Die Röhm-Affäre – der Putsch der keiner war
Eine kleine Bibliographie und Augsteins Besprechung des Buches von Richardi und Schumann
1. Bennecke, Heinrich: Hitler und die SA, München und Wien 1962
2. Bennecke, Heinrich: Die Reichswehr und der „Röhm-Putsch“, München Wien 1964
3. Forschbach, Edmund: Edgar J. Jung - ein konservativer Revolutionär - 30. Juni 1934, Pfullingen 1984
4. Gritschneder, Otto: „Der Führer hat Sie zum Tode verurteilt . . .“, München 1993
5. Höhne, Heinz: Mordsache Röhm, Reinbek bei Hamburg 1984
6. Krivitsky, W. G.: Ich war in Stalins Dienst! Amsterdam 1940
7. Mau, Hermann: Die „zweite Revolution“ - Der 30. Juni 1934, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2/1953
8. Papen, Franz von: Der Wahrheit eine Gasse, München 1952
9. Richardi, Hans-Günter/Schumann, Klaus: Geheimakte Gerlich/Bell - Röhms Pläne für ein Reich ohne Hitler, München 1993
10.Rühle, Gerd: Das Dritte Reich - Dokumentarische Darstellung des Aufbaues der Nation - Das zweite Jahr - 1934, Berlin o. J.
11.Seraphim, Hans-Günther: Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35 und 1939/40, Göttingen - Frankfurt - Berlin 1956
12.Preradovich, Nikolaus von: 30. Juni 1934 – Röhm Putsch, Rosenheim 1994
13.Shirer, William L.: Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, Stuttgart und Hamburg o. J. („Das Blutbad vom 30. Juni 1934“ – S. 210 – 223)
Warum mußte Röhm verschwinden?
Rudolf Augstein über die Ermordung von Hitlers mächtigstem Feind
Den Journalisten Hans-Günter Richardi und Klaus Schumann, die den Abdruck ihres Buches „Geheimakte Gerlich/Bell“ in der Süddeutschen Zeitung plazierten, verdanken wir eine echte historische Sensation, die unter dem identischen, in dem Blatt so ohne weiteres nicht verständlichen Serien-Titel erschienen ist.
Wer die bayerischen Interna, die mit den Namen Gerlich und Bell verbunden sind, näher kennenlernen will, muß auf das im Ludwig-Verlag erschienene Buch verwiesen werden. (Hans-Günter Richardi / Klaus Schumann: ..Geheimakte Gerlich/Bell". W. Ludwig Verlag, München: 232 Seiten: 36 Mark)
Hier geht es um die Person des Stabschefs der SA, Ernst Röhm, der kurioserweise die Macht in München am 9. März 1933, immer noch als treuer Gefolgsmann seines Führers Adolf Hitler, übernahm.
Mir, wie den meisten Historikern, schien der sogenannte Röhm-Putsch, der den Stabschef am 1. Juli 1934 in seine ewigen SA-Jagdgründe beförderte, als eine Mischung aus Irrtümern (auf der Seite Röhms) und perfektem Kalkül (auf Seiten Hitlers).
Daß beim Hobeln Späne fliegen, hatte man mittlerweile schon gelernt. Hitler, so schien es damals, war zur Entscheidung zwischen der Reichswehr und der weit über 300.000 Mann zählenden Parteimiliz gezwungen.
Man nahm damals in Kauf, daß der Führer und Reichskanzler sich offiziell zum obersten Gerichtsherrn der Nation aufschwang (Carl Schmitt: „Der Führer schützt das Recht“) und daß etliche der Ermordeten mit den Absichten Röhms gar nicht vertraut waren. Vielen schien es so, als habe man durch Unrecht den Weg zum Rechtsstaat wieder betreten.
Nun nannte aber der Recht setzende Führer, in seiner Rede vor dem Reichstag in Berlin am 13. Juli 1934, den Standartenführer Julius Uhl als den Mann, der ausersehen war, ihn, den Führer und Reichskanzler, zu beseitigen. Dies hielt man damals für einen Schmarren.
Wie sich jetzt herausstellt, war das kein Schmarren. Julius Uhl, wenn auch noch nicht im Rang eines Standartenführers, sondern Sturmbannführers (= Major), ein vorzüglicher Pistolenschütze, war ausersehen worden und hatte sich bereit erklärt, Adolf Hitler zu ermorden. Das war aber vor der Machtergreifung 1933 gewesen. Hitler hatte die ganze Sache kurzerhand zeitversetzt.
Ernst Röhm, als Söldnerführer aus Bolivien zurückgeholt, trat Anfang 1931 seinen Dienst als oberster SA-Führer an, „Stabschef der SA“. Formal Hitler unterstellt, war er, wie jetzt mit Hilfe von Richardi und Schumann klar wird, keineswegs der getreue Gefolgsmann Adolf Hitlers, sondern hatte eigene Ziele und bereitete seinen Aufstieg zur Spitze vor.
Mag sein, er war nicht so verrückt wie Hitler („Adolf ist ein Spinner“); mag sein, er wollte mit dem Westen gegen den Osten gehen und keinesfalls einen Zweifrontenkrieg. Mag auch sein, daß er kein so fanatischer Judenhasser war.
Daß der spätere Standartenführer Julius Uhl, Kommandeur der Stabswache Röhms, Hitler umbringen sollte, wurde jedenfalls in den höchsten SA-Kreisen ausgekungelt. Nur muß man den unmittelbaren Grund bedenken: Uhl wollte Hitler erschießen, weil die SA-Führung ihm nicht mehr zutraute, die braune Bewegung an die Macht zu bringen. Nun hatte der aber bewiesen, daß er all seinen Gegnern, was Machterlangung betraf, überlegen war. Es ist also recht zweifelhaft, ob Uhl den Führer und Reichskanzler tatsächlich hatte umbringen wollen und sollen, als der sein Ziel erreicht hatte. Die fromme Absicht aber genügte.
Übrig blieben nach dem 30. Januar 1933 eine beschäftigungslose SA und eine argwöhnische Wehrmacht. Hitler mußte wählen, und nach seinen inneren Antrieben wählte er richtig.
Röhm, um den es am wenigsten schade war, mußte verschwinden, und zwar im Reich der Toten, samt seinen Trabanten. Was Hitler nicht paßte, war, daß nicht nur der frühere Reichskanzler und General Kurt von Schleicher, sondern im Vorübergehen auch dessen Frau gleich mit erschossen worden war. Damals mußte er auf solche Lappalien achten, schon mit Rücksicht auf den noch lebenden Reichspräsidenten Paul von Hindenburg.
Im Kampf zwischen zwei derart skrupellosen Formationen gibt es kaum ein bewertendes Urteil. Jedenfalls war Röhm nicht der tumbe Machtergreifungsversager, für den man ihn bisher gehalten hat. Er war Hitlers mächtigster innerparteilicher Feind, und ganz gewiß nicht aus Gründen des Rechtsstaats. Eine Reichsregierung unter einem Diktator Röhm mochte man sich ebenso wenig vorstellen. Er war kein verbohrter Ideologe wie sein Duzfreund Adolf. Er, selbst Mitglied einer diskriminierten Minderheit, hätte vermutlich der Juden-Ermordung keine Priorität eingeräumt. Das wäre viel gewesen, ist aber auch alles. Und auch hier können wir nur mit Shakespeares einfachen Soldaten im Königsdrama „Heinrich V.“ sprechen: „Das ist mehr, als wir wissen.“
Quelle: DER SPIEGEL 12 / 1993 / 105
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