Konservativer Antisemitismus
Man braucht gar nicht daran zu
denken, welchen Sinn der gemeine Mann noch heute mit dem Begriff »der Jude«
verbindet; man kann sich täglich in offenem Gespräch überzeugen, wie gerade in
den denkenden und gebildeten Schichten unseres Volkes Männer der
verschiedensten Parteirichtungen, Demokraten wie Konservative, sich in der
Überzeugung begegnen, daß das Judentum im großen Ganzen ein nützliches Element
in unserem Volksleben nicht bilde. Immer allgemeiner wird die Klage, daß der
Jude, sei es als Wucherer und Ausbeuter oder umgekehrt als sozialdemokratischer
Agitator, vorzugsweise immer dort zu finden sei, wo man an der Zersetzung und
Vernichtung unseres Volkstums arbeitet; daß er im wirtschaftlichen Leben
weniger durch schaffende Tätigkeit als durch erlaubte oder unerlaubte
Übervorteilung anderer die Mittel gewinne, die in seinen gewandten Händen dann
eine doppelt wirksame Waffe in dem weiteren Daseinskampfe werden; daß er in den
höheren Berufen, in der Rechtsanwaltschaft, in der Medizin, in der Literatur,
im Zeitungs‑ und Theaterwesen durch rücksichtslose Hingabe an den
Erwerbsinstinkt die gewissenhafteren Mitbewerber schädige und die Standesehre
herunterbringe, und daß bei seiner geringen Neigung zum Aufgehen im Deutschtum
seine wachsende wirtschaftlich‑soziale Macht zu einer immer ernsteren
Gefahr für unsere nationale Entwicklung und Eigenart herauswachse. Die
radikalen Verfechter dieser Ansicht, denen die "Judenfrage" überhaupt
die wichtigste unseres inneren Volks‑ und Staatslebens ist, und die schon
offen die Aufhebung der Gleichberechtigung der Juden sowie ihre Stellung unter
Fremdenrecht fordern, bilden im Reichstag schon eine kleine antisemitische
Partei. Auch die konservative Partei aber hat sich bereits veranlaßt gesehen,
in ihrem Programm "gegen den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden Einfluß
des Judentums auf unser Volksleben" entschieden Stellung zu nehmen.
Man sollte nun weiter meinen,
eine solche Wendung selbst in dem geduldigsten und fremdenfreundlichsten aller
Kulturvölker hätte unsere Juden allmählich auf den Weg der Selbsteinkehr
verwiesen, sie einer ehrlichen Prüfung und Abstellung antisemitischer
Beschwerden geneigt gemacht. Leider zeigten unsere Juden diesen Beschwerden
gegenüber bisher nur eine Empfindlichkeit, die auf einer Verkennung der
Stellung ihrer Gemeinschaft in unserm Volks‑ und Staatsleben beruht und
einem guten Gewissen sonst nicht eigen ist. Man gebärdete sich, als habe das
deutsche Volk durch die Verleihung des Staatsbürgerrechts an die Juden weniger
ein Recht auf deren Dankbarkeit erworben, als sich selber des Rechts begeben,
ferner an jüdischem Wesen und Treiben sachliche Kritik zu üben, und man trat
dieser Kritik, wo sie sich nicht mehr totschweigen oder durch persönliche
Angriffe unschädlich machen ließ, mit ganz eigenartigen Winkelzügen entgegen.
Wurde an der Hand gerichtlicher Erkenntnisse über die Verwüstungen berichtet,
die ein Bund jüdischer Wucherer in einer fleißigen Landbevölkerung angerichtet
hatte, oder über die schmachvolle Lage der Frauen und Mädchen gerade in
jüdischen Geschäften und Theatern, so traf die jüdische Entrüstung statt der
Schuldigen regelmäßig Diejenigen, welche deren »Konfession« verraten hatten,
und man tat, als sei die Glaubensfreiheit jener Schuldigen oder überhaupt der Juden
bedroht. Wurde eine Bande jüdischer Falschspieler entlarvt, so suchte man mit
bemerkenswerter Übereinstimmung in Zeitungen, »Witzblättern« und selbst im
Reichstage den öffentlichen Unwillen von der Gewissenlosigkeit der Plünderer
auf den Leichtsinn der Geplünderten abzulenken. Wurde bemerkt, daß es unter den
großen Wohltätern der Menschheit wie z. B. den Entdeckern und Erfindern, fast
gar keine Juden gibt, dagegen desto mehr unter den sozialen Schädlingen, wie den
Wucherern, Depoträubern, Großbankerotteuren und sonstigen »Millionendieben«, so
verwies man darauf, daß in einer langen Reihe solcher Existenzen hie und da
auch ein Nichtjude sich findet; mit anderen Worten, man konstatierte befriedigt,
daß das eine Prozent Juden keineswegs sämtliche hundert, sondern nur achtzig
oder neunzig Prozent dieser Großverbrecher hervorbringt. Selbst Mitteilungen
über Tatsachen, die an sich noch keinerlei Vorwurf oder Kränkung enthalten,
erregen den lebhaften Unwillen unserer jüdischen Mitbürger, sofern sie irgend
ein Licht auf die Sonderstellung werfen, welche das Judentum bei uns zwar nicht
mehr rechtlich, wohl aber tatsächlich einnimmt. Wird angeführt, daß die starke
halbe Million Juden nur etwa so viel Unteroffiziere und Soldaten stellt, als
seien ihrer wenig über 100 000, dagegen so viel Gymnasiasten und Studenten, als
seien ihrer vier bis fünf Millionen und soviel großstädtische Rechtsanwälte,
reiche Hausbesitzer, Bankiers, Börsenfürsten usw., als seien ihrer 20 bis 30
Millionen und darüber, so erscheinen in jüdischen Zeitungen Artikel, als werde
die nüchterne Statistik in ihrer Anwendung auf das Judentum zur »Schmach des
Jahrhunderts«.
