Strasser-Mordnacht - Die
Röhm-Affäre
"Hitlers Rassenlehre ist mir ganz einfach
Mist." Ernst Röhm 1930
Nach einigen Tagen war der
Alte (der Vater des Autoren Hennecke
Kardel, der als Rektor einer Mittelschule von den Nazis verhaftet worden war,
weil er das "blutrünstige" Horst-Wessel-Lied von den Ohren seiner
Schüler fernhalten wollte) wieder daheim ‑ aus der
"Schutzhaft" entlassen. Vor unserem Volke brauchte er nicht geschützt
zu werden ‑ die ältesten NSDAP-Mitglieder hatten sich für den "äusserst
fähigen Pädagogen" eingesetzt. Der sprach väterlich mit den Kindern,
freundlich mit den Eltern und Platt mit den Bauern. Ende des Jahres war die
"elegante Lösung" gefunden: Rückstufung zum Mittelschullehrer mit
Rektorengehalt und Abschiebung ins damals noch preussische Altona nahe Hamburg.
Seine dortigen Schüler waren meine Jahrgangskameraden, sie erzählten mir:
"Die Lehrer kommen morgens in den Klassenraum, heben den rechten Arm mit
einem lauten "Heil Hitler". Dein Alter hebt auch die Hand, sagt aber
dabei: "Heil ihr Jungens, setzt euch." Und senkt den Arm.
Unsere Familie wohnte nahe dem
Altonaer Hauptbahnhof in einer Fünfzimmerwohnung, ein Haus aus Kaisers Zeiten.
Mich steckte man ins Gymnasium und es kam, wie es kommen musste: drei Jahre
Quarta mit den beiden Wiederholungen. Dann war ich endlich bei den
Gleichaltrigen, baute schliesslich auch das "Kriegs"‑Abitur mit
Ach und Krach und Achtzehn.
Nicht weit wohnten die Eltern
meines Vaters, meine Grosseltern, in einem kleinen eigenen Haus in einer Senke.
Nach vorne zur Kieler Strasse ging der Blumen‑, nach hinten der
Gemüsegarten. Der "Opa" importierte aus der Südsee etwas zum
Besenbinden, schiffsladungsweise. Solange Arbeitslosigkeit in Deutschland
herrschte, gingen seine Geschäfte gut ‑ die Heimarbeit. Jetzt verdiente
er bedeutend weniger, von Tag zu Tag weniger. Somit war und blieb der Graukopf
ein Hitler‑Gegner, in meinen Augen ein "Bürgerlicher".
"Siehst du", sagte
ich meinem Alten beim Gang zur Schlittschuhbahn an der Allee, "wie es
aufwärts geht. Früher stand gegenüber deinem Vaterhaus vor dem Flachbau, dem
Arbeitsamt, die Schlange der Arbeitslosen, 600 Meter weit bis zur Brücke. Heute
dödelt der Bau vor sich hin". In der Tat: Die 11 wöchentlichen Reichsmark
ohne Arbeit für einen Familienvater hatten sich mit Arbeit auf zunächst 14,
jetzt bereits auf 25 Reichsmark erhöht. "Macht Hitler Krieg?" frug
mein Vater zurück.
Beim Grossvater Kardel in
Altona (der andere von Mutters Seite war Sattler-Meister in Husum, im
Nebenberuf auch Feuerwehr‑Hauptmann, hatte in Potsdam bei der Garde
gedient, war Monarchist geblieben) hatten sich einquartiert der arbeitslose
Taxifahrer Klimkeit und der ebenfalls arbeitslose Schiffsoffizier Krull. Sie
wohnten bei ihm, liessen sich auch von der Grossmuter bekochen. Doch hing an
allem eine Bedingung: abendliches Skatspiel mit drei bis sechs Flaschen Holsten‑Bier
pro Mann. Gemeinsam schimpften sie auf den "Parvenu" und meinten
damit Hitler. Wer für sechs Monate zum freiwilligen Arbeitsdienst (FAD)
gegangen und wer Moore entwässert hatte, der bekam auch Arbeit. Braungebrannt
kehrten sie aus dem Holsteinischen zurück. Klimkeit fuhr bald wieder Taxi und
Krull zur See, als Kapitän. Beide heirateten. Es kamen mehrere Kinder ‑ "bevölkerungspolitische
Blindgänger" waren beide nicht.
Meinen
Sportlehrer auf dem Gymnasium kannte ich aus Wesselburener Tagen. Damals hatte
der Heider Gymnasiast mich Fünfjährigen vorne auf der Lenkstange seines Fahrrades
mitgenommen, durch seine Röhre auf der Dachkammer hatte er mich den Saturn und seine
Ringe bestaunen lassen. Jetzt war er SA‑Mann und auf einem Gang nach
Hause beschwerte er sich: "Der Hitler bescheisst uns. Was steht im
Parteiprogramm: Wir fordern die Bildung eines Volksheeres. Und jetzt?" er
redete weiter: "Wer sind denn seine Minister? Von Neurath, von Papen, von
Eltz‑Rübenach, von Blomberg, von Krosigk, von Helldorf und noch mehr
davon mit dem blauen Arschloch (ein gängiger SA-Ausdruck)."
