Die Beteiligung der Juden am Bolschewismus

 

1921 von dem jüdischen Zionisten Dr. Alfred Nossig verfaßt:

 

 

1.

 

Die Beziehungen zwischen dem Bolschewismus und dem jüdischen Element haben seit der kommunistischen Umwälzung in Rußland zu unablässigen Kontroversen in der gesamten Kulturwelt Anlaß gegeben. Diese Weltdebatte hat jedoch das wahre Verhältnis zwischen Bolschewismus und Judentum bis jetzt wenig geklärt. Gegner und Freunde des Bolschewismus, ebenso wie Gegner und Verteidiger der Juden, haben, mit wenigen Ausnahmen, das Problem nicht von der richtigen Seite angefaßt. Dem Einen und den Anderen handelte es sich zumeist um Durchführung einer vorgefaßten These, um Erreichung eines taktischen Zweckes. Die Einen bemühten sich um den Nachweis, daß die bolschewistische Organisation zu 80% aus Juden bestehe und zogen daraus die Folgerung, daß Bolschewismus und Judentum identisch seien, daß man es hier mit einer Bewegung zu tun habe, die altüberlieferte jüdische Ideen zugunsten der Judenheit verwirklichen wolle. Die Anderen versuchten darzutun, daß die bolschewistische Bewegung keineswegs verjudet sei und glaubten, damit auch schon erwiesen zu haben, daß zwischen Bolschewismus und Judentum keinerlei Ideen‑ und Interessen­Zusammenhänge bestehen.

 

Beide Auffassungen beruhen auf irrigen Konstruktionen, die um den Kern der Sache herumgehen. Sie sind nicht nur auf vorgefaßte Tendenzen, sondern auch auf den Umstand zurückzuführen, daß es sich hier um äußerst komplizierte und undurchsichtige Beziehungen handelt, die die bolschewistische Diplomatie mit Absicht maskiert. Das Problem ist jedoch von so großer, historischer Tragweite, daß die Klarstellung alter Hauptmomente, aus denen es sich zusammensetzt, versucht werden muß.

 

2.

 

Den ersten Punkt, von dem alle bis jetzt ausgesprochenen Urteile ausgehen, bildet die Frage des Maßes der Beteiligung der russischen Juden an der bolschewistischen Partei und Staatsorganisation. Die Gegner des Bolschewismus ‑ mit Ausnahme der Sozialisten ‑ sowie die Antisemiten, übertreiben den Prozentsatz dieser Beteiligung so sehr, daß sie die bolschewistische Bewegung einfach mit dem Judentum identifizieren, indem sie die Formel prägen: jeder Bolschewik ist Jude und jeder Jude ist Bolschewik. Juden und Liberale bemühen sich im Gegenteil, die relative Stärke des jüdischen Elementes als geringfügig darzustellen.

 

Ich glaube, daß dieser Beweis ihnen weder gelingen kann, noch auch zur Erreichung des apologetischen Zweckes, der ihnen vorschwebt, notwendig ist. Es mag ruhig zugestanden sein, daß die Juden in den bolschewistischen Organisationen außerordentlich stark vertreten sind, stärker als in irgend einer anderen revolutionären Partei. Die Frage: auf welche Ursachen diese Erscheinung zurückzuführen ist und die zweite: welche Schlüsse aus ihr zu ziehen sind, soll später untersucht werden. Aber die Tatsache allein kann kein gut Informierter leugnen. Jeder, der zur Zeit der Vollentwicklung des bolschewistischen Regimes in Rußland war, wird es bestätigen, daß Personen jüdischer Abstammung nicht nur in leitenden Komitees der Bolschewiki, sondern auch in allen Ämtern und sogar in der Tscheka, der staatlichen Henkerorganisation, in auffallend großer Zahl zu finden sind.

 

Es hat wenig Zweck, wenn N o r d a u ("Bolschewismus und Judaismus") in temperamentvollem Zorn "die Verleumdung", daß "a 11 e oder v i e 1 e Bolschewiki Juden sind", als eine "freche und schamlose Lüge" bezeichnet und aus diesem Anlaß die Antisemiten mit einem Shakespeareschen Donnersturm von Epitheten (schmückende, aber überflüssige Beiwörter) als die "unverbesserlichsten Idioten", als die "feigsten und erbärmlichsten Erpresser" u. s. w. brandmarkt. Mit dieser Methode wird die Materie nicht aufgehellt. Ebenso wenig, wenn Harden in kaltironischer Weise bemerkt, abgesehen von den paar Vordergrund‑Semiten könne von einem nennenswerten jüdischen Einschlag im Bolschewismus keine Rede sein. Oder wenn Bulaschow ("Die Nutznießer des Bolschewismus") statistisch ausrechnet, daß es in der bolschewistischen Regierung "nur zehn Juden gebe; und Bolschewismus der Bolschewismus nur in den judenfreien Gouvernements des ehemaligen Zarenreiches Wurzeln schlagen konnte. Oder schließlich wenn R o d i t s c h e w den Nachweis führt, daß die Rote Armee, auf die der Bolschewismus sich stützt, von russischen Offizieren geführt wird und aus Chinesen, Letten und Russen, nicht aus Juden besteht. Der Oberstkommandierende ist ja doch ‑ Trotzki. Und man weiß, in Rußland ganz genau, warum man den Moskauer Kreml als den "Z e n t o ‑ J u d e n" bezeichnet.

