und die
Utopie
wechselseitiger Schutzlosigkeit
oder
Mohrenwäsche
von Ernst Manon
„Sie haben die
Presse, sie haben die Börse, jetzt haben sie auch das Unterbewußtsein!” spottete Karl Kraus
1910.[1]
„Wer einen Patienten analysiere”, so schrieb sein Schüler Sándor Ferenczi
schon 1918, „unterziehe dabei, ob er wolle oder nicht, sein eigenes Selbst
und dessen Entwicklung einer Revision.” Später spitzte er diesen Gedanken
noch zu: „Mutuelle Analyse” - wechselseitige
Öffnung von Arzt und Patient - sei die einzige Möglichkeit, der professionellen
„Hypokrisie” zu entkommen. Der FAZ-Redakteur Lorenz Jäger schreibt
weiter dazu: „Wer das ,Klinische Tagebuch’ liest, begibt sich in einen geistigen
Raum, der zunehmend enger wird. Nicht ohne Bedrückung stellt man fest, daß die
Krankheit zum einzigen Interesse wurde, das Ferenczi noch ans Leben fesseln
konnte. Das Tagebuch entwirft eine Utopie wechselseitiger Schutzlosigkeit, . .
. Aber die Analyse scheint zu einem Mikrokosmos ohne Ausweg zu werden. . . .
Die Analyse wurde zum Katarakt, der die Persönlichkeit mit sich riß.” Ernest
Jones, der Freud-Biograph, diagnostizierte bei Ferenczi die Keime einer
„destruktiven Psychose”. Erich Fromm, darüber um eine Beurteilung gebeten,
schrieb damals: „Der wichtigste Punkt ist die typisch stalinistische
Umschreibung der Geschichte, bei der die Stalinisten den Ruf ihrer Gegner
ruinieren, indem sie sie als Spione oder Verräter bezeichnen. Die Freudianer
machen das, indem sie sie ,geisteskranksinnig’ nennen.”[2] „Im Gegensatz zu Freud hat sich heute die
Erkenntnis durchgesetzt, daß die Gegenwart nicht durch die Vergangenheit zu
verstehen ist, sondern umgekehrt: Versteht man die Gegenwart in der
psychoanalytischen Situation, dann versteht man auch die Vergangenheit, und
nach dieser Erkenntnis wird ,technisch’ verfahren.“ berichtet Caroline
Neubaur von einem Psychoanalyse-Kongreß in Versailles.[3] Die
Kinderpsychologin Annemarie Dührssen hat Erich Fromm „immer wieder einmal
spöttisch davon reden hören, daß die Streitigkeiten der verschiedenen
psychoanalytischen Gruppen dem Tanz um den Wunder-Rebbe glichen.“[4]
Fromm hatte seine Psychoanalytikerin Frieda Reichmann geheiratet, die ein
jüdisches Sanatorium geleitet hatte, wo Tora und Therapie auf Freudscher
Grundlage gepflegt wurden, was von Witzbolden damals das „Torapeutikum”
genannt wurde. Wie der spätere Kabbalaforscher Gershom Scholem berichtet,
hatten sich bis auf einen alle, auch die freudianische Analytikerin selbst, das
orthodoxe Judentum weganalysiert, was die Schließung des Torapeutikums nach
sich zog. Fromm war einer der ersten, die die Lehren von Freud und Marx
miteinander verbinden wollten. Den Zionismus gab er, ehemals einer der
gesetzestreuesten Zionisten, auf und wurde ein begeisterter Trotzkist.[5]
Erwähnung verdient
auch der Zürcher Analytiker Siegmund Hurwitz mit der Betonung
tiefenpsychologischer Aspekte in der chassidischen Mystik. „Psychische
Symptome werden nicht pathologisiert, sondern als göttliche Offenbarungen
gedeutet. Man könnte sogar die Hypothese wagen, daß tiefenpsychologische
Ansätze der Kabbala von der Psychoanalyse voll entwickelt worden sind.“
gibt Ermanno Pavesi zu bedenken.[6]
Wenig freundliches
wußte der jüdische Kulturphilosoph Egon Friedell (eigentl. Friedmann,
1878-1938) über die Psychoanalyse zu berichten. Als Sohn einer jüdischen
Tuchhändlerfamilie ließ er sich mit 19 Jahren taufen und verkündete, „die
Fesseln Esras und Nehemias abgeworfen” zu haben, sodaß „das Gesetz Mose
keine Stätte mehr findet in meinem Kopf”:[7] „Die
Psychoanalyse hat einen katastrophalen Defekt: das sind die Psychoanalytiker,
deren Elaborate eine Mischung aus Talmud und Junggesellenliteratur darstellen.
Die Amerikaner nennen die Psychoanalyse im Gegensatz zur Christian science die
,Jewish science‘. In ihr scheint in der Tat jenes odium generis humani, das
schon die Alten den Juden nachsagten, wieder einmal zu Wort gekommen zu sein:
ihr Ziel ist ganz unverhüllt die Verhäßlichung und Entgötterung der Welt. ,Mit
den Juden‘, sagt Nietzsche, ,beginnt der Sklavenaufstand in der Amoral. Man
müßte einmal die Psychoanalyse psychoanalysieren. Ihre Konzeption wächst aus
dem Herrenwunsch des Neurotikers, der sich die Menschheit zu unterwerfen sucht,
indem er sie sich angleicht, aus einer Übertragungsneurose, die ihren eigenen
hypertrophischen Libidokomplex als ,Welt’ objektiviert, aus einem Instinkthaß
gegen die religiösen Bewußtseinsinhalte, die der Adept der Jewish science aus
allen Mitmenschen eliminieren möchte, weil er unterbewußt weiß, daß er als
Jude, und das heißt: als typischer homo irreligiosus, auf diesem Gebiet mit den
,anderen’ nicht konkurrieren kann. Kurz: es ist, abermals mit Nietzsche zu
reden, ,ein Parasitenattentat, ein Vampirismus bleicher unterirdischer
Blutsauger‘; es handelt sich um einen großartigen Infektionsversuch, einen
schleichenden Racheakt der Schlechtweggekommenen: die ganze Welt soll
neurotisiert, sexualisiert, diabolisiert werden. Die Psychoanalyse verkündet
den Anbruch des Satansreichs. Vielleicht kündet sie wahr; vielleicht naht wirklich
das Zwischenreich des Teufels, dessen Anbeter, wie der Kenner der schwarzen
Messe weiß, als höchste Heiligtümer seinen Phallus und seinen Hintern verehren.
