Gustav Adolf II - Der Löwe aus Mitternacht
Nach dem unglücklichen
Versuche des Königs von Dänemark, die Progressen des Kaisers zu hemmen, war
Gustav Adolf der einzige Fürst in Europa, von welchem die unterliegende
Freiheit Rettung zu hoffen hatte, der einzige zugleich, der durch die stärksten
politischen Gründe dazu aufgefordert, durch erlittne Beleidigungen dazu
berechtigt und durch persönliche Fähigkeiten dieser gewagten Unternehmung
gewachsen war. Wichtige Staatsgründe, welche er mit Dänemark gemein hatte,
hatten ihn schon vor dem Ausbruche des Kriegs in Niedersachsen bewogen, seine
Person und seine Heere zur Verteidigung Deutschlands anzubieten; damals hatte
ihn der König von Dänemark zu seinem eigenen Unglücke verdrängt. Seit dieser
Zeit hatte der Übermut Wallensteins und der despotische Stolz des Kaisers es
nicht an Auffoderungen fehlen lassen, die ihn persönlich erhitzen und als König
bestimmen mußten. Kaiserliche Truppen waren dem polnischen König Sigismund zu
Hilfe geschickt worden, um Preußen gegen die Schweden zu verteidigen. Dem
König, welcher sich über diese Feindseligkeit gegen Wallenstein beklagte, wurde
geantwortet: "der Kaiser habe der Soldaten zuviel. Er müsse seinen guten
Freunden damit aushelfen." Von dem Kongresse mit Dänemark zu Lübeck hatte
eben dieser Wallenstein die schwedischen Gesandten mit beleidigendem Trotz
abgewiesen und, da sie sich dadurch nicht schrecken ließen, mit einer
Behandlung bedroht, welche das Völkerrecht verletzte. Ferdinand hatte die
schwedischen Flaggen insultieren und Depeschen des Königs nach Siebenbürgen
auffangen lassen. Er fuhr fort, den Frieden zwischen Polen und Schweden zu
erschweren, die Anmaßungen Sigismunds auf den schwedischen Thron zu
unterstützen und Gustav Adolfen den königlichen Titel zu weigern. Die
wiederholtesten Gegenvorstellungen Gustavs hatte er keiner Aufmerksamkeit
gewürdigt und neue Beleidigungen hinzugefügt, anstatt die verlangte Genugtuung
für die alten zu leisten.
So viele persönliche
Auffoderungen, durch die wichtigsten Staats‑ und Gewissensgründe
unterstützt und verstärkt durch die dringendsten Einladungen aus Deutschland,
mußten auf das Gemüt eines Fürsten Eindruck machen, der auf seine königliche
Ehre desto eifersüchtiger war, je mehr man geneigt sein konnte, sie ihm
streitig zu machen, der sich durch den Ruhm, die Unterdrückten zu beschützen,
unendlich geschmeichelt fand und den Krieg, als das eigentliche Element seines
Genies, mit Leidenschaft liebte. Aber ehe ein Waffenstillstand oder Friede mit
Polen ihm freie Hände gab, konnte an einen neuen und gefahrvollen Krieg mit Ernst
nicht gedacht werden.
