Hitler ambivalent
»Ich habe das Chaos in
Deutschland überwunden, die Ordnung wiederhergestellt, die Produktion auf allen
Gebieten unserer nationalen Wirtschaft ungeheuer gehoben ... Es ist mir
gelungen, die uns allen so zu Herzen gehenden sieben Millionen Erwerbslosen
restlos wieder in nützliche Produktionen einzubauen ... Ich habe das deutsche
Volk nicht nur politisch geeint, sondern auch militärisch aufgerüstet, und ich
habe weiter versucht, jenen Vertrag Blatt um Blatt zu beseitigen, der in seinen
448 Artikeln die gemeinste Vergewaltigung enthält, die jemals Völkern und
Menschen zugemutet worden ist. Ich habe die uns 1919 geraubten Provinzen dem
Reich wieder zurückgegeben, ich habe Millionen von uns weggerissenen,
tiefunglücklichen Deutschen wieder in die Heimat geführt, ich habe die
tausendjährige historische Einheit des deutschen Lebensraumes
wiederhergestellt, und ich habe ... mich bemüht, dieses alles zu tun, ohne Blut
zu vergießen und ohne meinem Volk oder anderen daher das Leid des Krieges
zuzufügen. Ich habe dies ... als ein noch vor 21 Jahren unbekannter Arbeiter
und Soldat meines Volkes, aus meiner eigenen Kraft geschaffen ... «
Quelle: Adolf Hitler in einer Rede vom 28. April 1939
Ekelhafte
Selbstbeweihräucherung. Lachhafter Stil (»die uns allen so zu Herzen gehenden
sieben Millionen Erwerbslosen«). Aber, zum Teufel, es stimmte ja alles ‑
oder fast alles. Wer sich an die paar Dinge klammerte, die vielleicht doch
nicht stimmten (das Chaos überwunden ‑ ohne Verfassung? Die Ordnung
wiederhergestellt ‑ mit Konzentrationslagern?), kam sich selbst manchmal
wie ein kleinlich mängelsuchener Rechthaber vor. Der Rest ‑ was konnte man
im April 1939 dagegen vorbringen? Die Wirtschaft blühte ja wirklich wieder, die
Arbeitslosen hatten wirklich wieder Arbeit (es waren nicht sieben Millionen
gewesen, sondern sechs, aber gut), die Aufrüstung war Wirklichkeit, der
Versailler Vertrag war wirklich totes Papier geworden (und wer hätte das 1933
für möglich gehalten!), das Saarland und das Memelgebiet gehörten wirklich
wieder zum Reich, ebenso die Österreicher und Sudetendeutschen, und sie freuten
sich wirklich darüber ‑ ihren Jubelschrei hatte man noch im Ohr. Krieg
hatte es wunderbarerweise deswegen wirklich nicht gegeben, und auch daß Hitler
vor zwanzig Jahren wirklich ein Unbekannter gewesen war, konnte niemand
bestreiten (allerdings kein Arbeiter, aber gut). Hatte er alles aus eigener
Kraft geschaffen? Natürlich hatte er Helfer und Mitwirkende gehabt, aber konnte
man im Ernst behaupten, es wäre alles auch ohne ihn gegangen? Konnte man also
Hitler noch ablehnen, ohne alles, was er geleistet hatte, abzulehnen, und waren
gegen diese Leistungen seine unangenehmen Züge und seine Übeltaten nicht nur
Schönheitsfehler?
Was sich alte Hitlergegner,
gebildete und geschmackvolle Bürger, selbst gläubige Christen oder Marxisten,
in den mittleren und späteren dreißiger Jahren angesichts von Hitlers
unleugbaren Leistungen und nicht abreißenden Wundertaten fragten ‑ fragen
mußten ‑, war: Könnte es sein, daß meine eigenen Maßstäbe falsch sind?
Stimmt vielleicht alles nicht, was ich gelernt und woran ich geglaubt habe? Bin
ich nicht durch das, was hier vor meinen Augen geschieht, widerlegt? Wenn die
Welt ‑ die wirtschaftliche Welt, die politische Welt, die moralische Welt
wirklich so wäre, wie ich immer geglaubt habe, dann müßte doch ein solcher Mann
auf die schleunigste und lächerlichste Weise Schiffbruch machen, ja, er könnte
doch überhaupt nie so weit gekommen sein, wie er gekommen ist! Er ist aber in
weniger als zwanzig Jahren aus dem völligen Nichts zur Zentralfigur der Welt
geworden, und alles gelingt ihm, auch das scheinbar Unmögliche, alles, alles!