Es ist, zum drittenmal mit Nietzsche zu reden, ,eine jüdische Umwertung der
Werte‘.“[8]
Eine gewisse Bestätigung
finden wir bei dem Kabbala-Forscher Gershom Scholem, wenn er schreibt, daß „der
Begriff des Heiligen Betrugs . . . von Beginn an zu einem Eckstein der
sabbatianischen Lehre“ wurde, jener Lehre also, die paradoxerweise die
Apostasie des falschen Messias Sabbatei Zwi im 17. Jahrhundert zur Heilslehre
„Erlösung durch Sünde“ ausbaute. „Zugleich fällt es schwer, sich nicht über
die Präfiguration mancher sehr modernen psychoanalytischen Ideen in diesen
paradoxen Thesen der kabbalistischen Psychologie zu wundern.”[9]
„. . . so stellt sich die schwerwiegende Frage” meint Paul Watzlawick, „bis
zu welchem Grade die modernen Psychotherapien selbst an dem Grundübel leiden,
das zu beheben sie sich berufen fühlen.”[10] Diesen
Gedanken hatte allerdings bereits Karl Kraus 1913 in der Fackel auf den
Begriff gebracht: „Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren
Therapie sie sich hält.“
Der amerikanische
Arzt und Psychoanalytiker Daniel Stern meinte: „Eine der verwirrenden Seiten
der Psychoanalyse ist ja, daß Theorien nicht ,wahr’ sein müssen. Sie müssen
nützliche Metaphern anbieten, um Patienten so behandeln zu können, daß diese
ihr Leben besser verstehen.”[11]
Wir verstehen dann
aber natürlich auch das Leben und die Leiden der Prominenten besser. So hat
etwa Hillary Clinton öffentlich bekannt, daß die außerehelichen
(Fellatio-)Abenteuer ihres Ehemanns, des damals angeblich mächtigsten
Staatschefs dieser Erde, auf dessen schwere Kindheit zurückzuführen seien: „Es
gab da einen schrecklichen Konflikt zwischen seiner Großmutter und seiner
Mutter. Ein Psychologe hat mir einmal erzählt: Die schlimmste Situation, die
man sich für einen Jungen vorstellen kann, ist, wenn er im Mittelpunkt eines
Konflikts zwischen zwei Frauen steht. Das führt zu dem Wunsch, es immer beiden
recht zu machen.”[12]
Jerry Oppenheimer behauptet in einem Buch über Das Innenleben der komplexen
Ehe von Bill und Hillary Clinton, die First Lady hätte 1974 einen
Wahlhelfer einen „Judenbastard” genannt. Bill sprang ihr in einem
Interview in der Daily News zur Seite: „Sie mag ihn einen Bastard
genannt haben. Das würde ich nicht ausschließen. Ich habe sie aber nie einen
Witz mit einer ethnischen Verbindung erzählen hören.”[13] In einem
„multiethnischen” Staat kann man es nicht jedem recht machen. Bei einem
Nahost-Besuch im Herbst 1999 hatte sie die Frau des damaligen
Palästinenserchefs Arafat auf die Wange geküßt, nachdem diese Israel der
Massenvergiftung von Frauen und Kindern beschuldigt hatte. „Shame on
Hillary” hieß es auf der Titelseite der New York Post. Auf eigene
jüdische Wurzeln ging sie wohlweislich nicht ein, nachdem der Forward enthüllt
hatte, daß Hillarys Stiefgroßvater ein Jude gewesen und die Halbschwester ihrer
Mutter später zum jüdischen Glauben übergetreten sei. „Hillary
ist BEINAHE jüdisch.” hieß es in der New York Post. “The
First Shiksa wants to be a Yenta? Oy!”[14]
Auch die
Achtundsechziger verstehen wir im Lichte der Psychoanalyse besser, jedenfalls
in der Sicht des Frankfurter Analytikers und Psychiaters Dr. Wolfgang
Leuschner:[15]
Die Soldatenkinder meinten „am eigenen Leibe zu erfahren, daß es die Väter
waren, die das ‚Vaterland‘, das Zuhause, der Verwüstung und dem Untergang
überließen, die eigenen Kinder und Frauen auf traumatisierende Weise tödlichen
Verhältnissen preisgaben. . . . Was die Kinder ihren Vätern damit zuschrieben,
war kein Werk von Projektionen, sondern Wissen über geheime väterliche
Absichten“, nämlich Infantizidimpulsen. Nichts erscheint unglaubhafter, als
der Wunsch der Väter, die eigenen Kinde zu töten; nichts muß daher heftiger
negiert und unerbittlicher abgewehrt werden. Dieser Infantizidimpuls mag aus
der Verschiebung der eigenen Vernichtungsangst stammen. Es kommt zu einem
generationenübergreifenden „pact of denial“; „nachdem die Kinder in
der Adoleszenz sich bewußt als soziale Wesen begriffen, wurde das Thema offen
virulent.“ Der Auschwitz-Prozeß erklärte dann endgültig für „wirklich“,
was bis dahin noch bloße Phantasie gewesen sein konnte und verlieh dem Protest „eine
postödipale erwachsene Würde“. „Bei vielen, wahrscheinlich der Mehrheit, erfuhr
der Generationskonflikt von Anfang an eine gänzlich andere Ausformung“: „Die
väterlichen Rechtfertigungen und Verleugnungsstrategien stellten sie nicht in
Frage“ und so konnten sie „die zweite Chance einer befreienden
Konfrontation nicht nutzen“; „indem sie Bombenkriegs- und Fluchtopfer
mit den Opfern des Holocaust in eine Reihe stellen und „keine Hierarchisierung
der Opfer!“ einfordern, machen sie alle gleich unschuldig schuldig.“
Soweit also Wolfgang
Leuschner, der zum Schluß noch bedauert, daß die politische und kulturelle
Gestaltungskraft der 68er, die dieses Land so entscheidend vorangebracht
hätten, sich dem Ende zuneigt.[16]
Doch nun zurück zu
Freud. „Sie wissen nicht, daß wir ihnen die Pest bringen.” soll er
einmal zu Carl Gustav Jung gesagt haben, als sie mit dem Schiff nach Amerika
übersetzten.[17]
„In keinem anderen Land der Welt hat die Lehre Sigmund Freuds tiefere
Wurzeln geschlagen.” weiß Jörg von Uthmann, der frühere New
York-Korrespondent der FAZ, zu berichten. „Der Grund für den
sensationellen Erfolg der Psychoanalyse in Amerika ist nicht schwer zu erraten:
Sie kam der amerikanischen Urüberzeugung entgegen, daß jeder Mensch als
unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt und ein verbrieftes Anrecht darauf
hat, glücklich zu werden. Wer in Amerika andeutet, für Intelligenz und
Charakter könnten auch genetische Faktoren von Belang sein, ist gut beraten,
rechtzeitig Polizeischutz anzufordern . . .”[18]
„Das Werk von Freud
ist viel eher ein für die gegenwärtige Generation geschriebenes Kapitel der
jüdischen Geschichte, in gewisser Weise der neueste Kommentar zum Talmud, und
darin liegt wohl nicht das ganze Maß der ihr möglichen Geltung, so doch ihre
tiefste Rechtfertigung.“ So die Einschätzung von Franz Kafka.[19]
Ähnlich wie Marx
hatte auch Freud eine eigene geheime, wenn auch eher geistige, Leibwache.
