Godesberger Programm
Grundwerte des demokratischen Sozialismus: Die
Sozialisten erstreben eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine
Persönlichkeit in Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft
verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der
Menschheit mitwirken kann.
Freiheit und Gerechtigkeit
bedingen einander. Denn die Würde des Menschen liegt im Anspruch auf
Selbstverantwortung ebenso wie in der Anerkennung des Rechtes seiner
Mitmenschen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln und an der Gestaltung der
Gesellschaft gleichberechtigt mitzuwirken.
Freiheit, Gerechtigkeit und
Solidarität, die aus der gemeinsamen Verbundenheit folgende gegenseitige
Verpflichtung, sind die Grundwerte des sozialistischen Wollens.
Der demokratische Sozialismus,
der in Europa in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen
Philosophie verwurzelt ist, will keine letzten Wahrheiten verkünden ‑
nicht aus Verständnislosigkeit und nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber den
Weltanschauungen oder religiösen Wahrheiten, sondern aus der Achtung vor den
Glaubensentscheidungen des Menschen, über deren Inhalt weder eine politische
Partei noch der Staat zu bestimmen haben.
Die Sozialdemokratische Partei
Deutschlands ist die Partei der Freiheit des Geistes. Sie ist eine Gemeinschaft
von Menschen, die aus verschiedenen Glaubens‑ und Denkrichtungen kommen.
Ihre Übereinstimmung beruht auf gemeinsamen sittlichen Grundwerten und gleichen
politischen Zielen.
Die Sozialdemokratische Partei
erstrebt eine Lebensordnung im Geiste dieser Grundwerte. Der Sozialismus ist
eine dauernde Aufgabe Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen, sie zu bewahren
und sich in ihnen zu bewähren.
Grundforderungen für eine menschenwürdige Gesellschaft: Aus
der Entscheidung für den demokratischen Sozialismus ergeben sich
Grundforderungen, die in einer menschenwürdigen Gesellschaft erfüllt sein
müssen:
Alle Völker müssen sich einer
internationalen Rechtsordnung unterwerfen, die über eine ausreichende Exekutive
verfügt. Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein.
Alle Völker müssen die gleiche
Chance haben, am Wohlstand der Welt teilzunehmen. Entwicklungsländer haben
Anspruch auf die Solidarität anderer Völker.
Wir streiten für die
Demokratie. Sie muß die allgemeine Staats‑ und Lebensordnung werden, weil
sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner
Eigenverantwortung ist.
Wir widerstehen jeder
Diktatur, jeder Art totalitärer und autoritärer Herrschaft; denn diese
mißachten die Würde des Menschen, vernichten seine Freiheit und zerstören das
Recht. Sozialismus wird nur durch die Demokratie verwirklicht, die Demokratie
durch den Sozialismus erfüllt.
Zu Unrecht berufen sich die
Kommunisten auf sozialistische Traditionen. In Wirklichkeit haben sie das
sozialistische Gedankengut verfälscht. Die Sozialisten wollen Freiheit und
Gerechtigkeit verwirklichen, während die Kommunisten die Zerrissenheit der
Gesellschaft ausnutzen, um die Diktatur ihrer Partei zu errichten.
Im demokratischen Staat muß
sich jede Macht öffentlicher Kontrolle fügen. Das Interesse der Gesamtheit muß
über dem Einzelinteresse stehen. In der vom Gewinn‑ und Machtstreben
bestimmten Wirtschaft und Gesellschaft sind Demokratie, soziale Sicherheit und
freie Persönlichkeit gefährdet. Der demokratische Sozialismus erstrebt darum
eine neue Wirtschafts‑ und Sozialordnung.
Alle Vorrechte im Zugang zu
Bildungseinrichtungen müssen beseitigt werden. Nur Begabung und Leistung sollen
jedem den Aufstieg ermöglichen.
Freiheit und Gerechtigkeit
lassen sich durch Institutionen allein nicht sichern. Alle Lebensbereiche
werden zunehmend technisiert und organisiert. Dadurch entstehen immer neue
Abhängigkeiten, die die Freiheit bedrohen. Nur ein vielgestaltiges
wirtschaftliches, soziales und kulturelles Leben regt die schöpferischen Kräfte
des einzelnen an, ohne die alles geistige Leben erstarrt.
Freiheit und Demokratie in der
industriellen Gesellschaft sind nur denkbar, wenn eine ständig wachsende Zahl
von Menschen ein gesellschaftliches Bewußtsein entwickelt und zur Mitverantwortung
bereit ist. Ein entscheidendes Mittel dazu ist politische Bildung im weitesten
Sinne. Sie ist ein wesentliches Ziel aller Erziehung in unserer Zeit.
Staatliche Ordnung: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands lebt
und wirkt im ganzen deutschen Volke. Sie steht zum Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland. In seinem Sinne erstrebt sie die Einheit
Deutschlands in gesicherter Freiheit.
Die Spaltung Deutschlands
bedroht den Frieden. Ihre Überwindung ist lebensnotwendig für das deutsche Volk.
Erst in einem
wiedervereinigten Deutschland wird das ganze Volk in freier Selbstbestimmung
Inhalt und Form von Staat und Gesellschaft gestalten können.
Das Leben des Menschen, seine
Würde und sein Gewissen sind dem Staate vorgegeben. Jeder Bürger hat die
Überzeugung seiner Mitmenschen zu achten. Der Staat ist verpflichtet, die
Freiheit des Glaubens und des Gewissens zu sichern.
