Abbau sozialer und demokratischer Rechte in diesem Land
richten.
Die Tatsache, daß diese Aktion
ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl und mit Methoden vorgenommen wurde, die
im gewaltsamen Eindringen in das Bezirksbüro, beispielsweise im Eindrücken
meiner Wohnungstür, zeigt, daß es die Verantwortlichen für diese Polizeiaktion
nicht mit der Demokratie halten.
Die DKP sieht in dieser Nacht‑
und Nebelaktion der schleswig‑holsteinischen Polizei und des obskuren
Verfassungsschutzamtes auch den Versuch, die DKP zu kriminalisieren und
zugleich alle anderen kritischen Kräfte dieser Gesellschaft zu treffen. Die
Aktion richtet sich nicht zuletzt gegen die Friedensbewegung in diesem Lande, die
mit solcher Eskalation polizeistaatlicher Praktiken eingeschüchtert werden
soll".
Quelle: Flugschrift "Zur Dokumentation"
Anmerkung: Die Gegenüberstellung der beiden Beiträge "Gestapo-Methoden"
1 und 2 aus den Jahren 2004 und 1981 zeigt, daß es relativ gleichgültig ist, ob
der Ministerpräsident Dr. Gerhard Stoltenberg und der Innenminister Dr. Uwe
Barschel heißt oder ob die SPD oder eine rot-grüne Regierung am Ruder ist: das
polizeistaatliche und tendenziell faschistische Vorgehen gegenüber Bürgern, die
nur ihre grundgesetzlich garantierten Rechte wahrnehmen, ist im wesentlichen
identisch! Sollten Björn Engholm, Dr. Klaus Klingner, Heide Simonis usw. dies
bestreiten wollen, werden wir sie öffentlich der Lüge überführen. Warum sagte
Engholm wohl vor dem ersten parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur
Barschel-Affäre, Schleswig-Holstein sei ein einziger großer Schweinestall
zwischen Nord- und Ostsee?