Wallensteins Tod

 

von Friedrich Schiller

 

Indem Wallenstein von Eger aus die Unterhandlungen mit dem Feinde lebhaft betrieb, die Sterne befragte und frischen Hoffnungen Raum gab, wurde beinahe unter seinen Augen der Dolch geschliffen, der seinem Leben ein Ende machte. Der kaiserliche Urteilsspruch, der ihn für vogelfrei erklärte, hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Unter seinen Offizieren hatte Wallenstein einen Irländer, namens Leßlie, mit vorzüglicher Gunst geehrt und das ganze Glück dieses Mannes begründet. Eben dieser war es, der sich bestimmt und berufen fühlte, das Todesurteil an ihm zu vollstrecken und den blutigen Lohn zu verdienen. Nicht sobald war Leßlie im Gefolge des Herzogs angelangt, als er dem Kommandanten der Stadt, Obristen Buttler, und dem Obristleutnant Gordon alle schlimmen Anschläge des Herzogs entdeckte, welche ihm dieser Unbesonnene auf der Herreise vertraut hatte. Leßlie fand hier zwei Männer, die eines Entschlusses fähig waren. Man hatte die Wahl zwischen Verräterei und Pflicht, zwischen dem rechtmäßigen Herrn und einem flüchtigen, allgemein verlassenen Rebellen. Man verbindet sich fest und feierlich zur Treue gegen den Kaiser, und dieser fordert die schnellsten Maßregeln gegen den öffentlichen Feind. Die Gelegenheit ist günstig, und sein Genius selbst hat ihn in die Hände der Rache geliefert. Um jedoch der Gerechtigkeit nicht in ihr Amt zu greifen, beschließt man, ihr das Opfer lebendig zuzuführen, und man scheidet mit dem gewagten Entschlusse, den Feldherrn gefangen zu nehmen.

 

Um eben diese Zeit werden dem Herzoge die kaiserlichen Patente überbracht, die sein Urteil enthalten und in allen Lagern gegen ihn bekannt gemacht sind. Gegen Leßlie ergießt sich der Unmut seiner verwundeten Seele, und die Heftigkeit des Affektes entreißt ihm das letzte, noch übrige Geheimnis. Er entdeckte diesem Offizier seinen Entschluß, Eger und Ellbogen


als die Pässe des Königreiches dem Pfalzgrafen von Birkenfeld einzuräumen, und unterrichtete ihn zugleich von der nahen Ankunft des Herzogs Bernhard in Eger, wovon er noch in eben dieser Nacht durch einen Eilboten benachrichtigt worden. Diese Entdeckung, welche Leßlie seinen Mitverschworenen aufs schleunigste mitteilt, ändert ihren Entschluß. Die dringende Gefahr erlaubt keine Schonung mehr. Eger konnte jeden Augenblick in feindliche Hände fallen und eine schnelle Revolution ihren Gefangenen in Freiheit setzen. Diesem Unglücke zuvorzukommen, beschlossen sie, ihn samt seinen Vertrauten in der folgenden Nacht zu ermorden.

 

Damit dies mit um so weniger Geräusch geschehen möchte, sollte die Tat bei einem Gastmahl vollzogen werden, welches der Obrist Buttler auf dem Schlosse zu Eger veranstaltete. Die andern alle erschienen, nur Wallenstein, der viel zu bewegt war, um in fröhliche Gesellschaft zu taugen, ließ sich entschuldigen. Man mußte also in Ansehung seiner den Plan abändern; gegen die andern aber beschloß man der Abrede gemäß zu verfahren.

 

In sorgloser Sicherheit kamen die drei Obristen Illo, Terzky und Wilhelm Kinsky und mit ihnen Rittmeister Neumann. Man hatte vor ihrer Ankunft die zuverlässigsten Soldaten aus der Besatzung, welche mit in das Komplott gezogen waren, in das Schloß eingenommen, alle Ausgänge aus demselben wohl besetzt und in einer Kammer neben dem Speisesaal sechs Buttlersche Dragoner verborgen, die auf ein verabredetes Zeichen hervorbrechen und die Verräter niederstoßen sollten. Ohne Ahnung der Gefahr, die über ihrem Haupte schwebte, überließen sich die sorglosen Gäste den Vergnügungen der Mahlzeit. Endlich wird das Dessert aufgetragen, und nun gibt Leßlie das verabredete Zeichen, die Aufzugbrücke zu sperren, und nimmt selbst alle Torschlüssel zu sich. Auf einmal füllte sich der Speisesaal mit Bewaffneten an, die sich mit dem unerwarteten Gruße: "Vivat Ferdinandus!" hinter die Stühle der bezeichneten Gäste gepflanzt hatten. Bestürzt und mit einer üblen Ahnung springen alle vier zugleich von der Tafel auf. Kinsky und Terzky werden sogleich erstochen, ehe sie sich zur Wehr setzen können; Neumann allein findet Gelegenheit, während der Verwirrung in den Hof zu entwischen, wo er aber von den Wachen erkannt und sogleich niedergemacht wird. Nur Illo hatte Gegenwart des Geistes genug, sich zu verteidigen. Er stellte sich an ein Fenster, von wo er dem Gordon seine Verräterei unter den bittersten Schmähungen vorwarf und ihn aufforderte, sich ehrlich und ritterlich mit ihm zu schlagen. Erst nach der tapfersten Gegenwehr, nachdem er zwei seiner Feinde tot dahingestreckt, sank er überwältigt von der Zahl und von zehn Stichen durchbohrt zu Boden. Gleich nach vollbrachter Tat eilte Leßlie nach der Stadt, um einem Auflauf zuvorzukommen. Als die Wachen am Schloßtor ihn außer Atem daherrennen sahen, feuerten sie in dem Wahne, daß er zu den Rebellen gehöre, ihre Flinten ab, doch ohne ihn zu treffen. Aber diese Schüsse brachten die Wachen der Stadt in Bewegung, und Leßlies schnelle Gegenwart war nötig, sie zu beruhigen. Er entdeckte ihnen nunmehr umständlich den ganzen Zusammenhang der friedländischen Verschwörung und die Maßregeln, die dagegen bereits getroffen waren, das Schicksal der vier Rebellen, sowie dasjenige, welches den Anführer selbst erwartete. Als er sie bereitwillig fand, seinem Vorhaben beizutreten, nahm er ihnen aufs neue einen Eid ab, dem Kaiser getreu zu sein und für die gute Sache zu leben und zu sterben. Nun wurden hundert Buttlersche Dragoner von der Burg aus in die Stadt eingelassen, die alle Straßen durchreiten mußten, um die Anhänger des Herzogs im Zaum zu halten und jedem Tumult vorzubeugen. Zugleich besetzte man alle Tore der Stadt Eger und jeden Zugang zum friedländischen Schlosse, das an den Markt stieß, mit einer zahlreichen und zuverlässigen Mannschaft, so daß der Herzog weder entkommen, noch Hilfe von außen erhalten konnte.

