Stefan George

 

DER SPIEGEL 33 / 2007 / 138 – 140 bespricht Thomas Karlauf: „Stefan George. Die Entdeckung des Charisma“, Blessing Verlag, München; 816 Seiten, 29,95 Euro: „Führer des geheimen Deutschland. Der Dichter Stefan George war zeitlebens ein Rätsel, sein Kreis glich einer Sekte. Jetzt holt eine furiose Biografie den großen Untoten der deutschen Geistesgeschichte in die Gegenwart zurück“, heißt es in den Überschriften. Wir ergänzen dazu, was Dietrich Bronder zu George schrieb:

 

(...) Während die ... Jungkonservative Bewegung mit dem politischen Geschehen ihrer Zeit in engerem Zusammenhang stand, trifft dies für den George-Kreis nicht zu, der nach der weltfremden Art seines Führers mehr in den theoretischen Re­gionen eines politischen Wolkenkuckucksheimes schwebte und dann von den Folgen auch seiner Gedanken beim Anbruch des Dritten Reiches Hitlers zutiefst peinlich berührt war. Seele dieser Gruppe von Schwärmern und Romantikern war der bekannte Dichter Stefan George, 1868 in Bingen am Rhein geboren. Ein reicher Vater ermöglichte dem frauen- und musiklos dahinleben­den Knabenverehrer Studium und Auslandsreisen und später ein sorgloses Dasein als Schriftsteller. Bei Ankunft des nationalsozia­listischen Reiches verzog sich George, der große Heide und ein­stige Katholik, als Emigrant in das schweizerische Locarno, wäh­rend der Reichspropagandaminister Dr. Goebbels wenige Tage später zum 65. Geburtstage des Geflüchteten den Stefan-George-Preis als höchste deutsche literarische Auszeichnung stiftete. Als der Geehrte Ende 1933 verstarb, gehörte zu den Freunden, die an seinem Sarge die Totenwache hielten, auch der spätere Attentäter auf Hitler vom 20. 7. 1944, Leutnant Claus Graf Schenck von Stauffenberg (1907/44), der einzige von allen militärischen Wi­derständlern, der wirklich Entschlußkraft gezeigt hatte.

Der Dichter wollte eine neue Welt schaffen, „in der das Große wiederum groß ist“. Jedoch schwebte ihm dabei eine durchaus humanistische Institution vor, wenn er seine „Gesänge zum Neuen Reich“ 1929 schreibt oder als Gegner des Nationalsozialis­mus und als Gegner der Demokratie zugleich kündet von „dem Einzigen, der hilft“:

„Und wenn im schlimmsten jammer letzte hoffnung

zu löschen droht: so sichtet schon sein aug

die lichtere zukunft. Ihm wuchs schon heran ...

ein jung geschlecht, das wieder mensch und ding

mit echten maßen mißt. ..

Das von sich spie, was mürb und feig und lau,

das aus geweihten träumen, tun und dulden

den einzigen der hilft, den mann gebiert. ..


Der sprengt die ketten, fegt auf trümmerstätten

die Ordnung, geißelt die verlorenen heim

ins ewige recht, wo großes wiederum groß ist,

herr wiederum herr, zucht wiederum zucht.

Er heftet das wahre sinnbild auf das völkische banner,

erführt durch sturm und grausige signale

des frührots seiner treuen schar zum werk

des wachen tags und pflanzt das Neue Reich!“

Dieser „Er“ ist der Führer, den George erwartet und dem er singt, dem er gewissermaßen schon um sich herumbauend einen Führerkultus schafft. Dafür beschwört er den „Geist der heiligen Jugend unseres Volkes“, denn „die Jugend ruft die Götter auf!“:

„Zehntausend sterben ohne klang:

der gründer nur gibt den namen ... für zehntausend münder.

Hält einer nur das maaß. In jener ewe

ist nur ein Gott und einer sein künder.“

(Jahrhundertspruch aus dem „Siebenten Ring“) George ist in seiner ästhetischen Einstellung, etwa im Gegensatz zu Schiller, weitgehend von ethischen Bindungen befreit und als Jünger Nietzsches dem Moralischen sogar entgegengesetzt. Das zeigt sich in seinem Gedichtband „Algabal“ (1892), welcher die Ehrenret­tung eines der berüchtigsten Herrscher der Geschichte versucht und dabei zur Verherrlichung des Amoralischen und Satanischen kommt: „Schwarze Blume in verwunschenen Gärten“ — Schön­heit und Stolz als Verachtung und Mißachtung der Menge gehen damit einher.

