Wenn es noch eines Beweises für die
Unbeherrschbarkeit der Gentechnologie bedurfte, dann hat ihn der Leverkusener
Multi jüngst erbracht: In 33 von 162 Lebensmittelproben fanden sich Spuren von
seinem nicht zum Verzehr zugelassenen Genreis LL601. Wie er dort hineingelangt
ist, konnte Konzern-Chef Werner Wenning zwar nicht sagen, aber eines wusste er
genau: „Wichtig ist festzustellen, dass die US-Behörden bestätigt haben, dass
es hier für die Gesundheit und für die Umwelt keinerlei Belastungen gibt“.
Darum will das Unternehmen aus dem Schaden auch nicht klug werden und kündigte
stattdessen unmittelbar nach dem Gen-GAU an, das Geschäft mit Reis und anderen
Saaten noch ausbauen zu wollen.
Von Jan Pehrke
Nach dem Gammelfleisch-Skandal kam der Genreis-GAU. In 33
von 162 Reispackungen auf bundesdeutschen Supermarkt-Regalen fanden sich
Rückstände von BAYERs gentechnisch gegen das Antiunkrautmittel LIBERTY LINK
immun gemachter Sorte LL601. Dort hätte die nirgendwo auf der Welt zum Verzehr
zugelassene BAYER-Kreation vermutlich auch noch sehr lange gestanden, wenn
nicht eine zufällige Entdeckung auf die BAYER-Spur geführt hätte, denn die
Staatliche Lebensmittelaufsicht hätte UNCLE BEN das Leben nie schwer gemacht.
Im Januar 2006 bemerkte ein Reis-Verarbeiter eine gentechnische Verunreinigung
seiner Ware. Er wandte sich umgehend an den Exporteur, das US-Unternehmen
RICELAND FOODS. Der Konzern schaltet ein Labor ein, das in dem Reis auch ein
LIBERTYLINK-resistentes Protein nachweist. Die WissenschaftlerInnen vermuten
zunächst, LL-Baumwolle oder LL-Soja made by BAYER hätten sich unter die Ernte
gemischt, denn der Genreis des Multis besitzt gar keine Zulassung. Erst im Mai
ergeben Untersuchungen eine flächendeckende Verunreinigung der
US-amerikanischen Reis-Ernte mit LL601. Und dann nehmen die Dinge ihren Lauf. RICELAND FOODS kontaktiert BAYER CROPSCIENCE. Der Konzern
informiert die US-Behörden, die wiederum die Europäische Union in Brüssel über
den Vorfall in Kenntnis setzen. Am 23. August erlässt diese ein Importverbot
für US-amerikanischen Langkorn-Reis. Nur noch negativ auf LL601 getesteter Reis
darf die Grenzen passieren. Die Kosten von rund 200 € pro Prüfverfahren haben
die Reismühlen als Importeure zu tragen, ordnet die Kommission an.
LL601 ist überall
Nach dem Glauben der Euro-BürokratInnen hatte sich die Festung Europa damit mal
wieder als wehrhaft erwiesen. Aber GREENPEACE zweifelte daran. Die Initiative
ließ Reis aus bundesdeutschen Supermärkten auf LL601-Rückstände analysieren und
wurde bei ALDI fündig. Das Unternehmen wies die Vorwürfe umgehend zurück. „Laut
unseren Untersuchungen gibt es bei ALDI NORD bislang keine Befunde auf
Genreis“, so eine Sprecherin. Auch BAYER zweifelte das Ergebnis an: „Wir wissen
nicht, ob GREENPEACE die Funde mit von der EU zertifizierten Testmethoden
entdeckt hat“. Dass GREENPEACE das gar nicht konnte, wusste der Konzern
allerdings ganz genau. Der Multi weigerte sich nämlich zunächst, der
Umweltschutzorganisation originale LL601-Proben als Referenzmaterial zur
Verfügung zu stellen. Bald aber bestätigte der „Europäische Verband der
Reismühlen“ die Arbeit von GREENPEACE. Sie fand den BAYER-Reis in 20 Prozent
des untersuchten Materials. Daraufhin reagierte ALDI, ohne jedoch eine Verunreinigung
zuzugeben. „Wir haben die Reissorte vorsorglich aus den Regalen genommen,
obwohl die von uns veranlassten Tests bislang keine Belastung mit gentechnisch
verändertem Reis ergeben haben“, vermeldete die Zentrale. 10.000 Tonnen der
Körner verschwanden daraufhin aus den Supermärkten von ALDI & Co., die
deshalb einen Verlust von 10 Millionen Euro in ihre Bücher schreiben konnten.
