Heydrichs Rolle
Sachverständigengutachten des Professors Dr. Michael Freund, weiland
Ordinarius für Geschichtswissenschaft an der Universität Kiel, erstattet im
Auftrag des Landessozialgerichts (LSG) Schleswig. Aufgrund dieser Expertise hat
das LSG der Witwe Heydrichs durch Urteil vom 20. Juni 1958 einen Anspruch auf
Rente zuerkannt. Prof. Freund kommt zu dem Ergebnis, daß sich das Deutsche
Reich und die Tschechoslowakei nicht im Kriegszustand befunden haben und daß
das Attentat, dem Heydrich in Prag zum Opfer fiel, nicht von Soldaten oder
Partisanen verübt wurde, sondern von politischen Gegnern, die mit dem Massenmörder
abgerechnet haben.
Um es vorweg zu nehmen, muß man nach dem heutigen Stand der Dinge fragen,
warum die Alliierten in Kenntnis des millionenfachen Judenmordes nicht parallel
zu oder auch nach Heydrichs Liquidierung die Infrastruktur zu den bekannten
Vernichtungslagern wie z.B. Auschwitz-Birkenau durch Luftangriffe zerstört
haben. Die Liquidierung Heydrichs dürfte einzig und allein darauf beruht haben,
daß er kurz vor der Endtarnung des Admirals Canaris stand, der als Freimaurer
und Spion täglichen Kontakt zur britischen Feindmacht unterhielt.
Das Bundesversorgungsgesetz
kennt den Begriff der Unwürdigkeit nicht. Wäre Heydrich bei einem Luftangriff
umgekommen, wären vielleicht seine Kriegsverbrechen unerheblich für die hier zu
entscheidende Rechtsfrage. Aber das Attentat meinte ihn als Person, und die
Rechtsnatur des Attentats wird beherrschend durch seine Person bestimmt. Die
Fliegerbombe hat keine bestimmten Menschen im Sinne, und jeder durch sie
zerrissene Mensch ist durch "Kriegseinwirkung" zugrunde gegangen.
Eine Fliegerbombe ist Kriegsgeschehen kraft ihrer Natur. Die Natur der
Gewalthandlung gegen Heydrich aber ist bestimmt durch die Natur, das Wirken und
die Persönlichkeit von Heydrich selbst.
Es ist für die Beurteilung der
Rechtsnatur des Geschehens am 27. Mai 1942 von der allergrößten Bedeutung, daß
der Ermordete für eines der größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts, die
Ermordung von Millionen von Juden und anderen Menschen, unmittelbar
verantwortlich ist, daß er die Methoden dieses Verbrechens mit einer
bemerkenswerten, ja phantastischen organisatorischen Begabung erdacht und
durchgeführt und mit einem zugleich verbrecherischen wie äußersten Mut ins Werk
gesetzt hat. Er ist dadurch auch mitverantwortlich für das zweite
weltgeschichtliche Verbrechen des 20. Jahrhunderts, die Vertreibung der
Deutschen aus den Ostgebieten, weil er die Maschine der Umsiedlung und der
Ausrottung fremder und unerwünschter Volksgruppen erdacht und geschaffen hat.
Er ist der erste, der im alten Europa bewußt die Vorstellung hat, eine
volksmäßige Flurbereinigung in Mittel- und Osteuropa durch die Ausrottung
ganzer Völker, durch den Völkermord, das Genocidium, durchzuführen. Er ist
einer der großen Verbrechergestalten der Geschichte und eine der wichtigsten
Figuren des Dritten Reiches. Er hat in keiner Darstellung des Dritten Reiches
noch den ihm gebührenden Platz gefunden. Er ist ein Mann von überragender
Bedeutung, in ihm findet der Gesinnungsverbrecher luziferisches Format.
Reitlinger sagt in seinem Buch über die "Endlösung" (die Ermordung
der 6 Millionen Juden) mit Recht, daß es verblüffend wäre, welche Bedeutung man
der schmutzigen, aber belanglosen Figur eines Streicher in Nürnberg zumessen
konnte und wie sehr durch das im wesentlichen agitatorische Bemühen Streichers
auf dem Felde der antisemitischen Pornographie der Blick von der eigentlichen
entscheidenden Figur der nationalsozialistischen Judenpolitik abgelenkt wurde.
