Jüdischer Messianismus
Der Zionismus stellt die
Umfunktionierung des restaurativen Messianismus in politische Ideologie dar. .
. . Der Sozialismus hingegen stellt die Umfunktionierung des utopischen
Messianismus in politische Ideologie dar. Es ist sicher kein Zufall, daß die
Rolle der Juden, vor allem auch glaubensloser Juden, in der sozialistischen
Bewegung vorrangig war und blieb. In diesen oft abgefallenen Söhnen und
Töchtern Israels hat sich unbewußt die alte messianische Sehnsucht und Hoffnung
in neuen Formen und Formulierungen ausgedrückt. Die klassenlose Gesellschaft,
in der es weder Ausbeuter noch Ausgebeutete gibt, in der sich die Proletarier
aller Länder vereinigen, so daß kein Krieg mehr möglich ist, stellt eine quasi
messianische Vision dar. Atheistische Juden, in denen aber doch noch der
messianische Funke glühte, formten das Zukunftsbild einer sozialistischen
Gesellschaft. Man denke hier an KARL MARX, LEO TROTZKI, ROSA LUXEMBURG, GUSTAV
LANDAUER, KURT EISNER und viele andere. ‑ Im sozialistischen Zionismus
findet die Synthese der Säkularisierung des restaurativen und des utopischen
Messianismus statt. Von MOSES HESS, einem Mitarbeiter von KARL MARX, bis zu BEN GURION und GOLDA MEIR im
wiedererstandenen Staat Israel hat sich der sozialistische Zionismus, der die
beiden Grundtypen des Messianismus in sich vereinigt, als motorisches Element
im modernen Judentum erwiesen.
Quelle: Schalom Ben-Chorin (alias Fritz Rosenthal): "Jüdischer
Glaube", S. 39 f in: "Das
christliche Universum. Die illustrierte Geschichte des Christentums von den
Anfängen bis heute" von Bruno Moser (Hg.), München 1981, S. 28 - 45