Der Kardinal Richelieu hatte
das Verdienst, diesen Waffenstillstand mit Polen herbeizuführen. Dieser große
Staatsmann, das Steuer Europens in der einen Hand, indem er die Wut der
Faktionen und den Dünkel der Großen in dem Innern Frankreichs mit der andern
darniederbeugte, verfolgte mitten unter den Sorgen einer stürmischen
Staatsverwaltung unerschütterlich seinen Plan, die anwachsende Macht
Österreichs in ihrem stolzen Laufe zu hemmen. Aber die Umstände, welche ihn
umgaben, setzten diesen Entwürfen nicht geringe Hindernisse in der Ausführung
entgegen, denn auch dem größten Geist möchte es ungestraft nicht hingehen, den
Wahnbegriffen seiner Zeit Hohn zu sprechen. Minister eines katholischen Königs
und durch den Purpur den er trug, selbst Fürst der römischen Kirche, durfte er
es jetzt noch nicht wagen, im Bündnis mit den Feinden seiner Kirche öffentlich
eine Macht anzugreifen, welche die Anmaßungen ihres Ehrgeizes durch den Namen der
Religion vor der Menge zu heiligen gewußt hatte. Die Schonung, welche Richelieu
den eingeschränkten Begriffen seiner Zeitgenossen schuldig war, schränkte seine
politische Tätigkeit auf die behutsamen Versuche ein, hinter der Decke
verborgen zu wirken und die Entwürfe seines erleuchteten Geistes durch eine fremde
Hand zu vollstrecken. Nachdem er sich umsonst bemüht hatte, den Frieden
Dänemarks mit dem Kaiser zu hindern, nahm er seine Zuflucht zu Gustav Adolf,
dem Helden seines Jahrhunderts. Nichts wurde gespart, diesen König zur
Entschließung zu bringen und ihm zugleich die Mittel zur Ausführung zu
erleichtern. Charnasse, ein unverdächtiger Unterhändler des Kardinals, erschien
in Polnisch‑Preußen, wo Gustav Adolf gegen Sigismund Krieg führte, und
wanderte von einem der beiden Könige zum andern, um einen Waffenstillstand oder
Frieden zwischen ihnen zustande zu bringen. Gustav Adolf war längst dazu
bereit, und endlich gelang es dem französischen Minister, auch dem König
Sigismund über sein wahres Interesse und die betrügerische Politik des Kaisers
die Augen zu öffnen. Ein Waffenstillstand wurde auf sechs Jahre zwischen beiden
Königen geschlossen, durch welchen Gustav im Besitz aller seiner Eroberungen
blieb und die lang gewünschte Freiheit erhielt, seine Waffen gegen den Kaiser
zu kehren. Der französische Unterhändler bot ihm zu dieser Unternehmung die
Allianz seines Königs und beträchtliche Hilfsgelder an, welche nicht zu
verachten waren. Aber Gustav Adolf fürchtete nicht ohne Grund, sich durch
Annehmung derselben in eine Abhängigkeit von Frankreich zu setzen, die ihm
vielleicht mitten im Laufe seiner Siege Fesseln anlegte, und durch das Bündnis
mit einer katholischen Macht Mißtrauen bei den Protestanten zu erwecken.
So dringend und gerecht dieser
Krieg war, so vielversprechend waren die Umstände, unter welchen Gustav Adolf
ihn unternahm. Furchtbar zwar war der Name des Kaisers, unerschöpflich seine
Hilfsquellen, unüberwindlich bisher seine Macht; jeden andern als Gustav würde
ein so gefahrvolles Spiel zurückgeschreckt haben. Gustav übersah alle
Hindernisse und Gefahren, welche sich seinem Unternehmen entgegenstellten; aber
er kannte auch die Mittel, wodurch er sie zu besiegen hoffte. Nicht
beträchtlich, aber wohl diszipliniert war seine Kriegsmacht, durch ein strenges
Klima und anhaltende Feldzüge abgehärtet, in dem polnischen Kriege zum Sieg
gebildet. Schweden, obgleich arm an Geld und an Menschen und durch einen
achtjährigen Krieg über Vermögen angestrengt, war seinem König mit einem
Enthusiasmus ergeben, der ihn die bereitwilligste Unterstützung von seinen Reichsständen
hoffen ließ. In Deutschland war der Name des Kaisers wenigstens ebenso sehr
gehaßt als gefürchtet. Die protestantischen Fürsten schienen nur die Ankunft
eines Befreiers zu erwarten, um das unleidliche Joch der Tyrannei abzuwerfen
und sich öffentlich für Schweden zu erklären. Selbst den katholischen Ständen
konnte die Erscheinung eines Gegners nicht unwillkommen sein, der die
überwiegende Macht des Kaisers beschränkte. Der erste Sieg, auf deutschem Boden
erfochten, mußte für seine Sache entscheidend sein, die noch zweifelnden
Fürsten zur Erklärung bringen, den Mut seiner Anhänger stärken, den Zulauf zu
seinen Fahnen vermehren und zur Fortsetzung des Krieges reichliche Hilfsquellen
eröffnen. Hatten gleich die mehresten deutschen Länder durch die bisherigen
Bedrückungen unendlich gelitten, so waren doch die wohlhabenden hanseatischen
Städte bis jetzt davon frei geblieben, die kein Bedenken tragen konnten, mit
einem freiwilligen mäßigen Opfer einem allgemeinen Ruin vorzubeugen. Aus je
mehrern Ländern man die Kaiserlichen verjagte, desto mehr mußten ihre Heere
schmelzen, die nur allein von den Ländern lebten, in denen sie standen.
