Dr. Karl Heinz Roth

Tigerkäfig - auch für Schwerstverletzte

Auszug aus einem Brief der Evangelischen Studentenge­meinde Clausthal an Justizminister Posser

und die Staatsan­waltschaft Köln, Mai 1976:

 

Sehr geehrter Herr Dr. Posser!

Durch zahlreiche besorgte Stimmen aus dem In- und Aus­land wurden wir auf den bedenklichen Gesundheitszustand von Dr. Karl Heinz Roth aufmerksam gemacht.. . . Wenn es in einer Gefängnisklinik vorkommen kann, daß ein Gefan­gener während eines einfachen chirurgischen Eingriffs zum Zwecke der Kastration stirbt, wie erst kürzlich geschehen, so erhellt dieser Fall schlaglichtartig die völlig unzulängliche apparative und personelle Ausstattung einer solchen Klinik. Die hohe Selbstmordrate in den Haftanstalten der BRD zeigt, daß die Haftbedingungen den Prozeß der psychischen und physischen Selbstzerstörung bis hin zur Selbstauslö­schung begünstigen und fördern. Ein Heilungsprozeß ange­sichts eines so komplizierten Befundes wie im Falle von K. H. Roth ist daher schon mangels umgebungsbedingter psy­chischer Kondition zum Scheitern verurteilt. Nachdem Sie bisher so hartnäckig alle Anträge und Einga­ben zur Haftverschonung von K. H. Roth abgelehnt haben, können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie den Tod dieses Untersuchungsgefangenen eiskalt einkalkulie­ren. Die Todesstrafe ist zwar abgeschafft in unserem Lande, aber der kalkulierte Tod auf Raten tritt an deren Stelle. . . . Wir sind nicht bereit, solche Handlungen der Justiz, die allen humanen und demokratischen Prinzipien total widerspre­chen, ungerührt und unwidersprochen hinzunehmen. Uns ist auch bekannt, daß wir mit öffentlichen Stellungnahmen gegenwärtig in erster Linie das Interesse der Staatsschutzor­gane auf uns lenken, was verstärkte Überwachung und Überprüfung unserer Gruppe und anderer Personen nach sich ziehen wird. Demgegenüber ist die Chance, die Justiz zur Änderung ihrer Haltung zu veranlassen, gering. Wir werden uns dadurch aber nicht zum Duckmäusertum und zum opportunistischen Stillschweigen verleiten lassen. In der Geschichte unseres Landes hat schon einmal alles damit angefangen, daß viele, allzu viele schwiegen. Darum fordern wir

sofortige Haftverschonung für Dr. Karl Heinz Roth.

 

Mit vorzüglicher Hochachtung
für die Ev. Studentengemeinde Clausthal (Ewald Hein-Janke)   

gez. Reimute Roesler Studentenpfarrer

gez. Gustav Boesche

gez. Gerhard Lilienkamp

Der Vorstand der Gemeindeversammlung.

 

Quelle: „Ulrike Marie Meinhof und die deutschen Verhältnisse“ von Peter Brückner, Berlin 1977, S. 160 f