Jagd auf das Schlachtschiff "Bismarck"

 

Ihr Kampf und Untergang im Jahre 1941, wie sie die Engländer erlebten.             

 

Ein Auszug aus dem Buch des Engländers Russel Greenfell

 

Mai 1941 ‑ Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Norwegen waren von den deutschen Truppen besetzt. Im Frühjahr hatten sie Jugoslawien überrascht, und Griechenland stand kurz vor dem Zusammenbruch. Am 20. Mai landeten deutsche Fallschirmjäger auf Kreta. Für Großbritannien waren es düstere Wochen. Allein stand es den Achsenmächten gegenüber. Die Verluste an Handelsschiffen durch die deutschen U‑Boot‑Angriffe stiegen ständig an. In den frühen Morgenstunden des 21. Mai wurde in der britischen Admiralität Alarm gegeben. Am Vortage hatten zwei große deutsche Kriegsschiffe unter starkem Geleitschutz zusammen mit elf Handelsschiffen das Kattegatt passiert. Die beiden Kriegsschiffe waren die "B i s m a r c k" und die "P r i n z  E u g e n". Am späten Abend des 22., als bekannt wurde, daß die beiden deutschen Schiffe allein in See waren und wahrscheinlich versuchen wollten, den Atlantik zu erreichen, liefen die britischen Verbände aus. Die Jagd auf die "Bismarck" begann.



In der Dänemarkstraße westlich Island kam es im Morgengrauen des 24. Mai zum ersten Gefecht. Nach wenigen Minuten sank der britische Schlachtkreuzer "Hood". Aber auch die "Bismarck" erhielt zwei Treffer und mußte mit der Geschwindigkeit heruntergehen. "Prinz Eugen" wurde vom Flottenchef, der sich auf "Bismarck" befand, entlassen. Die beschädigte "Bismarck" versuchte einen französischen Hafen anzulaufen. Vorübergehend riß die Fühlung der britischen Kreuzer mit den deutschen Schiffen ab. Doch englische Flugzeuge entdeckten die "Bismarck" wieder. Die Jagd ging weiter. Die britische Übermacht war groß.

 

Nach einem Torpedoangriff britischer Trägerflugzeuge blieb die "Bismarck" am 26. Mai um 21 Uhr manövrierunfähig liegen. Am nächsten Morgen ereilte sie ihr Schicksal. Bis zum letzten Augenblick schießend sank sie um 10.40 Uhr mit wehender Flagge nach schwerem Gefecht mit britischen Schlachschiffen, Kreuzern und Zerstörern.

 

Die dramatische Jagd auf das deutsche Schlachtschiff, wie sie die Engländer erlebten, schildert  Russel Greenfell in seinem Buch "The Bismarck‑ Episode", das jetzt im Verlag Fritz Schlichtenmayer, Tübingen, in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Jagd auf die Bismarck" erschienen ist. (214 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Kartenskizzen, Ganzleinen 11,80 DM.)

 

In der Einführung schreibt Generaladmiral a. D. Otto Schniewind u. a.:

 

"Das mit großer Sachlichkeit geschriebene Buch, das auch dem deutschen Gegner voll gerecht wird, hat für uns hohen geschichtlichen Wert. Es fußt auf amtlichen Unterlagen und auf Beiträgen urteilsfähiger britischer Persönlichkeiten, die an der Unternehmung beteiligt waren. Bei seinem Erscheinen im Jahre 1948 gab das Buch uns Deutschen erstmals Einblick in die überaus gespannte Lage unserer Kriegsgegner im Jahre 1941 und in das Denken und Handeln der britischen Kriegsmarine. Auch der im Seekriegsgeschehen Unbewanderte wird aus diesem Buch ein Urteil ableiten können, wie sehr die strategische Position und die Kampfmittel unseres damaligen Kriegsgegners den unsrigen überlegen waren. Er wird damit Verständnis für die Schwere der Aufgaben gewinnen, die unseren Seeleuten und ihren Führern gestellt waren, und denen sie sich in Erfüllung ihrer soldatischen Pflichten bis zur letzten Hingabe unterzogen haben.

