Wilhelm Liebknecht über die Dreyfus-Affäre
Die Fackel
Der Führer der deutschen Socialdemokratie,
der noch in hohen Jahren wie einst in jungen für Wahrheit und Gerechtigkeit in ernsten
Kämpfen gestritten und gelitten hat, Wilhelm Liebknecht bereitet mir die
Freude, mit dem rückhaltlosen Freimuth, der ihm immer eigen war, in meinem
Blatte über die Dreyfussache sich zu äußern:
NACHTRÄGLICHES
ZUR »AFFAIRE«.
I.
Ueber die »Affaire« soll ich Ihnen
schreiben, und ich war auch so leichtsinnig, es zu versprechen, nicht
bedenkend, dass es mir gerade jetzt, unmittelbar nach meinen Ferien und vor
unserem Parteitag, wo so vieles zu thun ist, an der zur Erfüllung des
Versprechens nöthigen Zeit fehlt. Indes versprochen ist versprochen – auch wenn
man sich dabei versprochen oder verschrieben hat –, und so will ich denn ohne
Umschweife ans Werk gehen – was ich heute nicht erledigen kann, einem andern
Tag überlassend.
Zunächst ein Bekenntnis, das mich sofort mit
dem Leser in ein wahrhaftiges Verhältnis setzen wird: Ich glaube nicht an die
Unschuld des französischen Hauptmanns Dreyfus.
Man wird jetzt auch begreifen, warum ich
vor dem Ende des Processes in Rennes so zurückhaltend war. Kein anständiger
Mensch wird gegen einen Angeklagten, an dessen Schuld gezweifelt wird, Zeugnis
ablegen, wenn er nicht dazu gezwungen ist. Und dem Gesindel, das in Frankreich
und außerhalb Frankreichs nach der Verurtheilung »des Juden« lechzte, wollte
ich keinen Triumph bereiten. Nicht dass ich damit sagen wollte, auf der andern
Seite sei bloß reines, sauberes Volk gewesen. Es roch zum Theil sehr stark nach
Panama, und der Socialistenhetzer Trarieux, der manchen gewiss unschuldigen
Arbeiter ins Gefängnis gebracht hat, und der Socialistenschlächter Gallifet,
der in der blutigen Maiwoche 1871, lächelnd, die Cigarrette im Munde, die
Proletarier: Männer, Frauen und Kinder, dutzend- und hundertweise über den
Haufen schießen ließ, um sich und seinen Cocotten – den liederlichen
Weibsbildern, welche die Commune aus Paris zu den Versailler Ordnungshelden
gejagt hatte – ein nervenreizendes Schauspiel zu geben – sie sind gewiss um
kein Haar breit besser, als die Gesellschaft der Henry, Mercier und Consorten.
Was letztere betrifft, so muss ich von
vornherein einen Umstand betonen, den die Führer der Dreyfus»Campagne«
geflissentlich verdeckt haben, nämlich, dass der Process gegen Dreyfus ein
Spionenprocess war, und dass in Spionenprocessen selbstverständlich Spione eine
hervorragende Rolle spielen, wo nicht die Hauptrolle. Das Spionieren ist aber,
wenn als Handwerk betrieben, eines der schmutzigsten Handwerke, die es gibt –
und sogar Herr v. Puttkamer musste zugeben, dass ein Spion kein Gentleman sei.
Er dachte nur an politische Spione; die militärischen sind indes von der
gleichen moralischen Qualität. Ein großes Unrecht war es von Anfang an, dass
das Spionendepartement des französischen Generalstabs mit dem gesammten
Generalstab, ja mit der gesammten Armeeorganisation zusammengeworfen ward, was
ungefähr ebenso gerecht ist, als wenn man das Gesindel des Tausch-Processes mit
der preußischen Regierung, der Reichsregierung und überhaupt den deutschen
Regierungskreisen für eins erklären wollte.
