Spekulative Geschichtsschreibung
Vor mehr als zwanzig Jahren glaubte
der ehemalige Mitarbeiter des Münchner Instituts
für Zeitgeschichte und nunmehrige Professor für neuere Geschichte an der
Universität Mainz folgenden Befund feststellen zu müssen: "Alles in allem
muß man leider feststellen, daß mit zunehmendem zeitlichem Abstand vom Dritten
Reich die Vorstellungen über jene Zeit nicht etwa zutreffender werden, sondern
vielmehr abwegiger." Es grassiere eine spekulative Betrachtungsweise, die
Geschichte nur als Stoff benutzt, an dem sie ein Prinzip demonstrieren
kann."
In der zeitgenössischen
Geschichtsschreibung, nicht nur in Westdeutschland, wobei einem sofort Wehlers
sogenannte "Bielefelder Schule" in den Sinn kommt, dominiert eine
spekulative Denkrichtung, die der Geschichte lediglich das Material entnimmt
für die Demonstration eines Prinzips. Bei der älteren Generation, sofern sie
sich überhaupt mit dem Dritten Reich befaßt, überwiegt eine unreflektierte,
vornehmlich durch persönliche Erlebnisse bestimmte Einstellung. Im Gegensatz
dazu sind die Überlegungen der jüngeren Generation fast ausschließlich
spekulativer Art.
"Die jüngeren halten eine
differenzierende Betrachtungsweise von vornherein für apologetisch und
unmoralisch, weil für ihre Begriffe die Moralität des Urteils in dem Maße zunimmt,
in dem alle Aspekte eines Problems auf einen Aspekt konzentriert werden."
Dieser Einzelaspekt betrifft das Verbrechen unter dem Sammelbegriff Auschwitz.
Der Genozid (Völkermord) wirft
seine tragischen Schatten über die deutsche Geschichtsinterpretation bis zurück
ins Bismarckreich. Die geistigen Produkte aus den Gefilden Bielefelds wiegen in
diesem Zusammenhang weniger schwer, da deren mangelnde Substanz besonders im
Ausland auf wenig mehr als ein mitleidiges Lächeln gestoßen ist, im Gegensatz zu
dem vom Breslauer Emigranten Fritz Stern verfaßten Werk "Gold und
Eisen". Eigentlich sollte es eine Biographie von Bismarcks Bankier und Ratgeber
Gerson Bleichröder sein, aber dem Verfasser geriet es zu einer Doppelbiographie
Bleichröders wie auch Bismarcks, beträchtlich angereichert und zwischen den
Zeilen zu lesen, durch die Biographie Sterns selbst und seiner impliziten Klage
über das Scheitern einer deutsch‑jüdischen Symbiose. Die Voraussetzungen
für eine solche Symbiose waren durchaus gegeben. Nirgendwo schritt der Prozeß der
Assimilierung der Juden mit größeren Schritten voran als in Mittel‑ und
Westeuropa, während sich der aufstrebende Zionismus hauptsächlich in den Pogrom‑Regionen
der polnischen Gebiete des Zarenreiches entfaltete, aber im Habsburgerreich, im
deutschen Kaiserreich und in den Staaten Westeuropas höchstens moralische Unterstützung
für die unterdrückten Glaubensbrüder im Osten erwarten konnte. Das soll nicht heißen,
daß es in den Assimilationsländern nicht hie und da zu Konflikten zwischen
jüdischen und nichtjüdischen Bürgern gekommen wäre. Man denke nur an die
Dreyfuß‑Affäre. Im Kaiserreich und der Weimarer Republik überstieg der
jüdische Anteil in den Jahren 1871 bis 1933 nie 1,09% der Gesamtbevölkerung.
Doch vermehrte sich in dieser Zeitspanne die Einwanderung ausländischer Juden
um ein beträchtliches, nämlich von 14% (76.387) im Jahre 1910 auf 20% (98.747) im
Jahre 1933. Wären einheimische wie eingewanderte Juden in Deutschland relativ
gleich über das ganze Land verteilt gewesen, wären sie kaum ins Auge gefallen,
aber im Jahre 1933 lebten 71% aller Juden in Großstädten, von denen nur 38%
dort geboren wurden, während 62% andere Geburtsorte aufwiesen. Mit anderen Worten,
die assimilierten Juden in Deutschland bildeten in diesen Städten eine
Minderheit gegenüber den Zugewanderten. Die Führer des assimilierten Judentums
in Deutschland versuchten sich dieser Zuwanderung in Eingaben an die
Reichspräsidenten Ebert und von Hindenburg zu erwehren. Sie forderten umsonst
eine Einwanderungssprerre, da nichts anderes als der Assimilationsprozeß durch Neuankömmlinge
gefährdet werde.
Daß sich die Juden in
Deutschland wie auch in anderen Ländern auf spezifische Berufe konzentrierten,
hat Wurzeln, die bis ins Mittelalter zurückreichen. So z.B. konnte Berlin
1923 150 jüdische Privatbanken
vorzeigen im Vergleich zu 11 Banken in nichtjüdischen Händen. 85% der Makler an
der Berliner Börse waren Ende 1932 Juden. Trotz ihres niedrigen
Bevölkerungsanteils waren 1905‑1906 25% der Studenten des Rechts und der Medizin Juden, 34% waren
Doktoranden in den philosophischen Fakultäten der deutschen Universitäten. Der
Prozentsatz jüdischer Ärzte war sehr hoch, in den Großstädten bildeten sie oft
die Mehrheit. Diese Angaben beruhen nicht auf obskuren Informationen, sondern
stammen aus der vor wenigen Jahren veröffentlichten Studie Sarah Gordons Hitler, Germans and the Jewish Question, Princeton
University Press 1984. Sie gibt den Hinweis, daß sie auf kulturellem Gebiet
weit überrepräsentiert waren, "wo ihre öffentliche Erscheinung durch die
Natur des Berufes besonders groß war. Unglücklicherweise
tendierten viele von ihnen dazu, ihre
Werke zu benutzen, um gegen die bestehenden deutschen Werte ins Feld zu ziehen oder diese zu kritisieren. Dies
stellte eine Beleidigung vieler Nichtjuden wie auch Juden dar, und Antisemiten
griffen Werke dieser Art als 'undeutsch' und 'fremd' an." Daß somit
Konfliktstoff vorhanden war, liegt auf der Hand; er entzündete sich auch
verschiedene Male, aber nie in dem Ausmaß, wie das im "Kulturkampf"
der Fall gegen die große katholische Minderheit gewesen war, geschweige denn,
daß er wie in Frankreich während der Dreyfuß‑Affäre fast
bürgerkriegsähnliche Formen annahm.
Die Mehrzahl der deutschen Juden verstand sich als Religionsgemeinschaft und nicht als Rasse; sie hatte ihren deutschen
Patriotismus von den Befreiungskriegen bis hin zum Ersten Weltkrieg mehrfach
unter Beweis gestellt. (Siehe z.B. das Kriegstagebuch des ehemaligen
Oberleutnants der kaiserlichen Armee, Herbert Sulzbach, Zwischen zwei Mauern, Vowinckel Verlag, Berg am See 1985).
