Unerträglich trüber Staat Israel

 

(...) Heute ist Israel ein unerträglich trüber Staat. So ist es natürlich nicht erst seit Ehud Olmert und seit dem Krieg, obwohl Olmerts Verhalten in nicht geringer Weise zu diesem Zustand beigetragen hat. Aber wir Israelis sind über viele Jahre hinweg immer stärker in einen internen Streit versunken, bis uns die Fähigkeit abhan­denkam, das große Ganze zu erkennen, unsere wahren Interes­sen als ein Volk und eine Gesellschaft. Manchmal sieht es so aus, als hätten wir die gesunden und natürlichen Instinkte einer Na­tion verloren, mit deren Hilfe wir unsere Prioritäten setzen und die internen Konflikte lösen, bevor wir alles verlieren.

Heute haben wir die deprimierende Gelegenheit, Zeuge zu sein, wie unser zerstörerisches „Gen“ zurückkehrt - jenes Gen, von dem wir wissen, dass es zu einem Bruderkrieg führen kann. Es scheint, als ob das Misstrauen und die Feindschaft, die wir in mehr als hundert Jahren in einem endlosen Zyklus aus Rache und Ver­geltung gegen unsere Feinde richteten, heute unser Denken und Verhalten auch untereinander bestimmen. Gegenüber jedem, der nur ein wenig anders ist - selbst wenn er kein wirklicher Feind ist, sondern im weitesten Sinne des Wortes ein „Mitglied der Familie“.

Und wir haben keine Leidenschaft. Nicht für uns selbst und noch weniger für andere. Wir übernehmen nicht genügend Ver­antwortung für den anderen, jedenfalls ganz sicher nicht in dem Maße, wie es Israels fragiler Zustand erfordert. Manchmal scheint es, als wüssten wir jenes Privileg nicht zu würdigen, das uns in die Hände fiel: einen souveränen jüdischen Staat zu gründen nach Dutzenden von Generationen und Tausenden von Jahren, in de­nen ein solcher Staat nicht möglich war.

Daher ist die Frage, die wir uns stellen müssen, nicht die, ob Ehud Olmert nach dem Bericht zum Libanon-Krieg Premierminis­ter bleiben kann. Die richtige Frage lautet: Ist er der Mann, der einen Prozess der Genesung von diesen schlimmen Krankheiten in Gang setzen kann? Mit der Art, wie er sein Amt führt, und den Bot­schaften, die er an die Öffentlichkeit sendet, angesichts des großen Vertrauensverlusts und im Lichte jener Impulsivität, mit der er den Krieg begann und ihn führte, angesichts der vielen Schatten, die schon vor dem Krieg über ihm hin­gen und erst recht danach - kann Ehud Olmert wirklich jene Navigationsfeh­ler korrigieren, die Israel seit Jahren auf einen Irrweg führen? Kann er uns zu uns selbst zurückführen? (...)

 

Quelle. David Grossman – lt. SPIEGEL einer der bekanntesten Schriftsteller Israels und seit 25 Jahren die Stimme des Friedenslagers – in DER SPIEGEL 7 / 2008 / 110 f (Auszug aus „Wie ein blinder Riese“)

 

Anmerkung: Zionismus ist Ketzerei, nur die Wahrheit macht euch frei und Frieden gibt es nur durch Gerechtigkeit und nicht durch Krieg, Folter und illegale Siedlungsprogramme. Vom „zerstörerischen Gen“ zu sprechen, kann man sich heutzutage wohl nur als Jude leisten. Dabei dürfte es sich allerdings um eine Steilvorlage für gewisse Kreise handeln, die sich nicht der politischen Korrektheit unterwerfen wollen; erschiene doch die barbarische Judenverfolgung der Nazis dann möglicherweise in einem milderen Licht unabhängig von dem Kopenhagener Manifest von 1918?