 

Das ergreifende Schicksal des Schlachtschiffes "Bismarck" reiht sich so ein in die lange Kette der Geschichte vieler anderer deutscher Schiffe, die in Krieg und Frieden Opfer übermächtiger Natur‑ oder Kriegsgewalten und ehrwürdige Beispiele soldatischer Treue und Pflichterfüllung geworden sind, und deren Andenken wir mit tiefer Ehrfurcht pflegen."

 

 

"Sehr bedeutsame Tat"

 

Die Ausschaltung der "Bismarck" war unzweifelhaft eine sehr bedeutsame Tat gewesen, und Sir John Toveys (Oberbefehlshaber der "Home Fleet"), in seinem Brief an den Flaggschiffskommandanten am Vorabend des letzten Gefechtes niedergelegte Auffassung, die Vernichtung des deutschen


Schlachtschiffes würde eine Wirkung auf den Krieg haben, die für den Gegner weit mehr bedeute als nur den Verlust des einen Schlachtschiffes, war überaus berechtigt. Wäre es ihr geglückt, unbeschädigt zu entkommen, hätte die "Bismarck" noch erhebliches Unheil anrichten können. Die deutschen: U‑Boote fügten der Schiffahrt, die kriegswichtige Güter nach Großbritannien zu bringen hatte, schon empfindliche und immer weiter steigende Verluste zu. Man konnte häufig lesen, daß die Schlacht um England für uns die entscheidendste Schlacht gewesen sei, und daß wir verloren gewesen wären, wenn sie nicht zu unseren Gunsten ausgegangen wäre. Diese weitverbreitete Ansicht ist nicht richtig.

 

Der Verlust der Schlacht im Atlantik würde unser Land genau so sicher, ja sogar mit noch größerer Sicherheit, in den Abgrund geführt haben. Die Menschen auf den britischen Inseln hätten dann nämlich nicht nur langsam verhungern müssen, sondern es wäre damit auch die laufende Einfuhr aller zur Herstellung der in einem modernen Krieg so zahlreichen und verschiedenartigen Waffen und Munitionsarten notwendigen Rohstoffe und Fertigfabrikate unterbunden worden. Unter anderem wäre die Royal Air Force auch bald durch Benzinmangel zum Erliegen gekommen, und ohne Treibstoff konnte die Schlacht um England nicht gekämpft und der Bombenkrieg gegen Deutschland nicht durchgeführt werden.

 

Wenn zu dem schon so gefährlichen Einsatz der deutschen U‑Boot‑Waffe auch noch die Überwasserverwendung des stärksten Schlachtschiffes der Welt hinzugekommen wäre, hätten die Ergebnisse für uns ausgesprochen ernst werden müssen. Die "Bismarck" konnte ihren Brennstoff‑ und Munitionsvorrat von Tankern und Versorgungsschiffe an uns nicht bekannten Treffpunkten ergänzen und auf diese Weise wochen- oder sogar monatelang in See bleiben und in dieser Zeit sehr erheblich unter den zahllosen nach England gehenden oder von dort kommenden Geleitzügen aufräumen. Es war schon schwierig genug, diesen Geleitzügen einen ausreichenden Schutz gegen Unterwasserangriffe zu geben, sie aber vor einem Schlachtschiffangriff zu sichern, war noch schwieriger.

 


Die Zahl der gleichzeitig im Nord- und Mittelatlantik in See befindlichen Geleite überstieg die Zahl der für den Geleitschutz verfügbaren britischen Schweren Einheiten, dabei ist zu berücksichtigen, daß in dieser Zahl auch die verhältnismäßig zahlreichen Schlachtschiffe und ‑kreuzer enthalten waren, die eine geringere Gefechtskraft als die "Bismarck" besaßen. Es lag somit die Wahrscheinlichkeit vor, daß bei einem Auftreffen der "Bismarck" auf ein Geleit dieses entweder durch ein schwächeres oder durch überhaupt kein "dickes Schiff" geschützt gewesen wäre. In diesen Fällen hätte das deutsche Schlachtschiff, vor allem, wenn noch ein kleineres Schiff wie "Prinz Eugen" ebenfalls eingegriffen hätte, den größten Teil des Geleitzuges versenken können.

