Manipulatoren

 

Hans-Ulrich Wehler, Ian Kershaw und Hans Mommsen unter der Anklage wissenschaftlicher Unredlichkeit

 

Ich führe nun drei Beispiele an, die eine Beantwortung der Frage ermöglichen, ob wenigstens bei der Beurteilung des Artikels bzw. des Buches für angesehene Historiker abwägende Vernunft oder verzerrende Leidenschaft maßgebend gewesen ist.

 

Hans‑Ulrich Wehler schreibt in seinem »polemischen Essay« mit dem Titel »Entsorgung der deutschen Vergangenheit?«: »Wie konnte ( ... ) Ernst Nolte auf dieser [. . .] abschreckend schwankenden Grundlage seine luftige Konstruktion vom >Rattenkäfig< der >chinesischen Tscheka< errichten, um dieses vermeintlich weitbekannte Symptom grausamer asiatisch‑bolschewistischer Vernichtungspraxis zu einem politischen Urerlebnis Hitlers, ja im nächsten Schritt in den Rang von >schlichten Wahrheiten< zu erheben? [ ... ] War der Drang, die >asiatische< Natur des Bolschewismus zu beweisen, so stark, daß die zahlreichen Untaten russischer, lettischer, georgischer Bolschewiki nicht genügten [ ... ]?« (Wehler, H.-U., Entsorgung der deutschen Vergangenheit? Ein polemischer Essay zum "Historikerstreit", München 1988, S. 154). Wehler will anscheinend eine einfache Tatsache übersehen: Ich habe mit keinem Wort etwas zu der Frage gesagt, ob jene Foltermethode eine Realität, eine Einbildung oder eine gegnerische Erfindung gewesen ist, sondern in meinen Augen ist ausschließlich die Tatsache wichtig, daß Hitler sich nach bald 25 Jahren an Berichte erinnerte, die sehr wohl »Greuelmeldungen« gewesen sein mögen, die aber insofern auf Wahrheiten beruhten (nicht Wahrheit waren), als Massenvernichtungen aufgrund einer kollektivistischen Schuldzuschreibung tatsächlich erstmals in Europa von der sowjetrussischen Staatsführung selbst gefordert und ins Werk gesetzt worden waren.

 

Der englische Historiker Ian Kershaw hat 1988 ein Buch über den »NS-­Staat« herausgebracht, das ein Kapitel über den »Historikerstreit« enthält. Kershaw nimmt immerhin Bezug auf den »Europäischen Bürgerkrieg« und behauptet: »In seinem neuesten Buch ( ... ) bezeichnet Nolte die Vernichtung der Juden direkt als >Präventivmaßnahme< (...) und als das >radikalste und umfassendste Beispiel einer präventiven [ ... ] [sic!] Bekämpfung von Feinden<[ ... 1.« (Kershaw, I., Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und -kontroversen im Überblick, Reinbek 1988, S. 323). Schlägt man den Text auf, so lauten die »zitierten« Stellen folgendermaßen: Zur Situation 1918/19: »Und sehr rasch kam in einigen Kreisen die Auffassung auf, die Vorgänge in Rußland seien sogar im Wortsinne ein Genozid gewesen, weil die Juden die führende Schicht aus Russen und Baltendeutschen hingemordet und sich an deren Stelle gesetzt hätten. Die unmittelbare Konsequenz dieser Auffassung war offenbar das Postulat einer Vernichtung der Juden als Strafe und Präventivmaßnahme.« (Nolte, E., Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus, Berlin 1987, S. 502 - Hervorhebung im Original). Zu den Jahren ab 1941: »Daher sind die Aktionen der Einsatzgruppen das radikalste und umfassendste Beispiel einer präventiven und über alle konkreten Erfordernisse der unmittelbaren Kriegführung weit hinausgehende Bekämpfung von Feinden, und Nikolajewsk und Katyn mußten als Aktionen von weit geringerer Schrecklichkeit erscheinen.« (Nolte, E., S. 512 f - Hervorhebung im Original).

 

Hans Mommsen sucht in einer sehr umfangreichen Rezension (vgl. Mommsen, H., Das Ressentiment als Wissenschaft. Anmerkungen zu Ernst Noltes "Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus" in: GG, 1988, H. 4, S. 495-512) die Auffassung zu begründen, ich hätte nur deshalb Einwände gegen Hitler, weil er sich nicht zu einer ideologischen Übereinstimmung mit General Wlassow habe durchringen können und starr an dem Konzept festgehalten habe, das Genozide und »Endlösungen« implizierte, »weil es im totalen Egozentrismus der deutschen Rasse noch nicht ideologisch war« (Mommsen, H., S. 507 - Hervorhebung im Original). Im Text lautet der Satz: »Aber das Scheitern und die Tragödie [der »Russischen Befreiungsarmee«] bewiesen immerhin, daß für viele Deutsche und zahllose Russen dieser Krieg doch ein Befreiungskampf gewesen war, der nur deshalb zum Mißerfolg verurteilt war, weil Hitler trotz aller Erfahrungen, die er machte, starr an dem Konzept festhielt, das Genozide und Endlösungen implizierte, weil es im totalen Egozentrismus der deutschen Rasse noch nicht ideologisch war und im Willen zur Vernichtung des Judentums nicht mehr dem gewöhnlichen Begriff von Ideologie subsumiert werden konnte.« (Nolte, E., S. 499 - Hervorhebung im Original)

 

Hans Mommsen bricht also das Zitat mitten im Satz ab, ohne dieses Abbrechen kenntlich zu machen, und dadurch gibt er dem Satz einen wesentlich veränderten Sinn. Ian Kershaw macht die Wiedergabe von bestimmten, lange zurückliegenden Auffassungen zu einem eigenen Urteil des Autors; Hans‑Ulrich Wehler sucht eine Tatsachenbehauptung zu widerlegen, die er selbst erst als Tatsachenbehauptung hinstellt. Alle drei Historiker würden unter normalen Umständen genau wissen, daß es sich um unzulässige Verfahrensweisen handelt. Was treibt sie dazu, so evident gegen elementare wissenschaftliche Regeln zu verstoßen? Weshalb wenden sich so viele andere Historiker, Politologen, Publizisten und Journalisten mit so großer Heftigkeit gegen einen einzelnen Artikel, ja gegen einzelne Sätze dieses Artikels? Diese Fragen sollen zum Ausgangspunkt einiger Reflexionen gemacht werden.

 

Quelle: "Abschließende Reflexionen über den sogenannten Historikerstreit" von Ernst Nolte, in: "Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus", herausgegeben von Uwe Backes / Eckhard Jesse / Rainer Zitelmann, Propyläen, Frankfurt/M Berlin 1990, S. 86 - 88