Dass diese tolle Ungerechtigkeit nicht ganz
ohne Absicht war, erhellt daraus, dass die Führer der »Campagne«, wie das
tausendmal ausgesprochen und hunderttausendmal angedeutet ward, von der
Voraussetzung ausgingen, der französische Generalstab habe wissentlich einen
Schuldlosen verurtheilt. Eine geradezu monströse Abgeschmacktheit. Das
Interesse des Generalstabs konnte doch bloß sein, den Schuldigen zu finden und
zu packen. Und dass aus bloßem Judenhass der Jude Dreyfus auf die Teufelsinsel
geschickt worden sei, ist eine Annahme, die jeder Psychologie und allem
gesunden Menschenverstand ins Gesicht schlägt. Die antisemitische Bewegung war
in Frankreich 1894 sehr schwach – ihre Träger galten als lächerliche Personen.
Seitdem ist sie etwas stärker geworden, aber wesentlich infolge der »Campagne«;
und auch jetzt ist sie nicht annähernd so stark, wie in Deutschland, obgleich –
nach französischer Art – weit mehr Spectakel gemacht wird. Mich wird niemand
der Sympathie für die Antisemiten verdächtig halten, allein eine so hohe
Meinung ich von dem Judenhass der Herren Liebermann v. Sonnenberg, Böckel,
Ahlwardt und Genossen auch haben mag, das würde ich ihnen doch nie zutrauen,
dass sie, auf der Richterbank sitzend, einen Juden bloß deshalb, weil er ein
Jude ist, eines todeswürdigen Verbrechens schuldig erklären und auf die
»trockene Guillotine« schicken würden.
Ich weiß, es gibt »patriotische« Männer,
die da vermuthen, als »vaterlandsloser Geselle« schwärme ich für die
französischen Officiere, Generale und Kriegsminister. Ach nein. Das ist eine Menschenart,
die ich in Frankreich so wenig liebe, wie in Deutschland. Wenn mir aber jemand
erzählte: »Auf Drängen des Kriegsministers v. Goßler hat ein preußisches
Kriegsgericht einen deutschen Officier jüdischer Nationalität, wissend, dass er
unschuldig ist, der Spionage für Frankreich schuldig befunden, bloß weil er ein
Jude« – so würde ich den Erzähler für verrückt halten. Und die Urheber der
»Campagne«, die so viel darauf pochen, dass bei dem reichen Dreyfus kein
»Motiv« vorhanden gewesen sei – als ob Geld das einzige »Motiv« zum Verbrechen
wäre! – möchte ich doch daran erinnern, dass die Annahme, sieben französische
Officiere unter Anführung des Kriegsministers und unter Mitwirkung des ganzen
Generalstabs hätten einen kriegsrichterlichen Ritualmord verübt, – unendlich
widersinniger und widernatürlicher ist, als die Annahme, ein reicher Mann könne
das Verbrechen der Spionage für das Ausland begangen haben. Von wie vielen
reichen und sogar hochgestellten Landesverräthern gibt die Geschichte uns
Kunde!
Also
ich glaube nicht an die Unschuld des Dreyfus. Und ich will nun sagen, wie es
kam, dass ich an sie nicht glaube.
Dem Process des Jahres 1894 hatte ich nur
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Unter der Herrschaft des »bewaffneten Friedens«
blüht die internationale Spionage, namentlich zwischen Deutschland und
Frankreich so üppig, dass Spionenfänge und Spionenprocesse zu den
Alltäglichkeiten, wenn auch nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehören.