 

Bevor man aber zur Ausführung schritt, wurde von den Verschworenen noch eine lange Beratschlagung gehalten, ob man ihn wirklich ermorden oder sich nicht lieber begnügen sollte, ihn gefangenzunehmen. Noch einmal ergriff die langgewohnte Furcht die zagenden Herzen; doch bald erstickt die Vorstellung der Gefahr diese flüchtige Neigung. Man erinnert sich der Drohungen, welche Neumann und Illo bei der Tafel ausgestoßen, man sieht die Sachsen und Schweden schon in der Nähe von Eger mit einer furchtbaren Armee und keine Rettung, als in dem schleunigen Untergang des Verräters. Es bleibt also bei dem ersten Entschluß, und der schon bereitgehaltene Mörder, Hauptmann Deveroux, ein Irländer, erhält den blutigen Befehl.

 

Während jene drei auf der Burg von Eger sein Schicksal bestimmten, beschäftigte sich Wallenstein in einer Unterredung mit Seni, es in den Sternen zu lesen. "Die Gefahr ist noch nicht vorüber", sagte der Astrolog mit prophetischem Geiste. "Sie ist es", sagte der Herzog, der selbst an dem Himmel seinen Willen wollte durchgesetzt haben. "Aber daß du mit nächstem wirst in den Kerker geworfen werden", fuhr er mit gleich prophetischem Geiste fort, "das, Freund Seni, steht in den Sternen geschrieben."

 

Der Astrolog hatte sich beurlaubt, und Wallenstein war zu Bette, als Hauptmann Deveroux mit sechs Hellebardieren vor seiner Wohnung erschien und von der Wache, der es nichts Außerordentliches war, ihn zu einer so ungewohnten Zeit bei dem Herzoge ein‑ und ausgehen zu sehen, ohne Schwierigkeit eingelassen wurde. Ein Page, der ihm auf der Treppe begegnet und Lärm machen will, wird mit der Picke durchstochen. In dem Vorzimmer stoßen die Mörder auf einen Kammerdiener, der aus dem Schlafgemache seines Herrn tritt und den Schlüssel zu demselben abgezogen hat. Den Finger auf den Mund legend, bedeutet sie der erschrockene Diener, keinen Lärm zu machen, da der Herzog eingeschlafen sei. "Freund", ruft Deveroux ihm zu, "jetzt ist es Zeit zu lärmen," Unter diesen Worten rennt er gegen die verschlossene Tür, die auch von innen verriegelt ist, und sprengt sie mit einem Fußtritte.

 

Wallenstein war durch den Knall, den eine losgehende Flinte erregte, aus dem ersten Schlafe aufgeweckt worden und ans Fenster gesprungen, um der Wache zu rufen. In diesem Augenblicke hörte er aus den Fenstern des anstoßenden Gebäudes das Wehklagen der Gräfinnen Terzky und Kinsky, die soeben von dem gewaltsamen Tode ihrer Männer benachrichtigt worden. Ehe er Zeit hatte, über diesen schrecklichen Vorfall nachzudenken, stand Deveroux mit seinen Mordgehilfen im Zimmer. Wallenstein war noch im bloßen Hemde, wie er aus dem Bette gesprungen war, zunächst an dem Fenster an einen Tisch gelehnt. "Bist du der Schelm", schreit Deveroux ihn an, "der des Kaisers Volk zu dem Feinde überführen und Seiner Majestät die Krone vom Haupte reißen will? Jetzt mußt du sterben!" Er hält einen


Augenblick inne, als ob er eine Antwort erwartete; aber Überraschung und Trotz verschließen Wallensteins Mund. Die Arme weit auseinander breitend, empfängt er vorn in der Brust den tödlichen Stoß der Partisane und fällt dahin in seinem Blut, ohne einen Laut auszustoßen.