 

Die materielle Seite bei einem Entkommen der ­"Bismarck" war aber nicht der einzige Faktor, der bei dieser Betrachtung bedacht werden mußte; obwohl mancherseits die Schlachtschiffe seit vielen Jahren als unzeitgemäß und veraltet bezeichnet wurden, blieb die Tatsache bestehen, daß ihr Wert als politischer Faktor weiterhin sehr hoch war. Während die Anwesenheit von fünfzig bis hundert U‑Booten auf den Geleitwegen, auch wenn sie der Handelsschiffahrt schwere und sich steigernde Verluste zufügten, die britische Öffentlichkeit verhältnismäßig unberührt ließ, konnte das Entkommen eines Schlachtschiffes aus einem Hafen noch 1941 oder später einen Aufruhr in der Presse oder im Parlament verursachen.

 

Das Auftauchen der deutschen Schlachtkreuzer "Scharnhorst" und "Gneisenau" in Brest, einen oder zwei Monate vor der "Bismarck"­Unternehmung, waren Anlaß einer öffentlichen Unruhe, die in keinem Verhältnis zu den von den beiden Schiffen verursachten Schäden stand, über die im übrigen die britische Öffentlichkeit gar nicht unterrichtet worden war. Das ungehinderte Einlaufen der größeren und stärkeren "Bismarck" in diesen oder einen anderen französischen Hafen, besonders nachdem sie die "Hood" versenkt hatte, hätte zweifellos großes Aufsehen erregt und unberechenbare politische Rückwirkungen in einer Zeit gehabt, in der ohnehin die Dinge schon schlecht genug standen. Die Versenkung der "Bismarck" muß nach alledem als ein außerordentlich glückliches Ereignis angesehen werden.

 

Der Verlauf der ganzen Operation, die ihren Höhepunkt in der Vernichtung des Gegners fand, ist überdies von außergewöhnlichem Interesse. War es


auch nicht gerade die längste ununterbrochene Jagd in der Seekriegsgeschichte ‑ Nelsons Verfolgung von Villeneuve nach Westindien und zurück spielte sich auf größeren Entfernungen ab ‑, gehörte sie zum mindesten doch zu den längsten. Hinsichtlich der dramatischen Umkehrungen des Glücks, des häufigen Wechsels zwischen höchstem Optimismus und tiefster Enttäuschung, eines glänzenden Sieges, dem schnell die vernichtende Niederlege folgte, ist diese Unternehmung in der Seekriegsgeschichte wahrhaft einzig dastehend.

 

Vom Augenblick an, in dem "Bismarck" und "Prinz Eugen" in dem norwegischen Fjord gesichtet wurden, bis zum Zeitpunkt der Versenkung der "Bismarck" vergingen genau drei Stunden weniger als sechs Tage, an deren Verlauf die "Bismarck" annähernd 3000 sm zurücklegte, und die meisten britischen Einheiten nicht viel weniger. Während dieser Zeit war sie drei Tage und dreizehn Stunden, also mehr als die Hälfte, völlig außer Sicht des Gegners, und ohne daß ihr genauer Standort bekannt war. Während der zwei Tage und acht Stunden, in denen britische Schiffe an ihr Fühlung hielten, wurde sie dreimal von britischer Schlachtschiffen, dreimal von Trägerflugzeugen und, in Abständen, während einer ganzen Nacht von Zerstörern angegriffen und schließlich von Torpedos eines Kreuzers versenkt, nachdem sie durch schweres Artilleriefeuer zum Wrack geschossen worden war. Eine Menge verschiedenartiger Schiffe hielten zwischendurch an ihr Fühlung, darunter ein Schlachtschiff, drei Kreuzer fünf Zerstörer und außerdern eine Anzahl Flugzeuge des "Coastal Command" und Trägerflugzeuge.