Hätte Heydrich das Dritte
Reich überlebt, wäre er mit nahezu absoluter Sicherheit in Nürnberg
hingerichtet worden. Seine Hinrichtung hätte zu den überzeugenderen Urteilen
des Nürnberger Militärtribunals gehört. Für seine Aburteilung durch ein
deutsches Gericht hätte ein Bedürfnis nicht vorgelegen, nach neuen
Rechtsbegriffen zu suchen. Auch nach dem im Dritten Reich gültigen
Strafgesetzbuch ist Heydrich als Mörder zu bezeichnen. Ob die Ermordung von
ganzen Kategorien eines Volkes je Gesetz und Recht zu werden vermag selbst in
einem Staat wie dem Dritten Reich ‑, ist für die Beurteilung der
Rechtsfrage in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn die Liquidierung der Juden
ist nie Gesetz geworden und hat nicht einmal die Gestalt eines formellen
Führerbefehls erlangt. Sie blieb also auch nach den im Dritten Reich gültigen
Maßstäben Mord in dem schlichten Sinne des Strafgesetzbuches. Dabei ist das, was
Heydrich in Böhmen und Mähren tat und wobei er einem Mordanschlag zum Opfer
fiel, von dieser allgemeinen Politik des Mordes, die er betrieb, nicht
abzulösen. Für die hier zu behandelnde Rechtsfrage ist dies von
ausschlaggebender Bedeutung, weil
Heydrich Ausdruck, Organisator und
Werkzeug eines deutschen und internationalen Systems ist, das sich von allen
Bindungen im inneren und
zwischenstaatlichen Recht gelöst hatte, das einen extrakonstitutionellen
und extralegalen Mechanismus der Gewalt und der Vernichtung darstellte, das
auch aus der deutschen Staats‑ und Rechtsordnung völlig herausragte, das
also nicht mit deutschem Recht ‑ auch nicht mit dem des Dritten Reiches ‑
zu messen war, geschweige denn mit den Kategorien des Völkerrechts.
Kriegsrecht, gleichviel welcher geistigen und rechtspolitischen Ausprägung, ist
auf das Werk und den Untergang Heydrichs nicht anwendbar, weil er in einem
Kriege kämpfte und das Gehirn und der Wille für einen Krieg war, der mit dem
Krieg von Soldaten schlechterdings nichts mehr zu tun hat.
Es muß also als wahrscheinlich
unterstellt werden, daß das Attentat gegen Heydrich von politischen Motiven
ausgelöst war. Die Judengreuel waren im Ausland durchaus bekannt. Dieses
Attentat wird auch dadurch nicht zur Kriegshandlung, daß England es als
opportun hielt, für dieses politische Unternehmen militärische Machtmittel zur
Verfügung zu stellen. Es ist nicht zu erweisen und sogar schwer glaubhaft zu
machen, daß das Attentat der eigentlichen Kriegführung diente, es diente aber sehr wohl dem politischen
Kriegsziel Englands. Als dieses Kriegsziel wurde ja die Ausrottung der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bezeichnet. Ein militärischer Zweck
war durch die Ermordung Heydrichs Unmittelbar nicht zu erreichen. Sie entsprach
aber auf eine dramatische Weise, die dem unterirdischen von Heydrich geführten
Krieg angepaßt war, der von Roosevelt, Churchill und Stalin ausgesprochenen
Mahnung der Alliierten, daß in den besetzten Gebieten begangene Grausamkeiten
rücksichtslos geahndet werden würden und daß die Verantwortlichen an die
betreffenden Völker ausgeliefert werden würden. Das alles hing nicht
unmittelbar mit der militärischen Kriegführung zusammen, sondern mit dem Kampf
gegen das nationalsozialistische Regime. Auch wenn man zugibt, daß die Trennung
zwischen Staat und Staatsform, Nation und Regime außerordentlich schwer
durchzuführen ist, auch wenn man einräumt, daß häufig im Ausland Hitler gesagt
wurde, wo man Deutschland dachte, auch wenn man anerkennt, daß oft der Esel
gemeint war, wenn man den Sack schlug, so bleibt doch die Tatsache, daß der
Krieg, den das deutsche Volk in seiner Mehrheit zu kämpfen für seine Pflicht
hielt und wie ihn das Bundesversorgungsgesetz allein im Auge haben kann, nicht
ein Krieg zur Verteidigung der nationalsozialistischen Herrschaft war, und daß
die Millionen pflichttreuer deutscher Soldaten nicht kämpften, um es Reinhard
Heydrich zu ermöglichen, die Ermordung der Juden zu Ende zu führen. Reinhard Heydrich hatte mit seinem Tun
etwas ganz anderes im Sinne als die überwältigende Mehrheit der deutschen
Soldaten und selbst als die Mehrheit der Mitglieder der NSDAP.
Heydrich hat in der
Gesamtpolitik Hitlers und im Zweiten Weltkrieg eine bestimmte und eigentümliche
Funktion: Die Unterdrückung und Ausrottung der "Fremdkörper" im
deutschen Machtbereich. Er war mehr noch als Himmler, den er an Intelligenz
weit überragte, der Exponent des "SS‑Staates", um den Ausdruck
von Kogon zu gebrauchen, der Herr über eine Organisation, die außerhalb des
deutschen Staates, außerhalb der deutschen Verwaltung und außerhalb der
deutschen Regierung stand, die Gewalt über Leben und Tod, unabhängig von einem
deutschen Gesetzgeber und unabhängig von irgendwelcher deutschen Rechtsprechung
hatte, die an kein deutsches Gericht, kein deutsches Gesetz und Recht gebunden
war, die aus dem deutschen Staat hinaus‑ und in einem dunklen unbekannten
europäischen Raum hineinragte, die verborgene und geheimgehaltene Befehle
Hitlers, Himmlers und Heydrichs ausführte. Es war ein verborgenes, dunkles,
undurchschaubares, von einer unberechenbaren und ungeregelten Gewalt erfülltes
Reich. Dieser Staat im Staate hatte nicht die Aufgabe, die fünfte Kolonne
unschädlich zu machen, wie es in allen kriegführenden Ländern geschah. Heydrich
war kein Polizeigeneral im gewöhnlichen Sinne. Die Behauptung, daß er in die
Tschechoslowakei als Polizeigeneral entsandt worden wäre und da eine
militärähnliche Funktion inne gehabt habe, geht an dem fundamentalen Tatbestand
vorbei, daß Heydrich seine Polizeitätigkeit in einem rein politischen Sinne
auffaßte. Der SD, seine eigene Schöpfung, diente vor allem der Erforschung der
gegnerischen Bewegung und Heydrich hatte sogar Konflikte mit Rosenberg, weil er
seine Hände auch auf die wissenschaftliche Forschung legte. Die gegnerische Welt
aber, das waren für ihn die fremdrassigen, die fremdvölkischen und alle als
minderwertig, minderrassig abgestempelten Gruppen, die nach der Auffassung des
Kreises um Himmler und Heydrich der höheren Entwicklung des deutschen Volkes im
Wege standen.