 

Es hat wenig Zweck, augenfällige Tatsachen durch ein Verkleinerungsglas betrachten zu wollen. Untersuchen wir aber weiter, welche Kategorien von Juden sich dem Bolschewismus angeschlossen und aus welchen Gründen sie dies getan haben, so überzeugen wir uns bald, daß aus der Tatsache der numerisch starken Beteiligung des jüdischen Elementes keineswegs der geradlinige Schluß gezogen werden kann, der Bolschewismus sei eine jüdische Bewegung oder eine Bewegung zugunsten der Juden.

 

Eine irrige Auffassung muß hier vor allem widerlegt werden.

 

Nicht nur Gegner der Juden, auch manche ihrer Freunde glauben die Massenbeteiligung der Juden am Bolschewismus durch den Umstand erklären zu können, daß die Verfolgungen, welche die russischen Juden unter dem Zarismus zu erleiden hatten, in jedes wärmere Gefühl für Rußland erstickt hätten. Eine solche Interpretation macht sich u. A. ein Schilderer des bolschewistischen Rußland zu eigen, der unter dem Pseudonym "ein ehemaliger Einwohner Rußlands" in der Londoner "National Review" (1921) den Aufsatz "Die Juden und die russische Revolution" veröffentlicht hat. Durch diesen Mangel an Patriotismus will er es begreiflich machen, daß Millionen russischer Juden "mit Enthusiasmus die rote Kokarde trugen und mit Dankbarkeit im Herzen die Marseillaise sangen."

 

Dem gegenüber muß festgestellt werden, daß die russischen Juden sich seit jeher durch besondere Anhänglichkeit an ihr Geburtsland ausgezeichnet haben. Trotz der erlittenen Unbill zogen sie Rußland allen anderen Ländern vor. Sie waren mit seiner Sprache und seiner Kultur verwachsen und hatten für das russische Volk aufrichtige Sympathien. Die jüdischen Bolschewiki sind enragierte russische Nationalisten. Das Bestreben, Rußland zu vernichten, war sicherlich nicht das Motiv, welches die jüdischen Massen dem Bolschewismus zuführte. Es wäre umso widersinniger gewesen, da sie ja dadurch ihre eigene, mit der Blüte Rußlands aufs engste verknüpfte wirtschaftliche Existenz ruiniert hätten.

 

Tatsache ist nur, daß den Juden das zaristische Regime verhaßt war. Trotzdem hatten sich die breiten Kreise der jüdischen Bevölkerung an den früheren revolutionären Bewegungen, selbst an der Kerenski'schen Umwälzung, wenig beteiligt. Ihr Auftauchen unter den Fahnen des Bolschewismus muß also auf ganz besondere Umstände zurückzuführen sein.

 

Die erste Gruppe von Juden, die sich dem Bolschewismus anschloß, waren naturgemäß die überzeugten jüdischen Kommunisten. Es muß aber gleich bemerkt werden, daß diese Gruppe, von ihrer Herkunft abgesehen, mit dem Judentum in gar keinem Zusammenhang stand. Die jüdischen Bolschewiki und zwar sowohl die in Rußland geborenen, als diejenigen, die mit Lenin und Trotzki aus dem Ausland gekommen waren, hatten längst alle Bande, die sie mit dem Judentum verknüpften, durchschnitten, sich russische Namen beigelegt und sich dem Russentum vollständig verschrieben. Es ist also wieder eine völlig irrige Auffassung, wenn man die Aktion des Bolschewismus aus dem jüdischen Bewußtsein dieser Exjuden ableiten oder diesen Renegaten auch nur einen Funken von wohlwollender Gesinnung den Juden gegenüber zuschreiben wollte.

 

Was hat nun trotzdem den Zusammenhang zwischen dem emporkommenden Bolschewismus und der Judenheit Rußlands hergestellt? Was hat soviel Juden veranlaßt, Dienste bei den Bolschewiki zu nehmen oder ihrer Bewegung Vorschub zu leisten?

 

Fortsetzung in "Demaskierung der Judenpolitik des Bolschewismus"