  Die etwas wirre, romantisch-mystische Gedankenwelt des Dichters, der sich mit einem manchmal vom großen Geheimrat Goethe abgeschauten Gehabe umgab, wurde ab 1892 durch eine eigene Veröffentlichung, die „Blätter für die Kunst“ verbreitet, die in einer eigenen Kleinschreibung und Orthographie gehalten waren. Merkwürdig ist auch der Kreis von Personen, der sich um George schart und von dem der Philosoph Max Scheler einmal gesagt hat: „Aus dem Geiste der schärfsten Opposition zur Vermassung des Lebens heraus geborene, erotisch-religiöse, gnostische, hocharistokratische Sekte, in deren Mitte ein genialer Dichter steht.“ Ein Dichter, dem die Liebe der Männer und un­ter Männern näher stand als die zur Frau ... Neben Ludwig Klages und so manchem anderen, der diesen Kreis zierte, gehörten sehr viele Juden zu den Anhängern dieses Sän­gers vom „Neuen Reich“. Sein Vorkämpfer war der Literatur­historiker Richard M. Meyer, 1860/1914, Germanist und seit 1903 Professor an der Berliner Universität. Dann Karl Wolfskehl (1869/1948), Germanist und Zionist mit dem Hakenkreuz, der Sohn eines Bankiers und Präsidenten der hessischen Abgeord­neten-Kammer; er betonte seine Herkunft als „jüdisch-römisch-­deutsch zugleich“ und stellte sich ein „Geheimes Deutschland“ vor, einen Orden des Geistes, in dem alle großen Gestalten der Gegenwart und Vergangenheit vereinigt sind; enttäuscht verließ er den Hitler-Staat nach dem Reichstagsbrand, 1938 dann auch Italien, um in Neuseeland noch als deutscher Dichter im Sinne Georges zu wirken, denn „wo ich bin, ist deutscher Geist!“ (aus „Lebenslied“). Weiter die Gebrüder Gundelfinger, bei deren einem (Friedrich) der spätere Reichspropagandaleiter der NSDAP Dr. Josef Goebbels promoviert hatte; Richard Perls (1873/98); Kantorowicz und Kommerell; Ernst Morwitz und Hugo von Hofmannsthal; Rudolf Borchardt (1872/1945) so­wie Professor Theodor Lessing (1872/1933 — ermordet von Na­tionalsozialisten in der tschechischen Emigration), Arzt und Geisteswissenschaftler an der Technischen Hochschule Hannover. Schließlich Alfred Schuler, ein in Mainz 1865 geborener und 1923 gestorbener Archäologe und Mysterienforscher, Antisemit, judenbefreundeter und homosexueller Literat, der Adolf Hitler be­reits 1922 im Hause des Münchener Kunstverlegers und Alt-Parteigenossen Hugo Bruckmann kennenlernte. Schuler entwickelte im Wolfskehl-Kreis in München-Schwabing, unterstützt von seinem Schüler Klages, die mystische Lehre von der „Blut­leuchte“. Er verstand darunter eine neue Blüte heidnischer Ur­zeiten, die aber die Verbannung alles „Molochitischen“, wie er das Jüdische nannte, voraussetzte. Wegen dieses absonderlichen Antisemitismus brach George schließlich 1904 mit ihm und Kla­ges. Erst 1940 erschien in großer Auflage das Buch „Alfred Schu­ler, Fragmente und Vorträge aus dem Nachlaß“, herausgegeben von Ludwig Klages, in Zusammenarbeit mit dem Mediziner Professor Dr. Gustav Willibald Freytag, dem Sohn des bekannten Schriftstellers. Schuler wollte bereits 1895 eine Dissertation über das eben erwähnte Hakenkreuz schreiben und nannte es mit seinem indischen Namen Swastika. Als Symbol für das Triebmäßige, das Rassische und das Orgiastische sprach es George, den Verehrer der Rasse und der blinden Rassetriebe (vgl. z. B. seinen „Algabal“) an, und er übernahm es nun bereits Jahrzehnte vor dem Nationalsozialismus als Zeichen seines Krei­ses und seiner „Blätter für die Kunst“, die es schmückte. Über George und Karl Wolfskehl wiederum kam der jüdische Verlag des Dichters, Georg Bondi — in Dresden 1895 gegründet und später in Berlin, seit 1945 in Bad Godesberg ansässig — zum Hakenkreuz als seinem Verlagszeichen, das ihm als ein altes u. a. auch jüdisches Symbol nicht unsympathisch sein mochte. (...)

 

Quelle: „Bevor Hitler kam“ von Dietrich Bronder, 2. Auflage, Genf 1975, S. 68 - 71