Das Parteiprogramm der NSDAP,
das mitnichten die Ausweisung aller Juden forderte, sondern sie wie alle
Ausländer unter die Fremdgesetzgebung stellen wollte, wurde von der Mehrzahl
der deutschen Juden als eine vorübergehende Erscheinung betrachtet, so auch die
Einführung des Arier‑Paragraphen im Gesetz zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums vom April 1933 und auch die bekannten "Nürnberger
Gesetze", die, wie Hans Mommsen überzeugend nachgewiesen hat, nicht das
Produkt langfristiger Planung, sondern eine Improvisation darstellten, bei der
Hitler eher zu den Bremsenden als zu den Treibenden gehörte. So hart, wie sich
diese Gesetze aus dem heutigen Blickwinkel auch zeigen, damals hatte die
Mehrheit des im Reich verbliebenen Judentums wieder das Gefühl, den Boden des Gesetzes, wenn auch eines sehr
unerfreulichen, unter sich zu haben und nicht mehr Freiwild für irgendeinen
Abschußjäger zu sein.
In den Jahren 1933 bis 1935
unternahm das deutsche Judentum alles Erdenkliche, um seine Vaterlandstreue
unter Beweis zu stellen. Der erste spätere Präsident der Bundesrepublik sprach
wenige Monate nach der Machtübernahme vor einem jüdischen Zuhörerkreis und
verließ ihn mit dem Gefühl, wie er in sein Tagebuch eintrug, vor
"verhinderten Nationalsozialisten" gesprochen zu haben. Auf welch
glühende Art das deutsche Judentum sich auf persönlicher wie auf organisierter
Grundlage darzustellen suchte, fällt im Großteil der heutigen Forschung unter
den Tisch. Nicht, daß eine solche Grundlagenforschung nicht geleistet worden
wäre! Sie stammt von dem in den sechziger Jahren an der Universität Toronto
lehrenden Emigranten, Prof. Klaus J. Herrmann, und wurde 1969 im renommierten
Carl Heymann Verlag, Köln, unter dem Titel Das
Dritte Reich und die deutsch‑jüdischen
Organisationen 1933‑34 publiziert. Es wurde hierzulande wie alle
Bücher, deren Quellen hieb‑ und stichfest sind, also nicht wie manche
"revisionistischen" Studenten gegen die Quellen geschrieben, von der
bundesdeutschen Presse mit Schweigen übergangen. Umsonst sucht man in den
Bibliographien der Standardwerke der "Holocaust‑Literatur" nach
seinem Autor von Prof. Hermanns Art und einem entsprechenden Titel. Die "Richtwerte" dieser Literatur
werden scheinbar in Israel festgelegt, und wehe dem, der gegen sie verstößt!
Man hält selbst vor einem Historiker von der Statur und Leistung Ernst Noltes
nicht zurück, wie es der noch nicht vergangene "Historikerstreit"
eindrucksvoll und für die deutsche "Zukunft" beschämend belegt.
Nicht zuletzt wurde die
Haltung nationalsozialistischer Antisemiten durch die Greuelpropaganda
zionistisch beeinflußter Organe im Ausland bestimmt, die es sich nicht nehmen
ließen, selbst die erwiesene Fälschung des Pamphlets, "Die Geheimnisse der
Weisen von Zion", zu benutzen, um gegen die neuernannte Regierung im Reich
die Stimmung zu schüren, eine Haltung, gegen die selbst die zahlenmäßig
unbedeutende Zionistische Vereinigung für Deutschland am 31. März 1933 offen
Protest einlegte und somit Stellung bezog. Zwei Monate später folgte aus der
Feder von Jakov Trachtenberg das Buch "Die Greuelpropaganda ist eine
Lügenpropaganda gegen die deutschen Juden selbst."
Aus den uns heute zugänglichen
Dokumenten wie den Protokollen der zwischen 1933 und 1938 noch stattfindenden
Kabinettssitzungen, den Akten der Parteikanzlei u.v.m., geht ganz klar hervor,
daß die Boykott‑Aktion vom 1. April 1933 eine Gegenaktion gegen den im
westlichen Ausland bereits eingetretenen Boykott deutscher Waren war und im
wesentlichen durch Hitlers Machtwort auf einen
Tag beschränkt wurde, während radikale Elemente in der Partei eigentlich an
eine unbefristete Aktion gedacht hatten. Hitler mußte auf zweierlei Tatsachen
Rücksicht nehmen. Noch war Generalfeldmarschall Paul v. Hindenburg Reichspräsident, der sich, auch das belegte Herrmann,
sofort einschaltete, wenn ihm irgendein Übergriff zu Ohren kam, ferner mußte
Hitler mit seinem feinen Spürsinn auf das "gesunde Volksempfinden" ‑
ein Terminus, der wenig später Eingang in die NS‑Rechtssprechung finden
sollte ‑ Rücksicht nehmen, das alles andere als rabiat antisemitisch
eingestellt war und kaum einen länger anhaltenden Boykott toleriert hätte. Und wie
der Ablauf des 1. April 1933 zeigen sollte, verlief die Aktion kaum so
protestartig, wie man es sich in der Reichsleitung der NSDAP gewünscht hatte.
Zwar kam es im ganzen Reich zu protestartigen Handlungen, indem, folgt man den
internen NSDAP‑ und Polizeiberichten, deutsche "Arier"
demonstrativ jüdische Geschäfte betraten, um dort einzukaufen!
Noch zwei Tage vor dem Boykott
hatte die jüdische Gemeinde in Berlin dem Reichskanzler einen Anruf überreichen
lassen, den sie zusammen mit der Reichsvertretung der deutschen Juden erlassen
hatte und in dem es hieß: "Die deutschen Juden sind tief erschüttert von dem
Boykottaufruf der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei." Und
weiter:
"Wegen der Verfehlung
einiger weniger, für die wir nie und nimmer Verantwortung tragen, soll uns
deutschen Juden, die sich mit allen Fasern ihres Herzens der deutschen Heimat
verbunden fühlen, wirtschaftlicher Untergang bereitet werden.
In allen vaterländischen
Kriegen haben deutsche Juden in dieser Verbundenheit Blutopfer gebracht. Im
großen Kriege haben von 500.000 deutschen Juden 12.000 ihr Leben hingegeben.
Auf den Gebieten friedlicher Arbeit haben wir mit allen unseren Kräften unsere
Pflicht getan.
Den Greuel‑ und Boykottfeldzug im Ausland haben die jüdischen
Organisationen Deutschlands mit äußerster Anstrengung und erfolgreich bekämpft.
Sie haben dafür alles getan, was in ihrer Kraft stand, und werden es weiter
tun... Wir wiederholen in dieser Stunde das Bekenntnis unserer Zugehörigkeit
zum deutschen Volke, an dessen Erneuerung und Aufstieg mitzuarbeiten unsere
heiligste Pflicht, unser Recht und unser sehnlichster Wunsch ist."
Auch der Zionistische Verband
für Deutschland wandte sich in Telegrammen an die Zionisten in Britannien, den
USA, der Tschechoslowakei und in Polen mit der Forderung, von jeglicher
antideutscher Agitation abzusehen. Per Telegramm wurde das organisierte
Judentum der USA aufgefordert, deutschfeindliche Maßnahmen zu unterlassen. "Wir haben gegen alle der Wahrheit
nicht entsprechenden Greuelmeldungen und gewissenlose Sensationsnachrichten
Einspruch erhoben und wiederholen heute unseren Protest in aller
Öffentlichkeit... Die Verteidigung der staatsbürgerlichen Rechte der Juden und
die Wahrung ihrer wirtschaftlichen Position darf nicht verknüpft werden mit
politischen Aktionen, die sich gegen Deutschland und die außenpolitische
Geltung des Deutschen Reiches richten."