"Polizei" im Sinne
Heydrichs war die Ausmerzung und Liquidierung dieser Gruppe. Heydrich kam in
die Tschechoslowakei mit einem großen Programm der Errichtung eines rassischen
Schutzwalles gegen Osten, der durch die Ausmerzung fremder Bestandteile krisenfest
gemacht werden sollte. Er hatte große Pläne über die Aussiedlung und Umzüchtung
der Tschechen, und seine Tätigkeit in der Tschechoslowakei war also keineswegs
eine kommune Polizeifunktion, sondern stand im Zusammenhang mit der großen
Zielsetzung durch Um‑ und Aussiedlung, Ausrottung, physische Vernichtung,
durch Ausrottung durch Arbeit, durch Ausrottung mittels großer
Sterilisierungen, durch Neuzüchtungen und Höherzüchtung des deutschen Menschen,
den ganzen Osten in einen Schmelztiegel zu werfen, durch Blut, Gift und Gas das
Minderwertige abzutöten und daraus eine neue Rasse und ein neues Imperium
hervorgehen zu lassen. Von der Tschechoslowakei aus sollte die "Endlösung",
das Kernstück dieser völkischen Flurbereinigung, die Vernichtung der Juden,
betrieben werden. Der Einmarsch vom 15. März 1939 ist zum Teil dadurch
ausgelöst worden, daß die tschechische Regierung ablehnte, sich der
Judenpolitik des Reiches gleichzuschalten. Heydrich behielt alle seine über die
Tschechoslowakei hinausreichenden Ämter und Aufgaben, und er hat seine
tschechische Aufgabe immer nur als untergeordneten Teil der größeren Funktion
angesehen.
Es scheint, daß Reinhard
Heydrich bewußt von Hitler und Himmler ausgewählt wurde, um die Lösung der
Judenfrage, so wie sie sie sich dachten, durchzuführen. Beide wußten, das Heydrich jüdisches Blut in den Adern hatte. Sie
meinten aber, daß er sich gerade deswegen besonders für die Aufgabe eigne.
Himmler sagte über ihn nach seinem Tod:
"Zu etwas anderem war er
noch herrlich zu gebrauchen, zum Kampf gegen das Judentum. Er hatte in sich den
Juden rein intellektuell überwunden und war auf die andere Seite
übergeschwenkt. Er war davon überzeugt, daß der jüdische Anteil an seinem Blut
verdammenswert war, er haßte dieses Blut, das ihm so übel mitspielte. Der
Führer konnte sich im Kampf gegen die Juden wirklich keinen besseren Mann
aussuchen als gerade Heydrich. Dem Juden gegenüber kannte er kein Mitleid und
keine Gnade."
Um erneut zu unterstreichen,
daß Reinhard Heydrich mit dem Krieg an sich, mit dem Krieg der Soldaten, nichts
zu tun hatte, sei darauf hingewiesen, daß ihm die Aufgabe übertragen wurde, die
nachher durch die Einsatzkommandos umschrieben wurde, die Aufgabe der
Ausrottung und der Liquidierung hinter der Front. Diesen Einsatzkommandos war nicht
der Kampf, sondern der Mord aufgegeben. Himmler hat in einer Rede aus dem Jahre
1943 gesagt, daß diese Einsatzkommandos schwere Opfer für Deutschland gebracht
hätten; es wäre das größte Kapitel der deutschen Geschichte, nur könne und
dürfe es nie geschrieben werden.
Dieses Kapitel deutscher
Geschichte aber ist unlöslich verbunden mit dem Namen Heydrich. Hitler und
Himmler hatten anderes zu tun. Heydrich machte diese Sache zu seiner
beherrschenden und ausschließlichen Aufgabe, das Werk der Ausrottung durchzuführen,
so wie es der Nationalsozialismus zur Sicherung der europäischen Rasse für
notwendig hielt.