Das Imperium schlägt zurück
Das Kind war also in den Brunnen gefallen. Plötzlich sollte es aber ein ganz
liebes Kind sein. Die US-Behörden stellten LL601 innerhalb weniger Wochen einen
Persilschein aus, den BAYER umgehend einlöste. „Wichtig ist festzustellen, dass
die US-Behörden bestätigt haben, dass es hier für die Gesundheit und für die
Umwelt keinerlei Belastungen gibt“, sprach BAYER-Chef Werner Wenning. Die EU
schloss sich ihm an. Obwohl die für Lebensmittelsicherheit zuständige Behörde
selber einräumte, keine ausreichenden Daten für eine Risikoanalyse zu haben,
gab sie vorsorglich Entwarnung. „Besonders dringliche Sicherheitsbedenken“
bestehen ihrer Meinung nach nicht. „Im Klartext: Es wird nicht erwartet, dass
jemand tot umfällt, und über alles andere lässt sich keine Aussage machen“,
kommentierte der Gen-Ethische Informationsdienst (GID) sarkastisch.
Um die Sicherheitsbedenken weiter zu zerstreuen, lief BAYERs Krisenmanagement
auf Hochtouren. Der Konzern tischte zur Hochzeit des Gen-GAUs in der
Bild-Zeitung das bekannte Ammenmärchen von der Gentechnik als Lösung des
Welthungerproblems auf. Der ehemalige BAYER CROPSCIENCE-Chef Bernward Garthoff
spielte in seiner jetzigen Position als Vorstandsvorsitzender der „Deutschen
Industrievereinigung Biotechnologie“ die Gefahren herunter und trat
unverdrossen weiter für vereinfachte Anbauregelungen ein. Aber das Unternehmen
konnte auch ganz grob werden. Als GREENPEACE eine Online-Aktion gegen den
Genreis startete, ließ BAYER kurzerhand die Webseite sperren.
LandwirtInnen klagen
Auch gegenüber den massiv von Einkommensverlusten betroffenen LandwirtInnen
schlug BAYER eine harte Gangart ein. In den USA sanken die Reispreise nach dem
Gen-GAU um 10 Prozent. Zudem brachen wichtige Absatzmärkte in Japan und Europa
ein - allein an den bundesdeutschen Importen hatte US-amerikanischer Reis
bislang einen Anteil von 25 Prozent. Deshalb reichten Reisbauern und
-bäuerinnen aus allen Regionen Nordamerikas Klage gegen BAYER ein. Das
Unternehmen hatte das kommen sehen und vorsorglich eine nachträgliche
LL601-Zulassung beantragt, um die möglichen Schadensersatzansprüche zu
minimieren. „Ein Unternehmen, das sich aus der Verantwortung stiehlt, indem es
im Nachhinein eine Vermarktungsgenehmigung für die USA erwirken will, zeigt
blanken Zynismus gegenüber den Landwirten, die geschädigt wurden“, wetterte der
Grüne Politiker Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, der stellvertretende
Vorsitzende des Agrarausschusses des EU-Parlamentes.
