SOWJETISCHER FRIEDENSVERTRAGSENTWURF von 1952

 

GRUNDLAGEN  DES  FRIEDENSVERTRAGES  MIT  DEUTSCHLAND

 

Die Teilnehmer:

 

Großbritannien, die Sowjetunion, die USA, Frankreich, Polen, die Tschechoslowakei, Holland und die anderen Staaten, die sich mit Ihren Streitkräften am Krieg gegen Deutschland beteiligt haben.

 

Politische Leitsätze:

 

1. Deutschland wird als einheitlicher Staat wiederhergestellt. Damit wird der Spaltung Deutschlands ein Ende gemacht und das geeinte Deutschland gewinnt die Möglichkeit, sich als unabhängiger, demokratischer, friedliebender Staat zu entwickeln.

 

2. Sämtliche Streitkräfte der Besatzungsmächte müssen spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Friedensvertrages aus Deutschland abgezogen worden. Gleichzeitig werden sämtliche ausländischen Militärstützpunkte auf dem Territorium Deutschlands liquidiert.

 

3. Dem deutschen Volk müssen die demokratischen Rechte gewährleistet sein, damit alle unter deutscher Rechtsprechung stehenden Personen ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion die Menschenrechte und die Grundfreiheiten genießen, einschließlich der Redefreiheit, der Pressefreiheit, des Rechte der freien Religionsausübung, der Freiheit der politischen Überzeugung und der Versammlungsfreiheit.

 

4. In Deutschland muß den demokratischen Parteien und Organisationen freie Betätigung gewährleistet sein, sie müssen das Recht haben, über ihre inneren Angelegenheiten frei zu entscheiden, Tagungen und Versammlungen abzuhalten, Presse‑ und Publikationsfreiheit zu genießen.

 

5. Auf dem Territorium Deutschlands dürfen Organisationen, die der Demokratie und der Sache der Erhaltung des Friedens feindlich sind, nicht bestehen.

 

6. Allen ehemaligen Angehörigen der deutschen Armee, einschließlich der Offiziere und Generale, allen ehemaligen Nazis, mit Ausnahme derer, die nach Gerichtsurteil eine Strafe für die von ihnen begangenen Verbrechen verbüßen, müssen die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie allen anderen deutschen Bürgern gewährt werden zur Teilnahme am Aufbau eines friedliebenden und demokratischen Deutschlands.

 

7. Deutschland verpflichtet sich, keinerlei Koalition oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen irgendeinen Staat richten, der mit seinen Streitkräften am Krieg gegen Deutschland teilgenommen hat.

 

 

Das Territorium:

 

Das Territorium Deutschlands ist durch die Grenzen bestimmt, die durch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der Großmächte festgelegt wurden.

 

Wirtschaftliche Leitsätze:

 

Deutschland werden für die Entwicklung seiner Friedenswirtschaft, die der Hebung des Wohlstandes des deutschen Volkes dienen soll, keinerlei Beschränkungen auferlegt. Deutschland werden auch keinerlei Beschränkungen in bezug auf den Handel mit anderen Ländern, die Seeschiffahrt und den Zutritt zu den Weltmärkten auferlegt.

 

Militärische Leitsätze:

 

1. Es wird Deutschland gestattet sein, eigene nationale Streitkräfte (Land‑, Luft‑ und Seestreitkräfte) zu besitzen, die für die Verteidigung das Landes notwendig sind.

 

2. Deutschland wird die Erzeugung von Kriegsmaterial und ‑ausrüstung gestattet werden, deren Menge oder Typen nicht über die Grenzen dessen hinausgehen dürfen, was für die Streitkräfte erforderlich ist, die für Deutschland durch den Friedensvertrag festgesetzt sind.

 

Deutschland und die Organisation der Vereinten Nationen:

 

Die Staaten, die den Friedensvertrag mit Deutschland abgeschlossen haben, werden das Ersuchen Deutschlands um Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen unterstützen.


 

 

 

KOMMENTAR

zum sowjetischen Friedensvertragsentwurf:

 

Daß es sich bei dem russischen Angebot nicht um ein Propagandamanöver handelte, sondern ernst gemeint war, beweist das Beispiel Österreich. Hellmut Diwald weist in seinem neuen Werk GESCHICHTE  DER DEUTSCHEN in allen Einzelheiten nach, daß Rußland an einem wiedervereinigten, aber neutralen Deutschland genau so interessiert war wie an einem neutralen Österreich und daß ausschließlich Adenauer und Amerika die Spaltung Deutschlands und seine Integration in den Westen betrieben haben.

 

Der österreichische Bundeskanzler Raab wurde von Amerika genau so unter Druck gesetzt wie die Bundesrepublik, das Land zu spalten und den westlichen Teil in das westliche Militärbündnis einzubringen. Diwald schreibt: "Doch die österreichische Regierung blieb solchen Verlockungen gegenüber standhaft. Bundeskanzler Julius Raab lehnte es ab, die Unabhängigkeit von fünfundsiebzig Prozent des Landes für den Preis der Einheit zu erkaufen .... Raab beließ es lieber bei dem staatlichen Schwebezustand, als daß es einer Lösung zustimmte, die das Schicksal der Zertrennung des Landes mit absoluter Sicherheit zur Folge haben mußte." Stattdessen unterbreitete er Moskau dasselbe Projekt, das Stalin dem Westen in der deutschen Frage offeriert hatte.

 

"Während sich damals die Bonner Regierung endgültig entschloß, gegen den national einheitlichen Staat und für den Westen zu optieren, reiste eine österreichische Regierungsdelegation mit Bundeskanzler Raab und Außenminister Leopold Figl am  11. April 1955 nach Moskau .... Die Österreicher wurden in Moskau mit allem Pomp begrüßt, das ganze diplomatische Korps hatte sich versammelt. Wiens Optimismus wurde nicht enttäuscht. Bereits nach drei Tagen waren sich die Gesprächspartner einig." Österreich erhielt seine staatliche Einheit, bekam volle Souveränität und verpflichtete sich zur Neutralität.

 

Trotz immer wiederholter sowjetischer Angebote wurde dieselbe Neutralisierung Deutschlands von allen Politikern des Westens strikt abgelehnt.

 

Diwald widerlegt auch die Adenauersche Propaganda, eine Neutralisierung der Bundesrepublik wäre einer Bolschewisierung gleichgekommen. Das österreichische Beispiel straft diese Argumente Lügen. Ebenso wie Finnland. Außerdem weist Diwald auf Tito hin, der es sogar als kommunistischer Staat fertiggebracht habe, nationale Eigenständigkeit und militärische Bündnisfreiheit am Rande des sowjetischen Machtbereichs zu wahren.

 

Kurt Schumacher war damals der Sprecher der echt deutschen Opposition, der sich leidenschaftlich und verzweifelt gegen die Untertanen‑ und Westorientierung wehrte. Die SPD hat sein Erbe verraten. Wir müssen es fortsetzen!

 

Quelle: "Ein Kampf um's Reich. Eine Dokumentation und politische Streitschrift um die Nachfolge des reiches" von Manfred Roeder, 1979

 

Anmerkung: Zum gleichen Thema wird bezug genommen auf den Beitrag "Die Stalin-Note" auf dieser Homepage.