Parias in Israel

 

Die Wut von Israels Arabern

 

Während Israelis und Palästinenser ihre Weichen auf Entspannungskurs stellen, steigt innerhalb Israels erneut die Spannung zwischen Juden und Arabern. Allein in der vergangenen Woche töteten israelische Grenzpolizisten zwei Araber mit israelischer Staatsangehörigkeit in Aktionen, die eigentlich Terroristen stoppen sollten.

 

Das hat Wut und Empörung der israelischen Araber noch angefacht. Ihr Ärger äußerte sich sofort in gewaltsamen Demonstrationen von Beduinen im Negev. Polizeibeamte beschrieben die Situation dort als "höchst brenzlig. Die Lage gleicht einem Pulverlass, das jederzeit explodieren kann."

 

Israels 1,3 Millionen Araber, fast 20 Prozent der Bevölkerung, befinden sich seit der Staatsgründung 1948 in einer prekären Situation. Von ihren arabischen Brüdern als Kollaborateure verschrien, beäugen die Juden sie als fünfte Kolonne. Rechtlich genießen Araber in Israel alle bürgerlichen Privilegien. Arabisch ist eine der drei offiziellen Landessprachen, und Araber haben ein unabhängiges Schulsystem. Ihre Interessen werden von demokratisch gewählten Führern im israelischen Parlament vertreten.

 

Doch de facto sind Araber immer noch Bürger zweiter Klasse. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung liegt drei Jahre unter der der Juden, die Kindersterblichkeit ist höher. Die Anzahl von Schulabschlüssen ist deutlich geringer, somit auch der wirtschaftliche Status. Arabische Parteien sind für die großen Parteien als Koalitionspartner unakzeptabel.

 

Der Oslo‑Friedensprozess erweckte bei den israelischen Arabern die Hoffnung, sie könnten die Brücke zum Frieden zwischen Israelis und Palästinensern bilden. Zum Unabhängigkeitstag 1995, sechs Monate bevor Rabin ermordet wurde, sah man zum ersten Mal israelische Fahnen auf arabischen Autos, die zu den Feierlichkeiten fröhlich hupten. Doch mit dem Friedensprozess versanken auch die Erwartungen im Morast von Terror und Misstrauen. Am Beginn der zweiten Intifada im Jahre 2000 probten die Araber den Aufstand ‑ für die jüdischen Israelis wurde ein Alptraum wahr. 13 Araber starben.

 

Es folgte erschrockene Stille. Von den Juden aus Angst, aber auch aus Rache boykottiert, litt die Kleinindustrie in den arabischen Dörfern schwer. Die schwelende Krise hatte Folgen: Wurden 2000 nur acht Terrorgruppen israelischer Araber aufgedeckt, so waren es 2002 schon 32, Tendenz steigend. Immer enger kooperieren israelische Araber mit palästinensischen Terroristen aus der Westbank.

 

Die relative Ruhe der letzten Wochen, zusammen mit den letzten blutigen Zwischenfällen, lassen Israels Araber nun politisch aktiv werden. Ihre Führer fordern die Auflösung der Grenzpolizei, eine Kommission soll die Vorfälle untersuchen. Die Forderungen werden sich nicht lange unter den Teppich der nationalen Sicherheit kehren lassen. Sollte der Friedensprozess voranschreiten, wird bald ein ungleich komplizierterer Friedensprozess innerhalb der israelischen Gesellschaft beginnen müssen

 

Quelle: "Lübecker Nachrichten" vom 27./28.7.2003

 

Anmerkung: Die Richtigkeit der Einschätzung des hochgradig gestörten Verhältnisses beider Volksgruppen und die Behandlung der arabischen Israelis quasi als Parias durch die jüdischen Israelis wird u.a. bestätigt durch Ernest Goldberger in "Die Seele Israels", Zürich 2004, S. 305 - 320 ("Von der Juden- zur Araberfrage"). Goldberger hat als promovierter Sozialwissenschaftler jüdischer Abkunft sein Arbeitsleben in der Schweiz verbracht, um 1991 nach Israel überzusiedeln. Seine schonungslose Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen und dem staatlichen Handeln in Israel beschreibt die vom Weltjudentum gern totgeschwiegene Tatsache, daß der Traum des Zionismus sich nicht verwirklichte und ein unerfüllbares Märchen bleiben wird. Die geradezu dramatischen Rückwanderungszahlen belegen, daß viele Juden dem Paradies in ihren ursprünglichen - vielfach geschmähten - Wirtsländern viel näher waren und sind als in Israel.