Auserwähltes Volk

 

"Es war die schlimmste Zeit meines Lebens"

 

VON CARSTEN WIELAND

 

Der Elektriker Bassim Kaschua (44) aus Ramallah wollte zerstörte Kabel reparieren, als ihn israelische Soldaten aufgriffen. So wurde der Palästinenser einer von mehr als 4200 Gefangenen, die Israel nach Angaben der Armee seit dem Beginn der Militär‑Offensive am 29. März gemacht hat. Davon standen etwa 400 auf Israels "Terroristenliste". Kaschua nicht. Er kam nach drei Tagen frei. Doch der Vater von fünf Kindern erinnert sich mit Schrecken: "Das war die schlimmste Zeit meines Lebens."

 

Israels Menschenrechtsorganisation Bezelem sagte Kaschua: "Als ich mit gefesselten Händen und verbundenen Augen auf dem Boden saß, kam ein Soldat auf mich zu, zog mein T‑Shirt über den Rücken hoch und goss eine Flasche eiskaltes Wasser über mich." Danach habe er ihn mit der Flasche ins Gesicht geschlagen. Kaschua fiel in Ohnmacht. Mehrfach verlangten die Soldaten von ihm, den Satz aufzusagen: "Arafat ist ein Arschloch."

 

Sieben Menschenrechtsgruppen reichten beim Obersten Gericht Beschwerde wegen der Berichte über Misshandlungen palästinensischer Gefangener ein. Bezelem erhielt auch Aussagen eines israelischen Soldaten über Folter im neu eröffneten Gefangenenlager Ofer bei Ramallah.

 

In Israel gibt es die so genannte "administrative Haft": Ohne Nennung von Gründen können Menschen sechs Monate eingesperrt werden. "Diese Zeit kann immer wieder um weitere sechs Monate verlängert werden", sagt Lior Jawne, Sprecher von Bezelem. "Einige Gefangene sitzen so schon seit fünf Jahren ein, ohne zu wissen warum."   

 

Quelle: Lübecker Nachrichten vom 24. April 2002