Wenige
Tage nach dem Boykott wandte sich der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten an den
Reichskanzler mit folgenden Worten:
"Wir haben den heißen
Wunsch, unsere ganze Kraft, unser Leben und Wirken für den nationalen
Wiederaufbau Deutschlands einzusetzen, sei es zum friedlichen Aufbau des
Reiches, sei es zu seiner Verteidigung nach außen. Hierzu bitten wir Sie, Herr
Reichskanzler, uns die Möglichkeit zu geben durch Ihren Beistand durch
Förderung unserer Bestrebungen.
In diesem Sinne bitten wir um
1. Vermeidung aller
beruflichen und wirtschaftlichen Zurücksetzung von ehemaligen Frontsoldaten und
von Angehörigen ehemaliger Frontsoldaten aus deutschen Kriegen;
2. Berücksichtigung
altansässiger Familien;
3. Eingliederung geeigneter
Kräfte aus dem jüdischen Bevölkerungsteil in die Einrichtungen der Wehrmacht,
der Jugendertüchtigung, der Wehrhaftmachung und des Arbeitsdienstes.
4. Förderung unserer
Bestrebungen auf Berufsumschichtung innerhalb des jüdischen Bevölkerungsanteils, insbesondere auf dem Gebiete der
Siedlung;
5. Heranziehung des
Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten und seiner Einrichtungen zur
Verwirklichung dieser Aufgaben."
Dreierlei geht aus diesem
Gesuch hervor. Erstens die Abgrenzung des deutschen Judentums gegenüber den
anderen im Reich befindlichen Juden, zweitens die Abgrenzung deutscher
jüdischer Frontkämpfer gegenüber dem deutschen Judentum insgesamt und drittens
die Erkenntnis, daß die berufsspezifische Überrepräsentierung deutscher Juden
in gewissen Berufssparten nicht nur in den Augen vieler Deutscher ein Stein des
Anstoßes war. Daher die Notwendigkeit, diese Dominanz abzubauen, was sich aber
nicht von heute auf morgen, sondern nur über einen sehr langen Zeitraum hätte
erreichen lassen können.
Hitler selbst zeigte sich noch
im April 1933 weitreichenden antijüdischen Maßnahmen gegenüber nicht sehr
angetan. In seiner Ministerbesprechung vom 7. April 1933 führte er aus, im
Augenblick sei nur das Notwendige zu regeln. Für Rechtsanwälte, eine
Berufssparte, in der Juden mehr als nur prominent vertreten waren, schlug er
eine ähnliche Regelung wie in dem Gesetz zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums vor, doch für jüdische Ärzte hielt er eine gesetzliche
Regelung zur Zeit noch nicht für notwendig. Im übrigen sollte jede
Gesetzmaßnahme zeitlich befristet sein; von einer Einführung des Numerus
clausus für Rechtsanwälte sollte abgesehen werden; letztlich konnte die
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auch bei nichtjüdischen Rechtsanwälten
zurückgenommen werden, wenn diese sich nicht kommunistisch betätigt hatten.
Daß die Haltung des deutschen
Judentums 1933 nicht vom Opportunismus diktiert war, zeigt eine Broschüre aus
dem Jahre 1932, verfaßt von Dr. M. Naumann vom Verband nationaldeutscher Juden
e.V., unter dem Titel "Sozialismus,
Nationalsozialismus und nationaldeutsches
Judentum". Hier wies der Verfasser auf die katastrophalen Folgen des
Boykotts gegen die nationaldeutschdenkenden Juden hin, wobei auch den Juden
eine Aufgabe bevorstand: "Der beiderseitige Haß darf nicht verewigt, er
muß abgebaut werden. Dies aber kann nur geschehen, wenn die deutschen Juden sich endlich von dem Einfluß ihrer heutigen Berater freimachen, die ihnen
lediglich zu Munde reden und ihnen alles verschweigen, was nicht in den
Rahmen ihrer hergebrachten "Antisemitismusbekämpfung" paßt. Die Beseitigung dieses verheerenden
Einflusses... wird die Lebens‑ und Zukunftsfrage der deutschen Juden
sein." (Alle Hervorhebungen im Original).
Was immer auch das deutsche
Judentum in dieser Richtung unternahm, zeitigte keine Früchte in wichtigen
Sektoren der Auslandspresse, für welche die programmatisch postulierte
antisemitische Haltung der NSDAP, individuelle Gesetzüberschreitungen von
Mitgliedern der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen nur Vorwand für ihre im
Prinzip deutschfeindliche Propaganda war, ein willkommener Anlaß, diese unter
einem anderen Mantel weiterzuführen; als solche freilich reicht sie weit in die
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Die Akten des Auswärtigen Amtes, des
Reichsinnenministeriums sowie der oberen Polizeiorgane sind, soweit sie
erhalten oder zurückgegeben sind, voll von Belegen, in welchem Ausmaß man sich
1933 bis 1935 der durch nichts belegten Greuelmeldungen aus dem Ausland zu
erwehren suchte, in welchem Ausmaß aber auch das deutsche Judentum diese hieb‑
und stichfest widerlegte.
So stellte sich auch der
Reichsinnenminister, Dr. Wilhelm Frick, am 15. Februar 1934 dem Diplomatischen
Korps, vor dem er ausführte, Deutschland wolle lediglich die Überfremdung durch
Juden verhindern und ihren Einfluß reduzieren; Sorgen um die eigene Rasse
machten sich ja schließlich auch andere Nationen. Obwohl das prominenteste
Beispiel auf der Hand lag, vermied er aus ausdrücklich, auf die restriktive
Einwanderungspolitik der USA zu verweisen, die Setzung von Quoten nach Rassen,
wobei ganz eindeutig Einwanderern "of
caucasian origin", zum Nachteil anderer Rassen der Vorzug gegeben
wurde. Das traf auch die Juden. Er hätte auch auf die Praxis der britischen
Dominien verweisen können, unter denen sich besonders Australien, Neuseeland
und Südafrika gegen die Einwanderung großer jüdischer Bevölkerungsteile fast
gänzlich sperrten, während das britische Mutterland sich relativ liberaler
verhielt, jedoch unter der Voraussetzung, daß die Einwanderer keine finanzielle
Bürde für den Staat darstellen würden, eine Maßnahme, die von ihrer Natur her
die Einwanderungsziffer von vornherein drastisch beschränken mußte. Aber dann
hatten die Briten das "Rassenproblem" schon seit Jahrzehnten auf die
"vornehme" Art und Weise behandelt, d.h. ohne viel "Tam‑tam",
ohne öffentliche Propaganda. So war zur Zeit der Ansprache Fricks das britische
Foreign Office "judenrein".
Welcher antisemitische Geist aber in dieser Institution vorherrschte, darüber
gibt der zweibändige Nachlaß von Cecil Spring‑Rice, britischer
Botschafter in St. Petersburg und während des Ersten Weltkrieges Botschafter in
Washington, beredten Aufschluß. Die jüngeren Historiographen der preußisch-deutschen
Armee können nicht genug vom "reaktionären und antisemitischen Geist"
des Offizierskorps des deutschen Kaiserreiches zetern, obgleich während des
Ersten Weltkrieges zahlreiche deutsche Juden zu Reserveoffizieren ernannt
wurden. Wirft man sein Auge auf die britische Armee, so findet sich bis zum
heutigen Tage kein einziger jüdischer Offizier in den britischen Garde‑
und Eliteregimentern. Britischerseits gab es während des Ersten Weltkrieges nur
einen jüdischen General, und er
gehörte dem australischen Kontingent an. Im Imperial
General Staff war zu keiner Zeit ein Offizier jüdischer Abstammung
vertreten.
