Volkspädagogik contra historische Wahrheit
Hermann Graml hat den zweiten
Band der Festschrift für Werner Jochmann mit einem Aufsatz "Zur Genesis
der Endlösung" eingeleitet, der zunächst polemisch zu der These David
Irvings Stellung nimmt, Hitler sei über die Judenvernichtung nicht oder nur
höchst unzureichend informiert gewesen, und er wendet sich auch ausdrücklich
gegen die Aufsätze von Broszat und Mommsen, auf die weiter unten einzugehen
ist. Aber im Kern vertritt er die Auffassung, die als die nächstliegende zu
bezeichnen ist: man müsse von dem modernen Antisemitismus der Wilhelm Marr und
Eugen Dühring ausgehen, die die immerhin begreifliche Auffassung weiter Kreise,
daß die Juden ‑ objektiv wegen »des jüdischen Vorsprungs in emanzipatorischem
Denken und Handeln« - Symbolfiguren von ungeliebten Modernisierungsprozessen
seien, in eine Ätiologie von »Krankheitserregern« fortbildeten, so daß eine
begrenzte Regelung der »selbstgeschaffenen Judenfrage« nicht mehr möglich
schien, wie schon der Satz Lagardes zeige: »Mit Trichinen und Bazillen wird
nicht verhandelt, Trichinen und Bazillen ... werden so rasch wie nur möglich
vernichtet.«
Der nationalsozialistische
Antisemitismus war also nichts wirklich Neues, obwohl er einige zusätzliche
aktivierende Impulse in sich aufnahm wie etwa die sozialdarwinistisch modifizierte
Rassenlehre, den Antibolschewismus und die Idee der Verschwörung des
internationalen Judentums zur Vernichtung der arischen Rasse. In den Stationen
der nationalsozialistischen Judenverfolgung dürfe daher nicht ein Prozeß der
Radikalisierung gesehen werden, sondern es handle sich um einen »Reifungs‑
und Entfaltungsprozeß einer ihrem Wesen nach radikalen Überzeugung«. Die Stärke
der zugrundeliegenden Überzeugung darf nach Graml nicht verkannt werden: »Nur
die Kraft einer außergewöhnlich stark entwickelten Überzeugung vermochte der NS-Judenverfolgung
eine Dynamik zu geben, die wieder und wieder mit außenpolitischen,
wirtschaftlichen und militärischen Interessen in Konflikt geriet und solche
Interessen oft genug verletzte oder völlig ignorierte«. Nur deshalb konnte der
Prozeß, dessen logisches Telos die »Endlösung« als physische Vernichtung war,
in weniger als neun Jahren ablaufen. Es ist unrichtig, daß Eichmann und die
Mitglieder der Einsatzgruppen keine Antisemiten gewesen seien. Schon der
Madagaskar‑Plan war ein Vernichtungsplan. Geradezu töricht ist die
Vorstellung, Hitler und seine Leute seien gewillt gewesen, in dem eroberten
Ostraum, aus dem sie 40 Millionen Slawen vertreiben wollten, einige Millionen
Juden anzusiedeln. Bei der Wannsee‑Konferenz wurde zwar nicht dem
Protokoll nach, wohl aber nach den späteren Aussagen Eichmanns von "Töten"
und "Vernichten" gesprochen. Die Massentötungen der Einsatzgruppen
waren nicht exorbitante Präventivmaßnahmen der Kriegführung, sondern sie
stellten einen Teil der »Endlösung« dar. Es gibt nicht den geringsten Grund, an
den häufig wiederholten Versicherungen Himmlers zu zweifeln, er tue nichts, was
der Führer nicht wisse, oder: der Führer habe die Durchführung dieses »sehr
schweren« Befehls auf seine Schultern gelegt.
