Pariser Kommune
Ein Beispiel für den Unterschied zwischen sozialistischer und
bürgerlicher Geschichtsschreibung
Pariser Kommune (i.F.: P. K.): erste proletarische
Machtergreifung in der Geschichte vom 18. 3.‑28. 5. 1871 in Paris. Zur
treibenden Kraft der revolutionären Bewegung gegen die antinationale Politik
der großbourgeoisen französischen Regierung A. Thiers wurde die in der Arbeiterbevölkerung
verwurzelte Pariser Nationalgarde, die trotz der Besetzung des Gebiets um Paris
durch preußisch-deutsche Truppen bewaffnet geblieben war. Ausgelöst wurde die
P. K. durch den Versuch der Regierung Thiers, am 18. 3. 1871 die Artillerie der
Nationalgarde zu beschlagnahmen. Die Regierungstruppen wurden von der
Nationalgarde und den Volksmassen von Paris in die Flucht geschlagen. Das
Zentralkomitee der Nationalgarde, das in seiner Mehrheit die Pariser
Arbeiterklasse repräsentierte, übernahm die Macht in Paris. Die objektiven und
subjektiven Bedingungen, unter denen die P. K. existierte, waren noch
unausgereift. Daher konnte sie nur Keime der Diktatur des Proletariats entwickeln und die Umgestaltung der Gesellschaft nur
in begrenztem Umfang beginnen. Die tragenden Kräfte der P. K. waren politisch uneinheitlich:
Die Vertreter des Marxismus waren in der Minderheit, die Mehrheit bestand aus
radikal-demokratischen kleinbürgerlichen Kräften und aus Anhängern des Proudhonismus.
Daraus ergab sich die wesentlichste Schwäche der P. K. ‑ das Fehlen einer
revolutionären proletarischen Partei mit einer klaren Konzeption für den
Kampf. Dennoch wurden dank der schöpferischen Initiative der revolutionären
Volksmassen von Paris richtige politische und soziale Entscheidungen getroffen
und entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Das stehende Heer wurde durch die
allgemeine Volksbewaffnung ersetzt, der alte Staatsapparat beseitigt, die Wähl-
und Absetzbarkeit aller Staatsfunktionäre eingeführt, die Trennung von
Legislative und Exekutive überwunden. Das oberste Organ der P. K., der Rat
der Kommune, aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen, war ein Machtorgan völlig
neuer Art: Er vereinigte legislative und exekutive Funktionen. Ausdruck der
sich stärker durchsetzenden Führung der Arbeiterklasse in der P. K. war das
Dekret über die Übernahme der von ihren Besitzern verlassenen Werkstätten
durch Arbeitergenossenschaften (16. 4. 1871). Unterstützt von den preußisch‑deutschen
Okkupanten, ging die französische Konterrevolution am 21. 5. zum Angriff auf Paris
vor. Im Verlauf der "blutigen Maiwoche" wurden 30 000 Kommunarden
ermordet. 60 000 wurden gefangengesetzt oder zur Zwangsarbeit deportiert. Die klassenbewußten
deutschen Arbeiter bekannten sich in zahlreichen Massenversammlungen zu
P. K.
August Bebel erklärte im Deutschen Reichstag, daß der Schlachtruf des Pariser
Proletariats: "Krieg den Palästen, Friede den Hütten!" in wenigen
Jahrzehnten der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats sein werde.
Die P. K. war von historischer Bedeutung für die internationale und die
deutsche Arbeiterbewegung. Mit ihr begann ein neuer Abschnitt in ihrer
Geschichte, der durch das rasche Wachstum der Arbeiterklasse und ihre
Vorbereitung auf entscheidende Klassenkämpfe gekennzeichnet war. Die P. K.
bestätigte in der Praxis die Lehren des Marxismus. K. Marx und F. Engels, die
sich um Hilfe und Anleitung für die P. K. bemüht hatten, zogen aus ihr
grundlegende Schlußfolgerungen, insbesondere für die marxistische
Staatstheorie, die Bündnispolitik der Arbeiterklasse und ihren Weg zur
Errichtung ihrer politischen Macht.
