Otto Katz
Katz, Otto, alias André
Simone, 1933 etwa 40 Jahre alt, 1952 in Prag hingerichtet ‑ Tschechischer
Staatsbürger (und Jude, d.V.). Nach Koestler (S. 217) stammte er aus Prag, war
in Berlin geschäftlicher Leiter der bekannten Wochenschrift »Das Tagebuch«,
dann Direktor von Erwin Piscators kommunistischer Bühne, Direktor eines der
Verlage des Münzenberg-Konzerns, Direktor von Meschrabpom‑Film in
Moskau; später in den Pariser Jahren Organisator der deutschen und spanischen
»Hilfskomitees«, Direktor der spanischen Nachrichten‑Agentur und
Verteiler geheimer Propagandagelder der spanischen Regierung an französische
Zeitungen und Politiker. Er war der reisende Botschafter des unsichtbaren Willy
Münzenberg und fuhr regelmäßig nach England und nach Hollywood, um Gelder zu
sammeln und antifaschistische Komitees zu gründen. »Er hatte überall politische
Beziehungen, war attraktiv für Frauen, besonders für politisierende Damen in
mittleren Jahren, und benutzte sie geschickt für seine Zwecke ... «
Katz war zumindest seit seiner
Moskauer Zeit Kominternagent, wahrscheinlich aber schon nach seinem Eintritt
bei Münzenberg. Er war einer der Gewissenlosesten dieser Gruppe. Von Frankreich
aus emigrierte er nach Mexiko. Dort gab er zusammen mit anderen Kommunisten
eine deutschsprachige Zeitung heraus. 1945 kehrte er nach Europa zurück. Eine
Zeitlang hielt er sich in der Schweiz auf, dann ging er nach Prag. Dort wurde
er im November 1952 vor Gericht gestellt. In seinem Schlußwort erklärte er:
"...ich halte mich für einen Verbrecher, der die strengste Strafe
verdient ... Ich war Schriftsteller. Über die Aufgabe eines solchen sagt eine
herrliche Formulierung, er sei Ingenieur der menschlichen Seelen. Doch was für
ein Ingenieur ist jener, der die Seelen vergiftet? Ein Seeleningenieur wie ich
gehört an den Galgen!"
Koestler
schreibt dazu (S. 217):
»Als das Schicksal Otto Katz
ereilte und er in Prag unter der absurden Anklage der britischen Spionage und
zionistischen Verschwörungen gehängt wurde, erhob nicht ein einziger seiner
früheren Freunde, Mitarbeiter und politischen Kameraden, die Stimme zu seiner
Verteidigung.«
Der Verfasser eines halben Dutzends Bücher, darunter der Braunbücher (s.
o.) wurde Ende 1952 gehängt, achtzehn Jahre nach dem Tode von Marinus van der
Lubbe, den er mit seinen Fälschungen auf das Schafott bringen half.
Braunbücher ‑ Das von Münzenberg (s. d.) in Paris im
November 1933 herausgegebene Braunbuch I erschien wenige Tage vor Beginn des
Reichstagsbrandprozesses in Leipzig. Es beeinflußte stark den Prozeßverlauf.
Braunbuch II ‑ Dimitroff gegen Göring ‑ erschien nach dem Prozeß.
Verfasser der Bände war Otto Katz (s. d.). Arthur Koestler, 1933 in Paris
Mitarbeiter von Münzenberg und Katz, schreibt darüber (S. 206): »Das Braunbuch
hatte wahrscheinlich die stärkste politische Wirkung, die jemals ein Pamphlet
seit Tom Paines >Common Sense< erzielt hatte. Es wurde anonym
veröffentlicht ... Das Material war vom Nachrichtenapparat der Komintern
zusammengetragen worden ... Es gründete sich auf Deduktion, Intuition und Bluff
... Es wurde innerhalb von wenigen Wochen in siebzehn Sprachen übertragen ...
und wurde zur Bibel des antifaschistischen Kreuzzuges ... « Über den Zweck der
Braunbücher vgl. weiter Koestler S. 201.
Tatsächlich gelang es Katz,
einige seiner Geschichtsfälschungen so hinzustellen, daß sogar Koestler zwanzig
Jahre später noch daran glaubte. Als Katz (nicht der »holländische Apparat«) im
Sommer 1933 nach Holland kam, fand er nichts, was sich gegen Lubbe hätte
verwenden lassen. Lubbe war ein politischer Wirrkopf, aber persönlich ein
hilfsbereiter und allgemein beliebter junger Mann. Aber Katz hatte die Weisung,
ihn unter allen Umständen zu diffamieren. Da er nichts fand, erfand er. Aus dem
Anarchisten machte er »den faschistischen Provokateur«, der schon in Holland ‑
wo es noch kaum eine nennenswerte »faschistische Bewegung« gab ‑ offen
seine Neigung zum Nationalsozialismus bekannt hatte. Kommunistische
Parteimitglieder wurden gezwungen, eidesstattliche Erklärungen in diesem Sinne
abzugeben (Braunbuch I S. 60), in denen unterstellt wurde, daß jeder, der nicht
für den Kommunismus eintrat, ein Faschist sei. Um die Brücke zwischen Lubbe und
der NSDAP zu schlagen, machte Katz aus Lubbe den homosexuell veranlagten
Lustknaben von Hauptmann Röhm, obwohl dafür nicht der geringste Beweis vorlag.
Um seine These zu untermauern, fälschte und unterschlug er Protokolle über die
Aussagen von Frauen und Männern, die mit Lubbe in Beziehungen gestanden hatten.
So schrieb er:
»Izak Vink hat unserem
Berichterstatter erzählt, daß er mit van der Lubbe oft in einem Bett geschlafen
hat« (Braunbuch I S. 52).
Tatsächlich
gab Vink, der übrigens verheiratet war, zu Protokoll:
»Ich habe verschiedene Male
mit Lubbe in einem Bett geschlafen, ohne daß ich etwas von homosexuellen
Neigungen wahrgenommen habe« (Roodboek S.46).
Katz' »Kronzeuge« korrigierte
seine ursprüngliche Aussage und erklärte in London vor den »Richtern« des
Gegenprozesses (s. d.), er wisse nichts Bestimmtes, aber er habe angenommen,
daß Lubbe »möglicherweise« homosexuell sei. Gegen die Darstellungen Katz' in
den Braunbüchern protestierten sofort (ohne Erfolg): sämtliche Freunde Lubbes,
seine Wirtsleute, seine Familie, die Polizei, sein Verteidiger, aber gegen Katz
kam niemand auf. Er verteidigte seine »Theorie« hartnäckig, denn stimmte seine
Behauptung nicht, brach sein ganzes Lügengebäude zusammen. Eine Reihe Verlage,
die das Braunbuch I herausgebracht hatten, weigerten sich dann, Braunbuch II zu
verlegen.
Katz handelte natürlich im
Auftrag der Komintern. Die Gründe kann man nur vermuten: Die Sowjetunion
unterhielt ausgezeichnete Beziehungen zur Reichswehr, die erst 1934 unterbunden
wurden. Eine Diffamierung der SA via Lubbe‑Röhm mußte der Reichswehr
zugute kommen, über die man mit Hitler zu Abmachungen kommen wollte.
Quelle:"30. Januar '33 - Hitlers Machtergreifung" von Hans Otto
Meissner, Esslingen 1976, S. 433 + 407 + 408