Unzeitige Truppenversendungen nach Italien und den Niederlanden hatten ohnehin
die Macht des Kaisers vermindert; Spanien, durch den Verlust seiner
amerikanischen Silberflotte geschwächt und durch einen ernstlichen Krieg in den
Niederlanden beschäftigt, konnte ihm wenig Unterstützung gewähren. Dagegen
machte Großbritannien dem Könige von Schweden zu beträchtlichen Subsidien Hoffnung,
und Frankreich, welches eben jetzt mit sich selbst Frieden machte, kam ihm mit
den vorteilhaftesten Anerbietungen bei seiner Unternehmung entgegen.
Aber die sicherste Bürgschaft
für den glücklichen Erfolg seiner Unternehmung fand Gustav Adolf ‑ in
sich selbst. Die Klugheit erfoderte es, sich aller äußerlichen Hilfsmittel zu
versichern und dadurch sein Unternehmen vor dem Vorwurf der Verwegenheit zu
schützen; aus seinem Busen allein nahm er seine Zuversicht und seinen Mut.
Gustav Adolf war ohne Widerspruch der erste Feldherr seines Jahrhunderts und
der tapferste Soldat in seinem Heer, das er sich selbst erst geschaffen hatte.
Mit der Taktik der Griechen und Römer vertraut, hatte er eine bessere
Kriegskunst erfunden, welche den größten Feldherren der folgenden Zeiten zum
Muster diente. Die unbehilflichen großen Eskadrons verringerte er, um die
Bewegungen der Reiterei leichter und schneller zu machen; zu eben dem Zwecke
rückte er die Bataillons in weitern Entfernungen auseinander. Er stellte seine
Armee, welche gewöhnlich nur eine einzige Linie einnahm, in einer gedoppelten
Linie in Schlachtordnung, daß die zweite anrücken konnte, wenn die erste zum
Weichen gebracht war. Den Mangel an Reiterei wußte er dadurch zu ersetzen, daß
er die Fußgänger zwischen die Reiter stellte, welches sehr oft den Sieg
entschied; die Wichtigkeit des Fußvolks in Schlachten lernte Europa erst von
ihm. Ganz Deutschland hat die Mannszucht bewundert, durch welche sich die
schwedischen Heere auf deutschem Boden so rühmlich unterschieden. Alle
Ausschweifungen wurden aufs strengste geahndet; am strengsten Gotteslästerung,
Raub, Spiel und Duelle. In den schwedischen Kriegsgesetzen ward die Mäßigkeit
befohlen; auch erblickte man in dem schwedischen Lager, das Gezelt des Königs
nicht ausgenommen, weder Silber noch Gold. Das Auge des Feldherrn wachte mit
eben der Sorgfalt über die Sitten des Soldaten wie über die kriegerische
Tapferkeit. Jedes Regiment mußte zum Morgen‑ und Abendgebet einen Kreis
um seinen Prediger schließen und unter freiem Himmel seine Andacht halten. In
allem diesem war der Gesetzgeber zugleich Muster. Eine ungekünstelte lebendige
Gottesfurcht erhöhte den Mut, der sein großes Herz beseelte. Gleich frei von
dem rohen Unglauben, der den wilden Begierden des Barbaren ihren notwendigen
Zügel nimmt, und von der kriechenden Andächtelei eines Ferdinands, die sich vor
der Gottheit zum Wurm erniedrigt und auf dem Nacken der Menschheit trotzig
einher wandelt, blieb er auch in der Trunkenheit seines Glückes noch Mensch und
noch Christ, aber auch in seiner Andacht noch Held und noch König. Alles
Ungemach des Kriegs ertrug er gleich dem geringsten aus dem Heere; mitten in
dem schwärzesten Dunkel der Schlacht war es licht in seinem Geiste;
allgegenwärtig mit seinem Blicke, vergaß er den Tod, der ihn umringte; stets
fand man ihn auf dem Wege der furchtbarsten Gefahr. Seine natürliche
Herzhaftigkeit ließ ihn nur allzuoft vergessen, was er dem Feldherrn schuldig
war, und dieses königliche Leben endigte der Tod eines Gemeinen. Aber einem solchen
Führer folgte der Feige wie der Mutige zum Sieg, und seinem alles beleuchtenden
Adlerblick entging keine Heldentat, die sein Beispiel geweckt hatte. Der Ruhm
ihres Beherrschers entzündete in der Nation ein begeisterndes Selbstgefühl;
stolz auf diesen König, gab der Bauer in Finnland und Gotland freudig seine
Armut hin, verspritzte der Soldat freudig sein Blut, und der hohe Schwung, den
der Geist dieses einzigen Mannes der Nation gegeben, überlebte noch lange Zeit
seinen Schöpfer.
