Rückständige Monarchisten

 

Richter in der Weimarer Republik

 

"Ebert. Die Antwort auf Magdeburg" von Dr. Julius Leber

 

Das deutsche Reichskabinett, worin die Führer aller bürgerlichen Parteien mit Ausnahme der Deutschnationalen sitzen, verkündet feierlich seine Überzeugung, daß Ebert stets das Wohl des Vaterlandes gewollt und ihm gedient habe; ein kleiner Magdeburger Paragraphenschnüffler stellt fest, daß der Reichspräsident ein Landesverräter sei.

 

Vielleicht genügt schon diese Gegenüberstellung, um den moralischen Abgrund zu ermessen, in den sich unsere Rechtspflege allmählich begeben hat. Die Gründe für diese verhängnisvolle Entwicklung sind offensichtlich.

 

Unsere Richter fühlen sich im wesentlichen immer noch als Beamte des alten Staates. Sie sind deutschnational, sie sind Monarchisten. Zwar sind sie, ruhig wiederkäuend, an der Staatskrippe sitzen geblieben nach der Umwälzung im November 1918, zwar haben sie den neuen Eid auf die Verfassung der Republik abgeleistet, aber ‑ innerlich sind sie das, was sie immer waren: rückständige Monarchisten.

 

Diese Tatsache wird dadurch so verhängnisvoll, wirkt dadurch doppelt demoralisierend auf unsere Justiz, weil diese Richter die anderen und auch sich selbst über ihre wahre Gesinnung hinwegtäuschen mit einem frömmlerischen Augenaufschlag zu ihrer streng in Schlagworten gefaßten Objektivität. Diese Objektivität gibt es nicht. Jedes Recht ist von einem bestimmten Geist, von einer bestimmten Absicht getragen, schwimmt im Strom einer ganz genau festgelegten Tendenz.

 

[ ... ] Was sagt der Richter im Fall Ebert? Er sagt, es sei völlig gleichgültig, welche Absichten Ebert bei seiner Haltung im Jahre 1918 gehabt habe, es sei völlig gleichgültig, aus welchen Beweggründen er in die Leitung des von unabhängig spartakistischer Seite hervorgerufenen Streiks eingetreten sei. Eine Bewertung dieser Gründe sei höchstens historisch und politisch berechtigt. Strafrechtlich sei dies alles aber nicht von Belang. Strafrechtlich stehe der Ebertsche Landesverrat nach § 89 fest.

 

Weshalb dann eigentlich dieser Prozeß überhaupt geführt wurde? Ebert hat ja nie geleugnet, daß der Streik stattfand und daß er in der Streikleitung saß. Und weshalb hat dann das Gericht den ganzen monströs politischen Prozeß aufgezogen? Um nachher plötzlich zu erklären, politisch, historisch und moralisch wolle es kein Urteil fällen. Doch nur dies Urteil hätte einen Sinn gehabt!

 

Der ganze Zwiespalt in dem moralischen und geistigen Intellekt unseres Richterstandes klafft in diesem unfaßbaren Widerspruch auf. Das eine kann der Richter nicht, das andere will er nicht. Und so entsteht jenes zerrissene und zwiespältige Recht, das das Vertrauen in unsere Justiz bei den weitesten Bevölkerungsteilen unterwühlt und zermürbt hat.

 

Der Republikaner, der sich heute noch zu irgendeiner politischen Klage hinreißen läßt, muß von allen guten Geistern verlassen sein. Er kann bei unserer heutigen Justiz etwas erleben, er ist schutzlos einer Meute von Hetzern und Verleumdern preisgegeben, denen die Gerichte willfährig Bütteldienste leisten. Halb unbewußt vielleicht, aber trotzdem nicht entschuldbar.

 

Jedenfalls hätten die juristischen Berater des Reichspräsidenten diese Tatsache in Rechnung stellen und entschieden von einem Prozeß abraten sollen. Die allgemeine Behauptung irgendeines deutschnationalen politischen Idioten, daß der oder jener Sozialdemokrat ein »Landesverräter« sei, kann nur mit absoluter Mißachtung beantwortet werden. Denn im Prozeß wurde nur ein schmutziges persönliches Kesseltreiben eröffnet [ ... ] und bei der endgültigen Beurteilung platzen ja doch nur die verschiedenen Weltanschauungen aufeinander.


 

[ ... ] Man kann alles drehen und wenden, wie man will: In Deutschland gibt es zweierlei Recht. Wir werden in den nächsten Tagen noch Gelegenheit nehmen, an anderen Beispielen auf den Sumpf aufmerksam zu machen, der unser Rechtsleben vergiftet. So vergiftet, daß die Arbeiterschaft und der staatstreue Teil unseres Volkes den letzten Vertrauensrest zur deutschen Gerechtigkeit verlieren mußten.

 

Immer wieder taucht die bange Frage auf: Hätte man nicht 1918 die ganzen unzuverlässigen Juristen in die Wüste jagen sollen? Keine Antwort gibt es auf diese Frage, denn sie ist ein Teil der Tragik, die die letzten Jahre dem deutschen Volk gebracht haben und die in ihrem inneren Wesen ihre Erklärung in der Tatsache hat, daß der November 1918 keine Revolution, keine Umstellung war, sondern ein Zusammenbruch, die vollständige Katastrophe eines durch Hunger und Not zu Schlacke ausgebrannten Volkes.

 

[ ... ] Ebert hat selbstverständlich gegen das Urteil Berufung eingelegt. Ebenso der Generalstaatsanwalt. Eine höhere Instanz wird die ganze Frage also erneut zu behandeln haben.

 

Wie es aber auch kommen mag: Dieser Prozeß hat die Person Eberts wieder in den Mittelpunkt der politischen Leidenschaften gestellt, der sie solange entrückt war. Auch für jene Sozialdemokraten, die nicht völlig einverstanden waren mit Eberts Richtung, ist damit der Name Fritz Ebert wieder zum Kampfruf geworden, zur Parole in den kommenden Kämpfen.

 

27.12.1924