Heydrich war der eigentliche
Organisator der "Kristallnacht" vom 9. November 1938. Er war es, der
am 11. November 1938 den folgenden Bericht an Hermann Göring sandte:
"An Synagogen wurden 191
in Brand gesteckt, weitere 76 vollständig demoliert. Ferner wurden 11
Gemeindehäuser, Friedhofskapellen u. dergl. in Brand gesetzt und weitere 3
völlig zerstört. Festgenommen wurden rund 20 000 Juden, ferner 7 Arier und 3
Ausländer. Letztere wurden zur eigenen Sicherheit in Haft genommen. An
Todesfällen wurden 36, an Schwerverletzten ebenfalls 36 gemeldet. Die Getöteten
bzw. Verletzten sind Juden."
Am 24. Januar 1939 wurde
Reinhard Heydrich von Hermann Göring mit der Lösung der Judenfrage beauftragt,
von Hermann Göring, weil die Judenfrage damals als wirtschaftliches Anliegen
galt.
Als die Tschechoslowakei
besetzt war, beginnt Heydrich mit der Lösung der Judenfrage, die ihm
aufgetragen war. Seine Tätigkeit in der Tschechoslowakei beginnt nicht erst mit
seiner Ernennung zum stellvertretenden Reichsprotektor. Er hat in der
Tschechoslowakei eine Funktion und eine Aufgabe, die ihn von Anfang an über das
Amt des Reichsprotektors hinaushebt. Seine spezifische Aufgabe ist nicht, das
Land zu beherrschen und zu pazifizieren. In Prag ist sein engster Vertrauter
und Gehilfe der Hauptmann Eichmann, der 1945 beim Zusammenbruch des Dritten
Reiches gesagt haben soll (so hat es jemand in Nürnberg ausgesagt), er fahre
fröhlichen Gemütes in die Grube ‑ in dem Bewußtsein, 6 Millionen Juden
zum Tode verholfen zu haben.
Reinhard Heydrich und er
faßten die Sache methodisch an. Die Methode war immer das Werk Heydrichs.
Heydrich wollte die Evakuierung Prags von Juden erreichen, deshalb befahl er,
daß alle kleineren Städte der Tschechoslowakei judenfrei gemacht werden sollten
und die Juden in das Ghetto von Prag gebracht werden müßten. Das Prager Ghetto
wurde dann mit seiner Übervölkerung rasch zu einem Gefahrenherd von Epidemien.
So mußte deportiert werden, und Heydrich ist der Erfinder eines wahrhaft
teuflichen Systems, nämlich die Juden selber entscheiden zu lassen, wer
deportiert werden sollte. Das war das System von Theresienstadt. Dort entschied
der »Judenrat«, wer nach Auschwitz gehen sollte, wer also sein Leben in der Gaskammer
von Auschwitz beschließen müßte. Nach dem Muster des jüdischen Gemeinderates in
Prag wurden in den Städten Polens und Rußlands ebenfalls jüdische
Verwaltungsräte gegründet, die in den Jahren 1941 bis 1943 alle
Gemeindemitglieder zu registrieren, auf einen Sammelplatz zu vereinen und
endlich in Todeslager oder zu Hinrichtungen zu leiten hatten, um ihnen dann
eines Tages selbst zu folgen.
Es kam der Krieg gegen Polen.
Nur in Parenthese sei gesagt, daß Heydrich den berühmten überfall auf den
Sender Gleiwitz durchführen ließ. Er verlangte von der Wehrmacht die
Beschaffung polnischer Uniformen. Er steckte dann Konzentrationshäftlinge in
polnische Uniformen und ließ sie einen Angriff auf den Sender Gleiwitz machen, damit
ein Angriff der Polen als Vorwand für die Eröffnung des Krieges behauptet
werden konnte. Die armen Teufel, die diesen Angriff durchgeführt hatten, wurden
dann, um sie für ewig zum Schweigen zu bringen, sogleich danach erschossen.
Jetzt hatte Heydrich die
Möglichkeit ‑ gemäß seinem Auftrag einer Gesamtlösung der Judenfrage ‑
die Verschickung der deutschen Juden nach dem Osten durchzuführen. Es wurden
nun die Juden nach dem Generalgouvernement verschickt, zum Teil unter schrecklichen
Umständen. Das gleiche geschah unter der Verantwortung von Reinhard Heydrich
mit den 30 000 Zigeunern, die in Deutschland lebten. Die große Stunde für
Heydrich war da, alles Faule und Morsche aus dem deutschen Volkskörper mit
Feuer und Schwert auszumerzen. Im März 1941 nahm der sogenannte Kommissarbefehl
Hitlers Gestalt an, daß nämlich alle Kommissare, die in deutsche Hand bei dem
kommenden Rußlandfeldzug fallen würden, erschossen werden sollten. Dabei ist
offenbar zum erstenmal angedeutet worden, daß auch mit den Juden so verfahren
werden sollte. Sie sollten, wie die Kommissare, als Pestherd angesehen werden,
der nun ausgetreten werden würde. Schriftliches ist nicht vorhanden, aber es
gibt Zeugnisse dafür, daß Heydrich in seinen Amtsräumen die nachmaligen
Kommandanten der Einsatzgruppen im Frühjahr 1941 über ihre Aufgabe verständigt
hatte.
