Französische Revolution (2)
Unter dem ersten Beitrag über die Französische Revolution findet der
interessierte Leser einen Aufsatz von Carl von Ossietzky aus dem Jahre 1929.
Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit dem immer wieder anzutreffenden
Phänomen, daß die hintergründige Regieführung der Freimaurerei bei
geschichtlichen Ereignissen auch höchster Wirksamkeit und Brisanz von den
Autoren des Establishments totgeschwiegen wird. Zur Dokumentation dieses
Umstandes werden hier Darstellungen von Dietrich Schwanitz und Gerd Schmalbrock
gegenübergestellt:
(...) Schließlich mußte der
König (Ludwig XVI.) den
Staatsbankrott verkünden. Um ihn zu beheben, berief er 1788 die Generalstände
ein. Das war ein mittelalterliches Parlament, das zum letzten Mal 1614 getagt
hatte. In ihm versammelten sich die Abgeordneten des Adels, der Kirche und der
gemeinen Bürger getrennt.
Die Nationalversammlung
Als am 5. Mal 1789 die
Generalstände zusammentraten, brach in Paris die Hölle los. Überall schossen
politische Clubs aus dem Boden, in denen Reden geschwungen und Fraktionen
gebildet wurden. Am wichtigsten wurde der Club Breton. In ihm traten Männer
auf, die den Gang der Revolution bestimmen sollten: der Abbé Sieyès, Graf
Mirabeau, Georges Danton und der dürre Rechtsanwalt Robespierre. Dieser Club
sollte die Wiege der Jakobiner, einer Partei der radikalen Republikaner,
werden.
Schon nach den ersten
Zusammenkünften begannen Geistliche und Adlige zu den Delegierten des dritten
Standes, den Bürgern, überzulaufen. Der König schickte einen Boten mit dem
Befehl, auseinanderzugehen und getrennt zu tagen. Da erhob sich Graf Mirabeau
mit dem wüsten Pockennarbengesicht und donnerte mit Löwenstimme: »Der König
befiehlt? Der König hat hier nichts zu befehlen! Wir sind das Volk. Wir werden
erst unsere Plätze verlassen, wenn man uns mit Waffengewalt dazu zwingt.« Das
war die Kriegserklärung der Demokratie an den Absolutismus. Die
Ständevertretung hatte sich in eine Nationalversammlung verwandelt. Da entließ
der König den populären Finanzminister Necker und zog Truppen um Paris
zusammen.
Die Bastille
Als das bekannt wurde, sprang
der Journalist Camille Desmoulins auf einen Tisch vor einem Café und forderte
die Menge auf, sich zu bewaffnen. Darauf begannen die Leute, sich blau‑weiß‑rote
Kokarden anzuheften und die Zeughäuser zu stürmen, um Waffen zu verteilen. Am
14. Juli stellten sie fest, daß ihnen die Munition fehlte. Sie zogen zur alten
Festung der Bastille und schickten eine Abordnung an den Kommandanten, den
liebenswürdigen Marquis de Launay, mit der Bitte, nicht zu schießen. Der
Marquis versprach es und lud die Delegation zum Essen ein. Das hätte er nicht
tun sollen, denn die Menge wurde ungeduldig. Ein paar Tollkühne kletterten über
die Mauern und ließen die Zugbrücken herab. Als die Menge über sie in die
Festung strömte, schossen die Soldaten zurück und wurden massakriert. Dann
befreite die rasende Menge die verblüfften Gefangenen, holte sich die Munition
und prügelte den Marquis zu Tode. Zur Feier dieses Ereignisses wurde der
französische Nationalfeiertag auf den 14. Juli gelegt und bis heute gefeiert.
Die Erstürmung der Bastille
versorgte die Radikalen und das Volk von Paris mit reichlich Selbstbewußtsein.
Es fand seinen Ausdruck in der Presse. Der radikalste der Journalisten war der
Arzt Jean‑Paul Marat. Weil er von einer Dermatitis, einer chronischen
Hautentzündung, geplagt wurde, verbrachte er die meiste Zeit im Bad. Er machte
sich zum Sprachrohr des Proletariats, hetzte gegen die Reichen und forderte die
Diktatur mit sich selbst als Diktator. Es begann eine Zeit der Tumulte und
Aufstände. Die Bauern bewaffneten sich und stürmten Schlösser und Klöster. Da
die Nationalversammlung sah, daß die Revolution sich von Paris auf das Land
ausdehnte, proklamierte sie die Befreiung der Bauern, was der König bestätigen
mußte. Das war das Ende des Feudalismus in Frankreich.
