Räuberbande des Großkapitals

 

Sie haben gekniffen!

Die Nationalsozialisten: die Räuberbande des Großkapitals

von Dr. Julius Leber am 19.10.1929 in Lübeck gehaltene Rede

 

Meine Damen und Herren, Genossinnen und Genossen!

 

Es trifft sich gut, daß wir gerade heute Gelegenheit haben, vor einer Massenversammlung abzurechnen mit den Nationalsozialisten, den Totengräbern Deutschlands, wie wir sie auf unserem Plakat genannt haben. Wir bekamen gestern in Schlutup einen Vorgeschmack davon, was der Arbeiterschaft blüht, wenn jene Kreise die Macht bekommen, haben erlebt, wie sich die Nationalsozialisten die Freiheit in ihrem Staat denken. Zu Beginn der Schlutuper Versammlung marschierte eine 150 Mann starke Schlägerkolonne aus Eutin und Mecklenburg auf, um den Arbeitern Disziplin beizubringen. Man versuchte, glauben zu machen, daß die ringsum im Saal aufgestellte Kolonne Arbeiter seien. Dabei waren eine ganze Reihe 18jähriger bebrillter Leute darunter und an der Spitze dieser merkwürdigen Arbeiterkolonne stand ein verkrachter Baron und ein dickbauchiger Apotheker aus Eutin. Das sind doch sonderbare Arbeiter, die sich führen lassen von Baronen, Rittmeistern und Korpsstudenten. Was meinen Sie wohl, wie diese Herren mit den Arbeitern sprechen würden, wenn wir keine Republik hätten? Keiner würde mit ihnen verkehren. Weil deren Herrlichkeit einen Riß bekommen hat und ihr Kavallerieglanz erloschen ist, sind sie innerlich haßerfüllt und spielen sich heuchlerisch als Freunde der Arbeiterschaft auf. Ich komme nachher noch auf diese vielgerühmte Führerauslese zurück; es sind lauter entlassene Offiziere, verkrachte Schieber, Adlige, die noch niemals ehrliche Arbeit geleistet haben.

 

Der Abend in Schlutup ergibt für die Sozialdemokratie diese Lehre: Die Zeiten sind vorbei, wo wir uns von einigen nationalsozialistischen Schlägergarden terrorisieren lassen, daß 150 junge Burschen aus Eutin kommen, um die Arbeiter niederzuknütteln. Entweder wird von der Polizei Ordnung geschaffen oder wir greifen zur Selbsthilfe.

 

Seit Monaten ist Deutschland der Schauplatz einer wüsten Hetze gegen Republik und Verfassung. Die Wut der nationalsozialistischen Kreise wandte sich insbesondere gegen den verstorbenen Reichsaußenminister Dr. Stresemann. Wir haben uns bei dieser Hetze gegen Stresemann zurückgehalten, weil wir glaubten, es sei Sache des Bürgertums, seinen Führer zu schützen und zu verteidigen. Aber nicht ein einziger Bürger Lübecks hatte den Mut dazu, alle sind feige zu Hause geblieben und haben sich auf die Sozialdemokratie verlassen. Ich bin gestern deshalb in die nationalsozialistische Versammlung gegangen, um die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß die Nationalsozialisten den Mut aufbringen, heute zu uns zu kommen. Es soll heute Abrechnung mit jenen Kreisen gehalten werden, die die Republik und die Arbeiterklasse am tiefsten schädigen und beschimpfen. Und was für eine Antwort bekamen wir? Ich weiß nicht, wie die jungen Leute bei den Nationalsozialisten über Heldenmut ihrer Führer denken. Sie haben mit den fadenscheinigsten Gründen gekniffen. Goebbels, der Clown des Reichstags, sagte, er wolle sich mit allen auseinandersetzen, nur nicht mit mir. Er macht es wie die Ringkämpfer an den Volksfesten, die jedermann zum Kampf auffordern, die Austragung des Kampfes aber ablehnen, wenn einer gefährlich ausschaut. Die Nationalsozialisten forderten u. a. schriftliche Garantie, daß ihnen nichts passiert. Der große Wahlspruch der Nationalsozialisten heißt: Lieber tot als Sklave, aber sie müssen es schriftlich haben, daß sie am Leben bleiben!

