BGH billigt Mord

 

Beschämung für judikatives Unrecht

 

Es ist nicht gerade alltäglich, daß der Bundesgerichtshof zu Feierstunden lädt, die Juristen gewidmet sind. Wenn er Juristen gedenkt, ist der Anlaß ein ganz besonderer. Das traf insbesondere für eine Gedenkstunde Anfang März zu, die dem ehemaligen Reichsgerichtsrat

und Widerstandskämpfer HANS VON DOHNANYI galt, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Eigentlich wäre es eher eine Pflicht der Politik gewesen, DOHNANYI zu ehren. Wer allerdings um die Schicksale DOHNANYIS und seines Richters THORBECK weiß, versteht, weshalb ausgerechnet der Bundesgerichtshof sich berufen fühlte, DOHNANYIS zu gedenken.

 

Der BGH hatte 1956 dem Vorsitzenden des SS‑Standgerichts, dem berüchtigten Korpsrichter und SS­-Sturmbannführer THORBECK nachträglich einen Freibrief dafür erteilt, daß er DOHNANYI in den letzten Kriegstagen am 9. 4. 1945 erbarmungslos in den Tod geschickt hatte. So konnte die Feierstunde nur als Ausdruck der Scham über ein Urteil und seine Begründung verstanden werden. Denn die damalige Spruchpraxis offenbarte eine Rechtsgesinnung, die zum dunkelsten Kapitel der Nachkriegs‑Justiz zählt. Es entstand insbesondere im Ausland der Eindruck, als ob am höchsten deutschen Gericht Richter judizierten, die aus der Vergangenheit nichts gelernt hatten, sondern mit ihr verhaftet waren. Der politische Schaden, den die Richter damals anrichteten, war immens.

 

Die Ungeheuerlichkeit des Richterspruchs kann sich nur bewußt machen, wer weiß, daß der 1938 zum Reichsgerichtsrat ernannte DOHNANYI von Anfang an ein entschiedener und aktiver Gegner des Naziregimes war. Er gehörte seit 1939 dem von Admiral CANARIS geleiteten militärischen Nachrichtendienst der Wehrmacht an. Er unterstützte die Widerstandsgruppe um Oberst OSTER, zählte zu den Organisatoren des Widerstandskreises um DIETRICH BONHOEFFER und half nachweislich uneigennützig vielen Menschen, die unter den Nazis litten.

 

Als Widerstandskämpfer wurde DOHNANYI am 9. 4. 1945 von einem formal unzuständigen SS-­Standgericht wegen Hoch‑ und Kriegsverrats zum Tode verurteilt und im Alter von nur 43 Jahren im Konzentrationslager Sachsenhausen hingerichtet. Das Verfahren vor dem SS-Standgericht war eine reine Farce. Der zum Tod Geweihte hatte keinen Verteidiger, der ihm allerdings auch nicht hätte helfen können, so ihm einer hätte beistehen dürfen. Es gibt kein Protokoll über die Verhandlung. Nicht rein zufällig fungierte der KZ­Kommandant von FLOSSENBÜRG als Beisitzer im Standgericht.

 

Das Ganze war ein staatlicher Auftragsmord. Aber diesen billigte der Bundesgerichtshof im Ergebnis. Die Begründung läßt einen erschauern. Es heißt, daß der SS‑Sturmbannführer THORBECK der Unerbittlichkeit der damals geltenden Gesetze unterworfen war. Da wird suggeriert, daß der Nazi‑Richter selbst Opfer seiner Zeit und deren Gesetzgebung war, die ihm keine Alternativen ließ.

 

"Einem Richter, der damals einen Widerstandskämpfer abzuurteilen hatte und ihn in einem einwandfreien Verfahren für überführt erachtete, kann heute in strafrechtlicher Hinsicht kein Vorwurf gemacht werden", heißt es in dem Urteil weiter. Der Hinweis auf das "einwandfreie Verfahren" zeigt, wie es der BGH mit der juristischen Bewältigung des Nazi‑Unrechts hielt. Den Widerstandskämpfern wurde mit dem Urteilsspruch vorgeworfen, daß sie nach den damals geltenden und in ihrer rechtlichen Wirksamkeit an sich nicht bestreitbaren Gesetzen Landes- und Hochverrat begangen hätten. "Für dieses Urteil des Bundesgerichtshofs ... muß man sich schämen", bekannte BGH‑Präsident GÜNTER HIRSCH, der das Versagen seines Gerichts bedauerte. Noch nie hatte bisher ein Jurist das Versagen des Bundesgerichtshofes bei der Aufarbeitung der NS‑Justiz so deutlich kritisiert.

 

Allerdings darf nicht übersehen werden, daß der höchstrichterliche Spruch in eine Zeit gebettet war, in der Schwurgerichte durch juristische Akrobatik NS‑Mord zu Totschlag und NS‑Täter zu Gehilfen herunterstuften. Und es war eine Zeit, in der Bundesrichter einem NS‑Verfolgten Entschädigungsansprüche absprachen, weil sein Widerstand keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Das dunkelste Kapitel der deutschen Nachkriegsjustiz dauerte lange. Noch 1968 hob der BGH die Verurteilung des Richters REHSE auf, der im Volksgerichtshof zusammen mit ROLAND FREISLER an Dutzenden von Todesurteilen mitgewirkt hatte.

 

Die juristische Bewältigung der Vergangenheit durch die Justiz im Nachkriegsdeutschland aufzuarbeiten und zu analysieren, wäre sicherlich einer wissenschaftlichen Arbeit wert und würde Erkenntnisse bescheren, die unserer heutigen Vorstellungswelt völlig entrückt sein dürften. Immerhin ist unbestreitbare Tatsache, daß kein Richter und kein Staatsanwalt in der Bundesrepublik wegen der tausendfachen Justizverbrechen im Dritten Reich rechtskräftig verurteilt wurde.

 

Quelle: Rechtsanwalt Dieter Barth - Karlsruhe - in ZAP (Zeitschrift für die Anwaltspraxis) vom 10.4.2002, S. 378 f

 

Anmerkung: Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wird zum gleichen skandalösen Themenkreis hingewiesen auf

-         Ernst Klee: "Was sie taten - Was sie wurden. Ärzte, Juristen ..."

-         Michael Förster: "Jurist im Dienst des Unrechts"

-         Klaus-Detlev Godau-Schüttke: "Ich habe nur dem Recht gedient."

-         Michael Ratz: "Die Justiz und die Nazis"