In den Prozessen, den hunderte US-FarmerInnen dann auch wirklich per
Sammelklagen angestrengt haben, setzt sich der Zynismus des Agroriesen fort. Er
gibt allen die Schuld am Gen-GAU - Gott, dem Schicksal und den LandwirtInnen
selber - bloss sich selbst nicht. In seiner 30-seitigen Antwort auf die
Vorwürfe der Bauern und Bäuerinnen spricht BAYER von „unvermeidbaren Umständen,
die niemand hätte verhindern können“, einem „Akt Gottes“ und einer angeblichen
„Nachlässigkeit“ der FarmerInnen. „Es ist bedauernswert, dass BAYER, anstatt
die Verantwortung zu übernehmen, versucht, den Reisbauern die Schuld
zuzuschieben, den Menschen, die am meisten von der Unternehmenspolitik
betroffen sind“, sagt der Klägeranwalt Adam Levitt.
Von Louisiana in die ganze Welt?
Die Spuren des Skandals führen indes nicht in den Himmel, sondern nach
Louisiana, obwohl hinter dem eigentlichen Tathergang noch viele Fragezeichen
stehen. Am 31. August tritt die Louisiana State University mit der Erklärung an
die Öffentlichkeit, auf ihrer Reisforschungsstation hätte sich der
LIBERTYLINK-Reis 2003 in eine konventionelle Sorte eingekreuzt. Die Universität
hatte von 1999 bis 2001 für das Unternehmen AVENTIS CROPSCIENCE, das BAYER im
Jahr 2002 übernahm, die Sorten LL601 und LL62 getestet. Obwohl die
ForscherInnen die Abstandregelungen eingehalten hatten und Einkreuzungen durch
Pollenflug auszuschließen sind, da Reis sich selbst bestäubt, kontamierten die
Genpflanzen die Sorte „Cheniere“. Am wahrscheinlichsten erscheint die
Hypothese, dass bei der Genreis-Ernte einige Körner am Boden verblieben waren,
die dann in später gepflanzten Ackerfrüchten aufblühten. Was auch immer die
genaue Ursache gewesen sein mag, der Vorfall zeigt einmal mehr, wie
unkontrollierbar die Gentechnik ist. Die industrialisierte Landwirtschaft mit
ihren Monokulturen tat dann ein Übriges. Die Hochschule kreierte nämlich eine
Hochleistungssorte, die professionellen ZüchterInnen als Basissaatgut diente
und so die Pflanzsaison 2005 dominierte.
Gen-Gau, Teil 2
Auch die andere von den WissenschaftlerInnen getestete Sorte sollte aus
US-amerikanischen Landen frisch auf dem Tisch der europäischen VerbraucherInnen
landen. Im Oktober wiesen französische Behörden Rückstände von LL62 in Ladungen
aus den USA nach und informierten die EU-Kommission. Ein noch brisanterer Fund,
denn für diesen, ebenfalls gegen den Herbizid-Wirkstoff Glufosinat resistenten
Reis hatte BAYER in Brüssel vor drei Jahren einen Antrag auf eine Importgenehmigung
gestellt, der kurz vor einer Bewilligung stand. Die COORDINATION GEGEN
BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte die EU bereits im September aufgefordert,
Konsequenzen aus dem Fall „LL601“ zu ziehen und LL62 keine Importzulassung zu
erteilen. „Der Fall bestätigt alle Befürchtungen: eine gentechnisch veränderte
Reissorte landet im Handel, ohne dass die gesundheitlichen Risiken bekannt
wären oder eine Genehmigung erteilt wäre. Dies muss Konsequenzen für die
Zulassung von Genreis in der EU haben“, hieß es in dem Schreiben. Die Nachricht
aus Frankreich zeigte dann die Dringlichkeit der CBG-Forderung.