 

Ich habe den Nationalsozialisten sogar eine von der Polizei abgestempelte Garantie für ihr Leben versprochen, aber nun sagen sie, daß sie mit mir überhaupt nicht diskutieren wollen. Sie bringen als Ausrede die alte Geschichte vom Halb‑ und Ganzjuden wieder vor. Daß jetzt ausgerechnet die Partei der Zukunft diese alten Kamellen wieder ausgräbt, wirkt zugleich komisch und tragisch. Sehen Sie, meine Herren Nationalsozialisten, sobald Sie finden, daß Ihnen ein Gegner gefährlich und überlegen ist, erklären Sie ihn zum Juden. Einer solchen Logik sind nur Idioten fähig. Einige Worte zu der gestrigen Rede ihres Gauführers Hildebrandt: Wer auf ein solches Geschwätz hereinfällt, dem ist nicht zu helfen. Wenn alle Nationalsozialisten in ihrem Zukunftsstaat derartige wirtschaftliche Torheiten verzapften wie dieser Herr aus Mecklenburg, genügt schon ein Jude, um sie alle in die Tasche zu stecken.

 

Werte Anwesende! Die Judenfrage soll hier keine Rolle spielen. Ich erwähne sie nur, weil Herr Hildebrandt gestern den Geist Rathenaus zitierte. Eine Gegenüberstellung jenes unvergeßlichen Deutschen mit diesen unglaublichen Idioten wäre nichts weiter als eine Blasphemie am Andenken Rathenaus. Übrigens ist dem Nationalsozialisten Goebbels, dem Mann, bei dem ein Drittel seiner Körperlänge das Maul ausmacht und der seinerzeit im Reichstag drohte, alle Sozialdemokraten aufhängen zu lassen, in Berlin etwas sehr Peinliches passiert. Er mußte mit seinem vornehmen Privatwagen, den ihm die nationalsozialistische Jugend spendete, einige Minuten warten. Auf seinen Protest, daß er zu einer Versammlung müsse, erklärte ihm der Schutzmann: Sie brauchen sich nicht zu beeilen, Sie kommen doch nicht hinein. Juden ist der Zutritt verboten. [ ... ]

 

Wer ist an diesem Elend, in dem Deutschland steckt, schuld? Wer hat den Krieg mit angefangen? Eine kleine Herrschaftsgruppe hat Deutschland den Weg zur Katastrophe geführt, dieselben Kreise, die die Arbeiterschaft kaputtgemacht haben und jetzt beschimpfen. Die Heldenväter Ludendorff und Helfferich haben den Krieg bis zum bitteren Ende geführt; die Nationalisten haben gefordert, den Feinden die Bleikugeln ein ganzes Jahrhundert an die Beine zu ketten. Wenn sich heute unsere Vertreter an den Verhandlungstisch setzen und über Ungerechtigkeit klagen, wird ihnen die Frage vorgelegt, was unsere Generäle wohl im Falle eines Sieges gemacht hätten. Glauben Sie denn, meine Herren Nationalsozialisten, daß Sie Frankreich oder England etwas schenken würden? Vergessen Sie nicht: diese Gattung Mensch, die sich Nationalsozialisten nennen, gibt es in Frankreich auch. Sie brüllt genauso. Die französische Aktion, wie sie sich nennt, beschimpft bei jeder Gelegenheit ihre Staatsmänner, die für Verständigung eintreten; ebenso macht die amerikanische Legion dem Präsidenten viel zu schaffen. Es gäbe einen Ausweg, um den Streit zu schlichten. Könnten wir nicht einen Krieg anfangen, in dem diese verschiedenen Nationalsozialisten aufeinander losgehen?