Stalins Planspiele zur Weltrevolution

 

Rede Stalins vor dem Politkongreß am 19.8.1939

 

Die Frage nach Krieg oder Frieden tritt in eine für uns kritische Phase. Wenn wir den Vertrag über gegenseitige Hilfe mit Frankreich und Großbritannien abschließen, wird Deutschland auf Polen verzichten und einen "Modus vivendi" mit den Westmächten suchen. Der Krieg wird abgewendet, aber im weiteren können die Ereignisse einen für die UdSSR gefährlichen Charakter annehmen. Wenn wir den Vorschlag Deutschlands über den Abschluß eines Nichtangriffspaktes mit ihnen annehmen, werden sie natürlich Polen überfallen und der Eintritt Frankreichs und Englands in diesen Krieg wird unvermeidlich. Westeuropa wird von ernsthaften Unruhen und Unordnung ergriffen werden. Unter diesen Bedingungen werden wir große Chancen haben, außerhalb des Konfliktes zu verbleiben und wir können auf unseren vorteilhaften Kriegseintritt hoffen.

 

Die Erfahrung der letzten 20 Jahre zeigt, daß in Friedenszeiten eine kommunistische Bewegung in Europa keine Chancen hat, die stark genug wären, die Macht zu ergreifen. Die Diktatur einer solchen Partei wird nur als Resultat eines großen Krieges möglich. Wir werden unsere Wahl treffen, und die ist eindeutig. Wir müssen den deutschen Vorschlag annehmen und die anglo­-französische Mission höflich zurückschicken. Der erste Vorteil, den wir uns zunutze machen, wird die Einnahme Polens bis zu den Toren Warschaus sein, das ukrainische Galizien mit eingeschlossen.

 

Deutschland behält uns die volle Handlungsfreiheit in den baltischen Staaten vor und erhebt keinen Einspruch in Sachen Rückkehr Bessarabiens in die UdSSR. Sie sind bereit, uns Rumänien, Bulgarien und Ungarn in der Eigenschaft als Einflußsphären abzutreten. Als offen verbleibt die Frage in Verbindung mit Jugoslawien. ... Gleichzeitig müssen wir die Folgen in Betracht ziehen, die sich sowohl aus einer Niederlage wie auch aus einem Sieg Deutschlands ergeben werden. Im Falle einer Niederlage Deutschlands folgt unausweichlich die Sowjetisierung Deutschlands und die Schaffung einer kommunistischen Regierung. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß ein sowjetisiertes Deutschland sich vor einer großen Gefahr befindet, falls diese Sowjetisierung sich als Folge einer Niederlage in einem Blitzkrieg erweist. England und Frankreich werden noch über ausreichend Stärke verfügen, um Berlin einzunehmen und ein sowjetisches Deutschland zu verhindern. Und wir werden nicht in der Lage sein, unseren bolschewistischen Genossen in Berlin zu Hilfe zu kommen.


 

Auf diese Weise besteht unsere Aufgabe darin, daß Deutschland einen möglichst längeren Krieg führen sollte, mit dem Ziel, daß England und Frankreich ermüdet und bis zu einem Grade geschwächt sind, daß sie nicht mehr in der Lage wären, eine Bedrohung für ein sowjetisches Deutschland darzustellen. Während wir eine Position der Neutralität beibehalten und unsere Stunde abwarten, wird die UdSSR dem jetzigen Deutschland Hilfe erweisen, indem wir es mit Rohstoffen und Lebensmitteln versorgen. Es versteht sich aber von selbst, daß unsere Hilfe bestimmte Größenordnungen nicht dahingehend übersteigen soll, die unsere eigene Wirtschaft aushöhlen und die Schlagkraft unserer Armee schwächen könnten.

 

Gleichzeitig müssen wir eine aktive kommunistische Propaganda, besonders im anglo‑französischen Block ‑ und hier vorrangig in Frankreich ‑ führen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, daß die Partei in diesen Ländern während des Krieges gezwungen sein wird, sich von ihrer legalen Tätigkeit zu verabschieden und in den Untergrund zu gehen. Wir sind uns im klaren darüber, daß diese Arbeit viele Opfer fordern wird, aber unsere französischen Genossen werden keine Bedenken hegen. Zu ihren Aufgaben werden in erster Linie die Zersetzung und Demoralisierung von Armee und Militär gehören. Wenn diese vorbereitende Tätigkeit in der gebührenden Form ausgeführt wird, ist die Sicherheit von Sowjetdeutschland gewährleistet, und das wiederum wird einer Sowjetisierung Frankreichs förderlich sein.

 

Für die Realisierung dieser Pläne ist es unumgänglich, daß der Krieg so lange wie möglich ausgedehnt wird, und genau in diese Richtung müssen alle Kräfte gerichtet werden, mit denen wir in Westeuropa und auf dem Balkan aktiv werden.

 

Betrachten wir nun eine zweite Annahme, d. h., einen Sieg Deutschlands. Einige haben sich die Ansicht zueigen gemacht, daß diese Möglichkeit uns vor eine große Gefahr stellt. Ein Quäntchen Wahrheit liegt in dieser Behauptung, aber es wäre ein Fehler zu denken, daß diese Gefahr so nahe und groß werden wird, wie sie sich von einigen vorgestellt wird. Wenn Deutschland den Sieg davonträgt, geht es aus dem Krieg zu entkräftet hervor, als daß es in einen militärischen Konflikt eintritt, der wenigstens 10 Jahre dauert.

 

Deutschlands Hauptsorge wird die Beobachtung der besiegten Staaten England und Frankreich sein, um dort Widerstandsbewegungen niederzuhalten. Andererseits wird ein siegreiches Deutschland riesige Territorien einnehmen und somit im Verlaufe vieler Jahrzehnte mit "deren Nutzbarmachung" und der Herstellung der deutschen Ordnung beschäftigt sein. Es ist offensichtlich, daß Deutschland an anderem Platz zu sehr beschäftigt ist, als sich gegen uns zu wenden. Es gibt noch eine Sache, die unserer Sicherheit dient. In einem besiegten Frankreich wird die FKP sehr stark sein. Die kommunistische Revolution wird unausweichlich stattfinden und wir können diesen Umstand dahingehend ausnutzen, Frankreich zu Hilfe zu kommen und es zu unserem Verbündeten zu machen. Im weiteren werden alle Völker, die unter den "Schutz" des siegreichen Deutschlands gefallen sind, ebenso zu unseren Verbündeten werden. Vor uns liegt ein weites Tätigkeitsfeld zur Entwicklung der Weltrevolution.

 

Genossen! Im Interesse der UdSSR ‑ der Heimat der Werktätigen auf, daß der Krieg ausbricht zwischen dem Reich und dem kapitalistischen anglo‑französischen Block. Man muß alles tun, damit dieser solange wie möglich ausgedehnt wird mit dem Ziel der Schwächung beider Seiten. Vorrangig aus diesem Grunde müssen wir dem Abschluß des von Deutschland vorgeschlagenen Paktes zustimmen und daran arbeiten, daß dieser Krieg, der eines Tages erklärt werden wird, in die maximal mögliche zeitliche Ausdehnung geführt wird. Es wird notwendig, in den eingetretenen Ländern die propagandistische Arbeit dahingehend zu verstärken, daß sie vorbereitet sind für die Zeit nach dem Krieg ...