Quelle: "Die Geschichte Europas" von Dietrich Schwanitz,
Frankfurt am Main 2000, S. 177 f
Dietrich Schwanitz ... Draufgängerisch und hellhörig,
sprachverliebt und voller Ironie, wirkte der Hamburger Literaturwissenschaftler
nicht selten wie eine Figur seines Lieblingsautors Shakespeare. Und als der
Anglistik‑Professor in sich den Erzähler entdeckt hatte, wuchs seine
Produktivität fast ins Übermenschliche: Theoriekundig, ohne je theoriegläubig
zu werden, servierte er "Englische Kulturgeschichte" (1995) als
Wissensschmöker; die deftige Uni‑Satire "Der Campus" (1995)
wurde ein literarischer Erfolg und Vorlage eines Films. 1999 überbot Schwanitz,
inzwischen ein thesenstarker Talkshow‑Matador, die eigenen
Bestsellerrekorde mit der listig als Handbuch getarnten Bestandsaufnahme
"Bildung ‑Alles, was man wissen muß". Ein Satz daraus hätte das
Motto des begnadeten Pädagogen sein können: "Wer den Eindruck gewinnt, daß
es sich lohnt, wird sich anstrengen." Dietrich Schwanitz,
der an der ParkinsonKrankheit litt, wurde am 21. Dezember (2004) tot in seiner Wohnung in Hartheim nahe Freiburg gefunden.
Quelle: Nachruf in DER SPIEGEL 53 / 2004 / 142
Anmerkung: Bevor wir die - die wahren Hintergründe aufdeckende -
Darstellung Schmalbrocks präsentieren, soll darauf hingewiesen werden, daß
Schwanitz zwar von "politischen Clubs" und dem "Club
Breton" schreibt, aber das Wort "Loge" nicht einmal in den Mund
nimmt; dabei hätte ihn schon ein Blick in das freimaurerisch inspirierte bzw.
freimaurernahe "Internationale Freimaurer Lexikon" von Eugen Lennhoff
et al. über die Hintergrundverbindungen der wichtigsten von ihm genannten
Akteure aufgeklärt, als da sind:
Sieyès, Emmanuel Joseph, Abbé (1748 - 1836), der "Denker
der Revolution" war Mitglied der Pariser Loge Les Neuf Soeurs
Mirabeau, Honoré Gabriel Victor Riquetti, Graf von (1749 -
1791) soll lt. Abbé Augustin Barruel durch seinen Freund und Mitarbeiter Jacob
Mauvillon - einem Freimaurer aus Kassel - in den Illuminatenorden aufgenommen worden sein und habe dessen
anarchistische Lehren in die französische Freimaurerei verpflanzt
Danton, Georges Jacques (1759 - 1794) war Mitglied einer Pariser
Loge
Desmoulins, Camille (1760 - 1794) war Freimaurer
Marat, Jean Paul (1744 - 1793) war Freimaurer
(...) Wenn heute marxistische
Geschichtsbücher die Revolution in Frankreich als bürgerliche Revolution
bezeichnen, bloß weil i h r Marxismus nicht vor Marx begonnen haben darf, so
stellt das eine Fälschung dar. Die Französische Revolution war eine Freimaurer‑Revolution.
(Hervorhebung vom Bearbeiter) Das
Gesindel zu Paris wäre aus eigenem Antrieb nur zum Saufen und Krakelen fähig
gewesen, und das Bürgertum war von jeher ein Freund der Ordnung. Doch in der
Freimaurerloge 'Les amis réunis'
in Rennes hatten sich aufsässige Männer vereinigt, die fest entschlossen und
bereit waren, König und Kirche zu entmachten. Vorsitzender Meister dieser Loge
war der Violoncellist Duport, der schon vor Großlogenmeister Friedrich dem
Großen gespielt hatte. Brüder dieser Loge sind Robespierre, Condorcet, Mirabeau,
der Abbé Sieyès und Murat. Berüchtigter als 'Les amis réunis' war die Loge 'Les
neuf soeurs', zu der Danton, Brissot und Camille Desmoulin gehörten. Sie
forderten nicht weniger als den Kopf des Königs.
