Karl Liebknecht - Gegen die Kriegskredite
Dieser Krieg, den keines der
beteiligten Völker selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des
deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es handelt sich um einen
imperialistischen Krieg, einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des
Weltmarkts, um die politische Beherrschung wichtiger Siedelungsgebiete für das
Industrie‑ und Bankkapital. Es handelt sich vom Gesichtspunkt des
Wettrüstens um einen von der deutschen und österreichischen Kriegspartei
gemeinsam im Dunkel des Halbabsolutismus und der Geheimdiplomatie
hervorgerufenen Präventivkrieg. Es handelt sich auch um ein bonapartistisches
Unternehmen zur Demoralisation und Zertrümmerung der anschwellenden
Arbeiterbewegung. Das haben die verflossenen Monate trotz einer rücksichtslosen
Verwirrungsregie mit steigender Deutlichkeit gelehrt.
Die deutsche Parole »Gegen den
Zarismus« diente ‑ ähnlich der jetzigen englischen und französischen
Parole »Gegen den Militarismus« ‑ dem Zweck, die edelsten Instinkte, die
revolutionären Überlieferungen und Hoffnungen des Volkes für den Völkerhaß zu
mobilisieren. Deutschland, der Mitschuldige des Zarismus, das Muster
politischer Rückständigkeit bis zum heutigen Tage, hat keinen Beruf zum
Völkerbefreier. Die Befreiung des russischen wie des deutschen Volkes muß deren
eigenes Werk sein.
Der Krieg ist kein deutscher
Verteidigungskrieg. Sein geschichtlicher Charakter und bisheriger Verlauf
verbieten, einer kapitalistischen Regierung zu vertrauen, daß der Zweck, für
den sie die Kredite fordert, die Verteidigung des Vaterlandes ist.
Ein schleuniger, für keinen
Teil demütigender Friede, ein Friede ohne Eroberungen, ist zu fordern; alle
Bemühungen dafür sind zu begrüßen. Nur die gleichzeitige dauernde Stärkung der
auf einen solchen Frieden gerichteten Strömungen in allen kriegführenden
Staaten kann dem blutigen Gemetzel vor der völligen Erschöpfung aller
beteiligten Völker Einhalt gebieten. Nur ein auf dem Boden der internationalen
Solidarität der Arbeiterklasse und der Freiheit aller Völker erwachsener Friede
kann ein gesicherter sein. So gilt es für das Proletariat aller Länder, auch
heute im Kriege gemeinsame sozialistische Arbeit für den Frieden zu leisten.
Die Notstandskredite bewillige
ich in der verlangten Höhe, die mir bei weitem nicht genügt. Nicht minder stimme
ich allem zu, was das harte Los unserer Brüder im Felde, der Verwundeten und
Kranken, denen mein unbegrenztes Mitleid gehört, irgend lindern kann; auch hier
geht mir keine Forderung weit genug. Unter Protest jedoch gegen den Krieg,
seine Verantwortlichen und Regisseure, gegen die kapitalistische Politik, die
ihn heraufbeschwor, gegen die kapitalistischen Ziele, die er verfolgt, gegen
die Annexionspläne, gegen den Bruch der belgischen und luxemburgischen
Neutralität, gegen die Militärdiktatur, gegen die soziale und politische
Pflichtvergessenheit, deren sich die Regierung und die herrschenden Klassen
auch heute noch schuldig machen, lehne ich die geforderten Kriegskredite ab.
Quelle: Begründung Liebknechts, warum er als einziger
Reichstagsabgeordneter gegen die Kriegskredite gestimmt hat. Die Geschichte hat
ihm recht gegeben!