Konzentrationslager Theresienstadt

 

Ein Brief von sechs in Theresienstadt internierten Juden

 

THERESIENSTADT  23. Mai 1944

 

Lieber Chawer, (jid. = Freund)

 

mit herzlichem Dank bestätigen wir Ihr Schreiben vom 8. ds. Mts. Mit grosser Freude benutzen wir die Gelegenheit, Ihnen zu antworten und Sie zu bitten, allen Freunden Grüsse zu bestellen und dafür zu danken, dann sie sich unserer annehmen. Wir dürfen davon ausgeben, da Sie auch dessen in Ihrem Brief Erwähnung tun, dass die zahlreichen Sendungen aus Lissabon und Istanbul ein Werk unserer Freunde sind. Auch die Freunde aus Wien, die hier mit uns zusammenleben, haben Sendungen aus den genannten Orten erhalten. Wenn unsere Verpflegungssituation auch durchaus geordnet ist und zu keinerlei Sorge Anlass gibt, so freuen und doch diese Sendungen immer wieder, weil wir sie als ein Zeichen Ihrer Freundschaft ansehen.

 

In Theresienstadt ist eine richtige jüdische Stadt entstanden, in der alle Arbeiten von Juden besorgt werden, von der Strassenreinigung angefangen bis zu einem modernen Gesundheitswesen mit Krankenhäusern und einem durchorganisierten ärztlichen Betreuungsdienst mit einem grossen Stab von Pflegepersonal, von sämtlichen technischen Arbeiten bis zur Verpflegung in den Gemeinschaftsküchen, von der eigenen Polizei und Feuerwehr bis zu einem besonderen Gerichts-, Post­- und Verkehrswesen, von einer Bank mit eigenem Siedlungsgeld und von Verkaufsläden für Lebensmittel, Kleidung und Hausrat bis zur Freizeit­gestaltung, in deren Rahmen regelmässig Vorträge, Theateraufführungen und Konzerte stattfinden. Die Kinder, denen besondere Sorge gilt, sind in Kinder‑ und Jugendheimen, die nicht arbeitsfähigen Alten in Alters,‑ und Siechenheimen unter ärztlichen Aufsicht und Pflege unter­gebracht. Die Arbeitsfähigen sind vor allem für den inneren Dienst eingesetzt. Aus allen Gebieten sind hervorragende Fachkräfte zusam­mengekommen. Dies kommt nicht nur der hier zu leistenden Facharbeit auf technischem, hygienischem und administrativem Gebiete zugute, auch in der Freizeit hat sich dadurch ein reiches kulturelles Leben auf jüdischen und allgemeinem Gebiet entwickeln können. Eine Biblio­thek mit nahezu 50.000 Bänden mit mehreren Lesezimmern, ein Kaffehaus mit ständigen Musikdarbietungen        dienen der Zerstreuung, insbesondere für die älteren Menschen. Zentralbad und Zentralwäscherei fördern die allgemeine Hygiene, auf die naturgemäss besonderer Wert gelegt wird. So kam man sich hier, wenn man die äussere und innere Umstellung und Einordnung vollzogen hat, durchaus wohlfühlen. Eine Ansicht der Stadt ersehen Sie aus dem Briefkopf.

 

Der Gesundheitszustand ist als durchaus günstig anzusehen, was neben der klimatischen Lage von Theresienstadt in erster Linie der hingebenden, unverdrossenen Arbeit unserer Aerzte, der ausreichenden Versorgung mit Lebensmitteln und mit Medikamenten zu danken ist. Zuwendungen, die wir erhalten, stehen uns im Rahmen der Jüdischen Selbstverwaltung zur Verfügung und können zusätzlichen Verwendungszwecken zugeführt werden. So haben wir jetzt von Ihrer Zuwendung Kenntnis erhalten und danken Ihnen und den Freunden herzlichst dafür.

 

Auch wir wären froh, wann wir häufiger die Möglichkeit hätten, von Ihnen Nachricht zu erhalten. Wir denken oft an die Freunde, die uns durch Sie haben grüssen lassen. Auch unsere Gedanken bewegen sich oft um Möglichkeiten einer Alijah; mit besonderem Interesse haben wir aus Ihren Zeilen entnommen, dass auch Ihre Bemühungen einer wenn auch noch so bescheidenen Lösung dieses Problems gelten.

 

Wir danken Ihnen für Ihr freundschaftliches Gedenken und sind froh darüber, dass wir Ihrer Verbundenheit gewiss sein dürfen. Lassen Sie bald wieder von sich hören.

 

Mit herzlichem Schalom

Ihre

 

gez. Dr. Franz Kahn    Dr. Erich Munk

Dr. Paul (?) Eppstein    Ing. Otto Zucker

Dr. Erich Oesterreicher    Gert Körbel

 

Quelle: "Die Juden und das Dritte Reich. Richtigstellung zur Zeitgeschichte" von Paul Rassinier, S. 235 f