1789 gibt es bereits über
siebenhundert Freimaurerlogen in Frankreich! Schon seit 1772 arbeiten sie alle
auf die Revolution hin. Seit 1740 heißt ihr Wahlspruch: 'Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit'! Dann gründeten die Freimaurerlogen, um stärker in die Öffentlichkeit
hinein wirken zu können ohne die Heimlichkeit ihrer Logensitzungen aufzugeben,
die 'Gesellschaft der Verfassungsfreunde'. Weil diese ihren Logensitz in das
Dominikanerkloster St. Jakob verlegt, nennt man sie später, als sie ab 1791
durch blutigen Terror und massenweises Hinschlachten von Menschen regiert, die
Gesellschaft der Jakobiner. Hundert Jahre später feierten französische
Freimaurer in einer Vollversammlung die Jahrhundertwende ihrer Revolution und
erklärten: "Wir rühmen uns dieser
Tat! Wir verkünden es offen ‑ 1772 bis 1789 arbeitete das Maurertum die
große Revolution aus. Dann durchsetzten Freimaurer die Volksmassen mit den
Leitgedanken, die sie sich selbst in den Logen zu eigen gemacht hatten." (Hervorhebung vom Bearbeiter) Darum mußten alle Versuche König Ludwig des
Sechzehnten, den Staat zu befrieden, am revolutionären Willen der Freimaurerei
scheitern!
Frankreich war in jener Zeit
nicht irgendein Land in Europa. Es war d a s Land der Welt, nach dem die Uhren
gestellt wurden. Von draußen erschien es ungeheuer mächtig und über alle Maßen
reich, ein Land ungeahnter Möglichkeiten, das in Deutschland, in allem was Mode
machte, den Ton angab. Plötzlich berichteten deutsche Zeitungen des Jahres
1788, daß der König von Frankreich nicht mehr im Stande sei, seine Schulden zu
bezahlen. Darum habe er Monsieur Necker, Sohn eines Küstriner Rechtsprofessors,
in sein Amt als Finanzminister zurückberufen. Dieser Necker durfte sogar die
Bedingung stellen, daß zuvor der Erzbischof von Sens entlassen werde, mit dem
er sich nicht verstand. Er erhielt nun vom König den Auftrag, das zu tun, was er schon 1777 dringend gefordert hatte ‑ die Ständeversammlung
einzuberufen, die seit 1616 nicht mehr einberufen worden war.
Um die hohen Schulden des
Hofes zu tilgen, strebte Necker ein Bündnis mit dem Bürgertum an. Nur noch die
Bürger besaßen die moralische Kraft, Adel und Klerus zu zwingen, sich durch
Steuerzahlungen an den hohen Ausgaben des Staates zu beteiligen. Darum wurde
die Zahl der bürgerlichen Abgeordneten in der Ständeversammlung von dreihundert
auf sechshundert erhöht. Die Bürger konnten nun ebensoviele Vertreter in sie
entsenden wie Adel und Klerus zusammen. An einem solchen Bündnis zwischen König
und Bürgertum waren die Freimaurer nicht interessiert! Einer ihrer
einflußreichsten Brüder, der Herzog von Orleans, wollte selbst König werden.
Während man bei Hofe alle Vorbereitungen traf, die Ständeversammlung mit Pomp
und Pracht zu eröffnen, ließen Freimaurer im Auftrage des Herzogs von Orleans
und mit dessem Geld unter dem Pöbel das Gerücht verbreiten ‑ der reiche
Bürger Reveillon, Besitzer einer Tapetenfabrik in der Vorstadt St. Antoine,
habe geäußert, daß er die Löhne der Arbeiter auf fünfzehn Sols herabsetzen wolle, weil Weizenbrot viel zu gut für sie sei und sie sich mit
Kartoffeln wohl begnügen könnten. Unter Reveillons Arbeitern fanden sie kein
Gehör, denn der hatte ihnen während des langen harten Winters, als seine
Fabrikate keinen Absatz fanden und die Fabrik stillgelegt werden mußte, den
Lohn weitergezahlt. Doch aus den Schenken von Paris trieb das Gerücht sechstausend
angetrunkene Leute zusammen, die man durch gehässige Reden dazu brachte, auf
dem Königsplatz einen Strohmann zu verbrennen, den sie als Reveillon
bezeichneten. Dann verlasen sie, im Namen des 'Dritten Standes', ein Urteil
über ihn, das ihn zum Galgen verdammte, zogen zu Reveillons Farbrik und
zerschlugen alles.