Nicht minder entschieden
äußerst sich Eberhard Jäckel in dem von ihm selbst und Jürgen Rohwer
herausgegebenen Sammelwerk "Der Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg"
und zwar in zwei Diskussionsbeiträgen. Es handelt sich um die Publikation der
Beiträge zu einem Kongreß, der 1984 in Stuttgart stattgefunden hat. Ich nenne
den Titel auch deshalb, weil hier eine Anzahl von Historikern zusammenkamen,
deren Werke viel zur Darstellung und Interpretation der nun meist schon
»Holocaust« genannten »Endlösung« beigetragen haben: Saul Friedländer, Karl Schleunes,
Helmut Krausnick, Wolfgang Scheffler, Yehuda Bauer und andere, an erster Stelle
Raul Hilberg, dessen monumentales Buch "Die Vernichtung der europäischen
Juden" seit seinem ersten Erscheinen im Jahre 1961 als »das« Standardwerk
gilt. Eberhard Jäckel wiederum hatte seine Einschätzung der fundamentalen
Wichtigkeit von Hitlers Ideologie in dem Buch "Hitlers Weltanschauung"
umrissen, das von vielen Historikern, wenngleich nicht von ihm selbst, als der
entscheidende Durchbruch zu dieser Thematik betrachtet wird.
In seinem Stuttgarter
Diskussionsbeitrag weist Jäckel darauf hin, daß »Göring, Himmler, Goebbels und
viele andere« Bedenken hatten, als die Tötungen in Gang gesetzt wurden, und er
führt auch jene Tagebucheintragung von Goebbels vom 27. März 1942 an. Mithin
muß man auf der einen Seite so gut wie alle Paladine sehen, die entsetzt waren,
als der Gedanke einer »systematischen Tötung der Juden durch den Staat« in die
Tat umgesetzt werden sollte, und auf der anderen Seite Hitler allein. Hitler
auf den zweiten Platz zu verweisen sei völlig ungerechtfertigt, und man müsse
wohl sagen, daß dafür »moralische, vielleicht sogar volkspädagogische Gründe«
maßgebend seien.
Moralische und
volkspädagogische Motive lassen sich tatsächlich in Martin Broszats Aufsatz "Hitler
und die Genesis der Endlösung" nicht übersehen, der wohl erstmals und
jedenfalls auf die wirkungsvollste Weise die funktionalistische Auffassung
formulierte. Broszats Ausgangspunkt ist David Irvings Buch "Hitler und
seine Feldherren", das nichts anderes als eine Apologie Hitlers von seiten
eines anerkannten Forschers darstelle, eine Apologie, in welcher die »Unperson«
Hitler und dessen »heillos menschenfeindliche Egozentrik« zum Verschwinden
gebracht werde, indem die immer noch verehrungsvolle Perspektive der nächsten
Mitarbeiter Hitlers weithin übernommen werde.
Aber Broszat scheut sich
nicht, Mängel unseres Wissens hinsichtlich der Endlösung einzuräumen, und er
weigert sich, den Hinweis auf Hitlers ideologischen Fanatismus schon für die
adäquate Erklärung der tatsächlichen Vorgänge zu halten. Von zentraler
Bedeutung sei, daß Hitler Mitte Oktober 1941 endgültig die Deportation der
deutschen und tendenziell auch der westeuropäischen Juden befahl bevor ein Plan
ausgearbeitet war, was mit den in »den Osten« verbrachten Menschen überhaupt
geschehen solle. Unter Berufung auf Uwe Dietrich Adams Studie "Zur
Judenpolitik im Dritten Reich" von 1972 stellt er die These auf, daß die
physische Liquidierung der Juden »stück‑ und schubweise in Gang gesetzt«,
d. h. weitgehend »improvisiert« worden sei und daß auch die Ermächtigung
Görings vom 31. Juli 1941 nicht auf die physische Liquidierung der Juden
ausgerichtet gewesen sei. Broszat beruft sich auf den eben zitierten Brief
Höppners, der ja in der Tat den Gedanken nahelegt, nur die »Säuberung«
Deutschlands und Europas von Juden sei Hitlers klar artikulierte Absicht
gewesen und das weitere Verfahren habe er den Gefolgsleuten der unteren Ebene
überlassen, die dann tatsächlich, wie Höppner, aus »humanen Motiven« die
Massentötung als realistischen Ausweg gewählt hätten. Daher nimmt Broszat an,
»daß es überhaupt keinen umfassenden allgemeinen Vernichtungsbefehl gegeben
hat, das Programm der Judenvernichtung sich vielmehr aus Einzelaktionen heraus
bis zum Frühjahr 1942 allmählich institutionell und faktisch entwickelte und
nach der Errichtung der Vernichtungslager in Polen (zwischen Dezember 1941 und
Juli 1942) bestimmenden Charakter erhielt.« Nach Broszat könnte also die
»Endlösung« sehr wohl als ein »Detail im Zweiten Weltkrieg« bezeichnet werden,
denn er behauptet, sie sei »auch« als Ausweg aus einer Sackgasse entstanden, in
die man sich selbst manövriert hatte.