Nachdem sich der Bruch mit Carl Gustav Jung abzeichnete, wurde ein „Geheimes
Komitee” gegründet. Dem Selbstverständnis der Mitglieder entsprach es, „wie
die Paladine Karls des Großen das Reich und die Politik ihres Herrn zu hüten”, wie
es der Initiator, Ernest Jones formulierte.[20] Die
Neurotiker seien „Gesindel” - nützlich allenfalls zur Fortbildung der
Theorie und zur materiellen Sicherung des Arztes, notierte Sándor Ferenczi nach
einer mündlichen Äußerung des Meisters in sein Tagebuch.[21] In seinem Kurzen
Abriß der Psychoanalyse hatte Freud noch 1928 betont: „In theoretischer
wie therapeutischer Hinsicht verwaltet die Psychoanalyse ein Erbe, das sie vom
Hypnotismus übernommen hat.” In einer Buchbesprechung von Martin Stingelin
heißt es nun: „Entkleidet man das psychoanalytische Setting im Licht dieser
Vorgeschichte Schritt für Schritt vom mit dem Hypnotismus übernommenen Erbe,
bleibt, wie der Soziologe und Wissenschaftshistoriker Andreas Mayer jetzt eindrücklich
gezeigt hat, buchstäblich nichts Sichtbares übrig.”[22] Und
aus der 2010 veröffentlichten Briefsammlung Freuds an seine Kinder[23]
zitiert Stingelin die Erläuterung der Herausgebers für den von Freud
verwendeten Begriff „Mohrenwäsche“: „Ein damals geläufiger
Ausdruck für eine unmögliche Aufgabe, den Freud öfters für die
psychoanalytische Behandlung verwendet hat.“[24]
Der Begriff Mohrenwäsche stammt bekanntlich aus dem Alten Testament,
resp. der Thora „Kann auch ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Parder seine
Flecken? So könnt ihr auch Gutes tun, die ihr des Bösen gewohnt seid.“[25]
Im übrigen berichtet David Korn, daß Freud „dem Faschismus und dem Duce
Mussolini aufgeschlossen gegenüberstand”.[26]
Nach Jeshajahu
Leibowitz, dem israelischen Philosophen,[27] ist die „Psychoanalyse
eine jüdische Möglichkeit, Geld zu verdienen, das ist ein schlechtes Zeichen
für die Juden. In der Theorie ist sie nicht wissenschaftlich, sondern nur eine
Mythologie, in der Praxis ist sie nicht effektiv“. Auf die Frage, warum sie
solange ihren Status aufrechterhalten konnte, wenn sie nicht effektiv sei: „Das
Christentum hat sich auch zweitausend Jahre gehalten.“[28]
In einem 1952
erschienen Artikel „Die Wirkungen der Psychotherapie: Eine kritische
Einschätzung“[29]
hatte Hans-Jürgen Eysenck die damals vorliegenden Untersuchungen über die
Wirksamkeit von Psychotherapie überprüft. Er kam zu der Schlussfolgerung, dass
es keine hinreichenden Beweise für die behaupteten positiven Effekte gebe. Bei
etwa zwei Drittel aller neurotischen Patienten sei eine Besserung ihres
Zustandes zu erwarten, unabhängig davon, ob sie psychotherapeutisch behandelt
werden oder nicht.[30]
Walter Benjamin
erklärte die Psychoanalyse zur Quintessenz des Kapitalismus, den er selbst für
eine Religion hielt; die Verdrängung begreife die Psychoanalyse in Analogie zum
Kapital und schlage aus der „Hölle des Unbewußten“ Gewinn.[31]
Theodor Wiesengrund
Adorno meinte: „An der Psychoanalyse ist nichts wahr als ihre
Übertreibungen.“[32]
Wenn Herbert Marcuse schrieb: „Die Wahrheit der Psychoanalyse liegt darin,
daß sie ihren herausfordernsten Hypothesen die Treue hält.“[33]
so möchte Russell Jacoby vom History Dept. der University of California in Los
Angeles dies auch für die Kritische Theorie, also letztlich den Kommunismus,
gelten lassen.[34]
Brecht hatte es in seinem Stück Die Maßnahme noch griffiger formuliert: „Wer
für den Kommunismus kämpft, hat von allen Tugenden nur eine: daß er für den
Kommunismus kämpft.“
Ivan Denes
formulierte eine Erkenntnis, die wir immer wieder bestätigt sehen: „Einer
Teilwahrheit wurde das Gewicht eines Schlüsselprinzips in der anthropologischen
Erkenntnis zugeteilt - wie es schon ähnlich verlaufen war mit der analytischen
Erschließung der Rolle des wirtschaftlich-materiellen Faktors in der Deutung
der Weltgeschichte. Unter der Wucht der in glaubensfremde Bereiche
eingedrungenen talmudischen Denkweise hatte die Welt der Verlockung nicht
standgehalten, sofort der Wirklichkeit eine allgemeingültige Erklärung in den
Bauch hineinzureden. Die vulgärpsychoanalytische Deutungsweise wurde zur
geistigen Seuche, von der sogar akademische Medizin, die Psychologie und nicht
in minderem Maße auch die Sozialwissenschaften heimgesucht wurden.”[35]
Daß es keineswegs
etwa nur die „ausgeflippten” und „durchgeknallten” Typen sind, die an den
Grundfesten unserer Kultur rütteln, mag das Beispiel des Kanadiers George Brock
Chrisholm zeigen, der mit dem Aufbau der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
betraut war, fünf Jahre lang deren
erster Generalsekretär war und schließlich zum ersten Präsidenten der World
Federation of Mental Health gewählt wurde. Er schrieb: „Die
Neu-Interpretation und schließliche Ausmerzung der Begriffe Recht und Unrecht
sind endlich das Ziel praktisch aller effektiven Psychotherapie geworden . .
. Der Vorschlag, daß wir aufhören
sollen, unseren Kindern Moral und Recht und Unrecht zu lehren und stattdessen
ihre ursprüngliche geistige Integrität schützen sollen, wird wahrscheinlich
Protest hervorrufen . . . Es wird behauptet, daß die Beseitigung von Recht und
Unrecht unzivilisierte Menschen, Unmoral, Gesetzlosigkeit und soziales Chaos
hervorbringen würde. Tatsächlich sind aber schon die meisten Psychiater und
Psychologen und viele andere angesehene Menschen diesen Ketten entronnen und
fähig geworden, frei zu beobachten und zu denken. . . . Wenn die Menschheit von
der lähmenden Last von Gut und Böse befreit werden soll, so müssen die
Psychiater die erste Initiative ergreifen. Diese Herausforderung müssen wir
annehmen . . . Zusammen mit den anderen Wissenschaften vom Menschen muß die
Psychiatrie bestimmen, was die unmittelbare Zukunft der Menschheit sein soll.
