Eichmanns Schlußwort
Ich habe den schweren
Schuldspruch des Gerichts gehört. In meiner Hoffnung auf Gerechtigkeit sehe ich
mich enttäuscht. Den Schuldspruch kann ich nicht anerkennen.
Ich habe Verständnis dafür,
daß man Sühne für die Verbrechen fordert, die an den Juden begangen worden
sind. Die Aussagen der Zeugen hier im Gericht ließen mich wieder erstarren, so
wie ich erstarrt war, als ich mir die Greuel einmal befehlsgemäß ansehen mußte.
Ich hatte das Unglück, in
diese Greuel verwickelt zu werden. Aber diese Untaten geschahen nicht mit
meinem Willen. Mein Wille war nicht, Menschen umzubringen. Der Massenmord ist
allein die Schuld der politischen Führer.
Ich habe versucht, von meinem
Amt fortzukommen, fort zur Front, zum ehrlichen Kampf, aber ich wurde
festgehalten bei den dunklen Aufgaben.
Ich betone auch jetzt wieder:
Meine Schuld ist mein Gehorsam, meine Unterwerfung unter Dienstpflicht und
Kriegsdienstverpflichtung, unter Fahneneid und Diensteid.
Dazu galt ab Kriegsbeginn das
Kriegsgesetz.
Dieser Gehorsam war nicht
leicht und jeder, der zu befehlen und zu gehorchen hat, weiß was man einem
Menschen zumuten darf. Ich habe nicht mit Gier und Lust Juden verfolgt. Dies
tat die Regierung. Die Verfolgung konnte auch nur eine Regierung durchführen,
ich aber niemals.
Ich klage die Regierenden an,
daß sie meinen Gehorsam mißbraucht haben. Gehorsam ist damals verlangt worden,
sowie er auch in Zukunft von den Untergebenen gefordert werden wird. Der
Gehorsam wird als Tugend gepriesen. Ich bitte daher zu berücksichtigen, daß ich
gehorcht habe und nicht, wem ich gehorchte.
Ich sagte schon: Die
Führungsschicht, zu der ich nicht gehörte, hat die Befehle gegeben; sie hat
meines Erachtens mit Recht Strafe verdient für die Greuel, die auf ihren Befehl
an den Opfern begangen wurden.
Aber auch die Untergebenen
sind jetzt Opfer. Ich bin ein solches Opfer, dies kann nicht außer Acht
gelassen werden.
Man sagt, ich hätte den
Gehorsam verweigern können und müssen. Das ist eine nachträgliche Betrachtung.
Unter den damaligen Verhältnissen war ein solches Verhalten nicht möglich. Es
hat sich auch niemand so verhalten.
Ich weiß aus Erfahrung, daß
die ausschließlich nach dem Kriege behauptete Möglichkeit, sich dem Befehl zu
widersetzen, ein Schutzmärchen ist.
Heimlich davonstehlen konnten
sich Einzelne. Ich habe aber nicht zu denen gehört, die dies für zulässig
hielten.
Es ist
ein großer Irrtum, daß ich zu den Fanatikern in der Judenverfolgung gehört hätte.
Es hat mich in der ganzen
Nachkriegszeit gequält und empört, daß alle Schuld von meinen Vorgesetzten und
anderen auf mich abgewälzt wurde. Ich habe tatsächlich keine Äußerungen getan,
die für meinen Fanatismus sprechen könnten und Blutschuld liegt nicht auf mir.
Die Zeugen haben da eine große
Unwahrheit gesagt.
Die Zusammenstellung von
Äußerungen und Dokumenten durch das Gericht wirkt zunächst sehr überzeugend,
sie ist aber trügerisch.
Ich werde versuchen, diese
Irrtümer in der nächsten Instanz aufzuklären.
Niemand ist an mich
herangetreten und hat mir Vorhaltungen gemacht wegen meiner Amtstätigkeit. Dies
behauptet selbst der Zeuge Propst Grüber nicht von sich. Er kam zu mir und
wünschte nur Erleichterung, ohne sich gegen meine Amtstätigkeit selbst zu
wenden. Er bestätigt hier vor Gericht, daß ich ihn nicht zurückwies, sondern
ihm nur erklärte, daß ich die Entscheidung meiner Vorgesetzten einholen müsse,
da ich selbst nicht entscheiden könne.
Der im Verfahren genannte Ministerialdirektor
Loesener war Judenreferent im Reichsministerium des Innern. Er ist verstorben. Er
hat in seiner erst kürzlich erschienenen nachträglichen Rechtfertigungsschrift
zugegeben, daß er von den Greueln wußte und dies auch seinem Vorgesetzten
mitteilte. Man muß annehmen, daß alle Personen im Ministerium des Innern auf
diese Weise Kenntnis erhielten. Aber niemand trat gegen meine Vorgesetzten auf.
Der Ministerialdirektor Loesener ging schweigend in die stille Opposition und
diente seinem Führer als gut bezahlter Richter im Reichsverwaltungsgericht. So
sieht Zivilcourage eines Prominenten aus.