Am 31. Juli 1941 wurde
Heydrich endgültig damit beauftragt, eine "Gesamtlösung" der
Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa herbeizuführen:
"In Ergänzung der Ihnen
bereits mit Erlaß vom 24. Januar 1939 übertragenen Aufgabe, die Judenfrage in
der Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen
entsprechend möglichst günstigen Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit,
alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und
materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen
Einflußgebiet in Europa."
Alles was nun in Deutschland
zur Judenfrage geschah, ist jetzt Heydrichs Zuständigkeit und Verantwortung ‑
das Schrecklichste und das Furchtbarste in gleicher Weise.
Im September 1941 trat
Reinhard Heydrich sein Amt in der Tschechoslowakei an. Am 28. September 1941 verhängte
er den Ausnahmezustand. Die gleichzeitig eingesetzten Standgerichte sprachen
778 Todesurteile aus, die alle ohne Ausnahme vollstreckt wurden.
Aber was in der
Tschechoslowakei selbst geschah, ist im Grunde bedeutungslos. Die Bedrückung
der tschechischen Unabhängigkeitsbewegung war hart, wird aber durch alles in
den Schatten gestellt, was unter der Verantwortung von Reinhard Heydrich nun
auf dem Gebiete der Judenfrage geschieht. Inzwischen war ja der Krieg mit der
Sowjetunion ausgebrochen. Die Einsatzkommandos begannen ihre Arbeit. Die neuen
Eroberungen schufen Platz für die Evakuierung der deutschen Juden. In Kowno
wurden 10 000 deutsche Juden aufgenommen und genau so viel dort ansässige Juden
erschossen, um Platz zu machen. Das war das System Heydrichs.
Heydrich machte sofort
geltend, daß seine Zuständigkeit als des "mit der Endlösung der europäischen
Judenfrage beauftragten Chefs der Sicherheitspolizei und des SD" sich auch
auf die besetzten Ostgebiete erstrecke. Man kann vermuten, daß am 11. November
1941 Hitler den endgültigen Befehl zur Vernichtung der Juden gegeben hat.
Auszuführen hatte den Befehl Reinhard Heydrich. Bei ihm war es die zentrale und
ausschließliche Aufgabe.
Unter Heydrich wurde in der
Tschechoslowakei das Lager und Ghetto Theresienstadt gegründet, das eine
Zeitlang als das Musterghetto des deutschen Macht‑Raumes angepriesen wurde.
Bald wurde es zur Durchgangsstation für die Gasöfen in Auschwitz. Nach
Theresienstadt kamen insgesamt 141000 Menschen, von denen 23 000 am Leben
blieben.
Welche Absichten Heydrich
verfolgte, geht aus einer Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes über die
Behandlung der Juden in den besetzten Gebieten hervor. Hier wird vorgeschlagen,
daß die Juden "im geschlossenen Arbeitseinsatz" nach Möglichkeit zu
verwenden wären. Es sei jedoch dabei "stets zu beachten, daß die jüdische
Arbeitskraft nur in jenen Produktionszweigen angesetzt wird, die eine spätere,
schnelle Abziehung dieser Arbeitskräfte ohne erhebliche Störung vertragen".
Entziehung vom Arbeitszwang sei grundsätzlich mit dem Tode zu bestrafen.
Am 20. Januar 1942 findet in
Wannsee eine große Besprechung über die Endlösung der Judenfrage statt, wobei
Heydrich sein großes schreckliches Programm entwickelt. Ich wiederhole: die
Aufgabe ist in der Tschechoslowakei fast nur eine Nebenaufgabe Heydrichs. Er
ist damals schon stellvertretender Reichsprotektor gewesen, das tritt alles in
den Hintergrund gegenüber den anderen Zielen:
"Der Chef der
Sicherheitspolizei und des SD, SS‑Obergruppenführer Heydrich, teilte
eingangs seine Bestallung zum Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung
der europäischen Judenfrage durch den Reichsmarschall mit und wies darauf hin,
daß zu dieser Besprechung geladen wurde, um Klarheit in grundsätzlichen Fragen
zu schaffen ...
Die Federführung bei der
Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage liege ohne Rücksicht auf geographische
Grenzen zentral beim Reichsführer‑SS und Chef der Deutschen Polizei (Chef
der Sicherheitspolizei des SD) ...
Im Vollzug dieser Bestrebungen
wurde als einzige vorläufige Lösungsmöglichkeit die Beschleunigung der
Auswanderung der Juden aus dem Reichsgebiet verstärkt und planmäßig in Angriff
genommen. ...
An Stelle der Auswanderung ist
nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger
Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten.
Diese Aktionen sind jedoch lediglich als Ausweichmöglichkeiten anzusprechen,
doch werden hier bereits jene praktischen Erfahrungen gesammelt, die im
Hinblick auf die kommende Endlösung der Judenfrage von wichtiger Bedeutung
sind. Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund 11
Millionen Juden in Betracht ...
Unter entsprechender Leitung
sollen im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum
Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der
Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete
geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen
wird ...
Der allfällig endlich
verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesen zweifellos um den
widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da
dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle
eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist. (Siehe die Erfahrung der
Geschichte.) ...
Im Zuge der praktischen
Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchgekämmt ...