Erst im Herbst 1897, als die »Campagne« durch die bekannte Lazarus-Schrift
eröffnet ward, fing ich an, mich mit der Sache ernst zu beschäftigen. Die
Schrift hatte für mich nichts Ueberzeugendes. Wohl aber trieb sie mich vor die
Frage: Ist es wahrscheinlich, ist es denkbar, dass ein französischer Officier, der
eine einflussreiche Familie und Verwandtschaft hat, wegen eines Landesverraths,
den er nicht begangen hat, verurtheilt und fünf Jahre lang eingesperrt werden
kann? Ist es wahrscheinlich, ist es denkbar, dass die Regierung, für welche der
Verrath angeblich oder vermuthlich begangen wurde, es dulden kann, dass ein
Unschuldiger für diesen Verrath fünf Jahre lang gefangen und so behandelt wird,
wie Dreyfus behandelt worden ist?
Auf diese Frage musste ich mit Nein!
antworten. Ich kenne etwas von Spionenprocessen; ich habe selbst in
Spionensachen mehr als einmal als Richter functioniert, freilich nicht als
staatlicher, staatsamtlicher Richter. Ich weiß, dass in solchen Processen meist
nur ein Indicienbeweis erbracht werden kann, die Gefahr eines Justizirrthums
folglich sehr nahe liegt. Ich weiß aber auch, dass in Bezug auf die
Militärspionage der Regierungen eine Art ungeschriebenen Völkerrechts besteht,
dessen erster Paragraph lautet: Es wird spioniert auf Mord und Brand, allein
keine Regierung hat direct oder indirect etwas mit Spionen zu thun. Und nicht
nur keine Regierung, sondern auch kein Organ der Regierung.
Wird in der Tasche eines ertappten Spions
der eigenhändige Brief eines ausländischen Generals oder Ministers gefunden –
der Finder drückt (von Friedenszeiten ist die Rede) die Augen zu, und die
»hereingefallene« Regierung erklärt, wenn das Missgeschick ruchbar wird, kühn
und stolz unter dem Lächeln der Auguren, dass weder sie noch ihre Organe direct
oder indirect mit dem Spion etwas zu thun haben.
Diese Praxis, wie gesagt, ist
international. International ist aber auch eine andere Bestimmung dieses
ungeschriebenen Völkerrechts, nämlich, dass ein unschuldig der Spionage
Angeklagter sofort entlassen wird, wenn die Regierung, für welche der Verrath
begangen worden ist, in nichtamtlicher Form das Wort abgibt, dass der
Betreffende, so weit sie in Frage kommt, unschuldig ist.
Im Falle des Hauptmanns Dreyfus ist ein
solches nichtamtliches Wort nicht abgegeben worden, – sonst hätte man ihn nicht
für fünf Jahre auf die Teufelsinsel geschickt. So fand ich mich zu dem Schlusse
gedrängt, dass Dreyfus nicht unschuldig sei. Indes dieser Schluss genügte mir
nicht und ich verlegte mich fleißig auf das Studium der »Affaire«. Die deutsche
Justiz kam mir zu Hilfe: im November 1897 musste ich eine viermonatliche
Gefängnisstrafe antreten, und nun hatte ich die nöthige Muße. Der Zola-Process
fiel in meine Strafzeit, und da ich die Erlaubnis hatte, den ‚Temps‘ zu lesen,
der alles Material zu Gunsten des Dreyfus mit peinlicher Sorgfalt sammelte und
den stenographischen Bericht des Zola-Processes brachte, so gelangte ich in den
Besitz des Materials der »Affaire« und gewann eine ziemlich feste Grundlage des
Urtheils. Im Gefängnis liest man genau. Außer dem ‚Temps‘ durfte ich noch die
‚Kreuzzeitung‘ und die ‚Vossische Zeitung‘ lesen. So konnte ich den Stand der
Affaire in Frankreich und ihre Behandlung in Deutschland – überhaupt im
Auslande – beobachten. Hier fiel mir nun zunächst auf, dass die deutsche Presse
von Paris aus durchaus falsch unterrichtet wurde. Was z.B. die deutschen
Zeitungen über den Zola-Process schrieben, in dem der Hauptheld eine recht
lächerliche Rolle gespielt hat, war in groteskem Widerspruch mit den
Thatsachen. Und mit der angeblichen Parteilichkeit der französischen Regierung
gegen Dreyfus konnte es auch nicht so schlimm sein, denn das Regierungsblatt,
der ‚Temps‘, war entschieden für Dreyfus. Dann berührte mich sehr unangenehm
das blöde Geschimpfe auf Frankreich, die Franzosen und alles Französische. Wozu
dieser Appel an den gemeinsten Chauvinismus? Und was konnte dieses
Fischmarktgeschimpfe der Sache des Dreyfus nützen? War es überhaupt nicht
geradezu widersinnig, die »Campagne« für einen wegen Landesverraths
Verurtheilten in dem Lande zu führen, an das er sein Vaterland verrathen haben
sollte? Das war ja der reinste Aberwitz. Ich kam zu der Ueberzeugung, dass die
Sache des Dreyfus in schlechten Händen war. Und meine Zweifel an seiner
Unschuld wurden wesentlich gestärkt. Gemindert konnten sie nicht werden durch
die inzwischen bekannt gewordenen Erklärungen des deutschen Gesandten in Paris
aus dem Jahre 1894 und durch die neuen Erklärungen des Staatssecretärs Bülow.
