Tejas Tod
Gotenende NACH PROKOP
König Teja hatte sich mit dem
Rest der Goten auf den Milchberg am Vesuv zurückgezogen, um sich hier, durch
Lavafelsen geschützt, des übermächtigen Heeres der Feinde unter Narses zu
erwehren. Nur eine schmale Scharte stand offen, und diese Scharte war hinfort
der einzige Zielpunkt für die Tausende von Angreifern. Im Ehrenamt, diese
Scharte zu decken, wechselte Teja mit seinen allerengsten Getreuen ab; wie ein
grimmer Kampfbär vor seiner Höhle stand er hier und verbreitete Schrecken.
Sobald sein Schild von Pfeilen gespickt war, ließ er sich vom Waffenträger
einen neuen reichen. Dazwischen schleuderte er Speer um Speer, und wenn ihm die
Gegner zu nahe kamen, ließ er seine weit berühmte, gefürchtete Streitaxt
niedersausen. So häufte sich im Lauf der Wochen ein Wall von erschlagenen
Feinden vor der unbezwinglichen Scharte. In der Augusthitze stiegen Schwaden
von Verwesungsgestank auf und trübten den Kämpfern beinahe das Bewußtsein.
Nicht minder wurden sie von Rauch‑ und Schwefeldämpfen belästigt, die der
Seewind vom Feuerschlund des Berges abwärts trieb ins Gotenlager. Keine Quelle
rieselte aus dem zerklüfteten, schrundigen Gestein, kein grünes Kraut sproßte
mehr zur schmalen Kost oder als linderndes Wundmittel. Vom Durst gedörrt, von
der Hitze ermattet, von Schrunden und Wunden zerrissen, von giftigen Dünsten
beinahe betäubt, sah das Häuflein seine letzte Stunde kommen. In solch höchster
Not aber dachten sie nach Heldenart, es sei besser, den Tod in offener Schlacht
zu suchen als Hungers zu sterben. Unerwartet brachen sie vor aus der Scharte
und stürmten zum letzten Angriff auf die Feinde, eine todgeweihte Schar.
Wie in diesem Kampfe Teja, der
Führer, kämpfte und fiel, das hat uns ein feindlicher Augenzeuge Wort für Wort
überliefert; und dieses Lob aus Feindesmund gleicht einer ehernen Denktafel für
den letzten Gotenhelden. Prokop, der Geschichtsschreiber des Gotenkrieges auf
byzantinischer Seite, schreibt:
"Jetzt komme ich dazu, zu
erzählen von einer Schlacht, die würdig ist, im Gedächtnis der Menschen bewahrt
zu werden, und von dem Heldentum eines Mannes, der in nichts einem der alten
Heroen nachsteht. Von Teja will ich reden. Den Goten verdoppelte die
Verzweiflung Mut und Kraft. Die Römer sahen wohl ihren todverachtenden, rasenden
Grimm, aber sie widerstanden mit allen Kräften, weil sie sich schämten, dem
schwächeren Gegner zu weichen. Früh am Morgen begann die Schlacht. Weithin
kenntlich stand Teja mit wenigen Begleitern vor seinem Heerhaufen, von seinem
Schilde gedeckt und die Lanze schwingend. Als die Römer ihn sahen, meinten sie,
mit seinem Fall werde der Kampf sofort zu Ende sein, und deshalb gingen gerade
die tapfersten, sehr viele an der Zahl, geschlossen gegen ihn vor, und sie
warfen und stießen alle mit den Speeren nach ihm. Er aber fing alle Speere mit
dem Schild auf, der ihn deckte, und tötete viele in blitzschnellem Sprung.
Jedesmal wenn sein Schild von aufgefangenen Speeren ganz voll war, reichte er
ihn einem seiner Waffenträger und nahm einen anderen. So focht er ein Drittel
des Tages unablässig. Da ereignete es sich, daß in seinem Schild zwölf Speere
hafteten, so daß er ihn nicht mehr beliebig bewegen und die Angreifer nicht
mehr damit zurückstoßen konnte. Laut rief er einen seiner Waffenträger herbei,
ohne seine Stellung zu verlassen oder nur einen Finger zurückzuweichen. Keinen
Augenblick ließ er die Feinde weiter vorrücken. Weder wandte er sich so, daß
der Schild den Rücken deckte, noch bog er sich zur Seite; sondern wie mit dem
Erdboden verwachsen stand er hinter dem Schilde da, mit der Rechten Tod und
Verderben gebend, mit der Linken die Feinde zurückstoßend ‑ so rief er
laut den Namen des Waffenträgers. Dieser trat mit dem Schilde herzu, und er
nahm ihn sofort an Stelle des speerbeschwerten. Nur einen kurzen Augenblick war
dabei seine Brust entblößt, aber gerade da traf ihn ein Speer, und er sank
sogleich tot zu Boden."
Die Goten kämpften trotzdem
weiter bis zum Einbruch der Nacht. Und am folgenden Tag erhoben sie sich früh,
nahmen dieselbe Aufstellung und kämpften wieder bis zur Nacht. Keiner wich dem
anderen auch nur um eines Fußes Breite, obgleich auf beiden Seiten viele den
Tod fanden. Sie taten es in dem erbitterten Bewußtsein, den letzten Kampf zu
kämpfen.
Zuletzt schickten sie einige
von ihren Edlen zu Narses und erklärten, sie hätten nun wohl gezeigt, daß sie
zu sterben verständen für ihre Freiheit. Sie wollten jetzt vom Kampf ablassen,
wenn sie nicht als Gefangene und Untertanen des Kaisers, sondern in Freiheit
und Ehre abziehen dürften. Narses wollte seinem wohl zehnmal größeren Heer
weitere Verluste ersparen und sagte es ihnen großmütig zu. Da zogen die letzten
Goten in Ehren ab, den Weg, den sie einst gekommen. In einsamen Alpentälern
verloren sie sich.