"
Das
sind alles die Worte Heydrichs.
Inzwischen hatten die "Einsatzkommandos"
ihre Arbeit aufgenommen. ‑ Ohlendorf hat als Führer einer Einsatzgruppe im
Osten die berühmte eidesstattliche Erklärung in Nürnberg abgegeben:
"Ich, Otto Ohlendorf,
erkläre hiermit an Eides Statt: Ich war Chef des Sicherheitsdienstes und des SD
(RSHA) von 1939‑1945. Im Juni 1941 wurde ich von Himmler bestimmt, eine
der Einsatzgruppen zu führen, die damals gebildet wurden, um der deutschen
Armee im russischen Feldzug zu folgen ...
Himmler erklärte, daß ein
wichtiger Teil unserer Aufgabe in der Beseitigung von Juden, Frauen, Männern
und Kindern, und kommunistischen Funktionären bestünde. Ich wurde etwa 4 Wochen
vorher über den Angriff auf Rußland benachrichtigt ...
Als die deutsche Armee in
Rußland einmarschierte, war ich Führer der Einsatzgruppe D im südlichen Sektor,
und im Laufe des Jahres, während dessen ich Führer der Einsatzgruppe D war,
liquidierte sie ungefähr 90 000 Männer, Frauen und Kinder. Die Mehrzahl der
Liquidierten waren Juden, aber es waren unter ihnen auch einige kommunistische
Funktionäre ...
In der Ausführung dieses
Vernichtungsprogrammes wurden die Einsatzgruppen in Einsatzkommandos
untergeteilt, und die Einsatzkommandos in noch kleinere Einheiten, die
sogenannten Sonderkommandos und Teilkommandos. Gewöhnlich wurden die kleineren
Einheiten von einem Angehörigen des SD, der Gestapo oder der Kriminalpolizei
geführt. Die dazu ausersehene Einheit pflegte in ein Dorf oder eine Stadt zu
kommen und den führenden jüdischen Bewohnern den Befehl zu erteilen, alle Juden
zwecks Umsiedlung zusammenzurufen. Sie wurden aufgefordert, ihre
Wertgegenstände den Führern der Einheit zu übergeben und kurz vor der Hinrichtung
ihre Oberkleidung auszuhändigen. Die Männer, Frauen und Kinder wurden zu einem
Hinrichtungsort geführt, der sich meist neben einem Panzerabwehrgraben befand.
Dann wurden sie erschossen, knieend oder stehend, und die Leichen wurden in den
Graben geworfen. Ich habe in der Gruppe D das Erschießen durch Einzelpersonen
nie genehmigt, sondern befohlen, daß mehrere Leute gleichzeitig schießen
sollten, um direkte, persönliche Verantwortung zu vermeiden. Die Führer der
Einheiten oder besonders bestimmte Personen mußten jedoch den letzten Schuß auf
solche Opfer abfeuern, die nicht sofort tot waren. Ich erfuhr aus Gesprächen
mit anderen Gruppenführern, daß manche von ihnen verlangten, daß die Opfer sich
flach auf den Boden legten, um dann durch den Nacken geschossen zu werden. Ich
billigte diese Methoden nicht.
Im Frühjahr 1942 wurde uns vom
Chef der Sicherheitspolizei (lies Reinhard Heydrich) und des SD in Berlin
Gaswagen geschickt. Diese Wagen wurden vom Amt II des RSHA beigestellt. Der Mann, der für die Wagen meiner Einsatzgruppe verantwortlich war, war
B e c k e r. Wir hatten Befehl
erhalten, die Wagen für die Tötung von Frauen und Kindern zu benutzen. Jedesmal
wenn eine Einheit eine genügende Anzahl von Opfern angesammelt hatte, wurde ein
Wagen für die Liquidierung gesandt. Wir hatten auch diese Gaswagen in der Nähe
der Durchgangslager stationiert, in die die Opfer gebracht wurden. Den Opfern
wurde gesagt, daß sie umgesiedelt werden würden und zu diesem Zwecke in die
Wagen steigen müßten. Danach wurden die Türen geschlossen, und durch das
Ingangsetzen der Wagen strömte Gas ein. Die Opfer starben in 10 bis 15 Minuten.
Die Wagen wurden dann zum Begräbnisplatz gefahren, wo die Leichen
herausgenommen und begraben wurden.
Ich habe den Bericht von
Stahlecker über Einsatzgruppe A gesehen, in welchem Stahlecker behauptet, daß
seine Gruppe 135 000 Juden und Kommunisten in den ersten vier Monaten der
Aktion getötet hat. Ich kannte Stahlecker persönlich, und ich bin der Ansicht,
daß das Dokument authentisch ist."
Ohlendorfs unmittelbarer
Vorgesetzter aber war Reinhold Heydrich, und Methode, Organisation und Form der
Einsatzgruppen war Heydrichs Verantwortung und Zuständigkeit. Was von den
Einsatzgruppen getan wurde und wie es getan wurde, war von Heydrich erdacht,
überlegt und angeordnet worden.
Heydrich erstattete selbst am
27. Februar 1942 und am 23. April 1942 große Berichte über die Tätigkeit der
Einsatzgruppen. Die Echtheit der betreffenden Urkunden ist daher von niemandem
bestritten worden.