 

Einige Personen, darunter auch Seeoffiziere, haben die besondere Bedeutung der Tatsache hervorgehoben, daß es ein Flugzeug gewesen war, dessen Torpedo das Ruder getroffen und die Geschwindigkeit der "Bismarck" so entscheidend herabgesetzt hatte, daß dadurch erst die Möglichkeit zum letzten Gefecht geschaffen worden war. Sicherlich ist es richtig, daß die "Bismarck" ohne das Eingreifen der Flugzeuge des Flugzeugträgers "Ark Royal" entkommen wäre.

 


Es ist weniger bekannt, daß ohne den der "Bismarck" im Gefecht am 24. Mai wahrscheinlich durch die "Prince of Wales" beigebrachten Granattreffer die "Ark Royal" nicht in der Lage gewesen wäre, eine entscheidende Rolle zu spielen. Die Granate traf das Vorschiff der ,Bismarck", detonierte tief unten zwischen einigen Heizölbunkern und riß ein Loch in die Außenwand. Der Treffer hatte eine zweifache Wirkung: einmal lief durch dieses Loch Heizöl ins Wasser, wodurch die einige Zeit nach dem Gefecht von der "Suffolk" und den Fühlung haltenden Flugzeugen festge­stellte breite Ölspur entstand. Daneben trat aber Seewasser in die Oelzellen ein und verunreinigte auf diese Weise weiteres noch im Schiff be­findliches Heizöl. Das Ergebnis war eine merkliche Abnahme des brauchbaren Öl­bestandes und damit eine Verminderung der Möglichkeit, während des Marsches nach Brest ununterbrochen hohe Fahrt laufen zu können.

 

Wäre dieser Treffer nicht eingetreten, hätte sie zweifellos während der nächsten drei Tage eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit halten können, und damit wäre sie, bei gleichem Generalkurs, 200 oder 300 sm näher an Brest gewesen, als sie von den Flugzeugen der "Ark Royal" gesichtet wurde, also gerade das Stück näher am Stützpunkt, das sie in Sicherheit gebracht hätte.

 

Ohne diesen Granattreffer hätte sich die "B i s m a r c k" aber auch für den Marsch in die Weite des Atlantiks entscheiden können. Eine Bemerkung der Admiralität zum Gefechtsbericht des Admirals Tovey besagt daher auch, daß dieser Treffer und der damit verbundene Ölverlust Admiral Lütjens an Bord der "Bismarck" um 08.00 h ‑ zwei Stunden nach dem Gefecht zu seiner Entscheidung veranlaßte, die französische Küste anzusteuern. Vermutlich erfolgte auch aus diesem Grunde die Kursänderung der "Bismarck" um 12.40 h des gleichen Tages nach Süden; ohne diese Kursänderung wäre sie nicht in die Reichweite von Flugzeugen der "Victorious" und sicher auch nicht der "Ark Royal" gekommen.

 

Die gerechteste Folgerung aus allen zur Vernichtung der "Bismarck" führenden Maßnahmen ist wohl, daß sie das Ergebnis ausgezeichneten Zusammenwirkens seitens zahlreicher Marine- und Luftverbände ‑ letztere teils zur Marinewaffe, teils zur Royal Air Force gehörend ‑ war. Alle arbeiteten auf das gemeinsame Ziel hin, und man darf dabei die U-­Boote und Flugzeuge nicht vergessen, die an der Suche beteiligt waren, den Gegner aber nicht fanden. Ohne den durch das "Coastal Command" durchgeführten Aufklärungsflug wäre die "Bismarck" nicht in dem norwegischen Fjord gesichtet worden. Ohne das Flugzeug der Marineluftwaffe hätte man ihr erfolgtes Auslaufen aus jenem Fjord nicht festgestellt. Ohne die Kreuzer in der Dänemarkstraße wäre ihr Durchbruch durch dieses Seegebiet zu einer Zeit, als eine Aufklärung durch Flugzeuge von den Fliegerhorsten aus undurchführbar war, unbeobachtet geblieben. Ohne die Schlachtschiffe, die sie am nächsten Morgen angriffen, hätte sie keinen Treffer erhalten, der sie nachher auf einen Kurs zwang, auf dem sie von den Flugzeugen der "Victorious" torpediert und von anderen Einheiten gestellt werden konnte. Ohne die Flugzeuge der "Coastal Command" und der Marineluftwaffe hätte sie nach dem Abreißen der Fühlung nicht wieder entdeckt werden können. Ohne die Flugzeuge der "Ark Royal" wäre sie nicht entscheidend in ihrer Geschwindigkeit beschnitten worden. Ohne Zerstörer wäre es schwierig gewesen, während der Nacht ihre Bewegungen und Standorte festzustellen, und ohne dieses Fühlunghalten hätte ihr Auffinden am nächsten Morgen zu spät erfolgen können, als daß sich die Schlachtschiffe angesichts ihrer kritischen Brennstofflage die Durchführung des Gefechts noch hätten erlauben können. Und schließlich hätte sie ohne die Schlachtschiffe wahrscheinlich gar nicht versenkt werden können, denn die Flugzeuge der "Ark Royal" hatten nur noch für einen Angriff Torpedos, und die "Bismarck" hätte wahrscheinlich zu erwartende weitere Torpedotreffer genügend aushalten und in einen Hafen einlaufen oder beim letzten Teil des Rückmarsches geschleppt werden können, obwohl natürlich britische U‑Boote und bzw. oder Bombenflugzeuge sie auf diesem Marsch auch noch hätten treffen können.

