Maastricht - ein Staatsstreich in juristischer Verpackung

 

Am 11. Dezember 1991 unterschrieben die Staats‑ und Regierungschefs der zwölf EG-Länder in Maastricht den Kalender zur Formung einer Wirtschaftsunion und einer politischen Union Europas, die bis 1999 geschaffen werden soll. Das Vertragswerk wurde überall in Europa stark kritisiert. Obwohl Umfang und Inhalt dieser Kritik deutlich machten, daß die Politiker in Maastricht ohne jegliche demokratische Zustimmung gehandelt hatten, blieben die internationalistischen Urheber unberührt von allen sachlichen Einwänden bei ihrer Meinung. Was die Europäer weithin dachten, zeigte sich am 2. Juni 1992 als Dänemark in allgemeinen Wahlen sich zum Erstaunen der Geburtshelfer gegen Maastricht aussprach. Frankreich folgte am 20. September 1992 mit einem Wahlergebnis, bei dem ebenfalls 48,5% der Wähler Maastricht ablehnten. Damit war klar, daß dieses "Europa" keineswegs mit jenem Enthusiasmus geboren werden würde, wie er bei einer derart einschneidenden Maßnahme erwarten worden war. Es kam das in zahllosen Zeitungsüberschriften und Reden zum Ausdruck. "Einen Staatsstreich in juristischer Verpackung" nennt der Limburger Universitätsprofessor Roos den Maastrichter Vertrag. Nahezu der gesamte wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand der Bundesrepublik mit den Namen von 60 Professoren spricht von einer "verfrühten Wirtschaftsunion". Der FDP‑Vorsitzende Graf Lambsdorff hält es für wirklichkeitsfremd, mit der Europapolitik fortzufahren, als habe es die dänische Volksabstimmung nicht gegeben. Neue Verhandlungen über die Verträge von Maastricht sind schwerlich zu vermeiden. Nach dem dänischen Votum hilft politischer Frohsinn nicht weiter. Bundeskanzler Kohl meint ‑ anscheinend einlenkend ‑ dazu: » Verhandlungen müssen vorsichtig und begrenzt geführt werden, denn die Gefahr ist groß, daß sie einen Sack öffnen würden, den man dann nicht mehr zubinden kann.« "Von einer termingerechten Inkraftsetzung (meint die NZZ am 18. September 1992) geht in Brüssel auch wegen des dänischen Problems sowieso niemand mehr aus ... Die französische und die italienische Regierung drängen deshalb den britischen EG­-Ratsvorsitztenden zur Einberufung eines EG‑Sondergipfels." "Orientierungslosigkeit der EG­-Außenminister, die sich am 21. September in New York treffen. Wenn Frankreich mit NEIN stimmt (das tat dann jeder zweite Franzose), dann müßte das Ziel der Währungsunion aufgegeben werden. Vielleicht ließen sich Teile des Vertragswerks noch retten." (NZZ). Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Lamers, bezeichnet ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" als eine Möglichkeit. Auch die SPD‑Finanzpolitikerin Matthäus‑Maier befürwortet eine Kern‑Währungsunion mit Frankreich, Deutschland und den Beneluxländern. Bayerns Europaminister Goppel ist ähnlicher Auffassung und befürwortet ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Ja, selbst Delors, Präsident der EG-Kommission, "schließt nicht aus, daß es zur Ausbildung eines Europa der zwei Geschwindigkeiten kommen werde". (FAZ 25.9.92 aus Brüssel). Auch Kohl redet davon. Doch die Haupttäter lassen diesen Wortschwall über sich ergehen. Sie wissen genau, mit Worten kann ihnen niemand mehr das Paket von Maastricht entreißen.

 

Volkskundgebungen oder gar Generalstreiks hat es nirgends gegeben. Die Völker haben gar nicht begriffen, was man ihnen antun will. Kaum fünf Tage sind seit dem Pariser Menetekel darum vergangen, als am 25. September 1992 Kohl, Engholm und Kinkel in einer Regierungserklärung feststellen: "Abwarten wäre die falsche Antwort. Stillstand ist Rückschritt." Man spricht von einer "Antwort", nimmt also zur Kenntnis, daß es zwei Gesprächspartner gibt: auf der einen Seite die Völker, auf der anderen die internationalistischen Politiker. Doch während die Völker nicht handeln dürfen, weder abstimmen noch Widerstand leisten, besteht Handlungsfreiheit unbeschränkt auf der Seite der Politiker. Und sie nutzen sie bis zum letzten aus. Alles, was wir bisher zum Thema "Maastricht" brachten, sind Worte von Internationalisten. Denen geht es nur darum, ein unglücklich gestartetes Unternehmen doch noch über die Bühne zu bringen. Die Mehrheit der Europäer, die dieses Unternehmen auf das schärfste ablehnt, wird von niemandem in Brüssel und New York und Bonn auch nur erwähnt. Es geht genauso zu wie bei der Asylantenpolitik: Die Beschwerden einer hilflosen, verzweifelten Bevölkerung werden nicht zur Kenntnis genommen. Wenn es dann aber brennt, dann haben die Brandstifter schuld an dem ganzen Dilemma. Noch bevor man mit der Asylantenpolitik anfing, noch bevor man sich in Maastricht traf, waren die europäischen Völker bereits abgeschafft worden.