Reichsinnenminister Frick
konnte wahrscheinlich diese Einzelheiten nicht wissen, doch die allgemeine
Tendenz war weitbekannt und weit verbreitet. Jedoch in bezug auf die
Auswanderung konnte er auf die am 30. Januar 1923 in Lausanne beschlossene
Rückführung von einer Million Griechisch-Orthodoxer und 348.000 türkischer
Muslims hinweisen, die in den ersten zwanziger Jahren ohne die geringste
Teilnahme der Welt als selbstverständlich hingenommen worden war, obwohl die
gegenseitige Wanderbewegung schwerste Eingriffe in das private Leben von
Hunderttausenden haben mußte. "Das Dritte Reich hat" nach Frick
"niemals an eine zwangweise Aussiedlung der Juden gedacht." Noch am
19. Juli 1934 erließ er eine Sprachanweisung, derzufolge die "Verschiedenartigkeit"
der Rassen nicht als Verschiedenwertigkeit" zu betrachten sei.
Allerdings vergaß Frick bei
seinem Hinweis auf Griechen und Türken den Umstand zu erwähnen, daß beide Minderheiten in ihren respektiven
Nationalstaaten ihre neue Heimat fanden, während dieser Umstand bei den Juden
in der Diaspora nicht gegeben war. Bisher hatten sie sich immer als deutsche,
französische, britische, amerikanische usw. Juden betrachtet, eine Haltung, die
auch die zionistische Bewegung, wie auch der heutige Staat Israel nicht brechen
konnte. Das Resultat war, daß von rund 15 Millionen Juden in der Welt nur drei
Millionen in Israel leben.
Die Balfour‑Erklärung
von 1917 hatte zwar den Juden eine "Heimstätte" in Palästina
versprochen, nicht aber ein unabhängiges Staatswesen. Um diese Heimstätte in
ein Staatsgebilde umzuwandeln, bedurfte es zweierlei: erstens einer massiven
Einwanderung von Juden, zweitens der Vertreibung der in Palästina seit rund
1400 Jahren lebenden Araber. Die bei der Lösung des Problems der Araber in
Israel dabei angewandten Methoden unterscheiden sich sehr wenig von jenen, über
die heutzutage täglich die Presse berichtet. Nur stand bis 1947 die britische
Mandatsmacht zwischen den beiden Gruppen und versuchte so gut wie möglich Exzesse
zu vermeiden, bis auch sie von zionistischen Terroristen aus Palästina
hinausgebombt wurde. An der Entstehung des Staates Israel waren im Kampf gegen
Briten und Araber übrigens zwei spätere israelische Ministerpräsidenten führend
beteiligt.
In den dreißiger Jahren stand
vieles davon in einer noch nicht ersichtlichen Ferne, klar war nur, daß die
zionistische Bewegung versuchte sich die Welle des Antisemitismus, der
keineswegs auf das Deutsche Reich beschränkt war, für die eigenen Zwecke zu
nützen. Der Erfolg war sehr beschränkt. Nachdem das deutsche Judentum zur
bitteren Erkenntnis gelangt war, daß sein Werben um die Mitarbeit am Aufbau des
neuen Staates zum größten Teil auf taube Ohren stieß, blieb als einziger Ausweg
die Auswanderung; jedoch wählte nur der geringste Teil der
auswanderungswilligen Juden Palästina als Ziel. Der Großteil, soweit er
finanziell in der Lage war auszuwandern, wandte sich nach den Ländern des
Westens.
Deutscherseits wurden seit
etlicher Zeit die verschiedensten Projekte erwogen, so z.B. Equador, letztlich
Palästina. Das kam den Zionisten entgegen, die die Auswanderung sehr
befürworteten, d.h. jenes Teils der deutschen Juden, den sie für ihre
Heimstätte und ihren kommenden Staat für geeignet hielten. Das war das
Hauptanliegen des Zionismus in den dreißiger Jahren und bildet das Thema der
von Francis R. Nicosia hier vorgelegten Studie, deren Orginaltitel The Third Reich and the Palestina Question lautet
und Zeugnis davon ablegt, in welch unbefangener Art und Weise heutzutage von jungen
Historikern im westlichen Ausland eine in der Bundesrepublik äußerst brisante
Thematik objektiv analysiert wird. Die Ausnahme bestätigt die Regel; von
Historikern mit Namen ist bisher in Westdeutschland nur Hans Mommsen mit seinen
äußerst differenzierenden Untersuchungen zu Teilaspekten dieser komplizierten
Materie hervorgetreten. Francis R. Nicosia beschäftigt sich u.a. hier mit einem
deutsch-zionistischen Abkommen, dem Transfer oder "HaarvareAbkomrnen",
vom September 1933, das den Transfer jüdischen Vermögens ermöglichte, soweit
die Auswanderer bereit waren, nach Palästina überzusiedeln.
Die Auswanderung hatte nicht
nur eine menschliche, sondern auch eine finanzielle Seite. Das noch von der
Weltwirtschaftskrise schwer betroffene Deutsche Reich konnte es sich einfach
nicht leisten, große Summen von Devisen, an denen es ohnehin sehr arm war, ins
Ausland abfließen zu sehen. Von den strengen Devisenbestimmungen, erlassen noch
durch Notverordnungen in der Ära Brüning, waren deutsche Staatsbürger im gleichen
Maß betroffen wie die jüdische Minderheit. Auslandsreisen, heutzutage als
selbstverständlich betrachtet, waren für den schlichten Durchschnittsbürger
einfach unmöglich, weil ihm dazu die notwendigen Devisen verweigert wurden.
Erlaubt war die Mitnahme von 200 Reichsmark. Man konnte nachher nur in Länder
reisen, mit denen ein entsprechendes Abkommen über die Verrechnung von Devisen
bestand, wie z.B. ab 1936 nach Italien. Für einen großen Teil der in Deutschland
lebenden Juden ‑ das heißt nicht für die reichsdeutschen Juden, sondern
in der Hauptsache für die sogenannten "Ostjuden" ‑ war es
anhand der Steuerkarten nachweisbar, daß sie erst nach der Jahrhundertwende
nach Deutschland eingewandert waren und sich seitdem in der Diktion des NS‑Staates
"am deutschen Volksvermögen bereichert hätten". Somit wurde die
Freigabe beträchtlicher Vermögen zur Überweisung ins Ausland blockiert. Mit dem
Haavare‑Abkommen wurde eine Bresche in diese Blockade geschlagen, von der
aber nur jene Juden profitierten, die nach Palästina auswandern wollten, d.h.
praktisch jene, die zionistische Vertreter im Reich als "geeignet"
für Palästina betrachteten. Das schaltete schon vom Alter her einen großen Teil
des deutschen Judentums aus; alte Leute konnte man bei dem Aufbau‑ und
Eroberungswerk nicht brauchen, es sei denn, es handelte sich um
wissenschaftliche oder kulturelle Kapazitäten. So wurde schon in diesem Stadium
streng "selektiert", wobei noch hinzuzufügen ist, daß nach der
Ausreise ins Ausland von rund 100.000 deutschen Juden in der Zeitspanne 1933/34
wenige der verbliebenen 400.000 willens waren, überhaupt auszuwandern, stets in
der Hoffnung, früher oder später würde sich alles normalisieren. Trotz dieser
Umstände funktionierte das mit den zionisitischen Mehrheitssozialisten unter
David Ben‑Gurion abgeschlossene Abkommen bis Ende 1936 sehr gut, bis sich
1936 die Araber des ständigen Zustromes jüdischer Einwanderer zu erwehren
begannen und die britische Mandatsmacht zum Eingreifen zwangen. Das hatte sie
zuerst zugunsten der Juden getan. Das Blatt sollte sich wenden, als sie
zwischen 1945 und 1947 zum Schutze der Araber eingreifen mußte.