 

Es darf auch nicht übersehen werden, daß die "Ark Royal" zum ungehinderten Einsatz ihrer Flugzeuge gegen die "Bismarck" auf den Schlachtkreuzer "Renown" angewiesen war. "Prinz Eu­gen" stand noch unbeschädigt irgend­ wo im Atlantik, und mit ihren 20,3‑cm‑Geschützen war sie kampfkräftiger als die "Sheffield", die zudem noch als Füh­lungshalter an der "Bismarck" stand. Wäre "Prinz Eugen" der ungedeckten "Ark Royal" gegenübergetreten hätte sie diese in Kürze zur Strecke bringen können, und das ohne Abwehr durch deren Flugzeuge, die ja anderweitig eingesetzt waren. Die "Renown" war hiernach für den Schutz der "Ark Royal" gegen Überwasserangriffe dringend erforderlich.

 

Es wird nicht immer erkannt, für eine wie lange Zeit ein Flugzeugträger so gut wie wehrlos sein kann, wenn seine Flugzeuge einen taktischen Auftrag durchführen. Bei dieser Gelegenheit waren die Angriffsverbände der "Ark Royal" entweder zur Aufklärung und zum Angriff in der Luft oder zur Brennstoffergänzung und Umarmierung an Bord, zusammen ununterbrochen von 08.30 h bis 22.00 h. Während dieses ganzen Tages war die "Ark Royal" das am meisten verwundbare Überwasserschiff, denn es stellte ein übergroßes Ziel mit nur ungenügenden Verteidigungsmöglichkeiten dar. Betrachtet man die hohe Angriffskraft der Trägerflugzeuge, wird leicht die außerordentliche Schwäche des Schiffes vergessen, das ihren Stützpunkt darstellt. Man kann die Träger mit ungepanzerten Schlachtschiffen vergleichen, deren Geschütztürme jeweils für eine Reihe von Stunden nicht eingesetzt werden können. Sollen die Flugzeugträger die großen Kriegsschiffe der Zukunft sein, wird man ihnen wohl irgendeine Art von Unterwasserschutz für diese Stunden der Hilflosigkeit geben müssen. Es ist eines der interessantesten seestrategischen Probleme, bei welcher Schiffsgröße und ‑form dieser Schutz am besten gewährleistet werden kann.

 


Ein eindrucksvolles Bild dieser Unternehmung gibt die sehr große Zahl von Schiffen, die auf der Jagd auf das eine Schlachtschiff beteiligt waren und es schließlich vernichteten. Zwei feindliche Schiffe, ein Schlachtschiff und ein Kreuzer, gingen von der Nordsee in den Atlantik. Der Kreuzer kam heil davon, denn "Prinz Eugen" wurde mit einiger Gewißheit nach dem Abbrechen der Fühlung um 03.00 h nicht mehr gesichtet und erst später in Brest durch Aufklärungsflugzeuge entdeckt.