Quelle: "Kleines politisches
Wörterbuch", Berlin 1967, S. 478 f
(...) Die Beendigung des
Krieges und der Übergang zur Republik waren in Frankreich mit schweren inneren
Kämpfen verbunden. Wieder, wie 1848, hatte das rote Paris die Revolution
gemacht, die Napoleon stürzte; wieder, wie 1848, wurde einige Monate später das
radikale Pariser Volk vom Lande her überwältigt. Diesmal nahm der Bürgerkrieg
die Form eines Kampfes zwischen der »Commune«, der Munizipalität (Stadteigenschaft) von Paris und der
provisorischen Staatsmacht an. Eine Nationalversammlung war, unter dem Schutz
des Waffenstillstandes, im Februar in Bordeaux zusammengetreten. Wenn sie in
ihrer Mehrheit konservativ und monarchistisch war, so entsprach das der wahren
Gesinnung der Provinzen immer und besonders jetzt, da die radikalen
Republikaner, und nur sie, den verlorenen Krieg im Stil von 1793 fortzusetzen
wünschten. An die Spitze der Exekutive trat Adolphe Thiers, der Minister Louis
Philippes, der Mann der Krise von 1840, dessen Dienste Louis Napoleon sich zu
seinem Schaden nicht verpflichtet hatte und der im Alter weise geworden war.
Thiers besorgte die Friedensverhandlungen mit Preußen. Gleichzeitig eroberten
seine Truppen Paris. Es geschah während des Waffenstillstandes (April und Mai),
während deutsche Truppen noch rings um die Hauptstadt lagen. Bismarck erlaubte
dem neuen französischen Staatschef ausdrücklich, diesen Krieg zu führen.
In der Regierung der
rebellischen Hauptstadt waren die verschiedensten Elemente vereinigt;
zentralistische und dezentralisierende Republikaner, radikale Bürger im Jakobiner‑Stil,
Sozialisten mehrerer Spielarten, auch solche, die der Marxschen Gründung, der
»Internationale«, nahestanden. Die Commune war nicht überwiegend sozialistisch,
viel weniger marxistisch; wenn Marx später ihren Kampf zur eigenen Sache
machte, so war das eine illegitime Aneignung. Produkt der Belagerungszeit, der
Kriegsnot, Verwirrung und Enttäuschung, hatte sie keine innere Einheit und
keine Zeit, sich eins zu werden. Wohl aber war wildes Volk hinter ihr, das, im
Namen der Commune, sich abscheulicher Taten schuldig machte. Ende Mai eroberten
die Truppen der Nationalversammlung von Versailles aus die Stadt; während des
Kampfes verbrannte und verschwand für immer das Tuilerienschloß, in dem die
Bourbonen, die Orleans und Bonaparte gehaust hatten. Dem roten Terror folgte
der weiße; ein Wüten der Kriegsgerichte, ein militärisches Morden unter den
Proletariern von Paris, das die Greuel der Junischlacht von 1848 verblassen
ließ. ‑ Nachdem der Wille der revolutionären Hauptstadt gebrochen war,
schien Frankreich bereit für eine Rückkehr des Königs. Sie wurde erwartet, das
Land war dasselbe Land, das noch im Frühling 1870 die Monarchie Napoleons
bestätigt hatte; die erwählten Staatschefs der Republik, erst Thiers, dann
(1873) Marschall MacMahon, galten nur als Statthalter des Königs. Aber der
König kam nicht. Zuerst nicht, weil der Bourbone und der Orleans sich nicht
einigen konnten; dann auch nach ihrer Einigung nicht. Mit dem schönen,
quichotischen Stolz seines Großvaters, Karls X., machte der Graf von Chambord
das weiße Lilienbanner zur Flagge Frankreichs, weigerte er sich unter der
Trikolore zu regieren; eine Haltung, in der die BourbonenUnversöhnlichkeit
gegenüber der Geschichte von acht Jahrzehnten zum Ausdruck kam. Nur um ein
Symbol ging es, aber an ihm scheiterte die Restauration, und während sie wieder
und wieder verschoben wurde, begann Frankreich sich allmählich in dem Haus ohne
Thron einzurichten.
Quelle: Golo Mann in "Propyläen Weltgeschichte - Das neunzehnte
Jahrhundert", Band 8, Berlin / Frankfurt am Main 1960, S. 574 f