Nichtsdestoweniger bestand schon vorher eine der ersten Maßnahmen, die die
Briten vor und im Zweiten Weltkrieg ergriffen, in der rücksichtslosen Drosselung
der jüdischen Einwanderungsquote, die zwar das Haavare-Abkommen nicht
gegenstandslos machte, sondern die Zionisten und mit ihnen das
"Judenreferat" des Sicherheitshauptamtes von der Legalität der
Einwanderung zur Illegalität zu schreiten.
Die deutsche Nahost‑Politik
befand sich in einer Klemme; einerseits sprach sie angesichts des Aufstandes
der Araber Lippenbekenntnisse für die arabische Sache aus, andererseits
weigerten sich die Deutschen trotz vielerlei Verhandlungen und trotz der
Anwesenheit des Mufti von Jerusalem im Reich, die Araber mit Waffen zu
beliefern und gleichzeitig zusammen mit den Zionisten die jüdische Auswanderung
nach Palästina mit illegalen Methoden zu fördern, in der Hauptsache zwischen
1937 und 1939.
Francis R. Nicosia leuchtet
diesen Prozeß auf der Diplomatie- wie wirtschaftsgeschichtlichen Ebene
ausgezeichnet aus; sie vergißt auch nicht, auf den rein menschlichen Aspekt
zurückzukommen, der nach ihrer Ankunft beim sich größten Teil in der ungeheuren
Enttäuschung vieler Einwanderer nach Palästina ausdrückte, u.a. auch in dem
Versuch, nach Deutschland zurückzukehren zu können. Bereits hier zeigte sich
ein Problem, das in seinem vollen Ausmaß den Staat Israel heute vor allem mit
der UdSSR konfrontiert, wenn Juden, denen die Ausreise nach Israel genehmigt
wurde, sich im Auffanglager nahe Wien sich eines anderen besinnen und statt
Israel andere Staaten der freien Welt als zukünftigen Aufenthaltsort wählen.
Dieser Entschluß entstand sehr oft nicht erst in Österreich.
Wenn bei Nicosia etwas zu kurz
kommt, so ist es die Analyse der an diesem Abkommen beteiligten und miteinander
verzahnten Institutionen und Personenkreise, deutscherseits das
Sicherheitshauptamt (später: Reichssicherheitshauptamt) der SS unter Reinhard
Heydrich das sich, im Gegensatz zu Streicher-Typen für eine
"rationale" Lösung der "jüdischen Frage" einsetzte. Die
entsprechende historische Arbeit hat der amerikanische Historiker Lenni
Brenner, ein Mann, jüdischen Glaubens, aber nicht Zionist bereits geleistet,
und zwar in seinem 1983 erschienenem Buch "Zionism
in the Age of the Dictators", dessen deutsche Übersetzung dem
deutschen Leser bis zum heutigen Tag vorenthalten geblieben ist.
Einführend greift Brenner weit
aus und belegt, daß die Zionisten, da die Bolschwisten den Zionismus als
Ausdruck eines ideologischen Nationalismus bekämpften, enge Bande mit den
Antisemiten in der Ukraine, in Polen und den baltischen Staaten knüpften, um so
die Auswanderung dort angesiedelter Juden zu verstärken. In der Ukraine war die
Zusammenarbeit durch die politische Entwicklung kurzfristig, in den anderen
Staaten aber stellten nicht die Antisemiten das Problem dar, denn mit ihnen
arbeitete man ja zusammen, sondern die Haltung der dortigen Juden, die es trotz
des weiten Spektrums von Unterdrückungsmaßnahmen vorzogen, in Osteuropa zu
bleiben als sich auf das unsichere Abenteuer in Palästina einzulassen. Somit gleicht
sich der Befund Brenners in Osteuropa mit dem Nicosias für Mitteleuropa.
Was man bei Nicosia vermißt,
findet sich bei Brenner, u.a. eine eingehende Analyse des Zionismus als Ideologie, die er mit einschlägigem Quellenmaterial als "Blut und
Boden" ‑ Ideologie bezeichnet, als der sich der Zionismus verstand
und heute noch versteht, eine Feststellung übrigens, die vor Jahrzehnten
bereits Eugen Lemberg getroffen hat. Nur fehlte dieser Bewegung am Anfang der
Boden und die entsprechende Anzahl jüdischer Einwanderer, um das Land zuerst
von den Arabern zu entvölkern, es dann mit Juden zu besiedeln und fruchtbar zu
machen. Die zionistische Kibbuz‑Bewegung ahmte bis in die kleinste
Einzelheit die Praxis des Bundes der Artamanen in Deutschland nach, eines
Bundes, dem bekanntlich Heinrich Himmler für einige Zeit angehörte.
In ihrer rassistischen
Ideologie erhielten die Zionisten Unterstützung von namhaften Glaubensgenossen,
unter ihnen Albert Einstein, der schrieb: "Nationen mit rassischen
Unterschieden enthalten Instinkte, die gegen jede Fusion arbeiten. Die
Assimilierung der Juden innerhalb der Nation Europas...konnte zu keinem
Zeitpunkt das Gefühl des Mangels an Sippschaft zwischen ihnen und jenen, unter
denen sie lebten, auslöschen. Letztlich dient dieses Gefühl des Mangels an
Sippschaft dem Gesetz der Konservierung der eigenen Energie. Schon aus diesem
Grund kann es selbst bei bester Absicht und Druck niemals eliminiert
werden."
Die Kluft zwischen Judentum
und Zionisten erweiterte sich. Zionisten beschrieben ihre Glaubensbrüder in
einer Terminologie, die man genauso dem "Stürmer"
hätte entnehmen können: "Der
Jude ist eine Karikatur eines normalen natürlichen Menschen, psychisch wie
geistig. Als Individuum innerhalb der Gesellschaft verwirft er jegliche
gesellschaftlichen Verpflichtungen.
Er kennt weder Ordnung noch Disziplin." (In Hashomer Hatzair ‑ Junge Wächter, 1936). "Es ist eine unwiderlegbare Tatsache, daß die Juden als Kollektiv
ungesund und neurotisch sind. Jene Berufsjuden, immer schnell und tiefstens
verletzt, die diese Wahrheit entrüstet von sich weisen, sind die größten Feinde
der Rasse, denn sie führen eine Suche nach falschen Lösungen, die im besten
Falle Palliative (Linderungsmittel d.Verf.) sind." (Der amerikanische Zionist Ben Frommer, 1935). Und
bereits elf Jahre vorher sagte der Zionist Maurice Samuel der gentilen (gut
erzogenen d.Verf.) Welt den Krieg an: "Wir
Juden sind Zerstörer und werden immer Zerstörer bleiben. Nichts, was ihr tut,
wird jemals unsere Nöte und Forderungen zufriedenstellen. Wir werden immer
zerstören, denn wir brauchen unsere eigene, unsere Gottes-Welt, die ihr eurer
Natur entsprechend nicht bauen könnt... Jene von uns, die diese Wahrheit nicht
verstehen können, werden immer in Verbindung mit euren rebellierenden Faktionen (radikalen Parteien d. Verf.)
zu finden sein, bis Disillusionierung
einsetzt, das miserable Schicksal, das unter euch verstreut hat und uns diese
unwillkommene Rolle auferzwungen hat."
Einzelstimmen? Vielleicht.