Daß Frankreichs Bürger die
Revolution nicht wollten, dafür gibt es viele Beweise. So bot die Bürgerschaft
der Bretagne dem König sechs Millionen Livre als Geschenk an, das waren etwa
anderthalb Millionen Taler, damit er aus den Schulden komme. Die Zunft der Notare legte noch anderthalb
Millionen Livre dazu. Denn von sich aus hatte der König alles getan, die
Hofhaltung in ihren Ausgaben kleinzusetzen. Doch eben weil sich die
Aufständischen als B ü r g e r bezeichneten, kamen schiefe Darstellungen in die
Zeitung. So brachte am 2. Januar 1789 die Haude-Spenersche Zeitung in Berlin den
Bericht aus Paris. "Es geht jetzt bei uns ungefähr so her wie in Amerika
zur Zeit des Aufstandes gegen England. Auf eben die Art und aus eben den
Gründen, wie die Amerikaner sich gegen das Parlament in London auflehnten; so
lehnen sich hier die Bürger gegen den Adel und die Geistlichkeit auf."
Der Vergleich mit Amerika war
treffend. Nur ‑ die Verschwörung von 1776, durch die sich Amerika von
England unabhängig machte, war das Werk von Freimaurern wie Jefferson, George
Washington und Benjamin Franklin. Seitdem hat es kaum einen amerikanischen
Präsidenten gegeben, der nicht Freimaurer gewesen wäre. So kann man sagen ‑
sie stürzten die Könige und bringen die Massen durch Propaganda dazu, die von
ihnen bestimmten Präsidenten zu wählen.
Die Bürger in Deutschland
folgten begierig dem unerhörten Schauspiel im benachbarten Frankreich. Ihnen
erschien es wie die Wiedereinsetzung des Bürgertums in seine alten Rechte und
Freiheiten. Aber die Bürger von Paris sahen mit Unbehagen wie Unruhestifter den
Straßenpöbel durch Geldgeschenke und Hetzparolen in einen irren
Vernichtungswillen trieben. Das beweist ein Brief, den man in der Tasche des
Kommandanten der schwach besetzten Festung Bastille vorfand, der vom
Vorsitzenden der Pariser Kaufleute geschrieben worden war: "Halten Sie nur
noch bis sechs Uhr, Sie werden Truppen und Bomben bekommen. Mittlerweile
amüsieren Sie die Kanaille!" Doch um sechs war schon alles vorbei und die
Freude über den Sieg so groß, daß niemand bemerkte, daß aus diesem berüchtigten
Staatsgefängnis der französischen Monarchie nur fünf Urkundenfälscher und ein
Tobsüchtiger befreit werden konnten.
Das Volk war zu Tränen gerührt
über den Mut des Königs, der mit der Revolutionskokarde am Hut durch Paris
fuhr. Überall jubelt es ihm zu. Erneut versuchte er mit Hilfe Neckers, den
Staat als parlamentarische Monarchie
aus der wirtschaftlichen Krise herauszuführen. Doch die Freimaurer wollten ihre
Revolution und hetzten den Pöbel in einen Rausch der Gewalttätigkeit, in dem er
noch die Toten wie wild durchstach bis kein Fetzen Fleisch beieinander blieb.
Keiner war da vor Willkür sicher, der nicht die Revolutionskokarde am Hut trug!
Während das tollwütig gewordene Gesindel plündernd durch die Straßen zog und
tausendzweihundert Menschen totschlug, spielten in dieser Stadt dreiundzwanzig
Theater vor gut besetzten Häusern.
Mirabeau wollte keine
Republik. Er wollte einen König, den man aus der Loge beherrschen könne. Doch
die radikaleren Jakobiner verlangten die Republik. Sie forderten die
Hinrichtung des Königs. Als ihnen Mirabeau dabei hinderlich erschien, setzten
sie hunderttausend Livre auf seinen Kopf. Er starb dann plötzlich an den Folgen
einer Vergiftung, betrauert von vielen, die die ekelhafte Blutrache des
Revolutionstheaters leid waren.
Zu Beginn der französischen
Revolution sprach man auch in Deutschland über eine neue Verfassung und redete
von Freiheit. Eine Welle politischen und sozialen Wollens ging durch das Land.
Dann sah man, was die Revolution Frankreichs Bürgern brachte und wie an die
Stelle der alten Unfreiheit nur eine neue, viel härtere trat, die das Ausmaß
der Willkür ungeheuerlich vergrößerte. Die hochgesinnten Träume des deutschen
Bürgers verflogen.
Mit den Septembermorden des
Jahres 1792 ist für Frankreichs Nachbarn die Zeit des Zuschauens vorüber.