Niemand anderer kann dies, und es ist daher in erster Linie eine Verantwortung
der Psychiater.” Er gab dann noch der Hoffnung Ausdruck, daß es zwei bis
drei Millionen geschulten Psychiatern bald gelingen würde, die Menschen von den
„perversen” Begriffen Recht und Unrecht zu befreien.[36] Und weiter: „So
wollen wir also die Verantwortung übernehmen, diese Welt umzuwandeln durch
Zerstörung der traditionellen Werte, das heißt durch Neuinterpretierung und spätere
Auslöschung des Konzepts von recht und unrecht, welches die Grundlage unserer
bisherigen Kindererziehung ist. . . notfalls sogar mit Gewalt.”[37]
“The truly free man creates his own morality” stellte schon der
russisch-jüdische Revolutionär Alexander Herzen fest.[38]
Die Psychoanalyse
konnte zunächst als Alternative zum Marxismus erscheinen, denn dieser bekämpfte
sie heftigst. Sie besetzte das Feld, das er ihr frei ließ - zusammen mit dem
Strukturalismus. „1968 war das Jahr der allgemeinen Versöhnung“: Im „Hörsaal Freud-Che Guevara“ unterrichtete
Lucien Goldman den „Freudo-Marxismus“. François Chatelet, so erinnert
sich Alain Besançon, „wollte ihm den Strukturalismus, den Existentialismus,
die Phänomenologie und vieles andere beifügen.“ Doch Besançon[39]
war von seiner Neurose der Epoche geheilt, die Synthese von Marx und Freud
nicht nach seinem Geschmack: „Ich hegte den Verdacht, diese beiden Doktrinen
könnten zwei Arten einer gemeinsamen Gattung sein. Was der Marxismus war, wußte
ich seit langem. Ich entfernte mich langsam von der Psychoanalyse und ihrem
Milieu.“[40]
Marx und Freud
gemeinsam war der Unwille, ja die Unfähigkeit, Irrtümer einzugestehen. In
seiner Abhandlung Kindheitserinnerung Leonardos, in der er versuchte,
Leonardo da Vincis psycho-sexuelle Entwicklung zu rekonstruieren, war
Freud einem ansich unbedeutenden, aber für seine Folgerungen fatalen
Übersetzungsfehler aufgesessen, den zu berichtigen er unterließ. Schon
frühzeitig hatte er Vorkehrungen getroffen, um das Eingeständnis von Irrtümern
zu vermeiden. Bei der Schätzung des Büchleins über Leonardo setze er voraus, „daß
man mit den krummen Wegen der Psychoanalyse recht vertraut sei“.[41]
„In den bestgedeuteten Träumen muß der Psychoanalytiker oft eine Stelle im
Dunkeln lassen, weil man bei der Deutung merkt, daß dort ein Knäuel von
Traumgedanken anhebt, das sich nicht entwirren will. . . . Die Traumgedanken,
auf die man bei der Deutung gerät, müssen ja ohne Abschluß bleiben und nach
allen Seiten hin in die netzartige Verstrickung unserer Gedankenwelt
auslaufen.“[42]
Daniel Krochmalnik,
Vorsitzender der jüdischen Gemeinde von Heidelberg, führt die Psychoanalyse auf
die rabbinische Traumhermeneutik zurück und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: „nicht
der Traum an sich, sondern der gedeutete Traum geht in Erfüllung . . . Das
setzt voraus, daß die Träume erst wirksam werden, wenn der Träumer sie sich im
wachen Zustand nach der einen oder anderen Methode bewußt gemacht und
angeeignet hat.” Ja, es kommt sogar zu einer Umkehrung: „Alle Träume
richten sich nach der Deutung.”[43]
Der Babylonische
Talmud etwa kennt folgende Deutungen: „Wer im Traume seiner Mutter
beischläft, der hoffe auf Vernunft, wer eine verlobte Jungfrau beschläft, der
hoffe auf Gesetzeslehre, wer seine Schwester beschläft, hoffe auf Weisheit, wer
eine verehelichte Frau im Traum beschläft, ist sicher, daß er Teilhaber der
künftigen Welt ist.“[44]
„Verrichtet jemand seine Notdurft im Traum, so ist es für ihn ein gutes
Vorzeichen . . . Dies aber nur, wenn er sich nicht abgewischt hat.“[45]
Bruno Bettelheim
schrieb in seinem Essay Freud’s Vienna: „Daß dieses chef d’œuvre [Freuds
Traumdeutung] der Wiener Jahrhundertwende in Wahrheit das Resultat einer
Verzweiflung war über die Unfähigkeit, die äußere Welt zu verändern, und dass
es ein Versuch war, dieses Unvermögen zu kompensieren durch eine einseitige
Konzentration auf die dunkle Unterwelt, wird bestätigt durch das Motto, das
Freud über den Anfang seines Buches setzte, Vergils Zeile ,Flectere si nequo
superos, Acherontam movebo’ [Da ich den Himmel (die Götter) nicht bewegen
kann, werde ich die Unterwelt aufwühlen]. Dieses Motto war der sehr
eindringliche Hinweis darauf, daß die Wende nach innen, hin zu den verborgenen
Aspekten des Ich, ein Reflex der Verzweiflung darüber war, daß es den
Individuen nicht mehr möglich schien, die externe Welt zu verändern,
beziehungsweise den Prozeß ihrer Auflösung aufzuhalten. Das Einzige, was blieb,
war daher, die Bedeutung dieser realen Welt insgesamt zu leugnen und eine
radikale Konzentration auf das Innere, auf die dunkeln Aspekte der Psyche zu
vollziehen.“[46]
Ähnliche Empfindungen
verarbeitete Karl Marx in frühen Gedichten:
Des Verzweiflenden Gebet.
„ Hat ein Gott mir alles hingerissen,
Fortgewälzt in Schicksalsfluch
und Joch.
Seine Welten – alles –alles missen!
Eines blieb, die Rache blieb mir
doch.“
„An mir selber will ich stolz
mich rächen,
An dem Wesen, das da oben
thront.
Meine Kraft sei Flickwerk nur
von Schwächen.
Und mein Gutes selbst sei
unbelohnt!“
„Einen Thron will ich mir
auferbauen,
Kalt und riesig soll sein Gipfel
sein,
Bollwerk sei ihm übermenschlich
Grauen,
Und sein Marschall sei die
düst’re Pein!“
„Wer hinaufschaut mit gesundem
Auge,
Kehre todtenbleich und stumm
zurück,
Angepackt vom blinden
Todteshauche,
Grabe selbst die Grube sich sein
glück.“
„Und des Höchsten Blitze sollen
prallen
Von dem hohen, eisernen Gebäu,
Bricht er meine Mauern, meine
Hallen,
Trotzend baut die Ewigkeit sie
neu.“
Oder aus
Menschenstolz.