Es waren das die conventionellen Formeln, die einfach die conventionelle Lüge
aussprachen, dass eine Regierung »weder direct noch indirect« mit Spionen etwas
zu thun hat.
So wenig ich die Führung der
»Revisions-Campagne« billigte, so war ich doch für die Revision – wie ich in
jedem Falle, wo sich ein Zweifel an der Schuld eines Verurtheilten erhebt, für
die Revision einzutreten mich verpflichtet halte.
Das Geschimpfe auf die »Fälscherbande«,
»Verbrecher«, »verkommenen Franzosen«, das an die wüstesten Orgien des
1870/71er Kriegsfanatismus erinnerte, verursachte mir aber einen so großen Ekel,
dass ich nach meiner Wiederfreilassung im Gespräche mit Befürwortern der
Dreyfus-Sache unter vier Augen äußerte, die Leiter der »Campagne« verdienten
Stockschläge für den Schaden, den sie ihrer eigenen Sache zufügten, und für den
Vorschub, den sie den Antisemiten und Reactionären aller Art leisteten.
Insbesondere die deutsche Presse hat arg gesündigt. Und liberale oder gar
demokratische Zeitungen haben eine »Franzosenfresserei« insceniert, die unsere
verbohrtesten Junker und Polizeipatrioten mit Neid erfüllen musste und nur in
deren Antisemitismus eine Begrenzung fand. Wurde die »Franzosenfresserei« doch
dem »Juden Dreyfus« zu Liebe und Ehren betrieben. Aber von der »Campagne« ein
andermal. Für heute nur noch kurz über das Ende der »Campagne«, der trotz allem
Geschreie eine zweite nicht folgen wird – wenigstens gewiss nicht im gleichen
Stil und mit gleichen Waffen.
Die Revision wurde erreicht – ein Resultat,
das jedoch nicht sowohl der »Campagne«, als der Entlarvung des Fälschers Henry
durch die bête noire der Revisionisten, den Kriegsminister Cavaignac zu
verdanken ist. Der neue Process kam und – Dreyfus ist zum zweitenmale
verurtheilt.
Natürlich heißt es jetzt: ein neuer Justizmord
sei begangen. Ist das so sicher? Mit den Einzelheiten des Processes will ich
mich nicht beschäftigen. Ich will nur feststellen, dass die Haltung des
Angeklagten auch auf seine Vertheidiger einen äußerst ungünstigen Eindruck
gemacht hat – ich verweise auf die Berichte der ‚Frankfurter Zeitung‘, die
gewiss nicht der Parteilichkeit gegen Dreyfus angeklagt werden kann. Ich stelle
weiter fest, dass die Indicienbeweise gegen Dreyfus bei weitem stärker und
wuchtiger waren, als allgemein angenommen worden war. Ich stelle ferner fest,
dass die Vertheidigung in den letzten Processtagen sich ihrer Schwäche so voll
bewusst war, dass sie in letzter Stunde das ganze Vertheidigungssystem
plötzlich änderte, was natürlich ebenso verhängnisvoll wirkte, wie eine plötzliche
Aenderung des Schlachtplans mitten in der Schlacht.