So wenig man über die
Notwendigkeit des Krieges im Zweifel war, so sehr war man es über die Art, wie
er geführt werden sollte. Ein angreifender Krieg schien selbst dem mutvollen
Kanzler Oxenstierna zu gewagt, die Hilfsmittel seines geldarmen und
gewissenhaften Königs zu ungleich den unermeßlichen Ressourcen eines Despoten,
der mit ganz Deutschland wie mit seinem Eigentum schaltete. Diese furchtsamen
Bedenklichkeiten des Ministers widerlegte die weiter sehende Klugheit des
Helden. »Erwarten wir den Feind in Schweden,« sagte Gustav, »so ist alles
verloren, wenn eine Schlacht verloren ist alles ist gewonnen, wenn wir in
Deutschland einen glücklichen Anfang machen. Das Meer ist groß, und wir haben
in Schweden weitläuftige Küsten zu bewachen. Entwischte uns die feindliche
Flotte oder würde die unsrige geschlagen, so wäre es dann umsonst, die feindliche
Landung zu verhindern. An der Erhaltung Stralsunds muß uns alles liegen; so
lange dieser Hafen uns offen steht, werden wir unser Ansehen auf der Ostsee
behaupten und einen freien Verkehr mit Deutschland unterhalten. Aber um
Stralsund zu beschützen, dürfen wir uns nicht in Schweden verkriechen, sondern
müssen mit einer Armee nach Pommern hinübergehen. Redet mir also nichts mehr
von einem Verteidigungskriege, durch den wir unsere herrlichsten Vorteile
verscherzen. Schweden selbst darf keine feindliche Fahne sehen, und werden wir
in Deutschland besiegt, so ist es alsdann noch Zeit, euern Plan zu befolgen. «
Beschlossen ward also der
Übergang nach Deutschland und der Angriff des Kaisers. Die Zurüstungen wurden
aufs lebhafteste betrieben, und die Vorkehrungen, welche Gustav traf, verrieten
nicht weniger Vorsicht, als der Entschluß Kühnheit und Größe zeigte. Vor allem
war es nötig, in einem so weit entlegenen Kriege Schweden selbst gegen die
zweideutigen Gesinnungen der Nachbarn in Sicherheit zu setzen. Auf einer
persönlichen Zusammenkunft mit dem Könige von Dänemark zu Markaröd versicherte
sich Gustav der Freundschaft dieses Monarchen; gegen Moskau wurden die Grenzen
gedeckt; Polen konnte man von Deutschland aus in Furcht erhalten, wenn es Lust
bekommen sollte, den Waffenstillstand zu verletzen. Ein schwedischer
Unterhändler, von Falkenberg, welcher Holland und die deutschen Höfe bereiste,
machte seinem Herrn von seiten mehrerer protestantischen Fürsten die
schmeichelhaftesten Hoffnungen, obgleich noch keiner Mut und Verleugnung genug
hatte, ein förmliches Bündnis mit ihm einzugehen. Die Städte Lübeck und Hamburg
zeigten sich bereitwillig, Geld vorzuschießen und an Zahlungsstatt schwedisches
Kupfer anzunehmen. Auch an den Fürsten von Siebenbürgen wurden vertraute
Personen abgeschickt, diesen unversöhnlichen Feind Österreichs gegen den Kaiser
in Waffen zu bringen.
Quelle: Friedrich Schiller, "Geschichte des Dreißigjährigen Krieges"