 

Drei Tage weiter, am 28. September 1992 wenden Kohl und Kinkel sich mit Blick auf Maastricht gegen ein "Klein‑Europa". In Bonn wird angedeutet, es sei Großbritannien, das Hinweise ausstreue über deutsch-­französische Sonderabsichten, um diese dann als Begründung für ein Londoner Aussteigen anführen zu können. Der verwirrte Leser hat so längst den Faden verloren und plappert nach, was Internationalisten sich zurufen. England macht sich unter dem Eindruck der Bonner Haltung darum stark, ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" zu verdammen. So sind alle elf wieder einer Meinung, als sie sich am 16. Oktober in Birmingham treffen: Der Vertrag von Maastricht wird nicht geändert. Eine gemeinsame Erklärung stellt dort fest, "daß die entsprechende Gesetzgebung einfach und klar sein werde und daß dem Publikum der Zugang zu allen nichtvertraulichen Nachrichten über den Prozeß der Vereinigung Europas zugänglich gemacht werde. Es sei notwendig, den Bürgern die Wichtigkeit und die Bedeutung des Vertrages zu erklären." Eigentlich ein in der Geschichte der Diplomatie nicht gerade häufiges Ereignis, daß sich die versammelten höchsten Diplomaten vor ihren Völkern darüber entschuldigen, daß sie den Versuch abbrechen, diese hinter verschlossenen Türen zu verkaufen und hinters Licht zu führen.

 

Es geht also alles weiter wie bisher. Am Ende der so dringend anberaumten Sondersitzung der EG stand der eiserne Entschluß, dem "großen Werk" treu zu bleiben, es aber besser zu maskieren als bisher, den Bürger mit schönen Worten zu beruhigen, aber an der Sache nichts zu ändern. Fortschritt muß nun mal sein, wenn nicht mit Zustimmung von unten, dann kraft Dekret von oben. Kraft Dekreten, über die niemals abgestimmt wurde, in keinem Parlament und schon gar nicht in Volksabstimmungen. Adolf Hitler warf man vor, er habe an die Stelle des Rechtsstaates den Maßnahmenstaat gesetzt (Was ich befehle, ist Gesetz). Hitlers Regierungsführung wurde aus diesem Grunde als Diktatur bezeichnet. Was ist dann aber die Handhabung der Regierung heute? Wer sich sachlich gegen Maastricht wandte, erlebte es beinahe automatisch, daß seine Sorgen stillschweigend zu den Akten gelegt wurden. Ihm wurde nicht mit einem einzigen Sacheinwand begegnet, und wenn es sich bei den Eingaben um solche von Universitätsprofessoren handelte. Genscher (Rotarier) - Sprecher der internationalistischen Philosophie ‑ nennt als Grund für diesen "notwendigen europäischen Weg": "Die Lehren aus der europäischen Geschichte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Es droht ein Zurückfallen in nationalen Egoismus. Der Feind einer Friedens‑ und Stabilitätsordnung für das ganze Europa und der Feind einer sich zur Europäischen Union entwickelnden Europäischen Gemeinschaft, der Feind einer "neuen Kultur" (!) des Zusammenlebens der Völker ist der Nationalismus.

 

Ist das eine Antwort auf das Vorwort etwa eines Prof. Schiller: "Währungsverband zu einem falschen Zeitpunkt und zu einem falschen Kurs und das zunehmend einer Besessenheit ähnelnde Beharren an der einmal eingeschlagenen Politik"? International tätige Cliquen mischen und verdienen mit bei der neuen Währungsunion. Was sich seit 15 Jahren weltweit und insbesondere in den USA herausschälte, die Etablierung einer Weltregierung der Finanzinstitute und der Multis, das soll jetzt für Europa festgenagelt werden. Auf "ewig" wird die DM angekettet an elf weitere europäische Währungen und verschwindet.

 

Quelle: "Bankrott!" von Juan Maler, S. 28 - 30