Bemerken muss ich allerdings, dass die
Schuld des Dreyfus nicht bewiesen wurde, – aber auch nicht seine Unschuld;
wobei indes festzuhalten ist, dass es bei Spionenprocessen nur in den seltensten
Fällen directe, positive Beweise gibt, weil diese meist in den Händen des
Feindes sind.
»Aber der Feind – in diesem Falle die
deutsche Regierung – hat ja die Unschuld des Dreyfus amtlich erklärt.«
So?
Am Morgen des Tags, wo das Urtheil in Rennes
gefällt werden sollte, kam ein Freund – ich war gerade auf Reisen – zu mir
gestürzt: »Dreyfus ist jetzt gerettet – die Reichsregierung hat seine Unschuld
bezeugt!« Er reichte mir die ‚Frankfurter Zeitung‘ mit der bekannten Erklärung.
Ich las diese, fand nur eine Wiederholung der früheren Erklärungen und sagte
dem Freund: »Du irrst Dich! Das ist die Verurtheilung des Dreyfus!«
Und Dreyfus wurde verurtheilt. Ein Wort der
deutschen Regierung hätte ihn gerettet, wenn sie ihn unschuldig wusste, und
dieses Wort ist nicht gesprochen worden. Die conventionelle Formel deckte nur
die deutsche Regierung, nicht Dreyfus. Und wie mag Hohenlohe und mag Bülow
gelacht haben, als sie in den Zeitungen lasen, die Verurtheilung sei angesichts
der Erklärung im ‚Reichsanzeiger‘ eine Insulte der deutschen Regierung, des
Kaisers und des Reichs! Hätte man die Erklärung in Frankreich für etwas Anderes
genommen als eine conventionelle Formel, so hätten die französischen
Kriegsrichter und Behörden ihrem Verstand und Wissen ein sehr schlechtes
Zeugnis ausgestellt.
Und hier ein kleines Erlebnis. Ein
Reisender besteigt mit seiner Frau und einer Freundin derselben in Paris ein
Coupé – Pardon – Pardon! Verzeihung – ein Abtheil erster Classe des
Nachtschnellzugs nach Belgien und Deutschland. Es war vor x Jahren, nicht gar
zu lang her. Im Augenblick, wo der Zug sich in Bewegung setzt, springt ein
hochgewachsener Herr in das Abtheil und wirft sich, nach flüchtigem Gruß, in
die vierte Ecke. Der Mann ist offenbar sehr erregt, bei der Hast seines Kommens
nichts Auffallendes.
Der Fremde sprach kein Wort und hielt die
Mütze über das halbe Gesicht herabgezogen, so dass man hätte meinen können, er
schlafe, wenn nicht nervöse Bewegungen gegen die Annahme gesprochen hätten.
Als die erste belgische Station ausgerufen
ward, schnellte der Fremde wie ein Gummiball empor, riss das Fenster auf und
rief mit zusammengepresster Stimme: »Sind wir in Belgien?« »Ja!« Dieses »Ja!«
wirkte wie ein elektrischer Schlag. Der Fremde warf die Mütze ab, sprang mit
dem Ruf: »Gott sei Dank! Jetzt bin ich sie los!« in die Luft, wurde verlegen
und entschuldigte sich vor uns: »Ich bin ja unter Landsleuten! Französische
Spione waren hinter mir her, ich dachte nicht, dass ich ihnen entschlüpfen
würde! Und jetzt bin ich in Sicherheit!«
Und er erzählte mir – mit einer
Offenherzigkeit, die sich theils aus der erlittenen Seelenangst, theils aus dem
Glauben erklärte, mit Leuten zusammen zu sein, auf deren Sympathie er rechnen
könne. (Seine Vertrauensseligkeit ist auch nicht missbraucht worden.) Genug –
er war als Freiwilliger nach Paris gegangen, um gewisse militärische
»Geheimnisse« näher zu erforschen, und war französischen »Collegen« oder
»Kameraden«, die ähnliche Dienste gegen Deutschland leisteten, verdächtig geworden.