Ich zitiere: "Es war
angestrebt, das Ostland möglichst vollständig von Juden zu säubern. Die
Erschießungen werden überall so durchgeführt, daß sie in der Öffentlichkeit
kaum bemerkt werden. In der Bevölkerung und selbst bei den zurückgebliebenen
Juden ist vielfach die Überzeugung verbreitet, daß die Juden lediglich
umgesiedelt worden sind ...
Estland ist bereits judenfrei.
In Lettland wurde die Zahl der in Riga verbliebenen 29 500 Juden auf 2 500
verringert. In Dünaburg leben noch 962 Juden, die für den Arbeitseinsatz
dringend erforderlich sind ...
In Weißruthenien ist die
Säuberung von Juden im Gange. Die Zahl der Juden in dem bisher der
Zivilverwaltung übergebenen Teil beläuft sich auf 139 000 Juden. 33 21.0 Juden
wurden inzwischen von der Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei und des SD
erschossen.
In den übrigen Gebieten an der
Ostfront bestand die Aufgabe der Sicherheitspolizei und des SD neben dem
Vorgehen gegen einzelne politisch oder kriminell in Erscheinung getretenen
Juden in der allgemeinen Bereinigung größerer Ortschaften. So wurden allein in Rakow
15 000 und in Artenowsk 1224
Juden erschossen, so daß diese Orte judenfrei sind."
Der Reichsstatthalter im
Reichsgau Wartheland, Greiser, kann in einem Brief vom 1. Mai 1942 an Heinrich
Himmler sagen, daß die "im Einvernehmen mit SS‑Obergruppenführer
Heydrich genehmigte Aktion" der Sonderbehandlung von rund 100 000 Juden in
meinem Gaugebiet in zwei bis drei Monaten abgeschlossen sein werde.
Da die Massenhinrichtungen
über die seelische Kraft von einer Anzahl von SS‑Einheiten gingen, wurde
im Sommer 1941 mit der Methode der Vergasung begonnen. Der Kommandant Höss von
Auschwitz konnte unwidersprochen in Nürnberg aussagen:
"Alle Massenhinrichtungen
durch Vergasung fanden unter dem direkten Befehl unter der Aufsicht und
Verantwortlichkeit des RSHA (also Heydrichs) statt. Ich erhielt unmittelbar von
dem RSHA alle Befehle zur Ausführung dieser Massenhinrichtungen."
Es besteht auch heute noch
kein Grund, an den Aussagen des Kommandanten von Auschwitz zu zweifeln, auch
nicht an seiner Behauptung, daß das ganze System durch Reinhard Heydrich
entwickelt worden ist. Auschwitz wurde auf Grund vorheriger Befehle im Juni
1942 errichtet, nachdem vorher die Konzentrationslager von Belzec‑Treblinka
und Wolzek auf Befehl und unter Verantwortung von Reinhard Heydrich errichtet
worden waren.
Alle Bücher über die Endlösung
der Judenfrage (Reitlinger, Adler, Poliakov und Wulff) stellen fest, daß
Eichmann, der sich rühmte, mindestens sechs Millionen Juden in den Tod
geschickt zu haben, nur das Werkzeug von Heydrich gewesen sei.
Es läßt sich leider nicht
vermeiden, noch einmal die Aussagen des Kommandanten von Auschwitz, Höss, zu
zitieren, weil das, was in Auschwitz geschah, Idee, Werk und Methode von
Reinhard Heydrich gewesen ist.
"Es dauerte 3 bis 15 Minuten,
je nach den klimatischen Verhältnissen, um die Menschen in der Todeskammer zu
töten. Wir wußten, wann die Menschen tot waren, weil ihr Kreischen aufhörte.
Wir warteten gewöhnlich eine halbe Stunde, bevor wir die Türen öffneten und die
Leichen entfernten. Nachdem die Leichen fortgebracht waren, nahmen unsere
Sonderkommandos die Ringe ab und zogen das Gold aus den Zähnen der Körper ...
Eine Verbesserung gegenüber
Treblinka war, daß wir Gaskammern bauten, die 2000 Menschen auf einmal fassen
konnte, während die 10 Gaskammern in Treblinka nur je 200 Menschen faßten. Die
Art und Weise, wie wir unsere Opfer auswählten, war folgendermaßen. zwei SS-Ärzte
waren in Auschwitz tätig, um die einlaufenden Gefangenentransporte zu
untersuchen. Die Gefangenen mußten bei einem der Ärzte vorbeigehen, der bei
ihrem Vorbeimarsch durch Zeichen die Entscheidung fällte. Diejenigen, die zur
Arbeit taugten, wurden ins Lager geschickt. Andere wurden sofort in die
Vernichtungsanlagen geschickt. Kinder im zarten Alter wurden unterschiedslos
vernichtet, da auf Grund ihrer Jugend sie unfähig waren zu arbeiten. Noch eine
andere Verbesserung, die wir gegenüber Treblinka machten, war diejenige, daß in
Treblinka die Opfer fast immer wußten, daß sie vernichtet werden sollten, während
in Auschwitz wir uns bemühten, die Opfer zum Narren zu halten, indem sie
glaubten, daß sie ein Entlausungsverfahren durchzumachen hätten. Natürlich
erkannten sie auch häufig unsere wahren Absichten, und wir hatten deswegen
manchmal Aufruhr und Schwierigkeiten. Sehr häufig wollten Frauen ihre Kinder
unter den Kleidern verbergen, aber wenn wir sie fanden, wurden die Kinder
natürlich zur Vernichtung hineingesandt. Wir sollten diese Vernichtungen im
geheimen ausführen, aber der faule und Übelkeit erregende Gestank, der von der
ununterbrochenen Körperverbrennung ausging, durchdrang die ganze Gegend, und
alle Leute, die in den umliegenden Gemeinden lebten, wußten, daß in Auschwitz
Vernichtungen im Gange waren."