Aber man darf dabei den Eindruck nicht vergessen, den sie bei dem Großteil der
Leser hinterließen. Auf jeden Fall begibt sich ein Historiker, nämlich der an
der Bundeswehr-Universität München, lehrende Israeli Michael Wolffsohn, auf
sehr dünnes Eis, wenn er glaubt die UNO‑Resolution, die den Zionismus mit
Rassismus gleichsetzt, in den Bereich des Unsinns verweisen zu müssen.
Die zionistische Agitation und
die von ihr ausgeführte praktische Politik ist am besten durch den Satz Chaim
Greenbergs, des Herausgebers des zionistischen Arbeiterorgans Jewish Frontier im Jahre 1942
zusammengefaßt: "Um ein guter
Zionist zu sein, muß man gleichzeitig auch etwas von einem Antisemiten in sich
haben." Brenner stellt die durchaus berechtigte Frage, ob nicht der
deutsche Durchschnittsleser von NS‑Zeitschriften zu dem Schluß kommen
mußte, daß dies, wenn Nationalsozialisten und Zionisten das gleiche behaupten,
schon seine Richtigkeit haben müsse.
Brenner untersucht dann im
einzelnen, jeder Verästelung folgend, das Verhältnis zwischen Zionismus und dem
italienischen Faschismus und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der
Führer der italienischen Zionisten, Alfonso Pacifici, bereits 1932 seiner Meinung
Ausdruck gegeben habe, daß die durch den Faschismus geschaffenen Bedingungen
ein Wiedererstarken des italienischen Judentums mit sich bringen würden. In der
Tat, Pacilici behauptete, der Zionismus habe eine neue jüdische Philosophie
entwickelt, die in ihrer geistigen Tendenz dem Faschismus eng verwandt sei und
ihre Rolle zu spielen begonnen habe, bevor der Faschismus Mussolinis an die
Macht kam.
Im Rahmen des Zusammenhangs
zwischen Zionismus und Nationalsozialismus bemerkt Brenner, daß die
zionistische Bewegung im Deutschen Reich wenig Interesse an einer
Zusammenarbeit mit der Weimarer Republik hatte, sondern ihren
"natürlichen" Gesprächspartner in der NSDAP sah. Zudem stellte, wie
oben schon erwähnt, die Zionistenbewegung in Deutschland eine kleine Minderheit
im Vergleich zu dem im Reich ansässigen Gesamtjudentum dar. Brenner bezeichnet
den Großteil des deutschen Judentums als liberal und national; seine Haltung
zum Zionismus habe von der Skepsis bis zur ausdrücklichen Feindschaft gereicht.
Nichtsdestoweniger waren die Zionisten davon überzeugt, allein und mit voller
Verantwortung für die Juden Deutschlands sprechen zu können. "Wir waren
uns sicher, daß die Regierung eines Tages zu einer Konferenz mit den Juden
zusammentreffen werde, in welcher ... der neue Status der deutschen Juden zur
Debatte stehen würde. Die Regierung hatte erklärt, daß es kein Land gebe, das
sich so ernsthaft der Lösung des jüdischen Problems annehmen würde wie
Deutschland. Die Lösung der jüdischen Frage? Es war unser zionistischer Traum!
Niemals hatten wir die Existenz eines jüdischen Problems verneint!
Dissimilation? Dies war unser Appell!", so Rabbi Joachim Prinz im Jahre
1937!
Ein Memorandum wurde an die
deutsche Reichsregierung gerichtet, in dem die Sprache war von der
"anormalen Berufsentwicklung der Juden in Deutschland" von den
"wurzellosen Intellektuellen, die der moralischen Regeneration
bedürften." Es endete mit dem Absatz: "Die Realisierung der Ziele des
Zionismus kann nur durch die Ressentiments ausländischer Juden gefährdet
werden, die sich gegen die deutsche Entwicklung stellen. Boykott‑Propaganda
‑ wie sie gegenwärtig in allen Arten und Weisen gegen Deutschland geführt
wird ‑ ist ihrer Natur nach unzionistisch, denn der Zionismus will nicht kämpfen,
sondern überzeugen und aufbauen." Im Klartext: Die zionistische Bewegung
postulierte eine Interessengleichheit mit dem nationalsozialistischen
Deutschland.
Im Sicherheitshauptamt war man
sehr schnell hellhörig geworden. Der Leiter des Judenreferats, SS‑Untersturmführer
Leopold von Mildenstein, wurde zwei Monate nach der Machtübernahme zu einem
fünfmonatigen Palästinabesuch eingeladen, was er auch annahm. Mildenstein blieb
sechs Monate und verfaßte dann eine Serie prozionistischer Artikel. Zudem wurde
sein Besuch in der NS-Presse weitgehend positiv kommentiert, und auf Goebbels Veranlassung brachte "Der Angriff " eine
zwölfteilige Serie über den Zionismus in Palästina: "Innerhalb eines
Jahrzehnts hat der Boden ihn und seine Art (die Juden) reformiert. Dieser neue
Jude wird ein neues Volk!". Der Arierparagraph von 1935, die Nürnberger
Gesetze von 1935 störten das informale Bündnis zwischen Zionismus und
Nationalsozialismus nicht. Im Gegenteil: je schärfer die Schrauben angezogen
wurden, um so willkommener war dies für die Zionisten, die sich auf diesem Wege
erhofften, innerhalb des deutschen Judentums zur Mehrheit emporzusteigen.
Auch im Reich tat sich
einiges. Zum einen trat zum erstenmal die Person Adolf Eichmanns in den
Vordergrund, der nach Heinz Höhne vergeblich versuchte "eine andere Linienführung
des "Stürmer" zu erreichen" d.h. seinen radikalen emotionellen
Antisemitismus aufzugeben zugunsten der "rationalen"
Auswanderungspolitik der SS. Zum anderen entstanden mit Billigung Himmlers und
Heydrichs Lager in denen deutsche Juden eine landwirtschaftliche wie auch
militärische Vorausbildung erhielten zur Vorbereitung der Umsiedlung nach
Palästina. Aber, wie schon gesagt, die Zionisten waren wählerisch, nur
"wehrhaftes Menschenpotential" wurde ausgesucht.
Für die NS‑Rassenpolitiker
der SS wurden die Zionisten zu den bevorzugten Juden. "Für die Zionisten
brachte das einige Schwierigkeiten. Moralisch war es verunsichernd, zu den bevorzugten
Kindern der NS-Regierung zu gehören, besonders weil gleichzeitig
antizionistische Judengruppen verboten wurden, und wenn sie auch auf andere Art
und Weise ihre Bevorzugung der Zionisten zeigte. Die Nationalsozialisten
forderten "ein größeres zionistisches Benehmen". (S. Prinz.)
Wie gesagt, der
"rationalen" Judenpolitik der SS wurde indessen langsam ein Ende gesetzt,
zuerst durch den Aufstand der Araber und die Senkung der Einwanderungsquote
nach Palästina durch die Briten. Zwischen 1937 und 1938 arbeitete man zusammen
auf illegaler Basis, indem Judentransporte Deutschland verließen, um illegal
nach Palästina zu gelangen. Die Konferenz im Schweizer Evian von 1938 zeigte
eigentlich nur, daß die Westmächte den Antisemitismus verabscheuten, sich aber keineswegs
bereit zeigten, jüdischen Einwanderern ihre Grenzen und Tore zu öffnen. Der
deutsche Vorschlag bestand darin, innerhalb einer Periode von 3‑5 Jahren jährlich
30.000 Juden die Ausreise zu erlauben, sich im Lande ihrer Wahl einzurichten
und dann ihre Angehörigen nachkommen zu lassen. Sobald jeder ausgewanderte Jude
imstande war, die Kosten der Auswanderung seiner Familie zu tragen. Den in
dieser Zeitspanne im Reiche verbliebenen Juden, Frauen, Kindern und alten
Leuten wurde eine anständige Behandlung zugesichert. Um den Plan sofort in die
Tat umzusetzen, sollte aus jüdischen Vermögenswerten ein Fonds gebildet werden,
mit dessen Hilfe die erste Auswanderungswelle finanziert werden sollte. Weder
in Evian noch in den folgenden Verhandlungen zeigten die Teilnehmer der
Konferenz Interesse an diesem Vorschlag. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
tat ein weiteres, um Pläne dieser Art zunichte zu machen. Gleichzeitig beeinträchtigte
der Krieg die Verbindung zwischen der zionisitischen Bewegung und dem Deutschen
Reich.