In der Beichte fiel mir besonders auf, was er über die letzte Unterredung mit
einem – Vorgesetzten in Deutschland mittheilte. Er war gewarnt worden: »Was Sie
thun, thun Sie auf eigene Gefahr. Wenn Sie gefasst werden – wir haben weder
direct noch indirect etwas mit Ihnen zu thun.« –
Nun – die französische Regierung hat Dreyfus
begnadigt. Das war nicht logisch, aber vernünftig. Und wer von der großen
»Campagne« her noch etlichen Vorrath von Mitleid und Entrüstung hat, der
verwende ihn für die Wiederaufnahme des Essener Meineidsprocesses, in dem
Schröder wegen eines Meineids verurtheilt ward, der unmöglich vorhanden sein
konnte, oder für den unglücklichen Ziethen, der zweifellos unschuldig ist und
seit 15 – ich schreibe: fünfzehn – Jahren im Zuchthaus sitzt, wo der Aufenthalt
noch weit weit weniger angenehm ist, als auf der Teufelsinsel.
Berlin, den 25. September 1899.
W.
Liebknecht.
Anmerkung:
Ergänzend wird auf die Beiträge „Alfred Dreyfus“ und „Alfred Dreyfus (2)“ auf
dieser Weltnetzseite hingewiesen. Bei der Ausleuchtung der Hintergründe wird
m.E. viel zu oft übersehen, daß Dreyfus nicht nur Jude, sondern auch Freimaurer
war; er hatte schon 1893 den 31. Grad der Loge erreicht, stand also nur zwei
Stufen unter dem allerhöchsten, dem 33. Grad (Schottischer Ritus).
Bemerkenswert
ist auch, was Theodor Herzl, der Begründer des politischen Zionismus und Alfred
Rosenberg, der in Folge des Nürnberger Prozesses hingerichtete Reichsminister
für die besetzten Ostgebiete zu Dreyfus erklärten:
Herzl
anlässlich Dreyfus’ Degradierung: „Da war mir’s, als wäre mein Platz bei ihm,
bei dem Verräter dort, was immer er auch verraten hätte!“
Rosenberg
1921: „Die für die Judenheit so peinliche Affäre des jüdischen Hochgradmaurers
Dreyfus ist natürlich von der hebräischen Weltpresse mit all ihrer Verlogenheit
behandelt worden. Da ist es gut, daran zu erinnern, daß alle Belastungszeugen
eines merkwürdigen Todes starben. Einer wurde tot auf den Schienen gefunden,
ein zweiter vergiftet im Waggon; zum Schließer im Gefängnis hatte Dreyfus in
einmaliger Zerknirschung gesagt: ‚Ich bin schuld, aber ich bin nicht allein
schuldig.’ Auch dieser Mann – starb.“
Weitere
ähnliche Mosaiksteine finden sich später beim merkwürdigen Zeugensterben nach
dem Mord an John F. Kennedy und bei den belgischen Kinderfickern. Weiterhin
beachte man, wie das internationale Judentum Himmel und Hölle in gang gesetzt
hat, um den wegen Spionage für Israel zu lebenslanger Haft verurteilten
Jonathan Pollard aus dem Gefängnis zu bekommen. Nachdem US-Präsidenten eine
Begnadigung verweigerten – u.a. weil ein CIA-Direktor mit Rücktritt drohte –
verlegte man sich darauf, Pollard als zweiten Alfred Dreyfus hochzustilisieren.