Beweist das nichts? Zwingt mich das nicht zu einer Generalrevision aller meiner
Begriffe, auch der ästhetischen, auch der moralischen? Muß ich nicht mindestens
zugeben, daß ich mich in meinen Erwartungen und Vorhersagen getäuscht habe, und
mit Kritik sehr zurückhaltend, mit meinem Urteil sehr vorsichtig werden?
Durchaus begreiflich und sogar
sympathisch, dieser Selbstzweifel. Aber von dort bis zum ersten, noch halb
widerwilligen »Heil Hitler« war es nicht weit.
Die so durch den Augenschein
Hitlerscher Leistungen Bekehrten oder Halbbekehrten wurden im allgemeinen keine
Nationalsozialisten; aber sie wurden Hitleranhänger, Führergläubige. Und das
waren auf den Höhepunkten der allgemeinen Führergläubigkeit wohl sicher mehr
als neunzig Prozent aller Deutschen.
Eine ungeheure Leistung, so
fast das ganze Volk hinter sich zu vereinigen, und in weniger als zehn Jahren
vollbracht! Und vollbracht, im wesentlichen, nicht durch Demagogie, sondern ‑
durch Leistung. Solange Hitler nur seine Demagogie, seine hypnotische
Beredsamkeit, seine Berauschungs‑ und Benebelungskünste als
Massenregisseur zur Verfügung gehabt hatte ‑ in den zwanziger Jahren ‑,
hatte er kaum je mehr als fünf Prozent der Deutschen damit zu Anhängern gemacht;
bei den Reichstagswahlen von 1928 waren es 2,5 Prozent. Die nächsten vierzig
Prozent trieb ihm in den Jahren 1930‑1933 die wirtschaftliche Not zu ‑
und das völlige, hilflose Versagen aller anderen Regierungen und Parteien
angesichts dieser Not. Die letzten, entscheidenden fünfzig Prozent aber gewann
er nach 1933 hauptsächlich durch Leistungen. Wer, etwa im Jahre 1938, in
Kreisen, in denen das noch möglich war, ein kritisches Wort über Hitler sagte,
bekam unweigerlich früher oder später, manchmal nach halber Zustimmung (»das
mit den Juden gefällt mir auch nicht«), die Antwort zu hören: »Aber was hat der
Mann alles geleistet!« Nicht etwa: »Aber wie mitreißend kann er reden!«, auch
nicht: »Aber wie war es wieder herrlich auf dem letzten Parteitag!«, nicht
einmal: »Aber was hat er für Erfolge!« Nein: »Was hat der Mann alles geleistet!«
Und was konnte man im Jahre 1938, oder auch im Frühjahr 1939, darauf eigentlich
erwidern?
Quelle: "Anmerkungen zu Hitler" von
Sebastian Haffner, Fischer-Taschenbuch, März 1981, S. 36 - 38
Man sagt, die Juden seien
deswegen so besonders böse auf Hitler gewesen, weil er ihnen das Geheimnis der
Macht des Rassismus gestohlen habe. Wie aber war es mit den Geheimnissen der
Freimaurerei? Denn vorne auf die Bühne stellten sich die Prügelknaben der
Geschichte, die Juden und die Kommunisten hin (ich will damit nicht sagen, dass
sie für das, was sie taten, keine
Prügel verdient hätten), im Hintergrund aber blieb die ungeschoren weiterwirkende
Freimaurerei. Hat Hitler nicht dieser den Prometheismus gestohlen? Hat er ihnen
nicht den "Gott der Philosophen" entwendet? Hat er in ihrer
Vergötterung menschlicher Vorstellungen nicht nur einfach das eigene Volk an
die Stelle der Vernunft gesetzt? Ist die Freimaurerei vielleicht deswegen so
besonders böse auf Hitler, weil er so frech war und auch einen Pakt mit dem
Teufel abschloß, und dabei den Brüdern den Rang ablief, so etwa, wie man in
England und Frankreich so aufgeregt war, als Ribbentrop mit Stalin paktierte
und so ein Tabu durchbrach, welches die Alliierten doch für alle anderen aufgerichtet
hatten? Die Freimaurerei behauptet, daß Hitler einen solchen Pakt mit dem
Teufel abschloß, daß er das Prinzip des Bösen auf der Welt habe errichten
wollen (Pauwels bringt ganze Kapitel zu diesem Thema - Louis Pauwels und Jacques Bergier: "Aufbruch ins dritte
Jahrtausend. Von der Zukunft der phantastischen Vernunft", München 1969).