Der Staat soll Vorbedingungen
dafür schaffen, daß der einzelne sich in freier Selbstverantwortung und
gesellschaftlicher Verpflichtung entfalten kann. Die Grundrechte sollen nicht
nur die Freiheit des einzelnen gegenüber dem Staat sichern, sie sollen als
gemeinschaftsbildende Rechte den Staat mitbegründen.
Als Sozialstaat hat er für
seine Bürger Daseinsvorsorge zu treffen, um jedem die eigenverantwortliche
Selbstbestimmung zu ermöglichen und die Entwicklung einer freiheitlichen
Gesellschaft zu fördern ...
Landesverteidigung: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands
bekennt sich zur Verteidigung der freiheitlich‑demokratischen
Grundordnung. Sie bejaht die Landesverteidigung ...
Die Sozialdemokratische Partei
fordert die völkerrechtliche Ächtung der Massenvernichtungsmittel auf der
ganzen Welt.
Die Bundesrepublik Deutschland
darf atomare und andere Massenvernichtungsmittel weder herstellen noch
verwenden.
Die Sozialdemokratische Partei
erstrebt die Einbeziehung ganz Deutschlands in eine europäische Zone der
Entspannung und der kontrollierten Begrenzung der Rüstung, die im Zuge der
Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit von fremden Truppen
geräumt wird und in der Atomwaffen und andere Massenvernichtungsmittel weder
hergestellt noch gelagert oder verwendet werden dürfen.
Die Streitkräfte müssen der
politischen Führung durch die Regierung und der Kontrolle durch das Parlament
unterstellt sein. Zwischen den Soldaten und allen demokratischen Kräften des
Volkes muß ein Verhältnis des Vertrauens bestehen. Der Soldat bleibt auch in
Uniform Staatsbürger.
Die Streitkräfte dürfen nur
der Landesverteidigung dienen.
Die Sozialdemokratische Partei
Deutschlands stellt sich schützend vor jeden Bürger, der aus Gewissensgründen
den Dienst mit der Waffe oder an Massenvernichtungsmitteln verweigert.
Die Sozialdemokratische Partei
Deutschlands fordert eine allgemeine und kontrollierte Abrüstung und eine mit
Machtmitteln ausgestattete internationale Rechtsordnung, die nationale
Landesverteidigungen ablösen wird ...
Wirtschaftsordnung: Der moderne Staat beeinflußt die Wirtschaft
stetig durch seine Entscheidungen über Steuern und Finanzen, über das Geld‑
und Kreditwesen, seine Zoll‑, Handels‑, Sozial‑ und
Preispolitik, seine öffentlichen Aufträge sowie die Landwirtschafts‑ und
Wohnbaupolitik. Mehr als ein Drittel des Sozialprodukts geht auf diese Weise
durch die öffentliche Hand. Es ist also nicht die Frage, ob in der Wirtschaft
Disposition und Planung zweckmäßig sind, sondern wer diese Disposition trifft
und zu wessen Gunsten sie wirkt. Dieser Verantwortung für den Wirtschaftsablauf
kann sich der Staat nicht entziehen. Er ist verantwortlich für eine
vorausschauende Konjunkturpolitik und soll sich im wesentlichen auf Methoden
der mittelbaren Beeinflussung der Wirtschaft beschränken.
Freie Konsumwahl und freie
Arbeitsplatzwahl sind entscheidende Grundlagen, freier Wettbewerb und freie
Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer
Wirtschaftspolitik. Die Autonomie der Arbeitnehmer‑ und
Arbeitgeberverbände beim Abschluß von Tarifverträgen ist ein wesentlicher
Bestandteil freiheitlicher Ordnung. Totalitäre Zwangswirtschaft zerstört die
Freiheit. Deshalb bejaht die Sozialdemokratische Partei den freien Markt, wo
immer wirklich Wettbewerb herrscht. Wo aber Märkte unter die Vorherrschaft von
einzelnen oder von Gruppen geraten, bedarf es vielfältiger Maßnahmen, um die
Freiheit in der Wirtschaft zu erhalten. Wettbewerb soweit wie möglich ‑
Planung soweit wie nötig!
Dieses nach dem Tagungsort benannte "Godesberger Programm"
wurde auf einem außerordentlichen Parteitag der SPD im November 1959
verabschiedet. Es war Grundlage dafür, daß der Kulturredakteur von "luebeck-kunterbunt" im Jahre 1966 als Unterprimaner
dieser Partei beitrat. Man konnte glauben, die SPD würde die Traditionen eines
August Bebel, Friedrich Ebert, Otto Wels und Dr. Kurt Schumacher fortsetzen. Leider
hat sich dies als erheblicher Trugschluß erwiesen. Die Desillusionierung begann
auf kommunaler Ebene mit Unpersonen wie Henning Koscielski,
Egon Hilpert, Rüdiger Möbuß, Ulrich Meyenborg und Michael Bouteiller.
Es setzte sich auf schleswig-holsteinischer Landesebene fort mit Typen wie
Björn Engholm und Dr. Klaus Klingner und gipfelte
schließlich auf Bundesebene mit Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine und Gerhard
Schröder. Wer in solch einer Partei Genosse bleibt, muß entweder ein Hundsfott
oder bescheuert sein.