Die Geschichte ist nicht der Sklave des
Zeitgeistes
Frankreich
findet den Mut zur Erneuerung und zur freien Geschichtsforschung
Mit Zwang zu einer politischen Monotonie wollen
bestimmte Kreise in Politik, Medien und
Wirtschaft politische Tabuzonen errichten, über welche man nicht diskutieren darf.
»Nur wer sein Land bejaht, sich mit seiner
Nation und ihrer Geschichte identifiziert, wird sich einmischen.«
So Charlotte Knobloch, Präsidentin
des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Richtig, Frau Knobloch! Und um sich mit seiner Geschichte identifizieren zu können, muß man sie
kennen dürfen. Die Liste der Gesetze, die - nicht nur in der BRD - eine freie und restlose Aufarbeitung der
Geschichte behindern, wird länger, aber der Widerstand gegen eine solche Umerziehung wächst zunehmend. Nachfolgend eine Aktion namhafter Historiker und Akademiker
aus Frankreich, die sich einem solchen
Diktat widersetzen.
Bezugnehmend auf die Erklärung des
französischen Präsidenten Jacque Chirac,
daß die Geschichte keine Angelegenheit des Staates und der Gesetze,
sondern der Historiker sei, forderten 19
Historiker am 13. Dezember 2005 die Rücknahme
aller Gesetze, die die Geschichte zu schreiben beanspruchen. (Dokumente,
Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, 2/06)
»Bewegt durch die immer häufigeren politischen Interventionen in der Beurteilung geschichtlicher Ereignisse
und durch die gerichtlichen Verfahren
betreffend Historiker und Denker, wollen wir an die folgenden Grundsätze erinnern:
Die Geschichte ist keine Religion. Der Historiker akzeptiert kein Dogma,
respektiert kein Verbot und kennt keine
Tabus. Das kann störend sein.
Die Geschichte ist nicht die Moral. Der Historiker erklärt, daß er nicht die Rolle hat, zu begeistern oder zu verurteilen.
Der
Geschichte ist nicht der Sklave des Zeitgeistes. Der Historiker überlagert nicht die Vergangenheit mit den heutigen ideologischen Begriffen und
fügt keine jetzigen Empfindsamkeiten
in die Ereignisse der Vergangenheit ein.
Die Geschichte kann nicht die Aufgabe
des Gedenkens wahrnehmen. Der Historiker sammelt bei seiner wissenschaftlichen Arbeit die Erinnerungen von Menschen,
er vergleicht sie und stellt sie den Dokumenten, den Gegenständen und ihren Spuren gegenüber und stellt die Tatsachen
fest. Die Geschichte berücksichtigt Erinnerungen, aber sie beschränkt sich nicht darauf.
Die
Geschichte ist kein Rechtsgegenstand. In
einem freien Staat obliegt es weder dem Parlament noch der gerichtlichen Autorität, die historische Wahrheit zu definieren.
Die
Vorgehensweise des Staates ist, selbst wenn
sie von den besten Absichten beseelt ist, nicht die Vorgehensweise der
Geschichtswissenschaft. (Hier folgt eine
Aufzählung der französischen Gesetze, die
eine freie Geschichtsforschung verhindern).
Wir verlangen die Abschaffung
dieser eines demokratischen Regimes unwürdigen gesetzgebenden Bestimmungen.
Die
Unterzeichner: Jean-Pierre Azéma, Elisabeth Badinter, Jean-Jacques Becker,
Francoise Chandernagor, Alain Decaux, Marc Ferro,
Jacques Julliard, Jean Leclant, Pierre Milza, Pierre Nora, Mona Ozouf,
Jean-Claude Perrot, Antoine Prost, René Rémond, Maurice Vaisse, Jean-Pierre Vernant, Paul Veyne, Pierre Vidal-Naquet und Michel Winock« (www.herodote.net,
16.12.2006)
Wer hinter diesen Unterzeichnern Rechtsextremisten
vermutet, der irrt, wie die nachfolgende
Auflistung bestätigt.
Michel Winock ist
Historiker und französischer Intellektueller, der u.a. für die französische Tageszeitung »Le Monde« schrieb.
Antoine Prost war
Dozent an der Universität von Orleans und Professor an der
Universität Paris.
Pierre Vidal-Naquet war ein französischer Althistoriker und politischer
Sozialhistoriker. Er lehrte zuletzt an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences
Sociales.
Jean-Pierre Vernant ist Historiker und Ehrendoktor der
Universitäten von Chicago, Bristol, Neapel und Oxford. Er gehörte dem aktiven Widerstand
gegen die deutsche Besatzung an.
Jean Leclant war
1953-1963 Dozent und dann Professor an der Universität von
Straßburg. 1963-1979 war er
Ägyptologieprofessor an der Sorbonne.
Er ist Ehrendoktor der Universität Löwen und Bologna.
Elisabeth
Badinter ist Professorin an der angesehenen Eliteuniversität Ecole Polytechnique Paris.
2004 erhielt sie die Ehrendoktorwüde der
Universität Lüttich. Sie ist aktive Feministin und sitzt seit 1987 im Aufsichtsrat der internationalen
Kommunikationsfirma Publicis.
Quelle:
UNABHÄNGIGE NACHRICHTEN 1 / 2007 / 3f