Soll der Antisemitismus nicht
noch immer weiter um sich greifen, so lasse man wenigstens den Versuch, zu
einer Zeit, wo die Kritik und nicht zum wenigsten die jüdische sich an alles
wagt, ganz allein das Judentum der Kritik zu entziehen und mit der Redewendung
von dem »Vermächtnis Lessings« über das wahre Wesen der Judenfrage
hinwegzuschlüpfen. Dasselbe liegt darin, daß mitten unter uns eine Gemeinschaft
besteht, die sich nicht bloß durch religiöse Besonderheiten, sondern in ihrer
ganzen Eigenart wie ein fremder Körper von dem deutschen Volkstum abhebt und
dieses in wirtschaftlich‑sozialer wie in sittlicher Hinsicht überwiegend
sehr ungünstig beeinflußt. Streit kann heute nur noch über die Mittel zur
Lösung jener Frage sein.
Die am meisten gemäßigte
Auffassung geht dahin, daß es sich um eine »Übergangsperiode« handle, daß man
den Juden Zeit lassen müsse, gewisse Überlieferungen einer traurigen
Vergangenheit allmählich abzustreifen; sie würden im Laufe der Zeit sich in
jeder Beziehung ebenso im deutschen Volkstum auflösen, wie es die andern bei
uns aufgenommenen Bestandteile fremder Völker getan haben. Haben aber bisher
die Juden wenigstens den guten Willen zu dieser »Verdeutschung« gezeigt? Seit
drei Menschenaltern etwa ist es ihnen unbenommen, sich unter die übrige
Bevölkerung zu verteilen, sich jedem Stande, jedem Berufe zu widmen; die letzten,
übrigens ganz geringfügigen Ausnahmen hinsichtlich der Anstellungsfähigkeit für
öffentliche Ämter sind seit 1869 beseitigt. Aber trotzdem es keinen »Ghetto«
mehr gibt, sehen wir an größeren Orten die Juden in ganzen Straßenzügen, in Geschäfts‑
wie in Palastvierteln nahezu ausschließlich beisammen wohnen, und statt sich
einigermaßen gleichmäßig auf die einzelnen Stufen der wirtschaftlich‑sozialen
Leiter zu verteilen, haben sie sich fast ausschließlich einzelnen
Erwerbszweigen zugewendet und dadurch diese verjudet, statt sich selber zu
verdeutschen. Traf dies früher nur für einzelne Zweige des Handels zu, so sieht
man in neuerer Zeit, namentlich in den Großstädten, auch einzelne Teile der
gewerblichen Tätigkeit, wie z. B. die besonders rentable Konfektion und Wäschefabrikation,
mit einer derartigen Ausschließlichkeit in die Hände der Juden übergehen, daß
ein Nichtjude dort schon beinahe auffällt. Mit ähnlicher Einseitigkeit aber
drängt das Judentum, unterstützt durch seine Reichtümer, auch in die geistig
führenden Schichten, speziell in einige Zweige des Universitätsstudiums, sowie
in Literatur und Presse hinein und leistet dadurch in der Tat der Annahme
Vorschub, daß es ganz planmäßig danach trachte, die einheimische Bevölkerung
mehr und mehr aus allen gewinn‑ und einflußreichen Positionen ihrer
Kultur zu verdrängen. Einer solchen Bewegung gegenüber einfach zur
»Duldsamkeit« raten, heißt die feige, stumme Ergebung in nationale
Vergewaltigung predigen, heißt dem deutschen Volke zumuten, sich vom Judentum
gefallen zu lassen, was es sich vom Römertum und Franzosentum nicht gefallen
ließ. Diese Art von "Duldsamkeit" brauchten wir selbst dann nicht zu
betätigen, wenn wir ‑ was keineswegs der Fall ist ‑ dem Judentum
eine Überlegenheit in den ehrlichen Künsten des Friedens zugestehen müßten; wir
haben in Jahrhunderte langer, schwerer Arbeit unser Haus für uns und nicht für
den bequemen Einzug gewandter Fremdlinge hergerichtet. Und schreitet das
Judentum, statt sich uns zu assimilieren, auf dem Wege offener Eroberung fort,
so darf es keine Kränkung, sondern nur einen Akt berechtigter Notwehr darin
finden, wenn wir uns entschließen, wenigstens die noch behaupteten Positionen,
namentlich die Offizier‑ und Verwaltungsstellen, durchaus für uns zu
behalten. Wir sind nicht verpflichtet, im tiefsten Frieden nächst unsern
Reichtümern auch noch unsere politische Führung an einen fremden, von uns
sinnfällig verschiedenen Volksstamm auszuliefern und so gewissermaßen einen jüdischen
Kopf auf unsern germanischen Leib zu setzen.
Quelle: "Konservatives Handbuch". Stichwort
"Antisemitismus" in der 1894 erschienenen zweiten Auflage