Ethnische Säuberung
Der israelische
Historiker Ilan Pappe zeigt in seiner erschütternden Dokumentation, wie es der
Führung des gerade gegründeten Staates gelang, die arabische Bevölkerung in den
Augen des eigenen Volkes und der Welt zu entmenschlichen, zu vertreiben und
eigene Gräueltaten zu legitimieren.
„Nach unserer Vorstellung
muss die Kolonisierung Palästinas in zwei Richtungen erfolgen: jüdische
Ansiedelung in Eretz Israel und Umsiedlung der Araber aus Eretz Israel in
Gebiete außerhalb des Landes.“
Leo Motzkin Funktionär des Zionistischen
Kongresses, 1917. Eine israelische Stadt ist nach ihm benannt.
„Ich bin für
Zwangsumsiedlung; darin sehe ich nichts Unmoralisches.“
David Ben Gurion an die Exekutive der Jewish
Agency, Juni 1938
„So etwas wie ein Palästinenservolk
gibt es nicht, es hat nie existiert.“
Golda Meir 1969
Ethnische Säuberung: „Klar umrissene Politik einer
bestimmten Personengruppe, eine andere Gruppe aufgrund religiöser, ethnischer
oder nationaler Herkunft systematisch aus einem bestimmten Territorium zu
eliminieren. Eine solche Politik umfasst Gewalt und geht sehr oft mit
Militäroperationen einher. Sie ist mit allen möglichen Mitteln von
Diskriminierung bis zur Vernichtung zu erreichen und bringt Verletzungen der
Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts mit sich.“ Drazen Petrovic, „Ethnic Cleansing – An Attempt at Methodology“,
European Journal of International Law, 5/3 (1994), S. 342-60.
Zwei Monate vor dem Ende der britischen Verwaltung Palästinas im
Auftrag der UN, am 10. März 1948, trifft sich im Roten Haus in Tel Aviv, dem Hauptquartier der Untergrundmiliz
Hagana, eine Runde hochrangiger zionistischer Politiker. Eingeladen hat David
Ben Gurion, später Ministerpräsident Israels. Mit
dabei sind Politiker und Militärführer wie unter anderem Yigal Allon
(später Außenminister), Moshe Dayan (später Verteidigungs- und
Außenminister), Yigael Yadin (später stellvertretender Ministerpräsident),
Yitzchak Rabin (später Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger).
Sie
verabreden die Endfassung eines Masterplans zur Vertreibung der arabischen
Bevölkerung: „Plan Dalet“ (Plan D). Das Land - nur zu elf Prozent im Besitz der jüdischen Einwanderer, die nicht einmal ein Drittel der Einwohner
stellen - soll systematisch freigemacht werden für eine endgültige
jüdische Besiedelung, und hierzu ist jedes Mittel recht.
Noch unter
britischem Mandat beginnt eine Serie jüdischer Angriffe auf palästinensische
Dörfer und Stadtviertel, werden eine Viertelmillion Menschen im eigenen Land
entwurzelt. Es kommt zu Massakern wie in dem Hirtendorf Deir Yassin oder in Ayn
al-Zaytun, bei denen unterschiedslos auf Männer und Frauen, Greise und Kinder
geschossen, bei denen vergewaltigt und geplündert wird. Nach der Unabhängigkeit
Israels werden 531 Dörfer und elf städtische Siedlungen mit Waffengewalt
geräumt, 800.000 Palästinenser zur Flucht gezwungen, ihre Häuser samt Mobiliar
dem Erdboden gleichgemacht und die Ruinen vermint, damit die Vertriebenen
nicht zurückkehren können. Palästinenser, die das Land für kurze Zeit
verlassen, werden daran gehindert, wieder zu ihrem Besitz zurückzukehren.
Der
israelische Historiker und Politikwissenschaftler Ilan Pappe ist Professor für
Politikwissenschaft an der Universität Haifa und Leiter des dortigen Instituts
für Konfliktforschung. Anhand von Augenzeugenberichten, Tagebuchauszügen und
Dokumenten aus Militärarchiven, die bis vor kurzem unter Verschluss gehalten
wurden, zeichnet er ein Bild der Ereignisse zwischen 1947 und 1948, das der
offiziellen Geschichtsdarstellung
und dem Gründungsmythos Israels
in entscheidenden Punkten widerspricht. (Wegen des Drucks, dem er seit der
Veröffentlichung seines Buchs ausgesetzt ist, verlegt er in diesem Jahr seinen Wohnsitz zumindest vorübergehend
nach Großbritannien.)
Pappe
tritt den Beweis an, dass der Gründung seines Heimatlandes Israel eine planvolle
ethnische Säuberung vorangegangen isi: Spätestens seit den Jugoslawienkriegen in den 90er Jahren ist dieser
(eigentlich verharmlosende) Begriff zum allgemein bekannten Synonym für die
zwangsweise, gewaltsame Vertreibung ganzer
Völkerschaften aus ihren angestammten Siedlungsgebieten geworden. Ilan Pappe
schildert die Chronologie der Ereignisse in Dörfern und Städten mit quälender
Genauigkeit. Er zeigt, dass das Trauma der gewaltsamen und geplanten Vertreibung
von beiden Seiten geleugnet wird: Die offizielle israelische Geschichtsschreibung stellt die Vertreibung der arabischen Bevölkerung
als freiwilligen Auszug hin, die Palästinenser sprechen von der „Nakba“, der
Katastrophe, als sei es ein Naturereignis, das sie ereilt hat. Aber sich der
historischen Wahrheit zu stellen, ist für Pappe eine moralische Entscheidung,
ein erster Schritt, der getan werden muss, wenn die Spirale der Gewalt
aufhören und Versöhnung zwischen Palästina und Israel eine Chance haben soll.
Ilan
Pappe „Die ethnische Säuberung Palästinas“. Deutsche Erstausgabe. Deutsch von
Ulrike Bischoff. 19 Fotos. 416 Seiten. Fester Einband. 22 €.
Zu bestellen bei:
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Quelle: Zweitausendeins – Merkheft 209 – September/Oktober 2007, S. 4 ff