 

Das Schlachtschiff wurde wiedergefunden und versenkt; um das Ergebnis zu erreichen, war aber die folgende Zahl von Kriegsschiffen irgendwann in dieser Zeit beteiligt: acht Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer, zwei Flugzeugträger, vier Kreuzer mit 20,3‑cm‑Geschützen, sieben andere Kreuzer, einundzwanzig Zerstörer und sechs U­-Boote, außerdem zahlreiche Flugzeuge von Küstenfliegerhorsten.

 

Diese imponierenden Zahlen beleuchten sehr treffend, welch große Überlegenheit für eine Macht notwendig ist, die die Herrschaft über die Meere oder sogar auch nur über einen Teil der See, anstrebt. Man erkennt daraus aber auch, welch günstiger Umstand es war, daß die Deutschen ihre den Handelskrieg verwendeten schwe­ren Einheiten nacheinander und nicht gleichzeitig einsetz­ten. Wenige Monate bevor die "Bismarck" zu ihrer Unternehmung auslief, waren die Schlachtkreuzer "Scharnhorst" und "Gneisenau" in den Atlantik durchgebrochen und anschließend nach Brest gegangen. Einige Monate nach der Versenkung der "Bismarck" war ihr Schwesterschiff, die "Tirpitz", gefechtsbereit. Hätten die Deutschen bis zur Fertigstellung der "Tirpitz" gewartet und dann alle vier Schiffe gemeinsam  operieren lassen, wäre es ein außerordentlich schwieriges Problem geworden, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Glücklicherweise entschieden sich aber die Deutschen dafür, ihre kampfkräftigen Schiffe einzeln einzusetzen.

 

Eine weitere interessante Frage ist, ob die "Bismarck" nach der Vernichtung der "Hood" nicht besser wieder in die Heimat zurückgekehrt wäre. Eine triumphale Rückkehr in ein begeistertes Reich nach dieser Niederlage eines überlegenen Verbandes, dem die berühmte "Hood" angehörte, würde wahrscheinlich in Deutschland und in der übrigen Welt ein größeres psychologisches Ergebnis gebracht haben als jeder andere Verlauf der Unternehmung.

 

Hitler scheint an so etwas gedacht zu haben, denn in einer Besprechung mit dem Oberbefehlshaber der Kriegsmarine am 6. Juni 1941 war seine erste Frage, warum Admiral Lütjens nach dem Gefecht mit der "Hood" nicht in einen deutschen Hafen zurückgelaufen sei. Diese Frage mag aber auch nur der Versuch eines bitter enttäuschten politischen Führers gewesen sein, die Verantwortung für diesen Fehlschlag gleich auf einen untergebenen Seeoffizier abzuwälzen. Daß die "Bismarck" ein britisches Kriegsschiff versenkt hatte, war bereits eineinhalb Stunden später in Berlin bekannt; hätte Hitler damals daran gedacht, sie entgegen ihrem Operationsbefehl in die Heimat zurückkehren zu lassen, hätte er es nur zu befehlen brauchen.

 

Von Admiral Lütjens Standpunkt aus war die Frage nach der Richtigkeit eines eventuellen Rückmarsches nach Deutschland nicht ohne weiteres klar zu beantworten. Es ist richtig, daß er den "Hood"‑Verband mit schwerem Verlust für den Gegner besiegt hatte, und wahrscheinlich wußte er nichts von einem anderen Verband, der ihm seinen Rückweg nach Deutschland verlegen konnte. Selbst dann aber wird er an die sehr gewichtigen Gründe gegen eine Rückkehr gedacht haben. Welche Wirkungen auch eine Rückkehr hätten haben können, das Hauptziel der Unternehmung hätte die "Bismarck" dann nicht erreicht, nämlich die Vernichtung von möglichst viel feindlichem Handelsschiffsraum; und gerade zur Durchführung dieser Aufgabe war sie angesetzt worden.