Dann werf’ ich den Handschuh
höhnend
Einer Welt in’s breite
Angesicht,
Und die Riesenzwergin stürze
stöhnend,
Meine Gluth erdrückt ihr Trümmer
nicht.
Götterähnlich darf ich wandeln,
Siegreich ziehn durch ihr
Ruinenreich,
Jedes Wort ist Gluth und Handeln,
Meine Brust dem Schöpferbusen
gleich.[47]
Der jüdische
Philosoph Theodor Lessing, der Freuds Hypothesen kritisch gegenüberstand und
die Psychoanalyse als „Monstrosität des jüdischen Geistes“ bezeichnete,[48] schickte ihm eines Tages ein Buch, in dem er
behauptete, Freud hätte keinen Satz geschrieben, der nicht schon Jahre zuvor
zwischen Nietzsche und dessen jüdischem Freund Paul Rée diskutiert worden sei: „Es
gibt heute nichts an Psychologie und Psychoanalyse, das nicht seine Urquelle
hätte in jenen Gesprächen, die damals Rée und Nietzsche miteinander geführt
haben. Nicht ein einziger Gedanke ist hinzugekommen.“,[49] worauf Freud
ihn auf seine „Haßliste“ setzte.[50]
Seinem Wiener Arztkollegen und Dichter
Arthur Schnitzler sprach er in einem Brief aber doch Anerkennung aus: „Ich
habe mich oft verwundert gefragt, woher Sie diese oder jene geheime Kenntnis
nehmen könnten, die ich mir durch mühselige Erforschung des Objektes erworben.“[51]
Freud vermutete, daß
der Selbsthaß in einem Menschen dadurch zustande käme, daß dieser seinen Vater
zwar intensiv hasse, im unbewussten Bereich aber dennoch tief mit ihm
identifiziert sei. So käme bei diesen Persönlichkeiten eine innere
Zerrissenheit zustande, die schließlich im Selbsthaß ende. Annemarie
Dührssen, die davon in ihrem Buch Ein Jahrhundert Psychoanalytische Bewegung
in Deutschland[52]
berichtet, bemerkt dazu: „Einen ausgesprochenen Selbsthaß der Deutschen
hat es zu der Zeit, in der Lessings Buch erschien, . . . noch nicht gegeben.
Mit einer zeitlichen Verschiebung von fast drei Jahrzehnten taucht dann aber
auch unter den Deutschen ein ähnliches Phänomen auf. In einer bestimmten
deutschen Subkultur[53],
der man vor allen Dingen in den Massenmedien und in der Literatur immer wieder
begegnet, wird die Selbstbeschuldigung der Deutschen zur Verhaltensnorm. . . .
Auch hier wäre mit Freud zu fragen, ob jene Persönlichkeiten, die zur
Selbstanklage und zum Selbsthaß neigen, nicht – ähnlich wie früher die Juden – ihre
Väter intensiv hassen, aber zugleich auf das Tiefste mit ihnen identifiziert
sind und keine Wege sehen, sich aus dieser unbewussten Identifikation
wirksam herauszulösen.“
Die Geburt der
Psychoanalyse aus der Lüge ist der Untertitel einer Abrechnung mit Freud des 1951
in Groningen geborenen Autors Han Israëls: Der Fall Freud, und 2005 ist
in Paris ein Schwarzbuch der Psychoanalyse - Livre noir de la Psychanalyse -
erschienen.[54]
„Freud war nicht einmal annähernd der originäre Geist, für den ihn viele
immer noch halten.“ schreibt gleichsinnig Peter Watson in seiner
Kulturgeschichte der Ideen. Er war selbst Therapeut und führt eine Reihe
weiterer Kritiker an. „Die Liste ist lang und wird immer länger, und alle
behaupten - um hier nicht ewig wie die Katze um den heißen Brei zu schleichen
-, daß Freud ein Scharlatan war, ein ‚Wissenschaftler‘ in Anführungszeichen,
der seine Daten fälschte und frisierte und sich selbst ebenso zum Narren hielt
wie alle anderen. Und damit, so die Kritiker, sind auch seine sämtlichen
Theorien und alle darauf basierenden Schlußfolgerungen hinfällig.“[55]
Ein weiterer Kritiker
ist Julian Jaynes. Der seit 1964 an der Princeton University lehrende
Psychologe zählt die Psychoanalyse zum hervorstechendstem Szientismus im
medizinischem Bereich: „Ihr zentraler Aberglaube liegt in der Idee von der
unterdrückten kindlichen Sexualität. Eine Handvoll Fälle von Hysterie aus der
Pionierzeit der Bewegung, die sich in diesem Sinne interpretieren ließen,
avancierten zu Metaphoratoren, kraft deren nun das Wesen aller Persönlichkeit
und Kunst, aller Kultur und allen Unbehagens in der Kultur verständlich gemacht
wurde. Und wie der Marxismus forderte die Psychoanalyse von ihren Anhängern
uneingeschränkte Gefolgschaft, ein andächtiges Verhältnis zu ihren kanonischen
Texten und das Absolvieren einer Initiationsprozedur; als Gegengabe spendet sie
die gleichen Entscheidungshilfen und Handreichungen in Fragen der
Lebensführung, die vor wenigen Jahrhunderten noch die Domäne der Religion
waren.“[56]
Ingeborg Harms faßt
aus einem Aufsatz des Psychoanalytikers
Wolfgang Schmidbauer zusammen: „Ein Analytiker, der in unserer
hedonistischen Gegenwart noch Freuds Prinzipien treu ist: die Wünsche an den
Tag legt und in ihrem Recht bestärkt, läuft Gefahr, das Übel des Patienten zu
verschlimmern. Denn der heutige typische Analysekandidat ,leidet nicht an einem
Übermaß an Triebverbot, sondern an einem Mangel an Disziplin und Struktur‘.”[57] Das ist kein Wunder,
hatte doch Professor H. J. Gamm, Mitautor der hessischen
Sexualkunde-Richtlinien festgestellt: „Wir brauchen die sexuelle
Stimulierung der Schüler, um die sozialistische Umstrukturierung der
Gesellschaft durchzuführen und den Autoritätsgehorsam einschließlich der
Kindesliebe zu den Eltern gründlich zu beseitigen.”[58]
Der in die Jahre
gekommenen Psychoanalyse wachsen nun unter dem Zuspruch des Dekonstruktivisten
Jacques Derrida neue Flügel: „Sein messianischer Zentralbegriff ist das
,nichtnegative Unmögliche’. In diese messianische Kategorie übersetzt er das
Ziel der freudschen Psychoanalyse. . . . Er meint allerdings, was Freuds
prophetischer Kritik und Skepsis fehle, sei das Messianische: Ein wahrer
Prophet muß, gemäß Derrida, messianisch sein. Diesem Messianischen eröffnete er
eine Heimstatt. Damit ,mondialisiert’ er Begriffe der innerjüdischen
Heilserwartung.” So berichtet Caroline Neubaur von einer
Psychoanalyse-Tagung an der Sorbonne, wo Derrida seinen „genuin
psychoanalytischen Appell für ,une psychanalyse à venir’, eine Psychoanalyse,
die da kommen muß” vortrug.[59]