Nichtsdestoweniger rissen die
Fäden zwischen den Zionisten in Palästina und dem Reichssicherheitshauptamt nie
vollkommen ab. Über die bestehenden Kanäle gelang es den Zionisten, auch
während des Krieges "wertvolles Menschenmaterial" aus der deutschen
Einflußsphäre nach Palästina zu bringen, selbst wenn dies auf Kosten der
Mehrheit der Juden ging, ein Vorgehen, das der Oberste Gerichtshof Israels 1957
im Nachhinein rechtlich sanktionierte. Es war eine Auswahl der Wichtigsten,
Tüchtigsten und Stärksten.
Doch aufgrund des Verhaltens
der Briten als Mandatsmacht trat eine zeitweise Spaltung der zionistischen
Bewegung in Palästina ein. Die extremste Gruppe davon war Avraham Sterns
"Stern Gang" , der Menachem Begin ‑ der gleiche Mann der als Ministerpräsident 1981 den bundesdeutschen Kanzler Schmidt als einen
Nazimörder beschimpfte ‑ und Yitzhak Shamir angehörten. Wie Brenner
ausführlich dokumentiert, war diese Spaltung u.a. auf die Behandlung der Juden
innerhalb der britischen Armee, insbesondere dessen polnischen Kontingents, der
"Anders Armee", zurückzuführen. Weder die polnische Regierung im Exil
noch die Offiziere der "Anders‑Armee" ließen Zweifel daran
aufkommen, was den polnischen Soldaten nach einem Sieg der Alliierten blühen
werde: man erinnere sich: der sogenannte "Madagaskar‑Plan" war
eine polnische Erfindung und wurde von den Deutschen übernommen; der polnische Botschafter versicherte
Hitler, man werde ihm in Warschau ein Denkmal errichten, wenn es ihm gelänge,
das "jüdische Problem" zu lösen, und man vergesse nicht die
antisemitischen Pogrome in Polen während der unmittelbaren Nachkriegszeit!
Offiziere drohten jüdischen Soldaten, daß man sie beim Kampfeinsatz mit
"einem Schuß in den Rücken erledigen werdet" und ähnliches mehr. Das
Resultat waren Massendesertionen, die man aber aufgrund der prekären Lage
kriegsgerichtlich nicht verfolgte. Viele Deserteure fanden ihren Weg in den
zionistischen Untergrund Palästinas. Ziel der Stern Gang war ein Israel von
Ägypten bis zum Euphrat, dem sich die Briten ernstlich entgegengestellt hätten.
Was also lag näher als Verbindung mit deren Gegner, zuerst mit Italienern und
dann dem Deutschen Reich, aufzunehmen.
Die Position der extremen
Zionisten wurde in den folgenden Sätzen zusammengefaßt: "Es existiert ein
Unterschied zwischen dem Verfolger und dem Feind. Verfolger Israels hat es zu
allen Zeiten gegeben, auch in der Diaspora, beginnend mit Haman und endend mit
Hitler... Die Ursache all unseres Übels ist unser Exiltum, das
Nichtvorhandensein einer eigenen Heimat und Staatlichkeit. Daher ist unser
Feind der Ausländer, der Beherrscher unseres Landes, der die Rückkehr unseres
Volkes blockiert. Die Feinde sind die Briten, die das Land mit unserer Hilfe
erobert haben und durch unsere Zustimmung dageblieben sind, die uns betrogen
haben und unsere Brüder in Europa in die Hände der Eroberer geliefert
haben." Beitritt in die britische Armee wurde abgelehnt, da dort Juden wie
Kolonialtruppen behandelt würden, mit Waschräumen und Toiletten reserviert für
europäische Soldaten. Stern, Begin und Shamir mußten bald erkennen, daß ein
Zusammengehen mit Italien zwecklos sei; die realistische Alternative war das
Deutsche Reich, besonders seit Rommel sich anschickte, an die Tore Ägyptens zu
klopfen. Über Ankara wurde ein "Vorschlag der Nationalen Militärischen
Organisation" (Irgun Zwai Le'umi), datiert vom 11. Januar 1941, an die
deutsche Regierung geleitet. Das Dokument befindet sich heute im Bundesarchiv
Koblenz, Akten Auswärtiges Amt, E 234 158. In ihm wird ausgeführt:
"Die Evakuierung der jüdischen Massen aus Europa ist die
Vorbedingung der Lösung der jüdischen Frage; dies kann aber nur vollständig
ermöglicht werden durch die Niederlassung dieser Massen in dem Heimatland des
jüdischen Volkes, in Palästina, und durch die Errichtung eines jüdischen
Staates innerhalb seiner historischen Grenzen... Der NMO ist der gute Wille der
Reichsregierung gegenüber zionistischen Aktivitäten und zionistischen
Ernigrationsplänen durchaus bekannt, und sie ist folgender Meinung:
1. Gemeinsame Interessen können existieren einerseits zwischen der
Herstellung einer neuen Ordnung in Europa, konform mit dem entsprechenden
Konzept Deutschlands, und andererseits mit den wahren nationalen Aspirationen
(Bestrebungen, d. Verf.) des jüdischen Volkes, verkörpert durch die NMO.
2. Beiderseitige Zusammenarbeit zwischen dem neuen Deutschland und einem
erneuerten völkisch‑nationalen Judentum wäre möglich.
3. Der Errichtung eines historischen Jüdischen Staates auf nationaler und
totalitärer Basis, vertragsmäßig an das Deutsche Reich gebunden, durch das
seine Interessen im Nahen Osten und die Stärkung seiner dortigen Position für
die Zukunft gesichert und verstärkt würde.
Von diesen Voraussetzungen ausgehend, würde die NMO in Palästina nach
Zusicherung aller erwähnten nationalen Ansprüche der Israelischen
Freiheitsbewegung aktiv an Deutschlands Seite in den Krieg eintreten.
Dieses Angebot der NMO... müßte verbunden werden mit einem Abkommen, das
die militärische Ausbildung und Organisierung der jüdischen Menschenreserven in
Europa unter dem Kommando der NMO sichert...
Die indirekte Teilnahme der Israelischen Freiheitsbewegung im Rahmen der neuen
Ordnung in Europa, die sich bereits in ihrem Anfangsstadium befindet, wäre eng
verbunden mit einer positiven radikalen Lösung des europäischen jüdischen
Problems, konform mit den obenerwähnten nationalen Aspirationen des jüdischen
Volkes Dies würde eine außerordentliche Stärkung des moralischen Fundaments der
neuen Ordnung gegenüber der Menschheit insgesamt bedeuten.
In ihrer Ideologie und Struktur ist die NMO den totalitären Bewegungen
Europas eng verbunden."