Politik kapituliert
Aber eine Antwort der EU-Lebensmittelaufsicht EFSA blieb bisher aus. Anderen
Laborpflanzen aus dem Hause BAYER, Genraps der Sorten Ms8, Rf3 und Ms8xRf3,
hatte sie bereits die Unbedenklichkeit bescheinigt, weshalb der Brüsseler
Agrarrat sich auch von dem LL601-Skandal nicht abhalten ließ, für eine
Genehmigung zu stimmen. 13 Mitgliedsländer votierten dagegen, brachten aber
gegen Verbraucherschutzminister Horst Seehofer und andere keine qualifizierte
Mehrheit zustande, weshalb das OK der Kommission nur noch Formsache sein
dürfte. „Denn auch, wenn Politiker gerne viel von Verbraucherschutz reden:
Handeln tun sie letztlich im Sinne des Geldes“, kommentierte die neue bildpost
die Entscheidung treffend.
Seehofer sorgte sogar dafür, dass BAYER künftig vor den finanziellen Folgen von
Pleiten, Pech & Pannen aus der Zukunftswerkstatt gefeit ist. In Zukunft
haben WissenschaftlerInnen nicht mehr dafür zu haften, wenn sich ihre
Testpflanzen unbemerkt ausbreiten und ihre Gentech-Versuche nicht mehr auf den
Feldern, sondern bei ALDI stattfinden. Nur noch LandwirtInnen in unmittelbarer
Nähe des Versuchsgeländes können jetzt noch Ansprüche geltend machen, nicht
aber andere Geschädigte, so sieht es ein am 24. November vorgestelltes
Eckpunkte-Papier aus dem Hause Seehofer vor. Das passte den Agromultis
natürlich gut ins Konzept. Kein Wunder, denn sie haben es selber passend
gemacht. Die Eckpunkte der Eckpunkte zur geplanten „Reform“ des
Gentechnikgesetzes lieferte nach einem GREENPEACE zugespielten Papier nämlich
die „Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie“. Darin heißt es in einem
Ton, der unmissverständlich deutlich macht, wer hierzulande in Sachen
„VerbraucherInnenschutz“ das letzte Wort hat: „Die Definition des
Inverkehrbringens (§ 3 Nr. 6, § 14) ist dahingehend klarzustellen, dass die
Abgabe von Produkten mit Spuren von gentechnisch veränderten Organismen (GVO)
aus genehmigten Freisetzungsversuchen kein Inverkehrbringen darstellt“.
Verkehrte Welt, die am selben Tag noch ein wenig verkehrter wurde. Punktgenau
am 24. fruchtete nämlich auch BAYERs „Legalize-it“-Kampagne. Die US-Behörden
erteilten LL601 nachträglich das Plazet, ohne freilich eine
Verträglichkeitsprüfung angestellt zu haben. So schnell kann ein Gen-GAU zu
einem beschleunigten Zulassungsverfahren mutieren!
BAYER macht weiter
Damit stärkten die US-amerikanischen BeamtInnen die Verhandlungsposition BAYERs
bei den Sammelklagen ungemein. Der Gen-Gigant sieht dann auch gar keinen Grund,
eine Kurskorrektur bei der Agro-Gentechnik vorzunehmen. Er hat sogar die
Chupze, einen Ausbau des Bereiches anzukündigen. „Auf Basis der guten
Ausgangsposition in unseren vier Kernkulturen Gemüse, Reis, Baumwolle und
Canola (Raps, Anm. SWB) wollen wir in Zukunft im Saatgutbereich weiter wachsen.
Darüber hinaus denken wir über die Erweiterung dieser Aktivitäten um neue
Kulturen nach“, sagte BAYER-Vorstand Wolfgang Plitschke am 31. Oktober 2006 auf
einem Presseforum zur „BAYER Innovationsperspektive 2006“. Da der Leverkusener
Multi dem gid zufolge heute schon die Lizenz zu dem Großteil der 251 bis dato
behördlich genehmigten Genreis-Experimente hat, können sich die
VerbraucherInnen also noch auf so einiges gefasst machen.
Quelle: „STICHWORT BAYER“ 4 / 2006 / 4 – 8 / www.CBGnetwork.org