„Als einer der bedeutendsten Denker der Gegenwart” erhielt Derrida am
22. September 2001 den mit 100.000 DM dotierten Frankfurter „Theodor W.
Adorno-Preis”.[60]
„Die Nachkriegsanalyse geht nun zu Ende, und das bringt eine Götterdämmerung
mit sich.” resümiert Caroline Neubaur von einer neuerlichen
Psychoanalyse-Tagung in Ulm. „Die Gründungsväter waren vor allem
Anti-Hitler-Götter.”[61]
So hatte etwa Günter
Franzen, Mitarbeiter einer psychologischen Beratungsstelle in Frankfurt, „die
zweite Chance einer befreienden Konfrontation“ mit der Vergangenheit, wie
weiter oben von Wolfgang Leuschner benannt, weidlich durchexerziert. Die „in
gotische Höhen strebende juvenile Weltverdrossenheit“ hatte zu einer
„Gegenidentifizierung“ mit den Juden als Opfern geführt, die Christian
Schneider in seiner Arbeit Der Holocaust als Generationsobjekt[62]
so beschreibt: „Der von Achtundsechzigern demonstrativ gelebte,
hochritualisierte und gegen Selbstreflexion abgeschirmte Philosemitismus ist
die vielleicht offensichtlichste Konsequenz. Die persönliche Aufladung der
historischen Erbschaft zum Gestus der Dauerbetroffenheit und das Schwelgen in
der ,erborgten‘ Schuld gehört ebenso zum festen Repertoire dieser
Generationsgestalt wie der aus der Opferidentifikation hergeleitete Anspruch
einer unangreifbaren moralischen Überlegenheit“. Franzen sieht nun die
letzte Aufgabe seiner Generation darin, „mit Demut die eigene Beschränktheit
anzuerkennen, die von negativen Größenphantasien geprägten Selbst- und
Geschichtsbilder aufzugeben“, denn „ausgestattet mit einer hoch
elaborierten falschen Identität, eingefroren im spätadoleszenten Habitus des um
keine Antwort verlegenen Musterschülers, tragen sie ihr Scherflein dazu bei,
daß der tumbe Michel gute Aussichten hat, auch noch 2045, im Jahr der
hundertsten Wiederkehr der Befreiung des Lagers Auschwitz, greinend auf seinen
blockierten Zukunftsentwürfen zu hocken.“
Franzen bezieht sich
auf ein Erlebnis des jungen Freud: Im Vorübergehen hatte ein Passant dem Vater
auf dem Gehweg seine neue Pelzmütze mit den Worten „Jud, herunter vom
Trottoir!“ vom Kopf geschlagen. Trotz dieser hingenommenen Demütigung, war
der Tod des Vaters für Freud der einschneidendste Verlust im Leben eines
Mannes. Während die Ablösung vom Elternhaus für den Sohn naturgemäß mit
mancherlei Turbulenzen einhergeht, spielt die Bewältigung der
Vater-Sohn-Beziehung für Juden offensichtlich eine viel tiefergehende Rolle. „Ein
einziger Gedanke von allgemeinem Wert ist mir aufgegangen.“ schrieb Sigmund
Freud in einem Brief an Wilhelm Fließ vom 15. Oktober 1897. „Ich habe die
Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht gegen den Vater auch bei mir
gefunden und halte sie jetzt für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit . .
.“[63]
Die
Adoleszenzproblematik nichtjüdischer Jugendlicher in der Zeit nach dem Zweiten
Weltkrieg konnte nun durch eine maßlose und in den allermeisten Fällen völlig
grundlose Schuldzuweisung an die Vätergeneration aufgeheizt werden.
André F. Lichtschlag,
Autor und Herausgeber der radikal-libertären Zeitschrift eigentümlich frei (ef)
faßt zusammen: „Die Achtundsechziger glaubten sich moralintriefend im Recht
dabei, als sie ihre eigenen Eltern erst anklagten und dann mit einem
Urteilsspruch ohne jene Gnade kurzerhand und kollektiv zu den größten
Verbrechern der Weltgeschichte erklärten. Makaber wird die Geschichte noch
dadurch, daß die Väter oft im Krieg gefallen waren, daß die Achtundsechziger
also oft ihre verstorbenen Väter besudelten.“[64]
Franzen bedauert nun
den zu spät in Frage gestellten Schulterschluß mit der Generation der Väter, „und
deshalb können wir von Glück sagen, wenn es nur die Pelzmützen sein werden, die
uns unsere Kinder im Verlauf des überfälligen geschichtlichen Verhörs
irgendwann von den vereisten Köpfen schlagen.“[65] „Der
Verdacht drängt sich auf“, schrieb Franzen bereits früher: „Dahinter
könnte ebenjenes geistige Mitläufertum stecken, das wir nicht müde werden,
unseren Vorfahren bis zum Erbrechen vorzuwerfen.“[66]
In einem Nachruf 40
Jahre nach ’68 schrieb Franzen dann allerdings: „Vierzig Jahre später ist es
ein wohlfeiles Unterfangen, die paranoide Zurichtung der gesellschaftlichen
Wirklichkeit durch die Besatzung unseres linksradikalen Narrenschiffs als einen
von der wissenschaftlichen Groteske der Faschismus-Skala Adornos beflügelten
Fall von kollektivem Spaltungsirrsinn zu den Akten zu legen oder im
Jubiläumsdauertalk mit Uschi Obermaier und Rainer Langhans die
geronto-esoterischen Bekenntnisse siebzigjähriger Blumenkinder aus dem
hedonistischen Generationssegment für sich selbst sprechen zu lassen. . . . Auf
milde, in der Idiosynkrasie kultivierte Reste des politisch drapierten
Verfolgungswahns mag ich allerdings nicht verzichten. . . . Teddie [d. i.
Adorno], der Kampf geht weiter.“[67]
Die Aufarbeitung der
„falschen Identität“ und die Vorladung zum „geschichtlichen Verhör“ werden aber
auch Zeit! Im Jahr 2045 wird es längst zu spät sein, gehört doch jetzt schon
das Trottoir anderen Völkerschaften, die mit dem Betroffenheitskult unserer Eisköpfe
nichts am Hut haben.
