Robert H. Jacksons grundlegende Rede

 

Das deutsche Grundgesetz erklärt in Art. 26 einen Angriffskrieg kurz und knapp für verlassungswidrig. Sehr viel ausführlicher äußerte sich 1946 der amerikanische Hauptanklagevertreter Robert H. Jackson vor dem Militärgerichtshof in Nürnberg, wo sich eine Reihe führender Nazis nach Kriegsende zu verantworten hatten. Ein Anklagepunkt war die Vorbereitung und Entfesselung eines Angriffskrieges.

 

"Jede Zuflucht zu einem Krieg, zu jeder Art von Krieg, ist eine Zuflucht zu Mitteln, die ihrem Wesen nach verbrecherisch sind", sagte Richter Jackson in seiner "Grundlegenden Rede" zu Anfang des Prozesses.

 

"Der Krieg ist unvermeidlich eine Kette von Tötung, Überfall, Freiheitsberaubung und Zerstörung von Eigentum. Ein ehrlicher Verteidigungskrieg verstößt natürlich nicht gegen das Gesetz und bewahrt, wenn er in den Schranken des Rechts geführt wird, vor strafbarer Schuld. Aber es geht nicht an, wenn ein Krieg selbst ungesetzlich ist, Handlungen, die ihrem Wesen nach verbrecherisch sind, mit dem Hinweis zu verteidigen, wer sie begangen habe, sei eben in einen Krieg verwickelt gewesen. Die allergeringste Folge der Verträge, die den Angriffskrieg für ungesetzlich erklären, ist, jedem, der dennoch einen solchen Krieg anstiftet oder entfesselt, jeglichen Schutz zu nehmen, den das Gesetz je gab, und die Kriegstreiber einem Urteilsspruch nach den allgemein anerkannten Grundregeln des Strafrechts zu überantworten."

 

Die Angeklagten könnten sich nicht darauf berufen, das Nürnberger Statut sei erst für sie gemacht worden und sie hätten nicht gewußt, daß Angriffskriege völkerrechtswidrig seien, argumentierte Jackson. Die Ächtung des Angriffskrieges habe eine lange Vorgeschichte. Dazu holte Jackson zu einem völkerrechtlichen Exkurs aus:

 

"Im Zeitalter imperialistischer Ausdehnung im 18. und 19. Jahrhundert entstand im Gegensatz zu den Anschauungen alter christlicher Lehrer und Völkerrechtsgelehrter, wie zum Beispiel Grotius, die nichtswürdige Doktrin, alle Kriege seien als rechtmäßige Kriege zu betrachten ... Das war unerträglich für ein Zeitalter, das sich zivilisiert nannte."

 

Man habe dann zunächst versucht,

 

"Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung und gegen die bewaffnete Macht gesetzlich einzuschränken. Nach dem Ersten Weltkrieg forderte der gesunde Menschenverstand jedoch, daß die Verurteilung des Krieges durch das Gesetz tiefer reichen müsse. Das Gesetz solle nicht nur verurteilen, einen Krieg auf unzivilisierte Art zu führen, sondern überhaupt einen unzivilisierten Krieg, einen Angriffskrieg, zu führen ...

 

Die Wiederaufnahme des Grundsatzes, daß es ungerechte Kriege gebe und daß ungerechte Kriege ungesetzlich seien, läßt sich in vielen Stufen verfolgen. Vor allem ist in dieser Entwicklung der Briand‑Kellogg‑Pakt vom Jahre 1928 bedeutsam. In ihm verzichteten Deutschland, Italien und Japan gemeinsam mit fast allen Nationen der Welt auf den Krieg als Instrument der Politik, verpflichteten sich, die Regelung von Streitigkeiten nur auf friedlichem Wege zu suchen, und verurteilten den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Streitfragen ...

 

Das Genfer Protokoll über die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten, das im Jahre 1924 von den Vertretern von 48 Regierungen unterzeichnet worden ist, legte fest, daß 'ein Angriffskrieg ein internationales Verbrechen darstellt'. Die 8. Vollversammlung des Völkerbundes erklärte in einer Entschließung, die im Jahre 1927 einstimmig von den Vertretern von 48 Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland angenommen worden ist, ein Angriffskrieg sei ein internationales Verbrechen. Auf der 6. Panamerikanischen Konferenz im Jahre 1928 nahmen die 21 amerikanischen Republiken einstimmig eine Entschließung an, daß der 'Angriffskrieg ein internationales Verbrechen gegen das Menschengeschlecht darstellt' ...

 

Selbst nach ihrem eigenen Gesetz ‑ hätten sie je ein Gesetz geachtet ‑ waren diese Grundsätze bindend für die Angeklagten. Artikel 4 der Weimarer Verfassung bestimmte: 'Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts' (Dokument Nummer 2058‑PS). Kann irgendein Zweifel sein, daß im Jahre 1939 die Ächtung des Angriffskrieges eine der 'allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts' war?"

 

Aber die Nazis hätten sich überhaupt über jedes Gesetz und Völkerrecht hinweggesetzt, sagte Richter Jackson:

 

"Das geht aus vielen Handlungen und Erklärungen hervor, von denen ich nur einige anführen will.

 

Bei einer bereits von mir erwähnten Zusammenkunft sagte Hitler, es komme bei Beginn und Führung des Krieges nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg. In seiner Ansprache an die versammelten Oberbefehlshaber am 23. November 1939 erinnerte er daran, daß Deutschland im Augenblick einen Vertrag mit Rußland habe, erklärte aber: 'Verträge werden aber nur so lange gehalten, wie sie zweckmäßig sind.' Weiter kündigte er in der gleichen Rede an: 'Verletzung der Neutralität Belgiens und Hollands ist bedeutungslos' (Dokument Nummer 789‑PS, Seite 5 und ‑ 11). In einer Geheimen Kommandosache, betitelt: 'Die Kriegsführung als Problem der Organisation', die der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht am 19. April 1938 allen Befehlshabern zuleitete, heißt es: 'Je nachdem, ob der Eintritt der kriegsrechtlichen Normen mehr Vorteile oder Nachteile für die Kriegsführenden bringt, werden diese sich den neutralen Staaten gegenüber als im Kriege oder nicht im Kriege befindlich betrachten' (Dokument Nummer L‑211) ...

 

Völkerrecht, natürliches Recht, deutsches Recht, jedes Recht überhaupt war diesen Männern nur eine Propagandaformel; sie bedienten sich seiner, wenn es ihnen helfen konnte, und sie verzichteten darauf, wenn es das, was sie tun wollten, verdammte."

 

Genauso wird leider heute mit dem Völkerrecht umgegangen. Deshalb ist es sicher nützlich, sich Richter Jacksons Worte in Erinnerung zu rufen. Zu Anfang der hier zitierten Rede sagte er:

 

"Das Statut dieses Gerichtshofs beruht auf dem Glauben, daß der Gedanke des Rechts nicht nur das Verhalten kleiner Leute beherrschen soll, sondern daß auch die Mächtigen, die Herrscher selbst, Gott und dem Gesetz untertan sind'."

 

Richter Jackson glaubte das, und zum Glück glauben auch viele Amerikaner es heute noch.

 

Quelle: "Vom Verbrechen des Angriffskrieges" von Gabriele Liebig in "Neue Solidarität" vom 5.2.2003 unter Verwendung der "Grundlegenden Rede", vorgetragen im Namen der Vereinigten Staaten von Amerika von Robert H. Jackson, Hauptanklagevertreter der USA beim Internationalen Militärgerichtshof zu Nürnberg

 

Anmerkung: Nach den eigenen in Nürnberg praktizierten Rechtsauffassungen könnte jedes von völkerrechtswidrigen Angriffen der USA heimgesuchte Land - zum Beispiel der Irak - George W. Bush und seine mitverantwortlichen Kabinettskollegen und Generäle zum Tode verurteilen und aufhängen