 

Aus deutschen Seekriegsakten wissen wir, daß Admiral Lütjens angewiesen worden war, jedes Risiko zu vermeiden, das die Durchführung dieser Aufgabe gefährden konnte, daß aber ein Gefecht, falls es nicht zu umgehen war, voll durchgekämpft werden sollte. Nun, es wurde ein voll durchkämpftes Gefecht, in dem die "Bismarck" ausgezeichnete Leistungen zeigte, aber auch selbst getroffen wurde. Admiral Lütjens mag sich sehr wohl gedacht haben, bei einer Rückkehr bestehe die Möglichkeit, daß die Gründe für das Abbrechen der Unternehmung in unerfreulicher Weise mißverstanden würde. Würde er andererseits mit der "Bismarck" die Unternehmung fortsetzen, handle er damit in Übereinstimmung mit der ihm gestellten Hauptaufgabe. Es blieb aber noch die Frage nach der Beseitigung der Schäden zu lösen; dies konnte in Brest oder St. Nazaire erfolgen, falls er einen dieser Häfen erreichen konnte. Nach seinem Sieg am frühen Morgen nahm er wahrscheinlich an, daß ihm jetzt keine gleichwertigen britischen Einheiten mehr den Weg dorthin verlegen könnten. Natürlich rechnete er mit Bombenangriffen während der Werftliegezeit, aber ebenso mußte er auf derartige Angriffe auf einem Rückmarsch durch die Dänemarkstraße (falls die Wetterlage es erlauben sollte) und entlang der norwegischen Küste gefaßt sein. Die Engländer waren jetzt voll auf dem Posten, und man konnte die Verlegung von Bomberverbänden nordwärts nach Island und Schottland erwarten, die den Gegner im Falle eines Rückmarsches anzugreifen hatten. Ob das die Gedanken von Admiral Lütjens gewesen sein mögen oder nicht, der Entschluß, den er faßte, hatte jedenfalls viel Ähnlichkeit mit ihnen.

 


Die durch die Unternehmung aufgedeckten beiden wesentlichen britischen Schwächen ‑ eine strategischer, die andere technischer Natur ‑ waren die Brennstoffergänzung und der Zustand der Artilleriebewaffnung. Die britischen Anstrengungen, die "Bismarck" auszuschalten, wurden durch Brennstoffmangel beinahe zu einem Fehlschlag. Die britische Flotte in ihrer ganzen Zusammensetzung konnte einfach eine weitreichende, längere Unternehmung nicht durchführen, denn die Schiffe fielen nacheinander aus, weil ihr zur Neige gehender Brennstoffbestand es ihnen nicht erlaubte, die Jagd fortzusetzen. Wir haben gesehen, wie dicht Sir John Tovey vor der Notwendigkeit stand, unmittelbar vor dem erfolgreichen Abschluß die Operation aus diesem Grunde abbrechen zu müssen.

 

Leider ist es eine Tatsache, daß die Admiralität es seit vielen Jahren konsequent unterlassen hatte, die Frage der Brennstoffergänzung in See ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Hätten schnelle Tanker zum festen Bestandteil jeder für Seeoperationen vorgesehenen Kampfgruppe gehört, hätten Sir John Toveys Schiffe in See beölt werden können, es wäre dann möglich gewesen, dem Gegner ständig auf den Fersen zu bleiben, ohne die wachsende Besorgnis und ohne den im vorliegenden Fall notwendig gewordenen Zwang, die Fahrtstufen sorgfältig mit dem Brennstoffverbrauch in Einklang zu bringen.

 

Daß in der britischen Marine keine derartige Organisation bestand, muß man ihrer zwei Jahrhunderte lang bestehenden Überlegenheit über alle Flotten der Welt zuschreiben, die ihr eine reiche Brennstoffergänzung in Stützpunkten überall in der Welt erlaubte. Die britischen Seeoffiziere waren in viel zu starkem Umfang "stützpunkt‑gebunden" geworden, und der Gedanke an die Kohle‑ und Ölvorräte in jedem der zahlreichen Marinehäfen beherrschte sie in höchstem Maße, sobald sich die Frage nach langdauernden Seeunternehmungen erhob. Die amerikanische Marine wuchs zu ihrer jetzigen Größe auf, als fast jede Brennstoffbasis außerhalb ihres eigenen Machtbereiches lag, und sie hatte sich daher schon seit langem daran gewöhnt, den seegehenden Verbänden eigenen Nachschub an Brennstoff und anderen Vorräten mitzugeben. Als die britische Flotte im weiteren Verlauf des Krieges auch im Pazifik eingesetzt wurde und hier ihre eigenen Stützpunkte in japanischer Hand sah, mußte sie das amerikanische Nachschubsystem übernehmen und Tanker und Versorgungsschiffe jeder Art bereitstellen.