Zum Schluß aber noch
ein echter jüdischer Witz: „Zwei Psychoanalytiker fahren nach Beendigung der
Sprechstunde im Fahrstuhl herunter. Der eine sagt: ‚Schrecklich, den ganzen Tag
dem greulichen Unsinn der Patienten zuhören zu müssen!‘ - ,Wer hört schon zu?‘
- ‚Who listens?‘ ist ein geflügeltes Wort geworden.“[68]
© Erweiterte Fassung eines Beitrages zum 150.
Geburtstag von Sigmund Freud in: VffG 4/2005, S. 439-443
E.M., Las Palmas im August 2010
[1] „Pro domo et
mundo” in: Die Fackel, Nr. 300 vom 9. April 1910, S. 27, zitiert von
Martin Stingelin in: Günter Meuter und Henrique Ricardo Otten (Hrsg.): Der
Aufstand gegen den Bürger - Antibürgerliches Denken im 20. Jahrhundert;
Königshausen & Neumann, Würzburg 1999, S. 74
[2] Lorenz Jäger: „Freuds Pferdeflüsterer” in: FAZ vom 5. Mai 1999, S. N 7
[3] Caroline Neubaur: „Von welchem Diwan sind Sie?” in: FAZ vom 11. August 2000, S. 46
[4] Annemarie Dührssen: Ein Jahrhundert Psychoanalytische Bewegung in Deutschland - Die Psychotherapie unter dem Einfluß Freuds; Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen u. Zürich 1994, S. 193
[5] Gershom Scholem: Von Berlin nach Jerusalem; Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1997, S. 194/195
[6] Ermanno Pavesi: „Gepriesen seist Du, Gott, der das Verbotene erlaubt” – Nathan von Gaza, ein Vorläufer der psychoanalytischen Methode?; Internet
[7] nach Hartmut Stern: Jüdische Kriegserklärungen an Deutschland - Wortlaut, Vorgeschichte, Folgen; FZ, 2. Aufl., München 2000, S. 297
[8] Egon Friedell: „Die
Psychoanalyse als Kulturzerstörerin” in: Ders.: Kulturgeschichte der
Neuzeit, Bd. 3; München 1931; Neuausgabe: München 1979, S. 678 ff./1518 ff.
[9] Gershom Scholm: Sabbatai Zwi - Der mystische Messias; 1. Aufl., Jüdischer Vlg., Frankfurt a. M. 1992, S. 84
[10] Paul Watzlawick, John H. Weakland und Richard Fisch: Lösungen - Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels; 4. Aufl., Hans Huber, Bern 1974, S. 78
[11] in: Psychologie heute, Dez. 1999; hier nach Martin Urban: Wie die Welt im Kopf entsteht - Von der Kunst, sich eine Illusion zu machen; Eichborn/Lübbe, Frankfurt a.M. 2002, S. 109/110
[12] „Hillary Clinton erklärt Untreue ihres Mannes” in: FAZ vom 2. August 1999, S. 11
[13] FAZ vom 18. Juli 2000, S. 12
[14] Gabriele Chwallek: „,First Shiksa’ auf Wahlkampf” in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung vom 3. Februar 2000; Schickse steht in der jüdischen Vulgärsprache für Christenmädchen (Jüdisches Lexikon, „Vulgärausdrücke“), Yenta ist ein aufdringlicher Mensch, ein Quatschkopf.
[15] Wolfgang
Leuschner: „Kriegskinder und ‚68‘“ in: Psyche, 60. Jg.,
Heft 4, 2006, S. 375-384
[16] Torsten Mann hingegen hat in seinem Buch Rot-grüne Lebenslügen schlüssig aufgezeigt: Wie die 68er Deutschland an die Wand gefahren haben (1. Aufl., Jochen Kopp, Rottenburg 2005)
[17] Alain de Benoist: Aus rechter Sicht - Eine kritische Anthologie zeitgenössischer Ideen; Grabert, Tübingen 1983, S. 420
[18] Jörg von Uthmann: „Ödipus bei den Dollaronkels” in: FAZ vom 30. April 1994, Beilage
[19] zitiert in Alain de Benoist: Aus rechter Sicht - Eine kritische Anthologie zeitgenössischer Ideen; Grabert, Tübingen 1983, S. 434/435
[20] Martin
Stingelin: „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden” in: FAZ vom
18. Oktober 2000, S. 75
[21] Lorenz Jäger: „,Freuds Pferdeflüsterer’ - Sándor Ferenczi und die absolute Analyse” in: FAZ vom 5. Mai 1999, S. N 7
[22] Martin Stingelin: „Mikroskopie der Psyche”, Besprechung von Andreas Mayers gleichnamigem Buch, Wallstein, Göttingen 2002, in: FAZ vom 17. Januar 2003, S. 36
[23] Sigmund Freud: „Unterdeß halten wir zusammen“ – Briefe an die Kinder; Aufbau, Berlin 2010
[24] Martin Stingelin: „Ich bin nicht für das Vertuschen eingenommen“ in: FAZ vom 22. Juli 2010, S. 32
[25] Jeremia 13,23
[26] David Korn: Wer ist wer im Judentum? - Lexikon der jüdischen Prominenz; FZ-Verlag, München, Bd. I, 1996, S. 141
[27] 1903-1994, ehemals Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biochemie in Berlin; er wanderte 1935 nach Palästina aus und lehrte an der Hebräischen Universität
[28] Jeshajahu Leibowitz: Gespräche über Gott und die Welt; Dvorah, Frankfurt am Main 1990, S. 180 / Insel, Frankfurt a.M./Leipzig 1994, S. 186
[29] In: H. J. Eysenck & G. D. Wilson (Hrsg.): Experimentelle Studien zur Psychoanalyse Sigmund Freuds; Europa; Wien 1979, S. 436-458
[30] Nach Christof T. Eschenröder: Hier irrte Freud – Zur Kritik der psychoanalytischen Theorie und Praxis; 2., erw. Auflage, Urban & Schwarzenberg, München/Weinheim 1968, S. 155. Eschenröder kommt zu dem Schluß: „Im Gegensatz zu dem weit verbreiteten Heldenmythos bin ich der Meinung, daß Freud zu den am meisten überschätzten Denkern unseres Jahrhunderts gehört.“ (Ebenda, S. 182)
[31] Nach Michail Ryklin: Kommunismus als Religion – Die intellektuellen und die Oktoberrevolution; Verlag der Religionen/Insel, Frankfurt a.M./Leipzig 2008, S. Kommunismus als Religion – Die intellektuellen und die Oktoberrevolution; Verlag der Religionen/Insel, Frankfurt a.M./Leipzig 2008, S. 96
[32] Minima Moralia, S. 98; hier nach Martin Jay: Dialektische Phantasie - Die Geschichte der Frankfurter Schule und des Instituts für Sozialforschung 19232-1950; S. Fischer, Frankfurt a.M. 1976, S. 344
[33] „Das Veralten der Psychoanalyse“ in: Ders.: Schriften, Bd., Frankfurt am Main 1984, S. 77/78; hier nach Russell Jacoby: „Das Veralten der Frankfurter Schule“ in: Keine Kritische Theorie ohne Amerika, hrsg. von Detlev Claussen u.a., Neue Kritik, Frankfurt am Main 1999, S. 149
[34] Ebenda
[35] Ivan Denes: Gott am Wannsee; Bock & Kübler, Berlin 1993, S. 205
[36] “The Re-establishment of Peacetime Society” in: Psychiatry IX, no. 3, Feb. 1946, S. 9/11; hier zitiert nach F. A. v. Hayek: Die Irrtümer des Konstruktivismus und die Grundlagen legitimer Kritik gesellschaftlicher Gebilde; J.C.B. Mohr, Tübingen 1975, S. 19/20
[37] nach Wolfgang Borowsky: Zwischen „Rassismus” und „One-World” - Absage an eine programmierte Menschheit; Saterland, Strücklingen o.J., S. 34
[38] From the Other Shore, London 1956, S. 141; hier nach Hayek w.o., S. 31
[39] Er war Parteimitglied gewesen und hatte zehn Jahre zuvor ein Buch, Une Génération, über die Faszination und Stellung des Kommunismus in Frankreich geschrieben.