Allerdings führt Broszat
ebenfalls eine ganze Anzahl von "aggressiven, Hitlers Destruktionswillen
klar bekundenden Äußerungen zur Judenfrage" an, so daß der mögliche
Verdacht, auch Broszat betreibe eine Apologie Hitlers ‑ und zwar durch
eine »Herabstufung« seiner Rolle ‑ unbegründet erscheint, zumal er sich am
Schluß wieder der Polemik gegen Irving zuwendet. Damit gelangt er letzten Endes
doch wieder zu der alleinigen Letztverantwortung Hitlers zurück, und es bleibt
nicht viel mehr als die unbestreitbare Tatsache übrig, daß Hitler bei der
Judenvernichtung aus oftmals unterschiedlichen Motiven und aufgrund
selbstverschuldeter Realitäten, etwa der Entwicklung der Ghettos zu »Seuchenherden«,
»so viele >Mittäter< und >Helfer< fand.
Bei der Lektüre von Hans
Mommsens Aufsatz "Die Realisierung des Utopischen: Die >Endlösung der
Judenfrage< im Dritten Reich" kann man den Eindruck gewinnen, diese
Mittäter und Helfer seien die eigentlichen Täter gewesen. Wenn Mommsen Hitler
schon seit langem als einen »schwachen Diktator« charakterisiert hatte, so
stellt er ihn in diesem Aufsatz als eine Art Träumer dar, der sich scheut, aus
der »ideologischen Scheinwelt«, in der er lebte, zur praktischen Tat, zur
»Realisierung« überzugehen, und es seinen Gefolgsleuten überließ, das zu
verwirklichen, von dem sie annahmen, daß der Führer es wünsche. Dabei hatte
sich Hitler immer eher als ein Gemäßigter gezeigt, sobald konkrete
Handlungsalternativen in Frage standen, und daher betont Mommsen mit Nachdruck,
er vertrete mit Broszat »den metaphorisch-propagandistischen Charakter der
einschlägigen Hitlerschen Äußerungen, der einer Konkretisierung der Ausrottung‑Metapher
entgegensteht«.
So war nach Mommsen im
Frühjahr 1940 ein Gesamtprogramm für eine exterminierende »Endlösung« noch
keineswegs vorhanden, und das Madagaskar‑Projekt war nicht eine
Verschleierung mörderischer Absichten. Der Einsatz von Gaswagen diente
ursprünglich der Abstellung von Unzuträglichkeiten bei den Massenerschießungen,
und der Wunsch, »humaner« zu verfahren, als es beim Verhungernlassen der Fall
gewesen wäre, war kein bloßer Vorwand. Sogar fanatische Antisemiten
protestierten gegen die systematische Zuendeführung des Vernichtungsprogramms,
und jeder einzelne Beteiligte wäre vermutlich zurückgeschreckt, wenn er das
Ganze hätte überblicken können. Aber die Segmente des nationalsozialistischen
Machtapparates trieben sich in ihrem unkoordinierten Nebeneinander gegenseitig
zu immer schlimmeren Extremen, so daß es zu einer »kumulativen Radikalisierung«
des Prozesses kam. So handelte es sich beim Holocaust um eine »perfekte Improvisation,
die jeweils aus früheren Planungsstufen hervorging und diese eskalierte. Einmal
voll in Gang gesetzt, entfaltete die Vernichtung der Arbeitsunfähigen eine
eigene Dynamik.« Nach Mommsen sind weit
mehr Menschen für den Holocaust verantwortlich als Hitler allein, und daraus
ergibt sich eine Gesamtverantwortung der deutschen Oberschichten, welche weit antisemitischer waren als die
Bevölkerung im ganzen. Und letzten Endes sieht Mommsen im Holocaust ein
Zeichen für die »anhaltende Gefährdung auch vorgeschrittener
Industriegesellschaften«, die »in manipulativer Verformung der öffentlichen und
privaten Moral« bestehe.