 

Die zweite fühlbare Schwäche betraf die 35,6‑cm­-Türme der beiden Schlachtschiffe "King George V." und "Prince of Wales". "King George V." artilleristische Kampfkraft war während des Gefechtes am 27. Mai durch technische Versager längere Zeiträume hindurch wesentlich geschwächt. Es ist bekannt, daß die Entwürfe der neu konstruierten 35,6‑cm‑Türme eine ganze Reihe von Mängeln aufwiesen. Es wird sogar behauptet, während der Gefechte gegen die "Bismarck" seien so viele Fehler zum Vorschein gekommen, die anderenfalls erst später festgestellt worden wären, daß während der beiden Monate nach der Unternehmung mehr für die störungsfreie Gefechtsbereitschaft der Türme getan wurde, als es sich sonst in einem Jahr hätte erreichen lassen. Hätten, mit anderen Worten, diese Gefechte nicht 1941, sondern erst 1942 stattgefunden, würden sich die 35,6‑cm-Türme wahrscheinlich als ebenso anfällig erwiesen haben, wie sie sich nun tatsächlich schon früher herausstellten.

 

Diese Versager waren nicht die Schuld der Männer, die die "Bismarck" jagten und versenkten, es war vielmehr ihr Verdienst, trotz der hierdurch vergrößerten Schwierigkeiten diese bedeutsame Aufgabe zu einem vollen Erfolg gebracht zu haben. Ein hervorragendes Merkmal bei der Durchführung dieser Aufgabe war die große Zahl der daran Beteiligten. Unter ihnen waren verhältnismäßig viele einzeln fahrende Schiffe oder kleine Verbände, deren Kommandanten oder Chefs im allgemeinen selbst darüber entscheiden mußten, was zu tun war. Höhere Vorgesetzte gaben ihnen allgemeingefaßte Weisungen, deren Auslegung im einzelnen aber diesen Offizieren überlassen war, und sie hatten sonach meistens auf eigene Verantwortung und nach ihrer persönlichen Einschätzung der gegnerischen Absichten ihre Entschlüsse zu fassen und durchzuführen. Es verdient festgestellt zu werden, wie genau ihre Ein­schätzungen gewöhnlich waren und wie richtig sie die Lage beurteilten, wenn sie ihre Entschlüsse in die Tat umsetzten. Daß sie dabei die Gelegenheit hatten, ihr Können unter Beweis zu stellen, verdankten sie nicht nur der Art dieser Unternehmung, sondern auch der Bereitwilligkeit des Flottenchefs als des Seebefehlshabers mit der größten Ver­antwortung, sie mit einem Minimum

von Anweisungen nach ihren eigenen Planungen handeln zu lassen. Daß der Admiral dabei durch sein Bestreben be­einflußt wurde, vermeidbaren Funkspruchverkehr zu unterlassen, ist sicher­lich nur ein Grund für seine Zurück­haltung. Unzweifelhaft glaubte     er, seinen unterstellten Offizieren zutrauen zu können, daß sie das Richtige tun würden, ohne von ihm angefeuert zuwerden, und der Verlauf der Unter­nehmung zeigte ihm, daß sein Vertrauen nicht zu Unrecht bestand. Es kann wirklich keinen stärkeren Beweis für die Richtigkeit des Prinzips der Dezentralisation geben als die Führung der einzelnen fahrenden Verbände und Schiffe bei dieser Gelegenheit, aber auch kein besseres Beispiel seit Nelsons Zeiten für die Bereitwilligkeit eines in See führenden Admirals, den Untergebenen diese Selbständigkeit zu gewähren.