Der Braunschweiger Genossen‑Schutzverein
Was man in Niedersachsen zur
Zeit immer noch braucht, um sich aus jeder noch so kriminellen Situation
»legal« zu befreien, ist das richtige Parteibuch. Das der SPD. Die regiert dort
zwar schon seit bald drei Jahren nicht mehr, aber in ihrer Herrschaftszeit ist
es ihr gelungen, wesentliche Positionen in den Strafverfolgungsbehörden mit
»ihren« Leuten zu besetzen. Das müssen nicht immer SPD-Mitglieder sein,
Hauptsache, sie funktionieren so, als wären sie welche. Ihr Einfluss reicht bis
in die Zentrale von VW in Wolfsburg.
Die für VW zuständige
Staatsanwaltschaft Braunschweig erfüllt bis dato treu und brav ihre Rolle als
Genossen‑Schutzverein. Sogar von Kollegen in Niedersachsen wird die
Arbeit der örtlichen Justizbehörden in Teilen schon lange als ausdrücklich
»kriminell« bezeichnet. »Seilschaften und kriminelle Cluster« bestimmten das
Bild von Justitia an der Oker. Anwälte, Staatsanwälte und Richter arbeiteten
zur »Rechtsfindung« außerhalb der gesetzlich vorgegebenen Wege aufs Engste
zusammen. Rechtsbrüche und Strafvereitelung im Amt seien für die Braunschweiger
Justiz an der Tagesordnung. So erleichterten der Exministerpräsident Gerhard
Glogowski (SPD) und sein Freund und Busunternehmer Mundstock 1997 die
Braunschweiger Stadtkasse um einen zweistelligen Millionenbetrag, indem
Letzterer auf Vermittlung Glogowskis sein Unternehmen zu einem überteuerten
Preis an die Stadtwerke Braunschweig verkaufte. Ein klassischer Betrugsfall,
bei dem sogar noch ein nachträglich gefälschtes Gutachten die Betrüger
»entlastete«.Aber die heimischen Staatsanwälte verschlossen die Augen.
Während die Stuttgarter Justiz
seit einigen Monaten den Verantwortlichen bei DaimlerChrysler rechtsstaatlich
korrekt unmittelbar aufs Haupt steigt, um die Affäre um Betrügereien im
Deutschlandvertrieb von Mercedes aufzuklären, wartet man in Braunschweig
gegenwärtig darauf, dass die Volkswagen AG, in der es vor Betrug nur so wimmelt,
aussagefähiges Material über verdächtige Mitarbeiter und kriminelle Abläufe im
eigenen Hause den Justizbehörden auf den Schreibtisch liefert. Nach dem Vorbild
ihrer Stuttgarter Kollegen hätten die Braunschweiger Anwälte des Staates die
Filz‑ und Korruptionsburg bei VW längst nach Beweisen durchsuchen müssen.
Stattdessen »ordnet« die VW-Revision gemeinsam mit den Sonderprüfern von der
KPMG dort erst einmal die Akten.
Die Ermittlungen zu den
mutmaßlichen Betrugsfällen um die VW-Manager Schuster und Gebauer sind noch
relativ jungen Datums. Es ist deshalb zumindest theoretisch möglich, dass die
Staatsanwaltschaft Braunschweig etwas herausfindet. Nachdem Bernd
Pischetsrieder Ende August im Stern sagte,
die Sonderprüfer von KPMG dürften »nur rückwirkend bis 2001« die Vorgänge rund
um Klaus‑Joachim Gebauer prüfen, ist ja deutlich geworden, dass die
unternehmensinternen Prüfungen nicht ausreichen, um der Wahrheit ans Licht zu
verhelfen. Die Erfahrungen, die der ehemalige VW‑Mitarbeiter Holger
Sprenger mit dieser und auch anderen Institutionen des Rechtswesens in Sachen
Volkswagen AG machte, lassen jedoch nichts Gutes erahnen.