Das moralische und nationalpädagogische Motiv, von dem Graml spricht, ist
also sehr klar zu erkennen, denn je eindeutiger Hitler der Urheber und
Initiator der »Endlösung« ist, um so schwieriger wird es, eine größere Anzahl
von Menschen mit Schuld zu beladen und zur Umkehr aufzurufen. Was faktisch eine
sehr weitgehende Entlastung und insofern eine Apologie Hitlers ist, wird
offenbar für die Öffentlichkeit dadurch akzeptabel, daß der Schuldvorwurf auf
die deutschen Oberschichten, aber doch wohl schwerlich auf die gesamte
Bevölkerung »auch« der »vorgeschrittenen« ‑ der »kapitalistischen«?
Industriegesellschaften ausgedehnt wird. Insofern durfte Mommsens
Interpretation des »Holocaust« eine Version der altüberlieferten
sozialistischen Auffassung sein, die ja immer gegen die Hervorhebung der Rolle
einzelner Menschen und für die Unterstreichung der Wichtigkeit herrschender
Klassen und beherrschter Massen war. Mithin liegt »subjektiv« keinesfalls eine
HitlerApologie vor.
Ich übergehe weitere
Kontroversen, vor allem um den Zeitpunkt, zu dem der Führerbefehl erteilt
wurde, sofern es einen solchen Befehl gegeben hat ‑ zweifellos eine
wichtige Kontroverse, denn von ihrer Entscheidung hängt die Antwort auf die
Frage ab, ob der Entschluß zur Judenvernichtung ein Resultat des Triumphgefühls
im Sommer 1941 oder aber der Vorahnung der Niederlage sechs Monate später war,
Für Hans Mommsen kann das jedoch keine sinnvolle Kontroverse sein, da es nach
seiner Meinung einen solchen Führerbefehl nie gegeben hat. Aber nicht jedermann
hat aus dieser Prämisse den Schluß gezogen, daß die deutschen Oberschichten
oder das deutsche Volk oder vielleicht der Kapitalismus die eigentlich
Schuldigen seien. Man kann nämlich auch
einen Schritt in die umgekehrte Richtung tun und behaupten, eine »Endlösung der
Judenfrage« im Sinne einer systematischen Extermination habe es nie gegeben, es
handle sich vielmehr um eine Erfindung der alliierten Kriegspropaganda. Diesen
Schritt haben die sogenannten (radikalen) Revisionisten getan, und die These
von Hans Mommsen ist wissenschaftlich schwerlich zu halten, das »rechtsradikale
Schrifttum« könne nur ignoriert werden, weil es nicht unter den Begriff der
»ernsthaft betriebenen Forschung« zu subsumieren sei.
Quelle:
"Streitpunkte" von Prof. Dr. Ernst Nolte, Berlin 1993
Anmerkung:
Jeder unbefangene Zeitgenosse muß sich fragen, wie konnte es dazu kommen, daß
ein so hochqualifizierter Wissenschaftler mit ausgewogener Urteilskraft wie Professor Nolte von den
bundesrepublikanischen Systemmedien so in den Dreck gezogen wurde. Man kann
vermuten, daß die weit fortgeschrittene Judaisierung unserer
"gesellschaftlich dominierenden Kräfte" die Schuld dafür tragen. Es
ist also immer noch nicht opportun, darauf hinzuweisen, daß es an der Zeit ist,
die Ära des Nationalsozialismus zu historisieren, die Schuld und Verantwortung
für die Judenvernichtung nicht bei dem ganzen deutschen Volk zu suchen und sich
ernsthaft auch mit den Thesen der Revisionisten auseinanderzusetzen. Deshalb
erscheint es dringend geboten, an dieser Stelle erneut darauf hinzuweisen, mit
welcher grundlegenden Wahrheit Sebastian Haffner bereits 1978 seine
"Anmerkungen zu Hitler" abschloß:
"... Und
noch weniger gut ist, daß viele Deutsche sich seit Hitler nicht mehr trauen,
Patrioten zu sein. Denn die deutsche Geschichte ist mit Hitler nicht zu Ende.
Wer das Gegenteil glaubt und sich womöglich darüber freut, weiß gar nicht, wie
sehr er damit Hitlers letzten Willen erfüllt."
Das deutsche
Volk - ohne seine korrupte, kapitalistische - einst antisemitische -
Führungsschicht - hat es nicht nötig, das Licht seiner glänzenden Kultur und
seiner 1000jährigen Geschichte nur wegen eines größenwahnsinnigen, syphilitischen
Österreichers mit einem jüdischen Großvater unter den Scheffel zu stellen.