Berliner Justiz

 

Während die Berliner Politik und das Management der Bankgesellschaft die Illusion verbreiten, daß mit ihrem Geldinstitut alles bestens bestellt wäre und von einer immer noch drohenden Insolvenz keine Kenntnis haben, gab es doch eine Bankrotterklärung. Die kam jedoch nicht von der Bank, sondern von der Berliner Staatsanwaltschaft.

 

Der Konkursverwalter war kein anderer als Berlins ‑ mal‑ist‑er‑es, mal‑ist‑er­-es‑nicht ‑ Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge. Im Sommer 2002 erklärte er öffentlich zu den Verfahren gegen die Verantwortlichen des Bankgesellschaft‑Desasters, daß man nicht zu viel erwarten solle. Es sei schwierig, Schuldige dingfest zu machen, meint der Generalstaatsanwalt, und viele Fälle seien in der Zwischenzeit verjährt.

 

Nachdem die SPD behauptete, daß es im Herbst 2002 zu Anklagen gegen führende Bankmanager kommen werde, wandte der Generalstaatsanwalt sich erneut an die Öffentlichkeit:, »Daß eine Partei so etwas ankündigt, das hat es noch nicht gegeben«, erklärte Karge. Die Staatsanwaltschaft werde von der SPD gedrängt, unbegründete Anklagen zu erheben. Diese Bankrotterklärung Karges war ein ziemlicher Schock. Aufklärung und Anklage, das sind die Aufgaben der Staatsanwaltschaft in der Demokratie, und jetzt behauptet ihr höchster Vertreter, beides wird es wahrscheinlich nicht geben.

 

Um Karges Aussagen zu begreifen, muß man ein wenig über die Berliner Staatsanwaltschaft wissen. Man muß sich vorstellen, ein nettes Ehepaar entscheidet sich, einen Hund für die Familie zu kaufen ‑ einen Dackel. Sie schauen sich einen ganzen Wurf kleiner Dackel an. Als sie den Zwinger, wo sich die kleinen Hunde befinden, betreten, ziehen sich alle knurrend in eine Ecke zurück ‑ bis auf einen, der gleich herbeiläuft, um Hände und Füße des Ehepaares leidenschaftlich zu lecken. Über die Jahre wird Rex ‑ so nennen sie ihren Hund ‑ konsequent ruiniert. Es gibt Brötchen ‑ nur die obere Hälfte ‑ mit Erdbeermarmelade morgens, Schnitzel zu Mittag, Sachertorte mit Schlagsahne zum Kaffee und Eierlikörpralinen vorm Fernseher. Nach fast zehn Jahren hat Rex kaum noch Zähne oder Haare, stinkt aus dem Maul, und seine Beine, wegen Bauchumfangs, berühren kaum noch den Boden. Eines Morgens liegt Rex auf der Küchenbank ‑ auf dem Rücken ‑ und läßt sich die fünfte obere Brötchenhälfte, dick mit Butter und Erdbeermarmelade geschmiert, servieren. Plötzlich reißt der Sohn der Familie die Küchentür auf und ruft voller Enthusiasmus: »Rex, wir gehen Hasen jagen!« So verhält es sich metaphorisch verschleiert ‑ mit der Berliner Staatsanwaltschaft.

 

Ich glaube nicht, daß die amtierende Berliner Staatsanwaltschaft ein Ruhmesblatt in der Geschichte der Strafverfolgung hinterlassen wird. Sie selber glaubt das wohl auch nicht. Alleinschuldig sind sie an diesem Ruf nicht. In einer Stadt, wo Filz und Korruption bestimmend waren und immer noch sind, wollte die regierende Kaste keine effektive Strafverfolgung im Bereich Wirtschaftskriminalität. Sie hat aus dem Antes‑Skandal der achtziger Jahre gelernt (wobei dieser Betriebsunfall eher auf einen einzigen Staatsanwalt, Hans‑Jürgen Fätkinhäuer, und einen Polizeikommissar, Uwe Schmidt, zurückzuführen ist). Für die Oligarchie war es ein unglückliches Kapitel, das auf keinen Fall wiederholt werden sollte.

 

Elan ist sicherlich nicht eine der auffälligen Eigenschaften der Berliner Staatsanwaltschaft. Früher war ein Termin bei ihr eine eher peinliche Angelegenheit. Eine ganze Stunde Klagen über fehlende Ausstattung und unmögliche Arbeitsbedingungen mußte man sich anhören. Es stimmte auch. Man muß sich vorstellen, viele hatten keine Computer, also mußten sie ihre privaten Laptops zur Arbeit mitbringen. Es lagen Hunderte von Akten auf Regalen gestapelt, die von Hunderten von Fällen stammten, die abgearbeitet werden mußten. Das Ergebnis war dementsprechend. Aus schlechtem Gewissen hat man am Schluß sein Anliegen gar nicht erst vorgetragen. Doch immerhin gab es für die Staatsanwälte ein sicheres Gehalt und ein relativ ruhiges Leben.

 

Aus meiner Erfahrung mit Staatsanwaltschaften in der Bundesrepublik sieht es anderswo mit der Motivation ‑ auch wenn sie technisch besser ausgerüstet waren ‑ nicht viel anders aus. Wenn man an die Berufskollegen in Italien denkt, die dutzendweise im Dienst umgebracht wurden, fragt man sich aber: Was machen die deutschen Staatsanwälte so richtig oder die Italiener so falsch?

