Ruhrkampf

 

In der Zeit von 1914 bis 1945 war der sogenannte Ruhrkampf das entscheidende historische Ereignis im Revier.

 

Vor allem zwei Ereignisse kamen ihm (Hitler) zu Hilfe: die Geldentwertung und die französische Ruhrbesetzung. 1921 war der Wert der Mark im Verhältnis zum Dollar auf 75:1 gesunken; im nächsten Jahre fiel er auf 400:1 und Anfang 1923 auf 7000:1. Bereits im Herbst 1922 hatte die Reichsregierung die Alliierten gebeten, ein Moratorium für die Reparationszahlungen zu gewähren. Die Poincaré‑Regierung in Frankreich lehnte dies glatt ab. Als Deutschland mit seinen Holzlieferungen in Verzug geriet, ordnete der ungerührte Ministerpräsident Poincaré, der während des Krieges Präsident der französischen Republik gewesen war, die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen an. Das Industriezentrum Deutschlands, das seit dem Verlust Oberschlesiens vier Fünftel der deutschen Kohle‑ und Stahlproduktion hervorbrachte, war vom übrigen Reich abgeschnitten.

 

Der die deutsche Wirtschaft lähmende Schlag rief im Volk eine spontane Einigkeit hervor, wie sie seit 1914 nicht dagewesen war. Die Ruhrarbeiter riefen den Generalstreik aus und erhielten finanzielle Unterstützung von der Berliner Regierung, die ihrerseits zum passiven Widerstand aufrief. Mit Hilfe der Reichswehr wurden Sabotageakte und ein Guerillakrieg organisiert. Die Gegenmaßnahmen der Franzosen bestanden in Verhaftungen, Deportationen und Verhängung von Todesstrafen. Aber an der Ruhr standen die Räder still.

 

Das Abwürgen der deutschen Wirtschaft beschleunigte den Währungsverfall der Mark. Im Januar 1923, nach der Besetzung des Ruhrgebiets, stand der Dollar auf 18.000 Mark, am 1. Juli auf 160.000, am 1. August auf eine Million. Im November, als Hitler glaubte, seine Stunde sei gekommen, galt ein Dollar gleich vier Milliarden Mark. Und danach wurden es Trillionen. Deutsches Geld war wertlos geworden, die Kaufkraft von Gehältern und Löhnen auf ein Nichts gesunken. Die Ersparnisse des Mittelstandes und der Arbeiterschaft waren hinweggeschmolzen. Doch es war noch etwas Wichtigeres zerstört worden: der Glaube des Volkes an die wirtschaftliche Struktur der deutschen Gesellschaft. Was taugten noch die Maßstäbe und Praktiken einer solchen Gesellschaft, die zum Sparen und Investieren aufrief und dann ihre Verbindlichkeiten nicht einhielt? War das nicht Volksbetrug? (...)


 

Im Herbst 1923 erreichte die kritische Situation im Reich und in Bayern ihren Höhepunkt. Am 26. September verkündete der neue Reichskanzler, Gustav Stresemann, die Beendigung des passiven Widerstands an der Ruhr und die Wiederaufnahme der deutschen Reparationszahlungen. Stresemann war zu der Schlußfolgerung gelangt, daß Deutschland, sollte es vor dem Ruin bewahrt, geeinigt und wieder stark gemacht werden, sich mit den Alliierten verständigen und zur Ruhe gelangen mußte, um sich wirtschaftlich erholen zu können. Ein weiteres Sichtreibenlassen, meinte er, könne nur zum Bürgerkrieg und möglicherweise zum Untergang der Nation führen.

 

Quelle: "Aufstieg und Fall des Dritten Reiches" von William L. Shirer, S. 60f + 63



Ruhrkampf

 

Revolten von links und rechts, wirtschaftliche Not, Hochinflation, Separatisten am Rhein, die Ruhrsanktionen ... stürzten im Jahre 1923 die junge Republik in ihre tiefste Krise.

 

Geringfügige Rückstände deutscher Reparationszahlungen nahm Frankreich zum Anlaß, um am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet militärisch zu besetzen. Sowohl aus Gründen der nationalen Sicherheit als auch aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus strebte Frankreich nach der Herrschaft über die Ruhr. Die Reichsregierung proklamierte den passiven Widerstand. Aus wirtschaftlichen Gründen sah sich die Regierung Stresemann jedoch dazu gezwungen, im Oktober 1923 den Ruhrkampf abzubrechen.

 

»Über 180.000 deutsche Männer, Frauen, Greise und Kinder sind von Haus und Hof vertrieben worden. Für Millionen Deutsche gibt es den Begriff der persönlichen Freiheit nicht mehr. Gewalttaten ohne Zahl haben den Weg der Okkupation begleitet.« Doch jetzt könne die Reichsregierung die Bevölkerung an Rhein und Ruhr nicht mehr unterstützen; »das Wirtschaftsleben im besetzten und unbesetzten Deutschland ist zerrüttet.« Die Schaffung einer geordneten Währung und die Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens, ja die nackte Existenz des Volkes seien ernsthaft gefährdet. »Diese Gefahr muß im Interesse der Zukunft Deutschlands ebenso wie im Interesse von Rhein und Ruhr abgewendet werden. Um das Leben von Volk und Staat zu erhalten, stehen wir heute vor der bitteren Notwendigkeit, den Kampf abzubrechen.«

 

Quelle: "Deutschland 1870 bis heute" von Christian Zentner, S. 219

 

Anmerkung: Wer sich in die Atmosphäre der damaligen Zeit hineinversetzen möchte, dem sei zum Thema "Ruhrkampf" die Lektüre folgender Artikel des unvergleichlichen Carl von Ossietzky dringend ans Herz gelegt:

 

"Das Duell der Krüppel" (Berliner Volks-Zeitung, 16. Januar 1923)

"Gebot der Stunde - Mehr Aktivität!" (Berliner Volks-Zeitung, 17. Januar 1923)

"Deutschland steht allein - Illusion und Wirklichkeit" (Berliner Volks-Zeitung, 20. Januar 1923)

"Die Einheitsfront - Die wahre und die falsche" (Berliner Volks-Zeitung, 4. März 1923)

"Die Parteien in Frankreich - Das französische Volk und die Ruhrbesetzung" (Berliner Volks-Zeitung, 25. März 1923)

 

Diese Zeitungsartikel sind allesamt abgedruckt in "Carl von Ossietzky - Sämtliche Schriften", Band II, Rowohlt, Reinbek 1994 (Nr. 387, 389, 391, 400 und 402).