[40] Jürg Altwegg: „Revolution, Tragödie und Tabu“ in: FAZ vom 1. August 1998, S. 34
[41] Henning Ritter: „Krumme Wege“ in: FAZ vom 29. April 1998, S. N 5
[42] Friedrich Kittler: „Es ist eine Tatsache, daß Frauen begabter sind“ in: FAZ vom 12. April 2001, S. 43
[43] „Traumdeutung” in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 13. Januar 2002, S. 26
[44] Traktat Berakkoth, fol. 56a und b, 57a
[45] Traktat Berakkoth 57a; hier nach Traum und Traumdeutung im Talmud, hrsg. von Alexander Kristianpoller; Marix, Wiesbaden 2006, S. 186
[46] Bruno Bettelheim: Freud’s Vienna and Other Essays; Alfred A. Knopf, New York 1990, hier nach Reinhold Brinkmann: Arnold Schönberg und der Engel der Geschichte; Picus, Wien 2002, S. 17
[47] Karl Marx: Werke – Artikel – Literarische Versuche bis März 1843; Dietz, Berlin 1975
[48] Ivor Benson: Der Zionistische Faktor – Der jüdische Einfluß auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts; (www.juergen-graf.nm.ru/) S. 120
[49] Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass; Jüdischer Verlag, Berlin 1930; Nachdruck: Matthes & Seitz, München 1984, S. 72
[50] Annemarie Dührssen: Ein Jahrhundert Psychoanalytische Bewegung in Deutschland, S. 197
[51] Alexander Košenina: „Wie viel so ein Dichter weiß“ in FAZ vom 6. September 2007, S. 37
[52] Annemarie Dührssen: Ein Jahrhundert Psychoanalytische Bewegung in Deutschland - Die Psychotherapie unter dem Einfluß Freuds; Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen u. Zürich 1994, S. 197 f.
[53] Hier wäre anzumerken, daß es sich keineswegs nur um eine bestimmte Subkultur, sondern um die offizielle Politik der BRD handelt. Der Verfassungsschutzbericht 2002 (Bayerisches Staatsministerium des Innern, München im März 2003, S. 66) scheut sich nicht, aus der Zeitschrift Nation & Europa zu zitieren: „Die von den Alliierten nach 1945 betriebene Umerziehung hat sich längst verselbständigt und gebiert Formen des nationalen Selbsthasses, die mit gesundem Menschenverstand kaum mehr zu erklären sind.”
[54] „Feuer auf Freud” in: FAZ vom 27. September 2005, S. 39
[55] Peter Watson: Ideen - Eine Kulturgeschichte von der Entdeckung des Feuers bis zur Moderne; C. Bertelsmann, München 2006, S. 1132 f.
[56] Julian Jaynes: Der Ursprung des Bewußtseins; Rowohlt Tb., Reinbek 1993, S. 541
[57] „Messerscharf durchs Wahngestrüpp” in: FAZ vom 18. Dezember 1999, S. 48
[58] Kritische Schule, 1970; nach Wolfgang Borowsky: Die „neue Welt“ - Vorspiel der Hölle; Anton A. Schmid, Durach 1995, S. 142
[59] „Messias, ohne Alibi” in: FAZ vom 18. Juli 2000, S. 52; s. a. mein Artikel „Was Sie schon immer über Dekonstruktivismus wissen wollten, sich aber nicht zu fragen getrauten“ in: VffG 1/2004, S. 99-105
[60] „Jacques Derrida” in: FAZ vom 31. Mai 2001, S. 53
[61] „Wartet eure Würmer!” in: FAZ vom 4. Juni 2004, S. 34
[62] In: M. Frölich, Y. Lapid, Chr. Schneider: Repräsentationen des Holocaust im Gedächtnis der Generationen; Frankfurt a.M. 2004
[63] Nach Yosef Hayim Yerushalmi: Freuds Moses; Klaus Wagenbach , Berlin 1991, S. 40
[64] ef-online, Dez. 2007
[65] „Nach Auschwitz - Zur Identitätsproblematik der ‚68‘“ in: Psyche, 60. Jg., Heft 6, 2006, S. 573-581
[66] „Links, wo kein Herz ist“ in: Der Spiegel 44/2003, S. 218
[67] Günter Franzen: „Keiner war reiner – Auf Feindfahrt mit Rudi Dutschke: Wie uns ein Strickpullover und halb verstandene Zauberworte vor vierzig Jahren Narren machten.“ In: FAS vom 18. Mai 2008, S. 3. Welche neue Narreteien können wir da von den Eisköpfen erwarten?
[68] Jan
Meyerowitz: Der echte jüdische Witz;
arani, Berlin 1997, S. 99; „echte“ jüdische Witze sind nicht „antisemitisch“ im
Gegensatz zu „unechten“, „denn im antisemitischen Witz liegt bereits der
Keim zum Pogrom“, wie Martin Blumentritt in einem Vortrag „Vorurteil
ohne Ende“ am 18. 11. 1977 in Loccum meinte, und das wollen wir natürlich
nicht. Er fand allerdings auch: „Das Vorurteil der eigenen
Vorurteilslosigkeit ist das hartnäckigste Vorurteil überhaupt.“ (Die politische Dimension von Vorurteilen;
überarbeitete Internet-Fassung des Vortrages) Wie wahr!