New York Times

 

Diese Atmosphäre [des Antifaschismus] sowie die Schuldgefühle der Nichtjuden wegen des Holocaust ausbeutend, fühlten sich die amerikani­schen Juden meiner Generation ermutigt, sich kulturell zu exponieren, ihre Herkunft stolz zur Schau zu tragen, literarische Inspiration in ihren Wurzeln zu finden und sich an der Wiederauferstehung Israels zu ergötzen. [...] Anstatt mich Idolen und Leidenschaften hinzugeben, weihte ich mich den Worten und Argumenten, wurde ein Teil einer schamlos jüdischen, verbalen Invasion der amerikanischen Kultur. Ich war besonders befriedigt, daß die wildesten Alpträume der Antisemiten wahr geworden waren: Inspiriert von unserem Erbe als Bewahrer des Buches, Erschaffer des Gesetzes und über­legene Geschichtenerzähler, erhielten die Juden in Amerika letztlich einen unverhältnismäßigen Einfluß an Universitäten und in allen Kommunikationsmedien.

[...] Innerhalb weniger Jahre nach Punchs ["Punch" Sulzberger, Eigentü­mer der New York Times] Übernahme des Chefsessels begann eine Zeit, in der nicht nur der Chefredakteur - A. M. Rosenthal -, sondern alle im Impressum der Zeitung aufgeführten Redakteure Juden waren. Im Hinterzimmer des Verle­gers wurde diese Tatsache gelegentlich über einem Glas Wodka als undi­plomatischer Zustand erwähnt, aber es änderte sich nur graduell, ohne Quotenregelung für Christen. [...] Die Times leidet nicht länger unter dem geheimen Wunsch, ihre ethnischen Wurzeln zu bestreiten oder zu überwinden.

 

Quelle: Max Frankel – ehemaliger Chefredakteur der New York Times – in „The Times of My Life. And my Life with The Times”, New York 1999, S. 400f, 403