 

Karge, selber SPD‑Mitglied, wurde 1995 von der Großen Koalition nach Berlin geholt. Eine beeindruckende Karriere hatte er nicht hinter sich. Seine letzte Station, bevor er zum Generalstaatsanwalt der Haupt­stadt ernannt wurde, war Leiter der Staatsanwaltschaft im verschlafenen Marburg. Er war sicherlich der richtige Mann für Berlins Große Koaliti­on und Kleine Oligarchie. Peinlich war aber folgendes: Als die neuen Machthaber der Stadt, die SPD, sich im Jahr 2002 als eifrige Verfolger der Bankgesellschafts‑Bösewichte zu profilieren versuchten, behauptete Kar­ge öffentlich, daß die SPD schnelle Ergebnisse und publikumswirksame Verurteilungen krimineller Bankmanager wünsche, tatsächlich aber seien viele Straftaten längst verjährt, und die Materie sei außerordentlich kompliziert. Es war sonnenklar: Karge und seine Staatsanwaltschaft ge­hen nicht auf Hasenjagd ‑ und wenn dazu gezwungen, endet das Unter­fangen sowieso mit einem Herzinfarkt. Das weiß natürlich auch die SPD. Bloß der Generalstaatsanwalt soll so etwas nicht in die Öffentlich­keit tragen. Karge ist offensichtlich alt ‑ schon über sechzig ‑ und unbe­lehrbar. Deswegen mußte er weg. Im August 2002 ist er regelrecht vom Berliner Parlament abgewählt worden. Daraufhin hat er sich wieder ins Amt hineingeklagt. Dort sitzt er in seinem Büro und hat zunächst recht.

 

Anfang Februar 2003 hat Berlins gegenwärtige SPD‑Justizsenatorin Karin Schubert, die Karge aus dem Amt unter anderem wegen seiner publikumswirksamen Behauptungen hieven wollte, öffentlich erklärt, was Karge schon längst vor ihr festgestellt hatte: Man solle nicht erwarten, daß die Berliner Staatsanwaltschaft auf Hasenjagd geht: »Die in jüngster Zeit erhobenen Vorwürfe gegenüber der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen gingen nicht zügig voran, entbehren jeder Grundlage. Es ist fatal, wenn ohne jede Kenntnis von der Arbeit der Staatsanwaltschaft oder vom Stand der Verfahren falsche Behauptungen aufgestellt werden.

 

In dem so umfassenden Verfahren Bankgesellschaft, das zu Recht ein außerordentliches öffentliches Interesse erfährt, ist niemandem damit gedient, wenn Anklagen ohne ausreichende Ermittlungsgrundlagen >mit der heißen Nadel< gestrickt werden. Sorgfältige Arbeit ist hier Voraussetzung für rechtskräftige Verurteilungen und >Schnellschüssen< in jedem Fall vorzuziehen.«

 

Über Karges schlimmsten Ausfall redet keiner ‑ und es scheint auch keinen gestört zu haben. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der PDS für den Bankgesellschaft‑ Untersuchungsausschuß im Berliner Abgeordnetenhaus hatte einen potentiell wichtigen Zeugen aufgetan, der daraufhin vorgeladen wurde. Der Zeuge, Engelbert Maus, war enger Mitarbeiter von Manfred Schoeps. Vor dem Auftritt von Maus hatte der PDS‑Assistent den Hinweis erhalten, daß brisante Informationen zur Aufklärung der Unregelmäßigkeiten bei den Immobilienfonds der Bank auf Maus' Computer zu finden seien. Daraufhin wurde die Staatsanwaltschaft einschaltet.

 

Zur Beschlagnahmung von Maus' Computers kam es allerdings nicht. Karge, der kurz vor der Abwahl stand, benutzte diese Information, um den Untersuchungsausschuß und die Berliner Parlamentarier anzugreifen. Er beschwerte sich beim Rechtsausschuß des Berliner Parlaments, daß in diesem Fall der Untersuchungsausschuß auf die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft politischen Einfluß nehme. Karge nannte Roß und Reiter. Durch seine Handlungsweise wußten nun so viele Personen von dem Fall, daß man davon ausgehen kann, daß Maus vorgewarnt war und entsprechend handeln konnte, was eigentlich wiederum überflüssig war, da die Staatsanwaltschaft angeblich nichts in dieser Richtung unternahm. In der Zwischenzeit hat der Untersuchungsausschuß entdeckt, daß Maus vielleicht die Nadel im Heuhaufen sei, die sie so lange suchten. Maus, als er vor dem Untersuchungsausschuß erschien, verweigerte übrigens die Aussage gemäß Paragraph 55 der Strafprozeßordnung ‑ auch wenn es gar keine Ermittlung gegen ihn gibt.

 

Die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft zum Fall Bankgesellschaft waren von Anfang an unglücklich. ...

 

Quelle: "Eine ehrenwerte Gesellschaft" von Mathew D. Rose, Berlin 2003, S. 209 - 212 (Auszug aus dem Kapitel 13 "Die Bankrotterklärung")

 

Anmerkung: Ein hervorragendes Buch. Allerdings können sich die Lübecker und große Teile der schleswig-holsteinischen ohne weiteres mit der Berliner Justiz messen. Auf "Die Rechtsbeugermafia" und die PDF-Dateien "Justizmißstände" sei beispielhaft hingewiesen. Der Kulturredakteur von "luebeck-kunterbunt" kann ein Lied von dem Berliner Saustall singen. Als der Präsident des Lübecker Landgerichts ihn in Berlin übel verleumdete, sahen Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwaltschaft und Justizsenator keine Veranlassung, gemäß ihrem auf die verfassungsmäßige Ordnung geleisteten Diensteid zu handeln. Ein gewisses Manko in Roses Buch besteht allerdings darin, daß er nicht die Hintergründe des Skandals um die Berliner Bankgesellschaft aufdeckt bzw. offenbart: Die führenden Köpfe dieser kriminellen Machenschaften sind fast alle Mitglied in einem Serviceclub oder Logenbrüder!