Sprenger hatte bis 2003 weder
bei seinen Vorgesetzten noch beim Betriebsrat noch beim Vorstand noch beim
Aufsichtsrat noch bei der Konzernrevision jemanden gefunden, der sich ernsthaft
mit den Vorgängen um seine unterdrückten Erfindungen und die von ihm
aufgedeckten betrügerischen Abläufe beschäftigen wollte ‑ und das, obwohl
er innerhalb eines halben Jahres mehr als 40 Personen aus dem Unternehmen
informierte. Als im Februar des Jahres dann auch noch Mitarbeiter des VW‑Werks
Kassel unter Druck gesetzt wurden, in Zukunft gefälligst nicht mehr zu Gunsten
Sprengers auszusagen, wandte sich dieser nicht nur auf der Hauptversammlung im
April 2003 an die Aktionäre, sondern auch an eine externe, also nicht mit VW
verbundene Stelle: an den Leiter der Staatsanwaltschaft Kassel. Dieser riet,
den Sachverhalt schriftlich zu schildern und der Behörde einzureichen, was
Sprenger auch tat.
Die Strafanzeige bearbeitete
Oberstaatsanwalt Hans‑Manfred Jung. Der sah nach einem Gespräch mit der
Konzernrevision, die ihm ihren Bericht vom 24. Februar 2003 überließ, keine
Notwendigkeit zu ermitteln: »Wenn schon die VW‑interne Revision zu dem
Ergebnis kommt, dass durch Manipulationen der in Baunatal sitzenden
Beschuldigten dem Gesamtkonzern kein Schaden entstanden ist, besteht für die
Staatsanwaltschaft kein Anlass, insoweit vom Gegenteil auszugehen.« Bei einem
Treffen am 26. März 2003 versuchte Sprenger, ihn von genau diesem Gegenteil zu
überzeugen, und ließ Jung umfangreiche Unterlagen und Belege einsehen. Der
Oberstaatsanwalt jedoch blieb bei seinem Glauben an die Qualität der
Konzernrevision. Den Bescheid über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens
schickte die Staatsanwaltschaft dann übrigens, welch bedauerlicher Zufall und
Irrtum, an die Volkswagen AG Wolfsburg zu Händen Herrn Sprenger. So bekam nicht
nur Wolfsburg, wo Sprengers Post geöffnet wurde, sondern auch die
Personalabteilung Kassel, die den Bescheid mit ihrem Stempel versah, Kenntnis
von der Strafanzeige und Jungs Verfügung.
Quelle: "Schwarzbuch VW. Wie Manager, Politiker und Gewerkschafter
den Konzern ausplündern" von Hans-Joachim Selenz, Eichborn, Frankfurt am
Main 2005, S. 154 - 156
Anmerkung: Die Zustandsbeschreibung der Justiz können wir voll bestätigen.
Allerdings unterliegt Selenz einem Irrtum, wenn er meint, im
"schwarzen" Stuttgart sei es grundsätzlich besser um die Justiz
bestellt. Ob Niedersachsen und Schleswig-Holstein heute oder Baden-Württemberg
und Schleswig-Holstein vom Kriegsende bis Barschel, es ist unter dem Strich
genau das Gleiche - nämlich "Rechtsbeugermafia". Die gilt übrigens
auch bundesweit bei Koalitionsregierungen, wenn die FDP den Justizminister
stellt.
Es ist nämlich ein weit verbreiteter Irrtum, Justitia trage die Binde vor
den Augen, damit sie ohne Ansehen der Person richte; tatsächlich soll der
Lappen verhüllen, daß die Dame ganz entsetzlich schielt!
Das mangelnde oder sogar völlig fehlende Rechtsbewußtsein ist jedoch
nicht auf die Mitglieder und Sympathisanten der Systemparteien beschränkt,
sondern läßt sich noch ausgeprägter bei den Logenbrüdern und Clubmitgliedern
(Rotary, LIONS, Kiwanis, Round Table usw.) nebst reichlichem Mitläufertum
hochkonzentriert feststellen.