"Zionist" Eichmann

 

Adolf war das älteste von fünf Eichmann‑Kindern (vier Söhne und eine Tochter) und entpuppte sich bald als Versager: Er war der einzige, der die Oberschule nicht abschloß. Die erste Oberschule, in der er versagte, war die Kaiser‑Franz-­Staatsoberrealschule in Linz, die ein anderer Adolf Hitler ‑ um die Jahrhundertwende besucht hatte. Nach zwei erfolglosen Jahren an diesem Institut wechselte Eichmann in die Höhere Bundeslehranstalt für Elektrotechnik, Maschinenbau und Hochbau, die er ebenfalls nicht abschloß. In beiden Fällen, erzählte er einem israelischen Vernehmungsbeamten, »nahm mich mein Vater aus der Schule, weil ich ‑ ich kann es genauso gut zugeben ‑ nicht gerade der pflichtbewußteste Student war«.

 

Er war immer höflich und überaus zurückhaltend und nahm jede Arbeit an, die die Bekannten seines Vaters für ihn fanden ‑ drei Monate als Bergarbeiter im Untersberg zwischen Salzburg und der deutschen Grenze, zwei Jahre als Radioverkäufer für die Österreichische Elektrotech ‑ bis sein Vater, der den Eindruck hatte, daß sein Sohn nicht weiterkam, ihm vorschlug, Handelsreisender zu werden.

 

An diesem Punkt ‑ 1927, als Eichmann einundzwanzig war ‑ griff seine Stiefmutter ein. Seine Mutter war 1916 gestorben, weil sie laut Eichmann zu viele Kinder zu kurz nacheinander geboren hatte, und sein Vater hatte im gleichen Jahr wieder geheiratet. Die zweite Frau Eichmann hatte einen Vetter in Wien, der Präsident des Österreichischen Automobilclubs war und eine tschechische Jüdin geheiratet hatte. Der Vetter, den Eichmann »Onkel« nannte, kontaktierte einen Herrn Generaldirektor Weiss, den jüdischen Leiter der Vacuum Oil Company, und innerhalb von vierzehn Tagen war Eichmann ausgebildet, angestellt und hatte das exklusive Recht, im Mühlviertel, in Oberösterreich Sphinx‑Benzin und Gargoyl-­Mobiloil zu verkaufen.

 

Während der weltweit zunehmenden Depression verdiente der reisende Mineralöl‑Verkäufer Adolf Eichmann auf der Straße gut.

 

Aber er war 1932 wieder in Linz, als Österreichs Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei im Märzenkeller ‑ einer großen Bierhalle im bayerischen Stil in Linz ‑ eine Versammlung abhielt. Eichmann besuchte diese Versammlung, und während einer Pause in den Hetzreden näherte sich ihm ein beinahe zwei Meter großer Riese von Mann mit massiven, breiten Schultern, dicken Armen, rechteckigem Kinn und Mensurnarben im Gesicht ‑ eine Erinnerung an seine Studententage an der Grazer Universität. Eichmann kannte ihn vom Sehen ‑ er war ein Linzer Anwalt, um drei Jahre älter als Eichmann, und hieß Ernst Kaltenbrunner. "Wir hatten einander gelegentlich getroffen" erinnerte sich Eichmann. »Sein Vater und mein Vater unterhielten seit zwanzig Jahren geschäftliche Beziehungen. Ernst Kaltenbrunner sagte es mir geradeheraus: >Du kommst zu uns.< So war es damals üblich, alles sehr frei und locker, kein Krampf. Ich sagte: >In Ordnung.< So kam ich zur SS.«

 

Adolf Eichmann wurde am 1. April 1932 mit der Parteinummer 889 895 und der SS‑Nummer 45 326 Mitglied der NSDAP. Sein Werber Kaltenbrunner, ein Kettenraucher, der bereits Alkoholiker war, wurde bald Parteisprecher in Oberösterreich und bot den Mitgliedern juristische Hilfe, während er gleichzeitig die österreichische Untergrund‑SS befehligte. Im März 1938 wurde Kaltenbrunner zum Staatssekretär für Sicherheitswesen ernannt. Nach Reinhard Heydrichs Ermordung in Prag 1942 wurde Kaltenbrunner zu seinem Nachfolger ernannt und war Leiter des Reichssicherheits‑Hauptamts in Berlin, dem nicht nur die Gestapo, sondern auch die Deportationsmaschinerie der »Endlösung« unterstand. Die Gestapo war in Kaltenbrunners Reich Amt IV. Das unter Eichmanns Leitung stehende Referat IV B 4 wurde geschaffen, um die Bereitstellung und den Transport der Juden in die Todeslager durchzuführen. Kaltenbrunner wurde nach dem Krieg im Nürnberger Prozeß verurteilt und gehenkt.

 

Während sie die Leiter vom jungen Bürger, der auf Nationalismus machte, zum unbarmherzigen leitenden Vernichtungsbeamten hinaufstiegen, behielt Kaltenbrunner Eichmann als seinen Schützling im Auge, behandelte ihn jedoch gönnerhaft, weil er ihm geistig, körperlich und gesellschaftlich unterlegen war. Kaltenbrunner kam immerhin aus einer Familie mit zwei Generationen von Anwälten, war selbst Anwalt und hatte das Recht, sich Doktor (juris) zu nennen, während Eichmanns Familie für öffentliche Versorgungsbetriebe arbeitete. Eichmann selbst hatte die Schule nicht abgeschlossen und sich nie sportlich ausgezeichnet. Er gehorchte jedoch Befehlen, ohne zu fragen: den Befehlen seines Vaters, seiner Arbeitgeber und jetzt seiner Partei....

Quelle: "Die Akte Wiesenthal" von Alan Levy, Ueberreuter, Wien 1995, S. 87 - 89 (aus dem Kapitel X. "Der 'Zionist' Eichmann")

 

Anmerkung: Im Kapitel-Vorspann wird berichtet, Israel habe am 23. Mai 1960 bekannt gegeben, daß sich der aus Argentinien entführte Adolf Eichmann "hier" im Gefängnis befinde. Am gleichen Tage erhielt Simon Wiesenthal ein offizielles Telegramm aus Jerusalem nach Linz: "GLÜCKWÜNSCHE ZU IHRER AUSGEZEICHNETEN ARBEIT".

Dazu ist anzumerken, daß nach dem regelmäßig höchst zuverlässigen SPIEGEL der entscheidende Hinweis an die israelischen Fahnder über den Aufenthaltsort von Eichmann von dem damaligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gekommen sein dürfte. In das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft war eingestiegen worden und Bauer hatte offenbar die einschlägige Akte griffbereit präsentiert. Bauer starb dann kurz vor Einleitung der gerichtlichen Voruntersuchung gegen diverse Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte aus der Nazizeit wegen ihrer Verstrickung in die Euthanasie-Morde eines mysteriösen Todes. Der Pathologe hatte kaum Zweifel an einem Mord. Das Obduktionsergebnis hatte frappante Ähnlichkeit mit dem Ergebnis im Fall Barschel. In beiden Fällen haben offenbar Geheimdienstkreise eine Aufklärung verhindert.

Bemerkenswert war Fritz Bauers total gestörtes Verhältnis zu seinen ("schwarz-braunen") Staatsanwaltskollegen bzw. Untergebenen, das sich in seinem Ausspruch niederschlug: "Immer wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland."