Wilhelm Kammeier über Leopold von Ranke über Einhard über
Karl den Großen (den Sachsenschlächter)
(...) Über die Biographie
Kaiser Karls, die unter dem Verfassernamen Einhard umgeht, hat Ranke sich wie
folgt vernehmen lassen (Leopold von
Ranke, Abhandlungen der Berliner Akademie, 1854, S. 416):
„Vielleicht
in keinem neueren Werke tritt die Nachahmung der Antike stärker hervor
als in Einhards Lebensbeschreibung Karls
des Großen. Sie ist nicht allein in einzelnen Ausdrücken und der Phraseologie, sondern in der Anordnung des
Stoffes, der Reihenfolge der Kapitel, eine Nachahmung Suetons. Wie auffallend,
daß ein Schriftsteller, der eine der
größten und seltensten Gestalten aller Jahrhunderte darzustellen hat, sich
dennoch nach Worten umsieht, wie
sie schon einmal von einem oder dem anderen Imperator gebraucht worden sind. Einhard gefällt sich
darin, die individuellsten Eigenheiten der Persönlichkeit seines Helden mit
den Redensarten zu schildern, die Sueton von Augustus oder Vespasian
oder Titus oder auch hie und da von Tiberius gebrauchte ... Das Buch ist voll von
historischen Fehlern. Nicht selten sind die Regierungsjahre falsch angegeben ..., über die Teilung des Reiches zwischen den beiden
Brüdern wird das Gegenteil von dem behauptet,
was wirklich stattgefunden hat ...; Namen der Päpste werden verwechselt; die Gemahlinnen sowohl wie die
Kinder Karls des Großen nicht richtig aufgeführt; es sind so viele
Verstöße zu bemerken, daß man oft an der
Echtheit des Buches gezweifelt hat, obwohl sie über allen Zweifel
erhaben ist.“
So hat ein Ranke, so hat der
größte deutsche Geschichtsschreiber geurteilt! Stellen wir diesem Urteil den
Ausspruch eines der bedeutendsten Diplomatiker (Fachwissenschaftler für
Urkunden, d.B.) an die Seite: Die Fülle der entdeckten Fehler und
Unregelmäßigkeiten in den urkundlichen Schriftstücken des Mittelalters
berechtigt uns nicht mehr, selbst den Nonsens als Verdachtsgrund geltend zu machen! - So wird mit erschreckender Deutlichkeit klar, auf welchem
gefährlichen Punkte die historische Forschung samt und sonders mit ihren
relativen Scheinmethoden angelangt ist.
Quelle: „Die Fälschung der
deutschen Geschichte“ von Wilhelm Kammeier, 11. Aufl., Viöl/Nordfriesland 2000,
S. 183 f
Anmerkung: Unter dem Titel „Erzbetrüger“ findet der
interessierte Leser auf dieser Weltnetzseite einen hervorragenden
SPIEGEL-Artikel über die klerikalen Fälscherwerkstätten des Mittelalters (DER
SPIEGEL 29 / 1998 / 148 + 150). Die dortige Anmerkung der Redaktion geben wir
nachfolgend wieder:
Aber auch in weltlichen Kanzleien wurde nicht nur gelegentlich mit
spitzer Feder nachgeholfen. Das gilt beispielsweise für Lübeck ebenso wie für
Oliva (vgl. Heinz Lingenberg: "Oliva - 800 Jahre", Lübeck 1986).
Andere Autoren gingen noch weiter und folgerten aus den notorischen
Urkundenfälschungen, ganze Epochen seien erfunden worden und brachten damit
unsere Zeitrechnung durcheinander. In erster Linie denken wir dabei an das Buch
von Wilhelm Kammeier ("Die Fälschung der deutschen Geschichte",
Leipzig 1935 / Nachdruck Husum 1979), aber auch an Heribert Illig: "Das
erfundene Mittelalter" und Uwe Topper: "Fälschungen der
Geschichte".
Im Internet findet man einiges über diese
"Chronologiekritiker". Dabei handelt es sich keinesfalls um
"Spökenkiekerei", wie die erlauchten Namen neben Kammeier, Illig und
Topper beweisen: Isaac Newton (1643 - 1727), Jean Hardouin (1646 - 1729),
Robert Baldauf, Nikolaj Morosow (1854 - 1946), Eugen Gabowitsch und Prof. A. T.
Fomenko.
Man fragt sich natürlich, warum sich die
kritische Wissenschaft nicht "mit Gebrüll" auf den Verdacht dieser
Ungeheuerlichkeiten stürzt. Hat man Angst, daß ein Weltbild zusammenbricht, daß
man plötzlich als Lehrer und Verbreiter von Ammenmärchen und Falsifikaten
verhöhnt werden könnte? Was soll's! Irren ist menschlich. Einen Irrtum
einzuräumen hat menschliche Größe. Aber wo findet man diese heute noch, wo
Sokrates, Luther und Kant nicht mehr unter uns weilen.