Tausende von Menschen werden aufgehängt oder niedergemetzelt, um die im ganzen
Land aufflackernden und sich gefährlich ausweitenden bürgerlichen und
bäuerlichen Aufstände gegen die Revolution niederzuwerfen. In ihrem Heilswahn
fallen die französischen Revolutionshorden in die europäischen Nachbarstaaten
ein, um sie von ihren 'Despoten' zu befreien. Sie erobern Sardinien, Savoyen
und Nizza, das linke Rheinufer mitsamt der Festung Mainz. Jourdan, einer der
übelsten Kopfabhacker, ließ überall wo er hinkam Freiheitsbäume aufpflanzen. In
Paris wird er als Freiheitsheld gefeiert. 1791 hatte er die Aufstände in der
Provence durch ein irrsinniges Massenmorden unterdrückt und die Stadt Avignon,
weil sie sich gegen plündernde Revolutionstruppen zu wehren wagte,
einundzwanzig Tage lang den Raub- und Mordexzessen seiner betrunkenen
Räuberbanden überlassen. Das Morden überstieg alles bis dahin Vorstellbare.
Bürger zwingen die
Nationalversammlung, eine gerichtliche Untersuchung durchzuführen. Die Freimaurerloge der Jakobiner
verurteilt das. Brissot behauptet, die Ermordeten, Verstümmelten und lebendig
Begrabenen, die man in einer Eisgrube aufgefunden hatte, seien lauter
Aristokraten gewesen, die gar kein Mitleid verdienten. Vergeblich trat ein
Bürger in der Nationalversammlung gegen die Amnestie für Jourdan ein.
"Bedenkt doch, meine Herren, die alles menschliche Gefühl empörenden Verbrechen
dieser Menschen! Bedenkt, daß sie in einem tiefen Eiskeller, in einer weiten
Gruft Schuldige und Unschuldige,
Tote und Verwundete, Weiber und Kinder, Lebendige und Sterbende
übereinandergehäuft haben!"
Der Jakobiner Bassal, einst
Pfarrer zu Versailles, verteidigte Jourdan und seine Horde. "Ich weiß, daß
viel Mut dazu gehört, diejenigen in Schutz zu nehmen, die von vielen feilen
Federn als Räuber dargestellt worden sind. Allein ich verteidige sie ohne
Anstand, weil ich den Eingebungen meines Gewissens folge. Ich sage, daß
diejenigen, die man Räuber nennt, niemals jemand anders bekämpften als die
Despoten!" Die Nationalversammlung beschloß, alle Verbrechen, die in den
Grafschaften Avignon und Venaissin begangen wurden, für straffrei zu erklären. Jourdan
und seine Männer mußten freigelassen werden. Er begann sofort, alle Zeugen des
Gerichtsverfahrens ermorden und deren Häuser plündern zu lassen. Wie vom Wahn
besessen ritt er mit seinen Leuten durch die Straßen von Avignon und schrie den
erschrockenen Bürgern zu: "Diesmal soll die Eisgrube voll werden!" Im
Jakobinerklub wurde er unter Beifall empfangen. Seinen Logenbrüdern rief er zu:
"Was habe ich nicht gelitten, Brüder! Was habe ich nicht erdulden müssen, um unsere Pläne durchzusetzen!"
Um diesem Treiben in
Frankreich ein Ende zu machen, hatte König Gustav der Dritte von Schweden mit
Kaiser Leopold dem Zweiten, König Friedrich Wilhelm dem Zweiten von Preußen und
der Zarin Katharina ein Bündnis geschlossen. Doch noch ehe die
Kriegsvorbereitungen gegen Frankreich abgeschlossen werden konnten, wird Kaiser
Leopold in Wien von Freimaurern ermordet. Fünfzehn Tage später erschießen
Freimaurer in Stockholm König Gustav den Dritten. Auf den Kopf des
Preußenkönigs setzt der Jakobinerclub 500.000 Livre aus. Doch der Mordanschlag
des Freimaurers Levesque mißlingt.
In den letzten Wochen jenes
Jahres setzen die jakobinischen Freimaurer auch endlich das Todesurteil gegen
Ludwig den Sechzehnten durch. Danach sichert die Nationalversammlung, die eher
einer Versammlung größenwahnsinnig gewordener Despoten gleicht, allen Völkern 'Bruderschaft
und Beistand' zu im Kampf gegen Monarchie und Kirche. Savoyen wird Frankreich
einverleibt und am 15. Dezember der Antrag angenommen, bei der Besetzung
fremder Territorien allen kirchlichen und adeligen Grundbesitz zu enteignen und
an die Stelle der Gold‑ und Silberwährung französische Papierwährung
einzuführen.
Quelle: "Schon Genosse oder noch Herr? Ein Bürgermarsch durch die
Geschichte" von Gerd Schmalbrock, Gladbeck 1975, S. 46 - 51