Preußens Rechtspflege

 

Aus dem 1752 verfaßten politischen Testament Friedrich des Großen der Abschnitt über die Rechtspflege

 

In eigener Person Recht zu sprechen, ist eine Aufgabe, die kein Herrscher auf sich nehmen kann, und ein König von Preußen noch weniger als ein anderer. Das immense Detail eines einzigen Rechtshandels würde die Zeit verschlingen, die er vorzugsweise anderen Zweigen der Regierung widmen muß. Aber wenn der Fürst auch nicht selber Recht spricht, so folgt daraus nicht, daß er die Rechtspflege vernachlässigen dar. Ich habe in diesem Lande Gesetze vorgefunden, die, statt den Parteien zu helfen, die Rechtshändel verwirrten und die Prozesse verlängerten. Daraufhin teilte ich dem Großkanzler Cocceji meinen Plan mit zu einer Reform der Gesetze und ihrer Einführung nur auf der Grundlage der natürlichen Billigkeit. Dieser hochverdiente Beamte führte meinen Willen zur allgemeinen Zufriedenheit aus. Jetzt steht fest, daß Ungerechtigkeiten seltener als früher vorkommen, daß die Richter unbestechlicher, die Prozesse kürzer sind und daß es nur wenig schwebende Verfahren bei den Gerichtshöfen gibt. Es wäre zu wünschen, daß die Herrscher ihr besonderes Augenmerk auf die gute Besetzung des Großkanzleramtes richteten und Männer von der Rechtschaffenheit, Geschicklichkeit und lauteren Gesinnung Coccejis dafür fänden. Nur so läßt sich das Gute bewahren, das er für den Staat geleistet hat. Die Wahl dieser Persönlichkeit muß mit um so mehr Kenntnis und Vorsicht erfolgen, als der Herrscher einen Teil seiner Autorität in ihre Hände legt und sie zum Schiedsrichter über das Schicksal der Bürger macht.

 

Wir sehen, daß bei der Unvollkommenheit aller menschlichen Dinge die besten Einrichtungen entarten. Daher muß von Zeit zu Zeit, wo es nötig ist reformiert werden und die Einrichtungen ihrem ursprünglichen Zweck wieder zugeführt werden.

 

Ich habe mich entschlossen, niemals in den Lauf des gerichtlichen Verfahrens einzugreifen: in den Gerichtshöfen sollen die Gesetze sprechen und der Herrscher schweigen. Aber dieses Stillschweigen hat mich zugleich nicht daran gehindert, die Augen offen zu halten, um das Verhalten der Richter zu überwachen. Es ist festgelegt, daß zwei Räte des höchsten Gerichtshofes alle drei Jahre die Provinzen bereisen, um das Verhalten der Richter zu prüfen und um die anzuzeigen, welche sich etwas zuschulden kommen ließen. Man darf mit den Pflichtvergessenen kein Mitleid haben: die Stimme der Witwen und Waisen fordert Vergeltung, und Sache des Fürsten ist es, die Beamten zur Einhaltung ihrer Pflicht anzuhalten durch Beispiele der Strenge gegen Beamte, welche ihre Autorität mißbrauchen indem sie das öffentliche Vertrauen unter dem Vorwand von Recht und Gerechtigkeit täuschen. Gerade gegen solche Arten von Pflichtvergessenheit muß ich die äußerste Strenge anraten; denn der Herrscher macht sich gewissermaßen zum Mitschuldigen an dem Verbrechen, das er nicht bestraft.

 

 

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