Wenn aber die Freimaurerei in dieser Weise Hitler verurteilt, den so verstandenen
"Geist des Nationalsozialismus" so vehement bekämpft, zerstört sie
damit nicht ihre eigene Wiege? Wenn man der Meinung ist, daß Hitler das
deutsche Volk an die Stelle der Vernunft setzte, im übrigen aber die gleichen
Vertragsklauseln mit Mephisto firmierte, dann sägt die Freimaurerei mit einem
solchen Kampf gegen Hitler doch an dem Ast, auf welchem sie selber sitzt.
Nationalsozialismus und Freimaurerei als Produkte der gleichen menschlichen
Verirrung: den Menschen an Gottes Stelle zu setzen? Von den Freimaurern wissen
wir positiv, daß sie Opfer solcher Verirrung sind. Es ist das sogar das Wesen
ihrer großen Rebellion gegen Gott und die Natur. Wir wissen, dass sie in dieser
Haltung Ungeheuerliches getan haben und im Begriff stehen, Ungeheuerlicheres noch
zu tun. Sie verheimlichen es nicht einmal. Doch Hitler? Vergessen wir nicht,
daß für ihn das Volk eine Schöpfung Gottes war. Allzuviele Aussagen belegen,
daß er in den Völkern nur einen Gottesbeweis sah, daß über dem Volk also Gott
stand. Die Meinungsmache der Freimaurerei ist also für diese ein sehr
gefährlicher Bumerang. Wir, unsererseits, brauchen uns nicht zu scheuen, an
diesem Thema zu rühren. Denn, selbst wenn man sich auf den Boden des dort
Behaupteten stellte, würde der Ausgang ja nur bewiesen haben, daß der große
Verbündete des Teufels über einen kleineren siegte. Mehr aber brauchen wir
wirklich nicht als dieses Selbstbekenntnis der Heuchler von der Potomac (Fluß in den USA, an dem die
Bundeshauptstadt Washington D.C. gelegen ist).
Ich bin nicht der landläufig
verbreiteten Meinung: "Hitler war nicht schlechter als seine Gegner."
Ich bin vielmehr der bewiesenen Überzeugung: Seine Gegner waren schlechter als
er. Und ich glaube, der Beweis muß noch angetreten werden, ob er überhaupt
"schlecht" war. Was man bisher vorbrachte, sind die Äußerungen
überführter Verbrecher. So etwas erinnert allzu verdächtig an jenen, der
lauthals "Haltet den Dieb!" schrie, um vom eigenen Diebstahl
abzulenken. Hitlers Kampf war seinen deutschen Zeitgenossen ein Kampf gegen das Böse, welches die Welt
errichtet hatte. Deswegen folgten sie ihm. Alle heutigen Verdrehungsversuche
scheitern aber nicht nur am millionenfachen Zeugnis jener Zeit, sondern
deutlicher noch angesichts der bösen Werke, die seine Besieger hinterher
ausführten.
Sie können Hitler nicht
verstehen, weil sie selbst so klein sind. So erfinden sie herum. Sprechen von
ungeheuerlichen Verbrechen, die der Nationalsozialismus begangen habe und
vergessen, in welch verbrecherische Welt diese Bewegung hineingeboren wurde.
Hat Hitler nicht vielmehr gehandelt wie jener spanische Stierkämpfer, von dem
wir früher sprachen? Wie ein Samurai, nämlich "jede Wahrheit, welcher Art
sie auch sei, persönlich zu erfahren, ohne irgendeine verstandesmäßige,
systematische oder theoretische Lehre" (Suzuki)? Sagt man nicht gerade bei
denen, die dem Wesen Hitlers verständnislos gegenüberstehen, daß er ein Vertrauter,
ja ein Schüler Haushofers war, jenes Mannes, der einem buddhistischen Orden in
Japan beitrat und seinem Leben mit einem Harakiri ein Ende setzte? Gelang
Hitler nicht das große Werk seines Lebens, die Schaffung des Großdeutschen
Reiches, der Aufbau einer glücklichen Volksgemeinschaft, weil er an die Arbeit
ging wie ein genialer Künstler? "Das intuitive Wissen bildet die Grundlage
einer jeden Art von Glauben, vor allem des religiösen Glaubens, und mit
sicherer Wirkung, mit gewissem Erfolg steht es auf und meistert die Not"
(Suzuki). Wir werden auf diese Fragen noch einmal zurückkommen müssen, wenn wir
zunächst ein wenig mehr noch erfahren haben von der Welt, die sich heute anmaßt
ihn zu verurteilen. (vgl. Hans Severus
Ziegler: "Wer war Hitler?" Beiträge zur Hitler-Forschung, Tübingen
1970)
Quelle: "Gegen Gott und die Natur. Beiträge zu einer Analyse unserer
historisch-politischen Situation" von Juan Maler, Buenos Aires 1971, S.
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