Proletarische Friedenspolitik
Schon der Brüsseler Kongreß
der Internationale im Jahre 1868 weist auf praktische Maßnahmen zur
Verhinderung des Krieges hin. Er sagt unter anderem in seiner Resolution:
»daß die Völker schon jetzt
die Zahl der Kriege vermindern können, indem sie sich jenen entgegenstellen,
die die Kriege machen und erklären;
daß dieses Recht vor allem den
arbeitenden Klassen zusteht, die beinahe allein zu militärischem Dienst
herangezogen werden und ihm daher allein eine Sanktion erteilen können;
daß ihnen zu diesem Behufe ein
wirksames, gesetzliches und augenblicklich realisierbares Mittel zur Verfügung
steht;
daß die Gesellschaft in der
Tat nicht leben könnte, wenn die Produktion eine Zeitlang aussetzt, die
Produzenten daher mit der Arbeit nur einzuhalten brauchen, um den persönlich
vorgehenden, despotischen Regierungen ihre Unternehmen unmöglich zu machen;
erklärt der Kongreß der
internationalen Vereinigung der Arbeiter in Brüssel, vereinigt aufs
energischste gegen den Krieg zu protestieren, und lädt alle Sektionen der
Vereinigungen in den verschiedenen Ländern sowie alle Arbeitervereine und
Arbeiterorganisationen ohne Unterschied ein, mit dem größten Eifer dafür zu
wirken, um einen Krieg von Volk zu Volk zu verhindern, der gleichzeitig, weil
unter Produzenten, also Brüdern und Bürgern geführter Krieg, als ein
Bürgerkrieg anzusehen wäre.
Der Kongreß empfiehlt den Arbeitern
insbesondere die Niederlegung der Arbeit für den Fall des Ausbruches eines
Krieges in ihrem Lande.«
Ich übergehe die anderen
zahlreichen Resolutionen der alten Internationale und gehe zu den Kongressen
der neuen Internationale über. Der Züricher Kongreß 1893 erklärt:
»Die Stellung der Arbeiter zum
Kriege ist durch den Beschluß des Brüsseler Kongresses über den Militarismus
scharf bezeichnet. Die internationale revolutionäre Sozialdemokratie hat in
allen Ländern mit Aufgebot aller Kräfte den chauvinistischen Gelüsten der
herrschenden Klasse entgegenzutreten, das Band der Solidarität um die Arbeiter
aller Länder immer fester zu schlingen und unablässig auf die Beseitigung des
Kapitalismus hinzuwirken, der die Menschheit in zwei feindliche Heerlager
geteilt und die Völker gegeneinander hetzt. Mit der Aufhebung der
Klassenherrschaft verschwindet auch der Krieg. Der Sturz des Kapitalismus ist
der Weltfriede.«
Der Londoner Kongreß 1896
erklärt:
»Nur die Arbeiterklasse kann
ernstlich den Willen haben und sich die Macht erringen, den Weltfrieden zu
schaffen. Deshalb fordert sie:
1. Gleichzeitige Abschaffung
der stehenden Heere in allen Staaten und Einführung der Volksbewaffnung.
2. Einrichtung eines
internationalen Schiedsgerichts, dessen Beschlüsse Gesetzeskraft haben.
3. Endgültige Entscheidung
über Krieg oder Frieden direkt durch das Volk für den Fall, daß die Regierungen
nicht die Entscheidung des Schiedsgerichts annehmen.«
Der Pariser Kongreß 1900
empfiehlt als praktisches Mittel des Kampfes gegen den Militarismus:
»daß die sozialistischen
Parteien überall die Erziehung und Organisierung der Jugend zum Zwecke der
Bekämpfung des Militarismus in Angriff zu nehmen und mit größtem Eifer zu
betreiben haben.«
Gestatten Sie mir noch einen
wichtigen Passus aus der Resolution des Stuttgarter Kongresses von 1907, wo
schon eine ganze Reihe praktischer Handlungen der Sozialdemokratie im Kampfe
gegen den Krieg sehr plastisch zusammengefaßt ist. Hier heißt es:
»Tatsächlich hat seit dem
internationalen Kongreß in Brüssel das Proletariat in seinem unermüdlichen
Kampfe gegen den Militarismus durch Verweigerung der Mittel für Rüstungen zu
Lande und zu Wasser, durch die Bestrebungen, die militärische Organisation zu
demokratisieren, mit steigendem Nachdruck und Erfolg zu den verschiedensten
Aktionsformen gegriffen, um den Ausbruch von Kriegen zu verhindern oder ihnen
ein Ende zu machen, sowie um die durch den Krieg herbeigeführte Aufrüttelung
der Gesellschaft für die Befreiung der Arbeiterklasse auszunutzen: so
namentlich die Verständigung der englischen und französischen Gewerkschaften nach
dem Faschoda‑Fall zur Sicherung des Friedens und zur Wiederherstellung
freundlicher Beziehungen zwischen England und Frankreich; das Vorgehen der
sozialistischen Parteien im deutschen und im französischen Parlament während
der Marokkokrise; die Kundgebungen, die zum gleichen Zweck von den deutschen
und französischen Sozialisten veranstaltet wurden; die gemeinsame Aktion der
Sozialisten Österreichs und Italiens, die sich in Triest versammelten, um einem
Konflikt der beiden Staaten vorzubeugen; weiter das nachdrückliche Eingreifen
der sozialistischen Arbeiterschaft Schwedens zur Verhinderung eines Angriffes
auf Norwegen; endlich die heldenhaften Opfer und Massenkämpfe der
sozialistischen Arbeiter und Bauern Rußlands und Polens, um sich dem vom
Zarismus entfesselten Kriege zu widersetzen, ihm ein Ende zu machen und die
Krise zur Befreiung des Landes und der arbeitenden Klassen auszunutzen. Alle
diese Bestrebungen legen Zeugnis ab von der wachsenden Macht des Proletariats
und von seinem wachsenden Drange, die Aufrechterhaltung des Friedens durch
entschlossenes Eingreifen zu sichern. «
Quelle: Rosa Luxemburg 1914 in einem Schlußvortrag ("letztes
Wort") vor einer Frankfurter Strafkammer