Es ließ sich nicht vermeiden,
dies zu zitieren, wenn man sich darüber klar werden wollte welche Funktion
Reinhard Heydrich im Gesamtplan und in der Gesamtpolitik des Dritten Reiches
inne hatte. Seine Aufgabe war: auszurotten, auszumerzen, zu töten, zu morden.
Heydrich führte einen anderen Krieg und fiel in einem anderen Krieg als
dem, den das deutsche Volk gewillt war zu führen.
Das Bundesversorgungsgesetz
hat davon Abstand genommen, den Krieg als solchen zu definieren. Es hat auch
davon Abstand genommen, einen Versorgungsanspruch dann zu negieren, wenn
Verletzung oder Tod im Verfolg von ungesetzlichen oder gar verbrecherischen
Handlungen im Zusammenhang mit Kriegshandlungen eingetreten sind. Die
Sozialversicherungsdirektive der Militärregierung vom Mai 1947 enthielt die
Bestimmung, daß Leistungen nicht an Personen gewährt werden dürfen, die unter
anderem im Verlauf einer Dienstleistung für die NSDAP und deren Gliederungen
verletzt wurden. Doch kann ein deutsches Gesetz nicht gemeint haben, daß reine
Grausamkeit gegen die unterworfene Bevölkerung und gegen die Juden und reine
Mordtaten als Kriegshandlungen aufzufassen wären und also Verletzung oder Tod,
die jemand sich beim Verfolg solcher Handlungen zuzieht, Ansprüche an das
deutsche Volk begründen, vor allem dann nicht, wenn diese Tat wie bei Heydrich
nicht infolge eines zwingenden Befehls, sondern willentlich begangen wurde.
Ich wiederhole: Das
Bundesversorgungsgesetz hat nicht definiert, was denn Krieg wäre. Man muß daher
die Entscheidungen des Gesetzgebers und Verfassungsgesetzgebers und der Gerichte
im Bunde zugrunde legen, wenn man sich darüber klarwerden will, welchen Krieg
der deutsche Soldat und das deutsche Volk führte und welchen er rechtmäßig
führen durfte. Es muß hier offenkundig Unterschiede geben. Die alliierte
Rechtsprechung über die Kriegsverbrecher ist zunächst teilweise von der
radikalen Theorie ausgegangen, daß im Kriege im Grunde jeder deutsche Soldat
ein Kriegsverbrecher gewesen sei, weil er den Krieg, den illegitimen und
verbrecherischen Krieg Hitlers mit führte (nur daß eben der Massenhaftigkeit
des Vergehens wegen die Strafe nicht durchgehend erfolgen konnte). Diese
Theorie ist von den deutschen Völkerrechtlern, der deutschen Wissenschaft
einheitlich abgelehnt worden. Der Standpunkt hat obsiegt, daß es für den
deutschen Soldaten selbst unter Hitler einen legitimen und ehrenhaften Zweck im
Kriege geben konnte. Wenn er kämpfte, tat er etwas, was recht war. Gerade aber,
um die deutschen Soldaten nicht in eine totale Diffamierung hineinzureißen und
um dem Kriegsdienst der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg eine das Dritte
Reich überdauernde Würde geben zu können, muß der Begriff Kriegshandlung so
formuliert werden, daß Unterschiede gemacht werden können. Gesetz ist Gesetz
und muß es bleiben, auch wenn es uns nicht gefällt, wem es zugute kommt. Wo es
aber Raum für Zweifel und eine freie Entscheidung läßt, müssen die größeren
Gesichtspunkte und Wertbegriffe herangezogen werden, die einem von Recht und
Menschlichkeit bestimmten Gemeinwesen zugrunde liegen. Das Versorgungsgesetz
ruht auf der Idee der nationalen Solidarität. Das deutsche Volk aber kann und
darf nicht als solidarisch erscheinen mit einem Menschen von der
verbrecherischen Art und Größe eines Heydrich.
Quelle: "Die Gegenwart" vom 4. Oktober 1958, S. 626 ff
Anmerkung: Freunds Abrechnung mit Heydrich ist in jeder Beziehung zu
begrüßen. Seine immerhin schon 1958 veröffentlichten Zitate hätte man eins um
andere Mal jenen unbelehrbaren Holocaust-Leugnern "um die Ohren
hauen" sollen.