In dem 1950
niedergeschriebenen Bericht stellt Loesener Betrachtungen über mich an, wonach
ich eine Hauptfigur in der Judenverfolgung sein soll. Es sind aber
Gefühlsausbrüche, ohne Angaben von Tatsachen, worauf die Vermutungen beruhen.
Bei anderen Zeugen ist es ähnlich.
Ich bin von den Richtern
gefragt worden, ob ich ein Schuldbekenntnis ablegen wollte, wie dies der
Kommandant von Auschwitz, Hoess, und der Generalgouverneur von Polen, Frank,
getan haben.
Diese beiden hatten alle
Veranlassung zu einem solchen Schuldbekenntnis: Frank als Befehlsgeber,
bekannte sich für die von ihm gegebenen Befehle schuldig und scheute sich, die
Verantwortung auf Untergebene abzuschieben. Hoess war derjenige, der die
Massentötungen tatsächlich durchgeführt hat. Meine Lage ist eine andere.
Die Befugnis und Verantwortung
eines Befehlsgebers habe ich nie gehabt. Tötungen, wie Hoess, habe ich nie
vorgenommen.
Hätte ich den Befehl auf
Ausführung dieser Tötungen erhalten, so hätte ich mich nicht unter falschem
Vorwand gedrückt; ich habe bereits bei meinem Verhör erklärt: Da es angesichts
des Befehlszwanges keinen Ausweg gab, hätte ich mir eine Kugel in den Kopf
geschossen, um so den Konflikt zwischen Gewissen und Pflicht zu lösen.
Das Gericht meint, daß meine
jetzige Einstellung durch die Prozeßlage bedingt und erlogen sei. Es ist eine
Zusammenstellung von Punkten erfolgt, die dies zu bekräftigen scheinen. Die
vorliegenden Widersprüche waren aber dadurch bedingt, daß ich mich bei Beginn
der polizeilichen Vernehmungen naturgemäß nicht genau an Einzelheiten erinnern
konnte. Es war zuviel, was ich in diesen Jahren erlebt hatte.
Ich sperrte mich nicht, dies
zeigt das polizeiliche Protokoll über 3500 Seiten. Meine Angaben waren der
erste ungehemmte Versuch der Mithilfe zur Aufklärung. Hier sind Fehler
vorgekommen, aber ich mußte sie berichtigen dürfen. Solche Fehler kann man mir
nach einem Zeitablauf von 16‑20 Jahren nicht zum Vorwurf machen und meine
Bereitwilligkeit der Mithilfe nicht als List und Lüge hinstellen.
Meine Lebensnorm, die man mich
früh schon lehrte, war: das Wollen und Streben zur Verwirklichung ethischer
Werte. Von einem bestimmten Augenblick an wurde ich jedoch von staatswegen
daran gehindert, nach dieser Forderung zu leben.
Aus der Ethik mußte ich in
eine der Vielheiten der Moral umsteigen. Ich hatte mich der staatlicherseits
vorgeschriebenen Umkehrung der Werte zu beugen. Meine selbsterkennende Prüfung
habe ich in Bezirken durchzuführen, die ausschließlich mein inneres Ich
berühren. Ich habe bei dieser prüfenden Betrachtung meine von mir im
juristischen Sinne empfundene Schuldlosigkeit außer Acht zu lassen.
Ich würde jetzt das jüdische
Volk von mir aus um Verzeihung bitten und bekennen, daß mich Scham überfällt
beim Bedenken des Unrechts, welches den Juden geschah und der Taten, welche an
ihnen verübt wurden.
Aber angesichts der
Urteilsgründe würde mir dies wohl nur als Heuchelei ausgelegt werden.
Ich bin nicht der Unmensch, zu dem man mich macht. Ich
bin das Opfer eines Fehlschlusses:
Man hat mich in Buenos Aires
überfallen, eine Woche lang ans Bett gefesselt und mich dann mit Injektionen in
meine Arme betäubt zum Flughafen von Buenos Aires gebracht; von dort hat man
mich aus Argentinien herausgeflogen. Dies ist ganz offensichtlich nur darauf
zurückzuführen, daß man mich für den Alleinverantwortlichen hielt.
Der Grund hierfür liegt in der
Tatsache, daß einige Nationalsozialisten von damals und andere über mich
Unwahrheiten verbreitet haben. Sie wollten sich auf meine Kosten entlasten,
oder aus mir unbekannten Gründen Verwirrung stiften. Teile der Publizistik
gaben seltsamerweise die unwahren Darstellungen in geradezu schwelgender und
aufgebauschter Art anderthalb Jahrzehnte lang suggerierend wieder.
Dies
ist die Ursache des Fehlschlusses.
Dies
ist der Grund meines Hierseins.
Ich danke meinem Verteidiger,
der für mein Recht eingetreten ist. Ich bin der tiefsten Überzeugung, daß ich
für andere herhalten muß. Ich muß tragen, was das Schicksal mir auferlegt.
Quelle: Adolf Eichmann am 13.12.1961 in Jerusalem, nachdem er zum Tode
verurteilt worden war.