Erhellende Schlüsselworte

 

Max Erwin von Scheubner‑Richter, der später einer der engsten Mitarbeiter Hitlers war und dann im November 1923 bei dem Marsch zur Feldherrnhalle von einer tödlichen Kugel getroffen wurde, war 1915 als deutscher Konsul in Erzerum tätig. Dort wurde er zum Augenzeugen jener Deportationen der armenischen Bevölkerung, die den Anfang des ersten großen Völkermordes des 20. Jahrhunderts darstellten. Er scheute keine Mühe, den türkischen Behörden entgegenzutreten, und sein Biograph schließt im Jahre 1938 die Schilderung der Vorgänge mit folgenden Sätzen: »Aber was waren diese wenigen Menschen gegen den Vernichtungswillen der türkischen Pforte, die sich sogar den direktesten Mahnungen aus Berlin verschloß, gegen die wölfische Wildheit der losgelassenen Kurden, gegen die mit ungeheurer Schnelligkeit sich vollziehende Katastrophe, in der ein Volk Asiens mit dem anderen nach asiatischer Art, fern von europäischer Zivilisation, sich auseinandersetzte?«

Niemand weiß, was Scheubner‑Richter getan oder unterlassen haben würde, wenn er anstelle von Alfred Rosenberg zum Minister für die besetzten Ostgebiete gemacht worden wäre. Aber es spricht sehr wenig dafür, daß zwischen ihm und Rosenberg und Himmler, ja sogar zwischen ihm und Hitler selbst ein grundlegender Unterschied bestand. Dann aber muß man fragen: Was konnte Männer, die einen Völkermord, mit dem sie in nahe Berührung kamen, als »asiatisch« empfanden, dazu veranlassen, selbst einen Völkermord von noch grauenvollerer Natur zu initiieren? Es gibt erhellende Schlüsselworte. Eins davon ist das folgende:

Als Hitler am 1. Februar 1943 die Nachricht von der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad erhielt, sagte er in der Lagebesprechung gleich voraus, daß einige der gefangenen Offiziere in der sowjetischen Propaganda tätig werden würden: »Sie müssen sich vorstellen, er (ein solcher Offizier) kommt nach Moskau hinein, und stellen Sie sich den >Rattenkäfig< vor. Da unterschreibt er alles. Er wird Geständnisse machen, Aufrufe machen ... «

Die Kommentatoren geben die Erläuterung, mit »Rattenkäfig« sei die Lubjanka gemeint. Ich halte das für falsch.

In George Orwells »1984« wird beschrieben, wie der Held Winston Smith durch die Geheimpolizei des »Großen Bruders« nach langen Folterungen endlich gezwungen wird, seine Verlobte zu verleugnen und damit auf seine Menschenwürde Verzicht zu tun. Man bringt einen Käfig vor seinen Kopf, in dem eine vor Hunger halb irrsinnig gewordene Ratte sitzt. Der Vernehmungsbeamte droht, den Verschluß zu öffnen, und da bricht Winston Smith zusammen. Diese Geschichte hat Orwell nicht erdichtet, sie findet sich an zahlreichen Stellen der antibolschewistischen Literatur über den russischen Bürgerkrieg, unter anderem bei dem als verläßlich geltenden Sozialisten Melgunow. Sie wird der »chinesischen Tscheka« zugeschrieben.

 

Quelle: Professor Dr. Ernst Nolte: "Vergangenheit, die nicht vergehen will" in FAZ vom 6.6.1986

 

Pound, Ezra: US‑amerikanischer Dichter. Geboren 1885 in Hailey (US‑Bundesstaat Idaho), gestorben 1972 in Venedig. Nach langer Zeit der Verfemung gilt er heute wieder als einer der bedeutendsten amerikani­schen Dichter dieses Jahrhunderts. Sein Werk richtete sich vor allem gegen den Kapitalismus US‑amerikanischer Prägung. Pound lebte 1908 in Italien, 1909 bis 1920 in London, ab 1920 in Paris und ab 1924 erneut in Italien. 1939 apellierte er an Präsident Roosevelt, sich nicht am Krieg zu beteiligen. Als seine Aufrufe vergeblich geblieben waren, propagierte er im italienischen Rundfunk den Sieg der Achsenmächte über die "Wallstreet‑Plutokratie". Bei Kriegsende wurde er von den "Befreiern" in Pisa unter freiem Himmel in einen 1 qm großen Käfig gesperrt. Darin mußte der 60jährige drei Wochen zubringen. Ende 1945 nach Washington geschafft, wurde er in eine Irrenanstalt eingewiesen, wo er anderthalb Jahre in einer fensterlosen Gummizelle mit geisteskranken Schwerverbrechern zusammengesperrt war, dann in einem größeren Raum mit senilen Kranken. Erst 1958, nach 13 Jahren, erhielt Pound aufgrund öffentlicher Proteste die Erlaubnis, die Irrenanstalt zu verlassen. Er entschloß sich zur abermaligen Übersiedlung nach Italien. Dort erklärte er Journalisten, endlich sei er aus einem Irrenhaus entkommen, "das von 180 Millionen Insassen bevölkert wird".

 

Quelle: "Prominente ohne Maske", München 1989, S. 354 f