Die Reichsregierung scheint
diese Vorschläge zunächst aufs Eis gelegt zu haben, denn die militärischen
Voraussetzungen für die Realisierung solcher Pläne bestanden noch nicht, und
dann wurden sie im folgenden Jahr durch den Kriegsverlauf gegenstandslos. Die
Stern‑Gang andererseits verlegte sich auf den Terrorismus, auf
spektakuläre Mordanschläge, bis letztlich ihre Vertreter an die Spitze des
Staates Israel traten. Einer der ersten Regierungshandlungen Begins war, eine Erinnerungsbriefmarke
mit dem Bildnis Sterns einzuführen ‑ mit vollem Wissen um seine und der
ihm zugehörigen Gruppe Vergangenheit. Und so schließt Lenni Brenner seine
Studie mit den Worten: "Es gibt
keinen besseren Beweis als gerade diesen, daß das Erbe der Zusammenarbeit der
Zionisten mit den Faschisten und Nationalsozialisten und die sie leitenden
Philosophien bis in das gegenwärtige Israel wirksam geblieben sind."
Nicht ein jeder wird dieser
Schlußfolgerung seine Zustimming geben. Dies aber ist weniger wichtig als das
von Brenner aufgearbeitete Quellenmaterial, das sich, so ist man fast zu sagen
versucht, nahtlos an die hier vorliegende Studie Nicosias anfügt. Beide
zusammen einschließlich der Arbeiten anderer amerikanischer Historiker
widerlegen jene These, nach der das Schicksals des Judentums in Europa mit
Hitlers Machtantritt mehr oder weniger eine besiegelte Sache war, ein wie uns
Andreas Hillgruber versichern will, langfristig angelegtes "Programm"
an dessen Ende folgerichtig der Judenmord stand. Der Weg nach Auschwitz war
alles andere als gradlinig, es war, wie ein anderer amerikanischer Historiker,
K.W. Schleunes, es formulierte: "The
Twisted Road to Auschwitz" der verschlungene Weg nach Auschwitz. Gerade aus den Reihen der SS kamen auch
Leute, die vor Kriegsausbruch die Rechtsstaatlichkeit nicht preisgeben wollten,
wie z.B. der SD-Führer Otto Ohlendorf, promovierter Jurist, der sich selbst
nach Kriegsausbruch für zwei Dinge eingesetzt hatte und darob bei Himmler in
Ungnade fiel. Erstens plädierte er für die Anerkennung eines Minderheiten‑Status
für die Juden in Deutschland und in den durch Deutschland besetzten Gebieten,
zweitens setzte er sich dafür ein, daß der sogenannten "Schutzhaft",
also der Einweisung in ein Konzentrationslager, eine unabhängige richterliche
Untersuchung vorangehen solle, die die letzte Entscheidung zu treffen habe.
Himmler nannte ihn "einen arroganten Preußen" und etliches mehr.
Aber selbst Himmler sah seine eigene Rolle zu diesem Zeitpunkt noch nicht voraus. Noch in seiner Denkschrift
über die "Behandlung der Fremdvölkischen im Osten" vom Mai 1940 wies
Himmler "die bolschewistische Methode der physischen Ausrottung eines
Volkes aus innerer Überzeugung als ungermanisch und unmöglich" von sich.
Auch dies gehört in das
Gesamtspektrum eines geschichtlichen Kapitels, das die Gemüter unserer Väter
und Großväter belastet, nicht aber eine damals zu junge oder überhaupt noch
nicht geborene Generation. Der "Holocaust" oder die "Shoa"
mögen für die Israelis eine innenpolitische Integrationsfunktion erfüllen,
diese Begriffe aber außenpolitisch zu instrumentalisieren führt nur zu
Abwetzung und Verschleiß. Für eine junge Generation aber ist das zur Geschichte
geworden, traurig und mahnend, aber nichtsdestoweniger Geschichte und nicht
Gegenwart.
Ihn, wie es der britische
Oberrabbiner Lord Jakobovits schärfstens kritisierte, zu einem
"profitablen Industriezweig für Schriftsteller, Forscher, Filmemacher,
Museumsbauer und sogar Politiker" zu reduzieren, vergiftet nicht nur die
Gegenwart; wichtiger ist, daß die Betroffenen sich an den Opfern versündigen.
Francis R. Nicosioas Buch
sowie die anderen hier in diesem Zusammenhang erwähnten Studien gehören nicht
zu dieser Gattung. Sicherlich sind sie für den deutschen wie jeden anderen
Leser keine bequeme Lektüre und können es auch nicht sein. Aber die vorliegende
Studie ist nur ein Beispiel von
vielen, das aufzeigt, wie heute außerhalb der deutschen Sprachgrenzen geforscht
und argumentiert wird. Man kann nur zweierlei erhoffen, erstens, daß diese
Studie die Verbreitung findet, die sie verdient; zweitens, daß sie Anregung
gibt, weitere der vielen im angelsächsischen Sprachraum existierenden seriösen
Studien und mit ihnen die in ihnen enthaltenen Forschungsresultate zu
übersetzen und so auch dem deutschen historischen Laien zugänglich zu machen.
Daß dies bisher noch nicht der
Fall ist, ist kaum dem Zufall und dem unabsichtlichen Übersehen zuzuschreiben.
Sie sind den deutschen Zeitgeschichtlern allesamt bekannt. Aber es scheint Dinge zu geben, die man den Deutschen bewußt
vorenthält. Im Mai 1984 fand in
Stuttgart ein Symposium statt, an dem alle namhaften bundesdeutschen und
israelischen Zeitgeschichtler teilnahmen und dessen Thema eben der Holocaust
war. Die Debatte wurde zum Teil sehr kontrovers geführt, und es blieb dem
israelischen Zeithistoriker Saul Friedländer vorbehalten, dem Symposium
mitzuteilen, er sei in einer Pause von jemanden angehalten worden mit der
Frage, was denn die Folge sein würde, wenn etliches von dem, was bei dieser
Veranstaltung gesagt wurde, Eingang in die deutschen Schulbücher finden würde.
Ganz grob ausgedrückt, scheint es in der Bundesrepublik zwei Arten von
Geschichtsschreibung zu geben. Eine für den Expertenkreis, wo man sozusagen
unter sich zu sein glaubt, die andere für die allgemeine Volksverdummung, wobei
sich Historiker, die auf ihre Seriosität großen Wert legen, die Hand mit den
sogenannten "Sachbuchautoren" reichen ‑ die anderen Medien
nicht eingerechnet. Das vorliegende Buch ist ein Durchbruch zu einer ernsten,
vorurteilslosen Betrachtung und Analyse. Aber es ist eben bisher nur ein
Durchbruch, andere müssen ihm ‑ nicht nur zu diesem makabren Thema ‑
folgen, um ein Fundament zu erstellen, auf dem ein kristisches, aber
gleichzeitig gesundes deutsches Geschichtsbewußtsein, in den letzten Jahren so
oft von den Bundespolitikern beschworen, sich entwickeln kann, um endlich die
periodisch künstlich erzeugte Erregung über ein "Reizthema" zu
ersetzen.
Hannsjoachim W.
Koch/University of York, England
Quelle: "Hitler und der
Zionismus - Das 3. Reich und die Palästina-Frage 1933-1939" von Francis R.
Nicosia, Leoni am Starnberger See 1989
Anmerkung: Zum
gleichen Thema wird hingewiesen auf "Adolf Hitler - Begründer Israels"
von Hennecke Kardel und den Beitrag "Haawara-Abkommen"; beides auf
dieser Homepage