Er sprach weiter: "Unser
Stabs‑Chef Röhm will ein Volksheer, gebildet aus Reichswehr und SA. Wir
wollen keinen Krieg, keinen Angriffskrieg jedenfalls". "Nichts
dagegen", sagte ich, "wozu sollen wir Jungen sterben? Meine Familie
hatte vor Verdun im Ersten Weltkrieg sieben Gefallene. An der Knochenmühle
drehten die Generäle beider Seiten, in den Schlössern soffen sie abends ihren
Champagner ‑ das sagten mir in Büsum zwei Krabbenfischer, die im Krieg
gewesen sind."
Dann kam der Schlag ins
Kontor: Wir Schüler tobten im Sommer 1934 in Nieblum auf Föhr herum, dort lag
unser Schullandheim. Dräger, Sohn eines Reichswehroffiziers, kam die Treppe
heruntergesaust, es war um die Mittagszeit des ersten Juli: "Wir von der
Reichswehr haben gewonnen! Deine SA, Kardel, ist erledigt, die Chefs sind
erschossen worden, wir werden jetzt Panzer bauen, ich habe eben mit meinem
Vater telephoniert. Der Röhm mit seinen Scheiss-Abwehr‑Kanonen röchelt
noch vor sich hin. Und sein Ideologe Gregor Strasser biss in der Gegend von
Berlin ins Grass."
Klassenkamerad Strube, Sohn
eines Arztes vom Eimsbüttler Schulterblatt, ging als 13‑ oder 14jähriger
an Bord der väterlichen Yacht in Travemünde und floh damit über die Ostsee nach
Schweden. Drei Jahrzehnte später trafen wir uns wieder ‑ im "Rif-Hotel"
Tangers. "Was wurde aus deinen Brüdern" frug er mich.
"Gefallen!" "Was sagte ich damals?" hatte Strube
Oberwasser. Seine Schwiegermutter giftete herum, sie war Schwedin, meinen
Strube zog sie weg, als wir zur Bar zogen: "Sprich nicht mit einem alten
Nazi." Diesen Klassenkameraden sah ich nicht wieder.
Der berührnte "RÖHM‑Putsch"
in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 hat als Putsch der SA nie
stattgefunden. Vorgesehen war in Bayern ‑ dem Ursprungsland der SA ‑
eine Bewillkommnung des Duzfreundes Adolf Hitler durch Ernst Röhm Dabei sollte
hingewiesen werden auf drei Eckpunkte: "Zweite Revolution",
"Verteidigungs‑ statt Angriffsheer", "Achtung vor Juden,
die im Ersten Weltkrieg als Frontsoldaten gekämpft hatten." Bei Röhm gab
es jüdische SA‑Führer im Generalsrang. Die Aussprache endete in einem
Blutbad ‑ unter persönlicher Leitung durch Adolf Hitler. Wild riss er die
Türen auf für die Mord‑Kommandos. Schreibtischtäter war "Adolf"
nicht, 200 Tote blieben auf der Strecke ‑ die ganzen paar tausend
Staatsanwälte im Reiche, vor einem guten Jahr noch stramme Republikaner,
brüllten: "Heil Hitler!"
Diese Nacht mit Hitlers Verrat
am National‑Sozialismus war die grösste Enttäuschung meines Lebens. Meine
Tätigkeit als Jungenschaftsführer in der Hitler-Jugend stellte ich ein, ich
ging einfach nicht mehr hin zum "Dienst".
"Röhm‑Putsch"
heisst es falsch bei Historikern, "Nacht der langen Messer" im Volke
und "Bartholomäus‑Nacht" bei Otto Strasser, der 1954 ‑
zurück aus kanadischer Emigration ‑ mein Freund wurde. Der am 30.6.34
getötete "Kopf" war der Bruder Gregor, zuvor in der NSDAP
"Zweiter" nach Adolf Hitler. Ernst Röhm war ein Mann von "Leben
und Leben lassen", der in Berlon mit dem französischen und britischen
Botschafter des öfteren gern mal einen gehoben hatte. Ehre diesen Opfern des
Hitlerismus.
Vier
Millionen deutsche Männer, nationale Sozialisten, hatten unter Röhms Kommando
gestanden. AH hatte sie enthauptet.
Quelle: "Darum kein Nazi" von Hennecke
Kardel, Hamburg 2001, S. 10 - 12
Anmerkung: Auf wessen Konto der Verrat an der von
der SA unter Röhm geplanten zweiten Revolution ging, hat der Antifaschist
Heinrich Mann nach dem Zweiten Weltkrieg treffend auf den Punkt gebracht.
Wer sich aus der Feder eines ausländischen Historikers
über das Blutbad vom 30. Juni 1934 kundig machen will, der lese William L.
Shirer: "Aufstieg und Fall des Dritten Reiches", Stuttgart / Hamburg
o. J., S. 210 - 223.
Nach alledem ist es ein unverzeihlicher Fehler,
die beiden Strömungen des Nationalsozialismus' (Hitler, Göring, Himmler, SS,
Reichswehr, adlige Politiker und viele Großindustrielle einerseits und Röhm,
die SA, die Gebrüder Strasser usw. andererseits) undifferenziert in einen Topf
zu werfen.
Eine wichtige Nuance am Rande ist dann auch noch,
daß Hitler, Göring und Himmler "die Nacht der langen Messer" im
weiteren dazu benutzten, die meisten Mitwisser von Hitlers hochverräterischer
Auslandfinanzierung zu eliminieren.