Unhistorische Einzigartigkeit des Holocausts

 

Als Nicht‑Historiker neigt Goldhagen dazu, das Phänomen Nazi‑Deutschland und das Verhalten der Deutschen während der Kriegsjahre vom großen historischen Zusammenhang zu isolieren, sowohl in räumlicher wie auch in zeitlicher Hinsicht.


 

Das verstärkt die Tendenz, den Holocaust als einzigartiges Ereignis zu sehen, was ich für zutiefst unhistorisch halte, ja für gefährlich. Das wirklich schreckliche ist doch, daß viele Völker unter bestimmten Umständen fähig zum Völkermord sind. Dessen sind sich die Historiker schmerzhaft bewußt.

 

Schon das Alte Testament beschreibt den Völkermord man lese nur das Buch Josua. In letzter Zeit ist der türkische Völkermord an den Armeniern von 1915 verstärkt ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Er wurde als »Generalprobe für den Holocaust« bezeichnet, denn obwohl die Massaker dem Haß der Türken entsprangen, standen zu jener Zeit Tausende deutscher Offiziere und Unteroffiziere in den Diensten der türkischen Regierung. Es wäre interessant zu erfahren, wie viele von ihnen sich am Holocaust beteiligten. (Anm.: Der deutsche Konsul ist der ostanatolischen Stadz Edzurum hat nach Berlin berichtet und ersucht, die Regierung möge bei der Hohen Pforte intervenieren)

 

Auch Stalin verübte Genozid an ganzen Völkern ‑ die Menschen wurden verschleppt, Familien auseinandergerissen, viele wurden ermordet. Die Zahl derer, die seinem Staatsterror zum Opfer fielen, war vier‑ oder fünfmal so hoch wie im Holocaust, wenn nicht noch höher. Mindestens so viele Menschen wirkten an Stalins Todesmaschinerie mit wie an der Hitlers. Die Indoktrination von Rassenhaß spielte in der sowjetischen Politik jedoch keine offensichtliche Rolle, wenngleich den Apparatschiks sicher Klassenhaß gepredigt wurde.

 

Goldhagen ignoriert noch einen weiteren wichtigen Aspekt. Die Durchschnittsösterreicher waren viel antisemitischer eingestellt als die Deutschen. Nicht nur Hitler war Österreicher, sondern auch Eichmann, ebenso Kaltenbrunner, der Chef der Gestapo. (Anm.: Außerdem war die Mehrheit der KZ-Kommandanten Österreicher) Die Rolle Österreichs bei der Endlösung wurde dadurch vertuscht, daß es von den Alliierten offiziell zum Opfer der Nazis erklärt wurde und nicht zu einem willfährigen Kollaborateur. Deshalb zahlte Österreich keine Entschädigung an die Juden, und deshalb fanden in Österreich selbst auch keine Kriegsverbrecherprozesse statt.

 

Quelle: Paul Johnson "Eine Epidemie des Hasses" in Julius H. Schoeps (Hg.) "Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust", Hamburg 1996, S. 28 f

 

S. 245: PAUL JOHNSON ist Autor mehrerer Bücher über die Geschichte des Judentums und Mitarbeiter der "Washington Post"